W. Faulstich: Medien zwischen Herrschaft und Revolte

Titel
Medien zwischen Herrschaft und Revolte. Die Medienkultur der fruehen Neuzeit (1400 - 1700)


Autor(en)
Faulstich, Werner
Reihe
(Geschichte der Medien, 3)
Erschienen
Goettingen 1998: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
341 S.
Preis
€ 46,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Uwe Goppold, Philosophische Fakultät Fachgruppe Geschichte, Universität Konstanz

Werner Faulstich hat in seiner insgesamt auf zehn Baende angelegten Analyse kultureller Relevanz von Medien seit den Anfaengen bis zur Gegenwart nach Antike und Mittelalter nunmehr die fruehe Neuzeit erreicht. Im hier vorliegenden dritten Band wird auf der Folie der sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Phaenomene der Jahrhunderte zwischen 1400 und 1700 der Frage nach dem Zusammenhang von gesellschaftlicher Struktur und der Funktion von Medien nachgegangen. Das - vor allem im Vergleich mit den vorangehenden Zeitabschnitten - signifikante Merkmal der fruehen Neuzeit sei - so Faulstich - die "erste mediale Weltveraenderung in der Kulturgeschichte der Menschheit", der Wandel von der "Dominanz der Menschmedien zur Dominanz der Druckmedien", der sich in diesem Zeitraum vollzogen habe. Faulstich untersucht die traditionellen und die neuen Medien vor dem Hintergrund der "Domaenen gesellschaftlichen Wandels": Humanismus, Fruehkapitalismus, staedtische und laendliche Gesellschaft, Reformation, Krieg, Absolutismus und neue Medientechnik. Damit ist die Struktur des Buches bereits vorgegeben: In den insgesamt dreizehn Kapiteln des Bandes werden an diesen Kristallisationspunkten - freilich mit unterschiedlicher Gewichtung - medienhistorische Veraenderungen sowie deren soziale und politische Bedeutung erarbeitet.

Wie schon in den beiden bereits vorliegenden Untersuchungen zu Antike und Mittelalter (Das Medium als Kult. Von den Anfaengen bis zu Spaetantike (8. Jahrhundert). Goettingen 1997; Medien und Oeffentlichkeit im Mittelalter 800 - 1400. Goettingen 1996) wird auch in diesem Band das Konzept einer uebergreifenden "Medienkulturgeschichte" im Sinne einer Geschichte saemtlicher Medien des Untersuchungszeitraums in ihrer Totalitaet, ihrer Vernetzung und Funktion fuer die Gesellschaft verfolgt: Faulstich geht es um einen umfassenden historischen Zugriff auf die multimediale Wirklichkeit der fruehen Neuzeit, vor allem auf Relevanz und Funktion der Medien fuer die sich allmaehlich ausdifferenzierende fruehmoderne Gesellschaft. Hinter diesem Ansatz steht die Vorstellung, Medien seien nicht allein Kanaele technischer Vermittlung, sondern wesentliche Gestaltungsinstrumente, die die sozialen Zusammenhaenge, in denen sie "funktionieren", massgeblich beeinflussen und praegen. Menschliche Kultur ohne Medien ist demnach ueberhaupt nicht vorstellbar, alle Gesellschaften muessen als "Kultur- und Kommunikations- und Mediengesellschaften" verstanden werden (Faulstich 1997). Dabei geht Faulstich in seiner Untersuchung von einem flexiblen Medienbegriff aus, der der im historischen Prozess beobachtbaren Veraenderbarkeit und Wandlungsfaehigkeit von Medien Rechnung zu tragen versucht. Eine Konsequenz dieses Konzeptes ist, dass ein allgemeingueltiger und distinkter Begriff "des" Mediums unter diesen Umstaenden erst mit Abschluss des gesamten Programms einer allgemeinen Medienkulturgeschichte vorliegen kann. Bis dahin muss sich der Leser mit einer begrifflichen Unschaerfe abfinden, die das Verstaendnis der faulstichschen Argumentation nicht unbedingt erleichtert. So wird hier denn auch die Wahrnehmung sozialer Orientierungs- und Steuerungsfunktionen zum wesentlichen Massstab, ja zum ausschlaggebenden Test dafuer, ob einer Kommunikationstechnologie, einem Wissenspeicher, einem gestalterischen Ausdruck etc. medialer Charakter zugeschrieben werden darf oder nicht. Genau an dieser Stelle gewinnt man allerdings den Eindruck, dass das Pferd, das die Untersuchung tragen soll, von der verkehrten Seite aufgezaeumt wird, denn Argumente wie auch Schluesse, die auf diesem Konstrukt aufgebaut sind, werden den Geruch eines circulus vitiosus nicht ganz los: Wenn das, was als Medium bezeichnet werden kann, genau dadurch definiert und markiert wird, dass es gesellschaftliche Steuerungs- und Orientierungsfunktionen wahrnimmt, kann eines der wesentlichen Ergebnisse Faulstichs, naemlich, dass Medien fuer die soziale und politische Ordnung von so entscheidender Bedeutung sind, dass Sozialgeschichte ohne Mediengeschichte gar nicht denkbar ist (S. 296ff), kaum mehr ueberraschen.

In diesem Zusammenhang wird auch ein anderes Problem der vorliegenden Untersuchung offensichtlich: Wenn Medien die Kultur einer Gesellschaft entscheidend praegen, dann hat dies auch damit zu tun, dass genau sie es sind, die sozialer Kommunikation ihre Form geben. In der vorliegenden Studie wird leider versaeumt, auf den Zusammenhang zwischen Kultur, Medien und Kommunikation naeher einzugehen - und eo ipso, ohne genauere Erklaerung erschliesst sich diese Korrelation auch nicht. Dies mag vor allem daran liegen, dass Faulstich nicht nur mit einem verschwommenen Medienbegriff operiert, sondern auch den seiner Medienkulturgeschichte zugrundeliegenden Kulturbegriff nicht genauer expliziert. Dadurch wird es z.B. schwierig, nachzuvollziehen, was eigentlich das "Schockierende" oder Irritierende des "Kulturschocks" sein koenne, mit dem die Einfuehrung neuer Medien haeufig einhergeht (vgl. S. 230, 234).

Grundsaetzlich unterscheidet Faulstich zwischen Mensch-, Gestaltungs-, Schreib- und Druckmedien, erwaehnt werden daneben auch elektronische und digitale Medien, die hier freilich noch keine weitere Beruecksichtigung finden. Faulstich diagnostiziert in den verschiedenen "Domaenen gesellschaftlichen Wandels" neben der Modifikation der sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Verhaeltnisse jeweils auch Veraenderungen hinsichtlich Bedeutung und gesellschaftlicher Funktion traditioneller und neuer Medien, sowie ihrer Beziehungen untereinander. So verlieren waehrend der Renaissance viele traditionelle Menschmedien ihren medialen Charakter, Gestaltungsmedien entwickeln sich dagegen zur individuellen Kunst.

Im Fruehkapitalismus wird der Brief zum dominanten Medium schlechthin: als Kanzlei-, Handels-, Send- oder Privatbrief wird er zum Traeger des praktischen Lebensinteresses, der Informationsbrief kann als Vorlaeufer der Zeitung angesehen werden und in der Kapitalwirtschaft entwickelt sich aus dem Kommunikationsmedium Brief das Interaktionsmedium Geld. Am Beispiel der Post und des wachsenden Briefverkehrs veranschaulicht Faulstich, wie die potentielle Leistungsfaehigkeit eines Mediums aufgrund der stetig steigenden Anforderungen eines sich allmaehlich ausdifferenzierenden Teilsystems der Gesellschaft erhoeht wurde, wie aber diese Modifikationen des Mediums wiederum auf das Teilsystem zurueckwirken und dieses veraendern: Folgt man Faulstich, passt sich das Medium Brief den Erfordernissen fruehkapitalisitischer Wirtschaft an, wird oekonomisiert und schliesslich als Geld zu einen symbolisch generalisiertem Handlungsmedium des Teilsystems Wirtschaft.

In der staedtischen Gesellschaft vollzieht sich der Wandel der Medienkultur auf verschiedensten Ebenen: Menschmedien werden zu Berufsrollen, es entstehen zahlreiche Medienverbundformen, die den traditionellen Menschmedien Schreib- resp. die neuen Druckmedien zuordnen und das kulturelle Gewicht verlagert sich insgesamt auf die Printmedien. Der Wandel staedtischer Medienkultur wird als Funktionswandel beschrieben, der zunaechst auf einem Mediendefizit beruht: traditionelle Medien verlieren in der Stadt ganz allmaehlich ihre Steuerungs- und Orientierungsfunktion und dieses Vakuum wird in einem weichen Abloesungsprozess, d.h. zunaechst im Neben- v.a. aber im Miteinander alter und neuer Medien gefuellt (S. 108).

Im Gegensatz dazu findet im 15. Jahrhundert auf dem Land eine "echte Ausweitung der Medienkultur" durch Printmedien statt: Hier erweist sich der Kalender als dominantes Medium - auch gegenueber dem multifunktionalem, durch Bild-Text-Verknuepfungen sehr anschaulichem Flugblatt (S. 141).

Waehrend des 30jaehrigen Krieges wird insbesondere das Flugblatt intensiv als Propagandainstrument genutzt, das die vielen Teiloeffentlichkeiten ganz allmaehlich zu Vorformen einer uebergreifenden gesamtgesellschaftlichen Oeffentlichkeit ausweitet (S. 184) und insofern zu den Vorlaeufern des Mediums Zeitung zu zaehlen ist. Hier zeigt sich, was die medienkulturhistorische Perspektive zu leisten imstande ist. Denn es wird sehr klar herausgearbeitet, dass die publizistische Bedeutung des Flugblattes waehrend des 30jaehrigen Krieges nicht - wie haeufig vermutet - auf die neuen Moeglichkeiten der Drucktechnik zurueckzufuehren ist, sondern dass in Konfliktsituation auf das Medium gerade wegen seiner Steuerungs- und Orientierungsfunktion zurueckgegriffen wird. (S. 192)

Im Absolutismus werden die traditionellen Gestaltungs- und Menschmedien zu einem "gigantischen neuen handlungsmedialen Verbund" zusammengefuehrt (S. 193). Alle Medien kulminieren im hoefischen Fest, das wiederum zum Medium des Handlungsmediums Macht wird.

Im 17. Jahrhundert beginnt mit der Entstehung der Zeitung ein "neues Medienzeitalter". Ihre typischen Eigenschaften - Periodizitaet, Aktualitaet, Universalitaet und Publizitaet - uebernimmt die Zeitung in einem funktionssynkretistischen Prozess, der von Faulstich als voellig neue Form des Wandels herausgehoben wird, von ihren medienkulturhistorischen Vorlaeufern Prediger, Brief, Saenger und Flugblatt (S. 225). Durch dieses neue Medium entsteht eine neue Form von Oeffentlichkeit, die sich von den Teiloeffentlichkeiten des Mittelalters deutlich unterscheidet. In letzter Konsequenz trage sie - so Faulstich - zu einem grundsaetzlich veraenderten Verstaendnis von Herrschaftslegitimation bei, da sich die Traeger der Macht im Falle der Konfrontation mit der oeffentlichen Meinung nunmehr genoetigt sehen, ebenfalls oeffentlich zu reagieren. In welchem Verhaeltnis Oeffentlichkeit und Herrschaftslegitimation allerdings demnach stehen, wird leider nicht ausgefuehrt. Faulstich geht nicht weiter auf die grundsaetzlichen Konsequenzen dieser neuen Form von Oeffentlichkeit fuer die politische Praxis ein. So bleibt es letztlich ungewiss, wie und was seitens der Herrschenden ueberhaupt oeffentlich gemacht werden muss: Handelt es sich dabei um grundsaetzliche Verfahren zur Konsens- und Entscheidungsfindung oder geht es um die Praesentation von Entscheidungen im Sinne ritueller Inszenierungen?

Den besonderen Anspruch, den Faulstich mit seiner Medienkulturgeschichte verfolgt, aber auch die hier virulenten Probleme kann man sehr anschaulich an seinen Ausfuehrungen zu Reformation und Gegenreformation verfolgen: Unter der medienhistorischen Perspektive muesse - so Faulstich - "das bisherige Erklaerungsraster fuer den Erfolg Luthers und der Reformation zu einem erheblichen Teil modifiziert werden" (S. 143). Die Kritik Luthers an den Strukturen der alten Kirche wird interpretiert als Kritik an der Herrschaftsfunktion traditioneller Menschmedien. Faulstich arbeitet sieben Medien der Reformation heraus: 1) Der Prediger, der im integrativen Verbund mit den Druckmedien, v.a. dem gedruckten Buch zu einer Refunktionalisierung als Medium gelangt und so das Vakuum, das der Prediger alten Stils nach Verlust seiner medialen Funktionen hinterlaesst, fuellt; 2) Der Brief, dessen sich die reformatorische Bewegung als Waffe bedient; 3) das "Massenmedium Flugblatt" mit seiner persuasiven und polarisierenden Wirkung, das auf unterschiedlichste Art genutzt und inhaltlich gefuellt werden kann; 4) die mit der Flugschrift gegebene Zwischenform zwischen Blatt und Buch, die einen neuen Typ nicht mehr lokal begrenzter Oeffentlichkeit schafft und eine "neuartige Verknuepfung eines Printspeichermediums, eines Predigttypes und des Rundbriefes" darstellt; 5) das Buch, dessen Bedeutung - so Faulstich - haeufig ueberschaetzt werde, weil "Flugschriften und andere Druckmedien kurzerhand ebenfalls als "Buecher" behandelt werden" (S. 165) und schliesslich noch 6) der Saenger und 7) das reformatorische Theater.

Faulstich kommt zu dem Schluss, dass die "Brisanz der Lutherischen Reformation im Kern nicht theologischer oder religioeser, sondern mediengeschichtlicher Natur und erst deshalb politisch" sei. Genau hier scheinen aber gewisse Inkonsistenzen in der Argumentation vorzuliegen, denn anderseits wird argumentiert, dass der revolutionaere Akt gerade nicht mit der Nutzung der neuen Printmedien oder der Gestaltung eines neuartigen Medienverbundes seitens der Reformatoren gegeben sei sondern sich darin finde, dass es aufgrund der Zerschlagung der "alten sakramentalen Menschmedien" durch Luther ueberhaupt zu einem medialen Vakuum kommt, das v.a. die neuen Printmedien auffuellen. So wird die Medienrevolution letztlich doch primaer auf den Kern der lutherischen Theologie, vor allem auf die Vorstellung einer allgemeinen Priesterschaft aller Glaeubigen zurueckgefuehrt: technische Innovationen, soziale Differenzen und religioese Krisen spielen nur insofern eine Rolle, als sie von Luther aufgegriffen und theologisch verarbeitet werden, medienhistorische Konsequenzen erscheinen letztendlich als blosse Folge lutherischen Denkens. Hinzu kommt, dass Faulstich andererseits die These vertritt, dass die wichtigste Leistung der Reformation "die Schaffung einer sowohl umfassend und differenziert wie auch gleichfoermig informierten Anhaengerschaft" gewesen sei (S. 177), was wiederum zweifelsohne genau auf den Gebrauch neuer Medien und Medienverbuende zurueckzufuehren ist.

Hier sind Argumentationsdefizite auszumachen, die auch im folgenden nicht aufgeloest werden koennen. Und dies scheint genau auf ein wesentliches Problem des Buches zu verweisen. Man gewinnt gelegentlich den Eindruck, dass nicht allein versucht wird, eine allgemeine Medienkulturgeschichte zu schreiben, was schon schwierig genug sein duerfte: Das Beispiel, wie Faulstich mit dem Thema "Reformation" verfaehrt, deutet darauf hin, dass hier anscheinend die gesamte Historiographie auf das neue medienhistorische Paradigma gehievt werden soll. Dies zeigt sich auch in der Bilanz, die Faulstich auf den letzten Seiten seines Buches zieht: Die Krise des spaeten Mittelalters wird da allein auf eine Krise der traditionellen Menschmedien reduziert, sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Zusammenhaengen wird hier nur eine nachgeordnete Bedeutung zugeschrieben.

An dieser Stelle soll nicht die Tatsache kritisiert werden, dass Faulstich sich die medienhistorische Perspektive zu eigen gemacht hat. Im Gegenteil: Die Untersuchung kann die Diskussionen innerhalb der Geschichtswissenschaft mit Sicherheit in vielerlei Hinsicht beleben. Problematisch erscheint aber tatsaechlich, dass im vorliegenden Band diese Sicht der Dinge andere Anknuepfungspunkte fast voellig ueberdeckt und nicht mehr zur Geltung kommen laesst.

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