M. Teubner: Die "zweite Sklaverei" ernähren

Titel
Die »zweite Sklaverei« ernähren. Sklavenschiffsköche und Straßenverkäuferinnen im Südatlantik (1800–1870)


Autor(en)
Teubner, Melina
Reihe
Globalgeschichte
Erschienen
Frankfurt am Main 2021: Campus Verlag
Anzahl Seiten
301 S.
Preis
€ 43,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Clara Lunow, Hamburg

Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert wurden rund 12 Millionen versklavte Personen aus Afrika in die Amerikas verschleppt, etwa 5,8 Millionen hiervon nach Brasilien. Der transatlantische Versklavungshandel des 19. Jahrhunderts unterschied sich durch strukturelle Neuerungen, innovative Technik und hochmobile Transportsysteme von dem der vorherigen Jahrhunderte. So stieg die Geschwindigkeit der Schiffe rapide und trug zu einem effizienteren Handel bei. Außerdem entwickelte sich Brasilien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum weltweit größten Kaffee-Exporteur; in dieser Zeit wurden mehr versklavte Menschen aus Afrika nach Brasilien verschleppt als jemals zuvor: Zwischen 1800 und 1850 kamen mindestens 2,3 Millionen versklavte Menschen auf 4.699 Überfahrten lebend in Brasilien an (S. 52). Für diese Entwicklungen im 19. Jh. wird deshalb bisweilen der Begriff „zweite Sklaverei“ verwendet. Der wichtigste Hafen des Versklavungshandels war Rio de Janeiro, dessen Bevölkerung sich im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts verdoppelte.

Melina Teubner analysiert in ihrer an der Universität Köln eingereichten Dissertation „Die ‚zweite Sklaverei‘ ernähren“ Sklavenschiffsköche und Straßenverkäuferinnen im Südatlantik zwischen 1800 und 1870. Den Grund für die zeitliche Eingrenzung erklärt die Verfasserin allerdings nicht genauer. Durch die Verknüpfung unterschiedlicher Ansätze, namentlich der Ernährungsgeschichte, der Arbeiter:innengeschichte und der transatlantischen Geschichte, gelingt es Teubner, „verschiedenen Arbeitsformen an konkreten Orten zu beleuchten“ (S. 24). Ein Hauptergebnis ihrer Dissertation ist: Die Arbeit dieser Menschen in der Nahrungsmittelversorgung war fundamental für das Funktionieren des Versklavungssystems.

Die ersten beiden Hauptkapitel der Arbeit, „Auf See” und „In der Schiffsküche”, widmet die Autorin dem Leben und der Arbeit freier und versklavter Köche, die an Bord jener Schiffe arbeiteten, die versklavte Afrikaner:innen nach Brasilien verschleppten. Hier werden sowohl die Handlungsräume der Köche und Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs untersucht als auch die konkreten Arbeitsbedingungen auf See in den Blick genommen.

Als Quellengrundlage dienen vor allem Verhöre, die bei der Aufbringung dieser Schiffe durch britische Kontrollen entstanden. Der Handel mit versklavten Menschen war nämlich ab 1815/1817 südlich des Äquators und 1831 nördlich des Äquators verboten (S. 21), der illegale Handel blühte jedoch weit darüber hinaus. Meistens wurden die Köche und Kapitäne dieser Schiffe befragt. Die Verhöre zeigen, dass die Seeleute über den Handel mit versklavten Menschen gut informiert waren. Sie erlauben auch wichtige Einblicke in die Machtstrukturen an Bord, denn meistens verhielten sich die Köche gegenüber ihren Kapitänen loyal.

Die Analysen der Arbeit stützen sich auch auf die Transatlantic Slave Trade Database (https://www.slavevoyages.org), die 35.000 Fahrten von Schiffen, die versklavte Menschen transportierten, verzeichnet. Als weitere Quellen dienen Teubner Dokumente der Junta do Commercio (Handelskammer) und Dokumente, die an Bord der Schiffe gefunden wurden, „etwa Mannschaftslisten, Protokolle über die Kosten der [Ausstattung] der Schiffe, Ladelisten, Abmachungen zwischen Schiffseignern und Kapitäne“ (S. 30).

Besonders interessant sind die Erkenntnisse über die Position der versklavten Köche, die als Bindeglied zwischen Besatzung/Kapitän und den versklavten Menschen unter Deck fungierten, da sie „die Kontrolle über [die] Nahrungsmittel an Bord” hatten und „eine gewisse Macht” ausüben konnten (S. 34). Zwar kam es sehr selten zu größeren Revolten (ebd.), doch gab es einige Aufstände, die ihren Ursprung in der Küche hatten. Der Widerspruch zwischen der neueren Forschung, die bereits gezeigt hat, dass „Sklavinnen und Sklaven selbst in institutionalisierten Sklavereien über Handlungsmacht (agency) [verfügten; ihr] Leben und ihr Handeln damit nie völlig von übergeordneten Strukturen abhängig [waren]“ (S. 17f.), und dem Leben der Köche an Bord, die „ständiger körperlicher und psychischer Gewalt sowie der umfassenden Kontrolle über ihre Körper ausgeliefert waren“ (S. 256), ist ein interessanter Aspekt, der noch weiter hätte ausgeführt werden können.

Im dritten und letzten Hauptkapitel, „Im Hafen“, werden in Rio de Janeiro arbeitende Lebensmittelverkäuferinnen, sogenannte Quitandeiras, in den Blick genommen. Hafenstädte versteht die Autorin als „‚Zwischenräume‘ (intermediate zones), in denen verschiedene Personen und unterschiedliche Kulturen zusammenkamen und kommunizierten und mittels dieser Interaktionen translokale und transkulturelle Räume schufen“ (S. 10). Hier sorgten versklavte, ehemals versklavte und freie Personen (überwiegend Frauen), für eine mobile Lebensmittelversorgung. Für die Analyse der „Sozialformation der Quitandeiras“ (S. 32) dienen brasilianische Tageszeitungen, zeitgenössische Romane und Berichte von Ärzten und Reisenden als Quellengrundlage. Da manche Speisen religiöse Bedeutungen haben und kulturelle Vorlieben ausdrücken können, sind sie auch Teil einer (kulturellen) Erinnerung und Zugehörigkeit. Dieses Kapitel zeigt, dass freie und versklavte Quitandeiras direkten Einfluss auf die (im)materielle (Ess)kultur vor Ort nahmen, „die einen sichtbaren Teil des Alltags der Menschen darstellt“ (S. 12).

Die beiden sozialen Gruppen, Sklavenschiffsköche und Straßenverkäuferinnen, sind geschlechtlich klar getrennt. Auch wenn es einige wenige Köchinnen auf Schiffen gab, war die Mehrheit männlich. Zwar argumentiert die Autorin, dass die „Hierarchien innerhalb der Gesellschaft“ hochkomplex waren und „sich nicht nur unter dem Aspekt der Klassen analysieren“ (S. 258) lassen, sondern auch über das Geschlecht, doch werden unterschiedliche geschlechtliche Rollenbilder und deren komplexes Zusammenspiel mit anderen Diskriminierungskategorien wie race oder class bei Teubner lediglich angerissen. Fragen zu geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung, Intersektionalität und zu Geschlechterkonstruktionen hätten das Potential, weitere wichtige Erkenntnisse zu liefern.

Die Autorin beabsichtigt aus der Perspektive derer zu schreiben, die in dominanten (nationalen) Narrativen oft nicht berücksichtigt werden. Vor diesem Hintergrund wäre eine umsichtige Verwendung von Sprache begrüßenswert gewesen, einmal wird etwa der Begriff „farbige[n] Frauen“ (S. 245) benutzt. In der Einleitung wird erklärt, dass die Bezeichnungen „Sklave“ und „Sklavinnen“ gebraucht werden, aber auch verdeutlicht, dass die Menschen, die zu Sklaven gemacht wurden, selbstverständlich „keine geborenen Sklaven“ waren (S. 15). In der neueren Forschung wird indes der Begriff „Versklavte:r“ bevorzugt; hiermit soll die Reproduktion der rassistischen und diskriminierenden Bedeutung vermieden werden. Es gibt auch Berichte von versklavten Menschen, die den Begriff „Sklave“ als Selbstbeschreibung ablehnten. Das Zitat des versklavten Kochs Antonio Ferrer in dieser Arbeit zeigt dies deutlich: „I will never say I am a slave. I have always refused to say it, and always shall” (S. 258). Insgesamt hätte der Verlag gut daran getan, für ein sorgfältigen Korrektorat zu sorgen.

Melina Teubner zeigt mit ihrer Studie, dass die Arbeitskraft von im Ernährungssektor tätigen versklavten Frauen und Männern ein wichtiger Pfeiler für den transatlantischen Handel mit versklavten Menschen war. Die untersuchten Protagonist:innen waren sich ihrer Rolle allerdings „in aller Regel nicht bewusst“ (S. 257). Sie strebten eher den persönlichen Aufstieg innerhalb des Versklavungssystems an, als das System selbst in Frage zu stellen. Die Autorin zeigt detailliert, dass Garküchen auf Schiffen und Straßenverkauf von Essen wichtige Handlungsspielräume eröffneten, in denen Informationen ausgetauscht und kommuniziert sowie auch kulturelle Erinnerung gelebt wurde. Damit erweitert Melina Teubner die Ernährungsgeschichte auf See und in der Hafenstadt im Südatlantik sowie die Geschichte des atlantischen Versklavungshandels um eine wichtige Arbeit.

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