C. Zimmermann: Medien im Nationalsozialismus

Cover
Titel
Medien im Nationalsozialismus. Deutschland 1933-1945, Italien 1922-1943, Spanien 1936-1951


Autor(en)
Zimmermann, Clemens
Erschienen
Wien u.a. 2007: UTB
Anzahl Seiten
316 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Konrad Dussel, Historisches Institut, Universität Mannheim

Joseph Goebbels und sein Ministerium haben zumindest einen großen Erfolg erzielt: Bis zum heutigen Tag ist der Glaube an die Macht, ja eigentlich Allmacht der nationalsozialistischen Propaganda weit verbreitet. Dabei hatten schon zeitgenössische Forscher auf ihre Grenzen hingewiesen. Hans Speier etwa stellte 1943 fest: „The Nazis overestimate the importance of propaganda“ und brachte seine Ergebnisse auf die griffige Formel: „If Goebbels were entirely successful, Himmler would be unemployed.“ 1 Aber Himmler war, wie kaum bestritten wird, als Chef eines gewaltigen Terrorapparats nicht unbeschäftigt. Die Deutschen gehorchten Goebbels eben nicht willenlos wie die Kinder dem Rattenfänger von Hameln. Die Verhältnisse waren wesentlich komplizierter.

Es hat zwar einige Zeit gedauert, bis sich die einschlägige Forschung davon gelöst hat, immer nur die durchaus beeindruckenden Organisationserfolge der Nationalsozialisten, ihre Vorgaben und einzelne propagandistische „Spitzenleistungen“ herauszustellen, sondern auch die vielfältigen Kompetenzquerelen, die Alltagsarbeit und – vor allem – die konkrete Wirkung der Propaganda zu untersuchen. Mittlerweile aber liegt genügend Literatur vor, die das alte Bild in wesentlichen Zügen korrigiert. Gleich ob beim Film, beim Rundfunk, der Presse oder dem Buch – überall gibt es fundierte Studien, die nicht nur die Macht, sondern auch die Grenzen der nationalsozialistischen Propaganda aufweisen. 2 Allerdings ist die Forschung mittlerweile schon so weit verzweigt, dass sie fast nur noch von Spezialisten zu überschauen ist. Insofern sind Einführungen und Zusammenfassungen wichtig. Und sie sind es umso mehr, wenn der Blick über die nationalen Grenzen gehoben und auch die Entwicklung andernorts vergleichend einbezogen werden soll. Eine solche Arbeit hat jetzt der in Saarbrücken Medien- und Kulturgeschichte lehrende Clemens Zimmermann vorgelegt. Was den internationalen Vergleich angeht, kann man ihr durchaus eine Pionierrolle zuschreiben.

Zimmermanns Buch trägt zwar den Titel „Medien im Nationalsozialismus“, aber damit wird keine in sich geschlossene Mediengeschichte dieses Zeitraums vorgelegt, sondern nur ein an der Forschung orientierter Überblick. Wer sich über die mediengeschichtliche Faktizität informieren will, etwa über den Inhalt wichtiger Gesetze, die Inhaber bedeutender Ämter oder das konkrete mediale Angebot, wird darin nicht fündig. Statt dessen bietet es eine kritische Diskussion der vorhandenen Literatur (samt Verweis auf ihre Lücken), gegliedert zunächst einmal nach den Einzelmedien Buch, Presse, Rundfunk, Film und – etwas bemüht – öffentliche Veranstaltungen. In jedem Kapitel folgen dann Abschnitte über Lenkungsmaßnahmen, Produkte und Wirkungen im nationalsozialistischen Deutschland, sodann – wesentlich knapper – über die Verhältnisse im Italien Mussolinis und Spanien Francos. Kapitelweise Resümees fassen das Wichtigste knapp und übersichtlich zusammen.

Insgesamt zeigt sich ein verhältnismäßig einheitliches Bild: Die weitestgehenden Ansprüche erhob der nationalsozialistische Staat. Die Italiener ließen den Medien mehr Spielraum, waren „für künstlerische Autonomieansprüche vergleichsweise am offensten“, wie Zimmermann im Zusammenhang mit der Buchproduktion bemerkt (S. 83). Die Zugriffe in Spanien blieben begrenzt, nicht zuletzt auch deshalb, weil hier die Verbreitung der Medienangebote am geringsten war. Für 1936 geht man beispielsweise für ganz Spanien nur von 300.000 angemeldeten Radiogeräten aus, in Italien 1938 dagegen von einer Million und in Deutschland von 8,4 Millionen (S.155 bzw. 149). Beide Staaten unterschieden sich darüber hinaus auch dadurch von Deutschland, dass die katholische Kirche mehr oder minder große eigenständige Macht neben den politisch Herrschenden bewahren konnte.

So wichtig solche Befunde auch sein mögen, Zimmermann stellt anderes als viel wichtiger heraus. Ihm geht es vor allem darum, die früheren Verengungen der Sicht auf „die“ nationalsozialistische Propaganda aufzubrechen und jene Grauzonen sichtbar zu machen, in denen sich Politisches und Unpolitisches, Propaganda und Unterhaltung unentwirrbar begegnen, und wo fest gefügte Publikumserwartungen zur Kenntnis genommen werden müssen, wenn die „eigentliche“ Propaganda nicht von vornherein wirkungslos bleiben soll, weil sie gar nicht erst wahrgenommen wird. Hier öffnet sich noch ein weites Forschungsfeld, auf dem jedoch schwierige methodologische Probleme zu lösen sind. Nicht zuletzt fehlt es an aussagekräftigen Quellen.

Eigene Quellenstudien hat Zimmermann nur ganz begrenzt eingebracht. Immerhin stellt er (mit vielen Belegen) die Bedeutung von zwei wichtigen Zeugnissen heraus: den jeweils vielbändigen Editionen der Goebbels-Tagebücher und der SD-Berichte „Meldungen aus dem Reich“. Dem Lektorat muss jedoch entgangen sein, dass die Abkürzung „GT“ nirgends aufgelöst wird und sich die bibliografische Angabe auf ein sehr verkürztes „Froehlich, Tagebücher, 2 Teile“ in Fußnote 81 auf S. 38 beschränkt.3

Anmerkungen:
1 Speier, Hans, Nazi Propaganda and its Decline, in: Social Research 10 (1943), p. 358-377, hier S. 365, 376.
2 Vgl. als eine der Pionierstudien: Welch, David (Hrsg.), Nazi Propaganda. The Power and the Limitations, Beckenham 1983.
3 Froehlich, Elke (Hrsg.), Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil 1: Aufzeichnungen 1923-1941, 9 Bände in 13 Teilen, München 1998-2006 (ersetzt die ältere, umstrittene vierbändige Ausgabe von 1987); Teil 2: Diktate 1941-1945, 15 Bände, München 1993-1996, 3 Bände Register, München 2007.

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