P. Glotz: Das Gespräch ist die Seele der Demokratie

Titel
Das Gespräch ist die Seele der Demokratie. Beiträge zur Kommunikations-, Medien- und Kulturpolitik. Mit einer Einführung von Michael Meyen. Herausgegeben von Wolfgang R. Langenbucher und Hans Wagner


Autor(en)
Glotz, Peter
Reihe
ex libris kommunikation, neue Folge 15
Erschienen
Baden-Baden 2014: Nomos Verlag
Anzahl Seiten
495 S.
Preis
€ 79,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anna Neuenfeld, Staatswissenschaftliche Fakultät, Universität Erfurt

„Ich war ein Fechtmeister und ein Sänger, der die Mythen zu Geschichten verarbeitete, aber kein Condottiere, kein Fähnleinführer einer Herrschaft.“1 In seinem letzten Artikel für die Zeitschrift „Cicero“, den er schon auf dem Sterbebett verfasste, zog der ehemalige SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz noch einmal Bilanz. Glotz war einer jener raren Intellektuellen in der Politik, die stets versuchen den Spagat zwischen scharfzüngigem Debattenbeitrag und pragmatischer Parteipolitik zu schaffen; einer, der Gottfried Benn, Lion Feuchtwanger, Antonio Gramsci zitierte. Er galt als intellektueller Vordenker seiner Partei, „eine bei aller Parteibindung autonome Stimme, fern der klischeehaften Sprache der politischen Klasse, ein wortgewandter Schreiber, der einen selten gewordenen generalistischen Zugang zu vielen Ideen und Problemen hatte.“2

Glotz kannte die Sozialdemokratie, er hatte die ganze „Ochsentour“ durchlaufen und stets darauf beharrt, ein eigenständiger Kopf zu bleiben. Er selber bezeichnete sich als „Grenzgänger“, der mit „Kurt Biedenkopf, Lothar Späth oder Ralf Dahrendorf gelegentlich mehr Gemeinsamkeiten spürte als mit manchen Leuten des eigenen Ladens.“3 Die „Linken“ in der SPD hielten ihn für einen „intelligenten Rechten“ und die „Rechten“ für einen „Paradiesvogel.“4 Die SPD, seine Partei, verlassen wollte er dennoch nie. Vielmehr begleitete er sie mit zum Teil scharfer, aber immer konstruktiver Kritik, mit Reformvorschlägen und Diskussionsbeiträgen.

Peter Glotz war Medien- und Bildungspolitiker, Hochschullehrer und -rektor, Journalist und Buchautor – ein arbeitsreiches Leben. Ein weißes Blatt Papier sei für ihn eine Versuchung, Schreiben seine Lieblingsbeschäftigung, so Glotz. Sein erstes Buch, „Buchkritik in deutschen Zeitungen“5 erschien 1968 – Dutzende weitere und Hunderte von Aufsätzen und Zeitungsartikeln sollten folgen. Den Medien war er ein geschätzter Gesprächspartner. Seine Essays erschienen regelmäßig im Spiegel und in der Zeit. Seit 1982 war Glotz zudem Chefredakteur der sozialdemokratischen "Neuen Gesellschaft".

Im letzten Jahr wäre Peter Glotz 75 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass haben zwei langjährige Wegbegleiter, die beiden Kommunikationswissenschaftler Wolfgang R. Langenbucher und Hans Wagner, einen Sammelband mit Beiträgen zur Kommunikations-, Medien- und Kulturpolitik herausgegeben. „Das Gespräch ist die Seele der Demokratie“, lautet der Titel. Die Herausgeber haben Vorträge, Essays, Aufsätze, Rundfunkbeiträge, Buchkapitel und Gutachten aus dem kommunikationswissenschaftlichen Werk von Peter Glotz zusammengetragen.

Peter Glotz war eine „Lichtgestalt“ und ein „Pionier“ der deutschen Kommunikationswissenschaft, so Michael Meyen im einleitenden Teil zu Glotz’ Leben und Werk. Er war der erste Magisterabsolvent der Zeitungswissenschaft in München und wurde kurz darauf zum Konrektor für Studium und Lehre und damit erstes nicht-habilitiertes Mitglied eines deutschen Rektoratskollegiums. Mit einigen Kollegen, unter anderem dem Mitherausgeber Langenbucher, gründete er die Arbeitsgemeinschaft für Kommunikationsforschung, ein Institut, das Forschungsaufträge aus der Wirtschaft annahm. Und obwohl Glotz, der in München Zeitungswissenschaften studiert hatte, Anfang der 1970er-Jahre, die politische Laufbahn hauptberuflich einschlug, blieb er „Kommunikationswissenschaftler in der Politik.“6 Er war Berichterstatter der SPD zum Filmfördergesetz, Medienexperte der SPD-Fraktion und Vorsitzender der Medienkommission des Parteivorstandes. Zudem war er Mitglied in den Rundfunkräten des Bayerischen Rundfunks und des Deutschlandfunks sowie im Fernsehrat des ZDF, später auch in der von Helmut Kohl einberufenen Regierungskommission zur Privatisierung der Deutschen Bundespost.

Nach dem Ende seiner politischen Karriere wurde er wieder stärker im akademischen Bereich tätig, als Gründungsrektor der Universität Erfurt und als Professor in St. Gallen. So ist es nur folgerichtig, dass diesem entscheidenden Teil seiner beruflichen Laufbahn nun auch ein Sammelband gewidmet ist. Und die Fülle an Texten, die Glotz in seiner Laufbahn verfasst hat, scheint schier unerschöpflich zu sein, wie die rund dreißig seitige „Annäherung an eine Bibliographie“ am Ende des Bandes zeigt.

Die Texte, die für den Band ausgewählt wurden, sind in fünf große Kapitel gegliedert. Im kurzen ersten Kapitel erfährt der Leser einiges über das Selbstverständnis des Kommunikationswissenschaftlers, aber auch des Politikers Peter Glotz. Seine „kommunikationswissenschaftliche Makroanalyse“ der „politischen Krise als Kommunikationskrise“ (S. 63) beschreibt die Krisenhaftigkeit des deutschen Parteiensystems und die damit verbundene Sorge vor dem Erstarken rechts- und linkspopulistischer Bewegungen – mit dieser Problematik hat sich Glotz Zeit seines Lebens auseinandergesetzt.

Das zweite, umfangreichste Kapitel ist zugleich eines der stärksten des Buches. Unter dem Titel „Plädoyers für eine demokratische Kommunikationsordnung“ sind dort einige der überzeugendsten Texte zum Zusammenspiel von Massenmedien, Kommunikation und Politik aus 40 Jahren zusammengefasst. Der Grundtenor bleibt dabei stets gleich: Massenmedien müssten demokratisch kontrolliert und dürften nicht einfach dem freien Spiel der Marktwirtschaft ausgeliefert werden, da ihre Bedeutung für die Gesellschaft viel zu groß sei. Schon in den 1960er-Jahren schreibt Glotz, dass „die modernen Kommunikationsmittel […] über ein hohes Maß an Macht in der Gesellschaft“ verfügten (S.81). Werde diese publizistische Macht missbraucht, sei die freiheitlich-demokratische Ordnung in Gefahr. Stattdessen sollten die schon bestehenden Institutionen stetig reformiert werden.

Der dritte Teil ist wieder deutlich kürzer und dreht sich um Journalistenfreiheit und Journalismuskritik. Neben der für die 1970er-Jahre typischen Diskussion um Mitbestimmung und „innere Pressefreiheit“, findet Glotz dort auch deutliche, kritische Worte für den journalistischen Berufsstand und fordert eine öffentliche Debatte über „unseren Nachrichtenjournalismus“: „In ihr müsste der Zynismus bekämpft werden, mit dem die Unwahrheiten von gestern achselzuckend schon deshalb angehakt werden, weil sie eben gestern geäußert wurden […]. In ihr müsste auch bei qualifizierten Minderheiten unter den Journalisten die Lust wach gehalten werden, gegen den Strom zu schwimmen.“ (S.271)

Das vierte, wieder sehr umfangreiche Kapitel beschäftigt sich mit dem Wandel der Kommunikationskultur, mit Telekratie und der Medienpolitik als Teil der Wissenschafts- und Bildungspolitik. Diese Texte sind der Kern dessen, was den Politiker Glotz beschäftigt hat: der Wandel von gesellschaftlicher Kommunikation in Zeiten von „Internationalisierung, Privatisierung, Kommerzialisierung“ (S. 361), Medienpolitik als Teil der Wissenschafts- und Bildungspolitik und die Schwierigkeiten des Regierens in einer Telekratie. Damit beschrieb Glotz Themen, die Soziologen, Kommunikationswissenschaftler und letztlich auch alle Parteien seit den 1960er- und 1970er-Jahren mehr und mehr beschäftigte: Wie verändert sich das gesellschaftliche Zusammenleben in modernen Informationsgesellschaften? Wie reagieren die Bürger auf ein stetes Mehr an Information und Unterhaltung? Und welche gestaltende Aufgabe kann die Politik in diesem Bereich übernehmen?

Im fünften und letzten Kapitel beschäftigen sich die Texte mit der Wissens- und Wissenschaftskultur und mit der Zukunft der deutschen Universitäten, für die sich Glotz neue gesellschaftliche Impulse zur Reform wünschte. Auch wenn die Herausgeber auf dieses letzte Kapitel vielleicht hätten verzichten können, ist so ein runder Abschluss dieser Textauswahl geglückt. Abgerundet wird der Band durch eine sehr umfangreiche (wenn auch immer noch nicht vollständige) Bibliographie von Peter Glotz, die das wissenschaftliche Arbeiten mit dem Glotz’schen Werk deutlich erleichtert.

Alles in allem ist den Herausgebern ein sehr informativer Sammelband geglückt mit einer nachvollziehbaren, repräsentativen Auswahl an Texten. Wenn es etwas zu kritisieren gibt, dann die geringe Verortung und Einführung in die Texte, die über Titel, Jahr, Ort der Veröffentlichung und einige ganz wenige Zusatzinformationen nicht hinausgehen. Zwar ist Michael Meyens Einführung zu Glotz‘ Leben und Werk umfangreich und informativ. Dennoch wäre eine weiterführende Erläuterung zu den einzelnen Kapiteln oder Texten, vielleicht auch zu den übergeordneten gesellschaftlichen oder auch fachspezifischen Debatten hilfreich und interessant gewesen. Das grundsätzlich positive Bild dieses Sammelbandes wird dadurch aber nicht getrübt.

Anmerkungen:
1 Peter Glotz, Tod am späten Nachmittag, in: Cicero, Oktober 2005.
2 Wolfgang R. Langenbucher, Peter Glotz. Festvortrag, in: Wolfgang Bergsdorf (Hrsg.), Erfurter Universitätsreden. Sonderband im Gedenken an Peter Glotz, München 2006, S. 41–61, hier S. 52.
3 Peter Glotz, Von Heimat zu Heimat. Erinnerungen eines Grenzgängers, Berlin 2005, S. 11.
4 Ebd., S. 180.
5 Peter Glotz, Der Weg der Sozialdemokratie. Der historische Weg des Reformismus, Wien 1975.
6 Langenbucher, Glotz, S. 45.

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