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Titel
African Film. Re-imagining a Continent


Autor(en)
Gugler, Josef
Erschienen
Oxford 2003: James Currey
Anzahl Seiten
201 S.
Preis
£40.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dirk Naguschewski, Projekt "Afrika -Europa", Zentrum für Literaturforschung, Berlin

Seit einigen Jahren ist ein deutlich wachsendes Interesse am afrikanischen Kino zu bemerken, das bislang im Allgemeinen eher sozialwissenschaftlich ausgerichtet ist.1 Die lesenswerte Studie von Josef Gugler – ein aus Deutschland stammender Soziologe, der gegenwärtig als Direktor dem „Center for Contemporary African Studies“ an der University of Connecticut vorsteht – knüpft an die geleisteten Arbeiten an und treibt sie in Hinblick auf sozialhistorische Kontextualisierungen deutlich voran. African Film. Re-Imagining a Continent erschließt das afrikanische Filmschaffen über Analysen von insgesamt 17 Filmen. 15 der Filme, entstanden im Zeitraum zwischen 1970 und 1997, stammen aus Ländern, die südlich der Sahara liegen: Senegal, Mali, Burkina Faso, Guinea-Bissau/Kap Verde, Nigeria, Kongo, Mosambik, Zimbabwe und Südafrika. Als Kontrast- bzw. Ergänzungsmittel dienen zwei Hollywood-Produktionen, Sidney Pollacks allseits bekanntes Stardrama Out of Africa (1985) und Euzhan Palcys weit weniger bekannte Verfilmung eines Anti-Apartheid-Romans von André Brink, A Dry White Season (1989). Man mag einwenden, dass es problematisch sei, Filme, die derart unterschiedlichen Kontexten entsprungen sind, über den einen Kamm „afrikanisches Kino“ zu scheren; doch Gugler führt dank der vielen Querverbindungen, die er zieht, überzeugend vor, dass erst dieses Vorgehen erlaubt, den Gesamtzusammenhang herzustellen, auf den die von ihm diskutierten Filme stets auch verweisen. Denn die Mehrzahl der Filme ist bewusst darauf angelegt, Geschichte(n) zu erzählen, die das Schicksal des gesamten afrikanischen Kontinents spiegeln.

Wie im Titel der Monografie bereits anklingt, geht es Gugler darum, zu untersuchen, wie ein Kontinent (genauer: das Afrika südlich der Sahara) von seinen Filmemachern in Abgrenzung von kolonialistischen Darstellungsmustern re-imaginiert wird und welche spezifischen Probleme mit der Wahl des Mediums Film verbunden sind. Seiner Auswahl wie auch seiner Methode liegt dabei die These zugrunde, dass im afrikanischen Kino sozialen, kulturellen und politischen Fragestellungen der Vorrang vor dem Abbilden individueller Schicksale gegeben wurde (S. 10). Anhand der Filme von Pollack und Palcy verdeutlicht Gugler, dass kommerzielle Afrika-Repräsentationen ein traditionell ethnozentrisches, wenn nicht gar rassistisches Bild des Afrikaners vorführen. Dem stellt Gugler differenziertere Versuche der Eigen-Repräsentation gegenüber.

Filmästhetische Aspekte treten bei Gugler in den Hintergrund; er hat ein im Wesentlichen sozialgeschichtliches Interesse an den Filmen. Zielt seine Kritik zuvorderst auch auf ihr Vermögen, soziale Verhältnisse zu reflektieren, so verliert er doch nicht ihren medialen Status aus den Augen – eine Klarsichtigkeit, die mancher Untersuchung zum afrikanischen Film fehlt. Guglers Filmanalysen erstrecken sich über 6 bis 13 Seiten, sie enthalten in der Regel pointierte Inhaltsangaben des jeweiligen Films (soweit es sich um Literaturverfilmungen handelt, auch über die entsprechende Vorlage), sowie konzise Ausführungen über den historischen bzw. politischen Kontext, den Gugler in den Filmen reflektiert sieht. Darüber hinaus wird systematisch die Sprachenwahl im Film kommentiert sowie deren (tatsächliche oder mutmaßliche) Konsequenzen auf das Rezeptionsverhalten seitens der Zuschauer. Originell ist zudem das Verfahren, jede Analyse durch ein Filmplakat zu illustrieren und dieses kurz zu kommentieren. Weniger umfangreich sind die Hinweise zu den Regisseuren ausgefallen. 2

Die Analysen sind auf 6 Kapitel verteilt, denen jeweils informationsreiche Einleitungen vorangestellt sind, die das nötige historische und politische Hintergrundwissen liefern, das für ein kontextbezogenes Verständnis der Filme nötig ist: „Recovering the African Past“ (Kap. 1) beginnt mit einer Konfrontation: Auf der einen Seite Out of Africa, in dem Fragen der Beziehungen zwischen Weiß und Schwarz zugunsten der Erzählung einer weiblichen Emanzipationsgeschichte nicht nur in den Hintergrund treten, sondern Afrikaner im Vergleich zu Isak Dinesens literarischer Vorlage auch als im Wesentlichen zurückgeblieben gekennzeichnet werden; auf der anderen Seite zwei Filme, die bemüht sind, afrikanische Traditionen wieder aufleben zu lassen, Idrissa Ouedraogos Yaaba (1989) und Dani Kouyatés Keita (1995). Beide Filme werden von Gugler jedoch eher kritisch betrachtet, da sie seiner Meinung nach die sozialen Verhältnisse in einem afrikanischen Dorf bzw. die Rolle des Griots nicht angemessen reflektieren. Im Hintergrund dieser Kritik lauert bereits die Frage danach, ob der Versuch, mit diesen Filmen auch ein westliches (europäisches, amerikanisches) Publikum erreichen zu wollen (z. B. aus Gründen künstlerischer Wirkung) bzw. zu müssen (aus ökonomischen Gründen), nicht mitunter zu einer Verzerrung führt. Denn wenn nicht auf den gleichen Erfahrungshintergrund Bezug genommen werden kann, wie lassen sich dann Bilder für das Eigene finden, die nicht den kolonialen Sehweisen entsprechen?

Filme, die auf die Befreiungskämpfe in Angola und Zimbabwe verweisen, bilden die Grundlage des kurzen Kapitels zu „Fighting Colonialism“ (Kap. 2). Das umfangreiche Kapitel „The Struggle for Majority Rule in South Africa“ (Kap. 3) behandelt nach einer informativen Einleitung zur Geschichte Südafrikas insgesamt vier Filme: Anhand von A Dry White Season kommentiert Gugler die Unterschiede zwischen der Romanvorlage André Brinks und Palcys Film. Denn während der liberale weiße Schriftsteller vor allem für seine Landsleute schreibt, zielt Palcys in Hollywood produzierter Film auf ein Publikum, das mit den in Südafrika herrschenden Konflikten vergleichsweise unvertraut ist. Die Gesetze des Filmgeschäftes führen zu einer Reihe von Glättungen. Im Gegensatz dazu werden Mapantsula (1988) und Fools (1997) dann als gelungene Beispiele von Filmen gewertet, die aus der Sicht schwarzer Südafrikaner das Leben im Apartheid-Staat zeigen, wobei in letzterem Film vor allem der Einsatz von Mehrsprachigkeit als im Verhältnis zu der dem Film zugrunde liegenden Erzählung innovativ wirkt.

„Betrayals of Independence“ (Kap. 4) erzählt die Geschichte von Filmen, die die Tendenz kritischer afrikanischer Künstler und Intellektueller aufgreifen, den Machtmissbrauch afrikanischer Potentaten in der Post-Unabhängigkeits-Ära zu kritisieren. Einer ausführlichen Darstellung der nur wenig bekannten Theaterverfilmung von Ossie Davis, Kongi’s Harvest (1970), die zwar auf dem gleichlautenden Stück des nigerianischen Nobelpreisträgers Wole Soyinka basiert, aber heute aufgrund seiner mangelhaften Qualität kaum noch aufzutreiben ist, folgt die überzeugende Auseinandersetzung mit einem der Meilensteine des afrikanischen Kinos, Sembene Ousmanes Xala (1973). Mehr noch als die gleichnamige Romanvorlage äußert der Film nicht nur eine Kritik an der Entwicklung der städtischen Bourgeoisie, sondern vor allem auch am politischen Regime, dass im Senegal seinerzeit durch Léopold Sédar Senghor vertreten wurde, der im Film durch eine Doppelgängerfigur parodiert wird. Dadurch, so Gugler, gelingt es Semebene im Medium des Films besser, das sengalesische Publikum anzusprechen. Auch Moussa Sene Absa formuliert mit Tableau Ferraille (1997) eine Kritik der senegalesischen Gesellschaft, doch stützt sich in seinem Film die Hoffnung auf einen modernisierten Islam. Als tendenziell optimistisch bewertet Gugler auch Flora Gomes’ Film Les yeux bleus de Yonta (1992), der sich komödiantisch-kritisch dem Schicksal Guinea-Bissaus zuwendet und den Kritiker trotz des geringen Budgets künstlerisch überzeugt.

Einen Teilaspekt der Probleme, die das post-koloniale Afrika kennzeichnen, vertieft Gugler dann in dem Folgekapitel „The Exploited & Neglected Peasantry“ (Kap. 5): Cheick Oumar Sissokos Film Finzan (1990) wird von Gugler vor allem als gelungener Aufruf interpretiert, überkommene Traditionen über Bord zu werfen, die für eine anhaltende Unterdrückung der Frauen gerade auf dem Land verantwortlich sind. Den Bedürfnissen unterschiedlicher Publika kommt der Regisseur nach, indem er zwei verschiedene Versionen des Films angefertigt hat. Abschließend geht Gugler hier noch auf Kasarmu Ce von Saddik Balewa (1991) ein, eine nigerianische Produktion, die mit staatlichen Mitteln auf Haussa gedreht wurde und ebenfalls auf die Aktualität islamischer Moralvorstellungen setzt.

Im sechsten Kapitel, „Between the African Mass Market & International Recognition“, vertieft Gugler einen Problembereich, der in seinen vorigen Analysen stets angeklungen ist, und zwar die problematische Orientierung an (vermeintlichen) Publikumserwartungen. Während sich in Ghana und Nigeria ein einheimischer Markt für lokal produzierte Videos etabliert hat, finden viele afrikanische Filme nur schwer ihr Publikum. Deutlich wird dies an dem Beispiel von Ouedraogos Kini et Adams, eine englischsprachige, in Südafrika angesiedelte Produktion des frankophonen Regisseurs Idrissa Ouedraogo (1997), die weder in Afrika noch in Europa oder Amerika Beifall fand – möglicherweise gerade weil die Geschichte einer Freundschaft zwischen Männern zu wenig ‚afrikanisch’ erschien. Als Gegenbeispiel erzählt Gugler die Geschichte vom kommerziellen Erfolg eines der wenigen afrikanischen Musicals, La vie est belle, des belgisch-kongolesischen Regieduos Benoît Lamy & Mweze Ngangura (1987).

Das Gros der Filme dürfte dem deutschsprachigen Publikum wohl kaum vertraut sein; manche Filme sind zudem kaum aufzutreiben. Dennoch lohnt es sich, Guglers Ausführungen zu folgen, denn es gelingt ihm stets, mit wenigen Worten den Film zu skizzieren und in seine weitreichenden sozialgeschichtlichen Überlegungen einzubetten. Wer also Interesse an zeitgenössischer afrikanischer visueller Kultur und deren Rezeptionsbedingungen hat, kommt hier ganz auf seine Kosten.

Anmerkungen:
1 Diawara, Manthia, African Cinema. Politics & Culture, Bloomington 1992; Nwachukwu, Frank, Black African Cinema, Berkeley 1994; Barlet, Olivier, Les cinémas d'Afrique Noire. Le regard en question, Paris 1996; Harrow, Kenneth W., African Cinema: Postcolonial and Feminist Readings, Trenton 1999.
2 Nur scheint mir dies bei einem Kritiker, der ein dezidiert sozialwissenschaftliches Interesse hat, durchaus gerechtfertigt. Geradezu sträflich mutet demgegenüber die fehlende Aufmerksamkeit für die Ästhetik und Medialität des Films bei Literaturwissenschaftlern an: Eklatant in diesem Zusammenhang die Werkmonografien zu Djibril Diop Mambety (einem der wenigen Regisseure, denen diese Aufmerksamkeit überhaupt zuteil wurde), deren Autoren nicht nur filmästhetische Aspekte weitgehend unberücksichtigt lassen, sondern die sogar auf eine Filmografie verzichten: Niang, Sada, Djibril Diop Mambety. Un cinéaste à contre-courant, Paris 2002; Wynchank, Anny, Djibril Diop Mambety ou le voyage du voyant, Ivry-sur-Seine 2003.

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