Der vorliegende, auf den Ergebnissen einer einschlägigen Konferenz basierende Band 14 der Zeitschrift Virus widmet sich schwerpunktmäßig dem Thema „Gesellschaft und Psychiatrie in Österreich 1945 bis ca. 1970“. In insgesamt 15 Beiträgen erörtern in- und ausländische AutorInnen aus unterschiedlichen Disziplinen zentrale Aspekte dieses bislang historisch-wissenschaftlich noch wenig bearbeiteten Abschnitts der österreichischen Psychiatriegeschichte.
Die vorgestellten Forschungsergebnisse zu Institutionen, ‚Schulen‘ und Berufsvereinigungen, zu spezifischen Diskursen und Praktiken sowie zu den Berufsbiographien prominenter Akteure machen deutlich, dass das ‚soziale Subfeld‘ Psychiatrie in der Nachkriegszeit in erheblichem Ausmaß von den ideologischen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der Zwischenkriegs- sowie der NS-Zeit geprägt blieb – durch personelle und strukturelle Kontinuitäten ebenso wie durch die in jenen Jahren verursachten Zerstörungen, die als Mangel an fachlich und ethisch kompetentem Personal, an sozialen und materiellen Ressourcen noch über die hier fokussierte Periode hinaus nachwirken. Zugleich zeigt eine eingehendere Auseinandersetzung mit der Thematik aber auch die sehr bald nach Kriegsende in Gang gesetzten Bestrebungen unterschiedlicher Akteure, diesen Zuständen möglichst entgegenzuwirken. Bis zum Beginn größerer Psychiatriereformen in den 1970er Jahren war dieser Weg aber offenkundig ein steiniger.
Inhalt
Eberhard Gabriel / Elisabeth Dietrich-Daum / Elisabeth Lobenwein / Carlos Watzka (Hg.) Editorial [S. 9–12]
*Beiträge – Schwerpunkt: Gesellschaft und Psychiatrie in Österreich 1945 bis ca. 1970*
Gerhard Baader Der gesellschaftliche Hintergrund der Psychiatrie in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands (ab 1949 Bundesrepublik Deutschland) 1945–1970 [S. 15–34]
Eberhard Gabriel Zum Wiederaufbau des akademischen Lehrkörpers in der Psychiatrie in Wien nach 1945 [S. 35–77]
Hartmann Hinterhuber Zum Wiederaufbau des akademischen Lehrkörpers in der Psychiatrie in Innsbruck nach 1945. Die Lehrstühle und Klinikleitungen, die Habilitationen und die Lehrveranstaltungen an der Psychiatrisch-Neurologischen Klinik Innsbruck [S. 79–101]
Carlos Watzka Die „Fälle“ Wolfgang Holzer und Hans Bertha sowie andere „Personalia“. Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der Grazer Psychiatrie 1945–1970 [S. 103–138]
Hartmann Hinterhuber Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der Psychiatrie Tirols nach 1945 [S. 139–164]
Hans Rittmannsberger Psychiatrie in Oberösterreich nach 1945 und der Neubau des psychiatrischen Krankenhauses [S. 165–176]
Ingrid Arias Hans Hoff (1897–1969) – Remigrant und Reformer? Neue Impulse oder Kontinuität in der Psychiatrie nach 1945? [S. 177–190]
Marianne Springer-Kremser Die Neukonstituierung der Psychotherapeutischen Schulen und der Beginn der Akademisierung der Psychotherapie [S. 191–206]
Samy Teicher / Elisabeth Brainin Psychoanalyse nach der Nazizeit. Die Wiener Psychoanalytische Vereinigung und ihr Umgang mit dem Nationalsozialismus nach 1945 [S. 207–220]
Alfred Springer Psychopharmakologische Forschung und Behandlung an der Wiener Psychiatrischen Universitätsklinik und die Frühphase des Collegium Internationale Neuro-Psychopharmacologicum (CINP) [S. 221–238]
Ernst Berger Die Kinderpsychiatrie in Österreich 1945–1975. Entwicklungen zwischen historischer Hypothek und sozialpsychiatrischem Anspruch [S. 239–248]
Elisabeth Dietrich-Daum Kinder und Jugendliche aus Südtirol auf der Kinderbeobachtungsstation von Maria Nowak-Vogl in Innsbruck (1954–1987) – ein Projektbericht [S. 249–266]
Ina Friedmann „Es handelte sich um einen sonderlinghaften, triebhaft veranlagten Knaben.“ Beispiele heilpädagogischer Gutachten für das Wiener Jugendgericht während der Jahre 1920 bis 1970 [S. 267–283]
Wolfgang Stangl „Wir können mit Verbrechern Mitleid haben, aber schwach werden dürfen wir ihnen gegenüber nicht“. Psychiatrische Diskurse zwischen 1945 und den 1970er Jahren zum Maßnahmenvollzug in Österreich [S. 285–300]
Heiner Fangerau „Gesellschaft und Psychiatrie in Österreich 1945 bis ca. 1970.“ Kommentar zur Jahrestagung 2014 „Geschichte(n) von Gesundheit und Krankheit“ des Vereins für Sozialgeschichte der Medizin [S. 301–305]
Beiträge – Offener Teil
Elke Hammer-Luza „Hier wird mir wirklich schon die Zeit lang“ – Alltagsleben im steirischen Kurbad der Biedermeierzeit [S. 309–331]
Projektvorstellungen
Gustav Schäfer Finanzströme spiegeln die Gesellschaft wider – finanzielle und personelle Ressourcen der Psychiatrie in Wien zwischen 1945 und 1970 [S. 335–342]
Carlos Watzka Infektionskrankheiten und Öffentliches Gesundheitswesen in Südosteuropa – ein FWF-finanziertes medizinhistorisches Forschungsprojekt an der Universität Graz, 2014–2016 [S. 343–349]
Rezensionen
Monika ANKELE / Eva BRINKSCHULTE, Hg., Arbeitsrhythmus und Anstaltsalltag. Arbeit in der Psychiatrie vom frühen 19. Jahrhundert bis in die NS-Zeit (Stuttgart 2015) (Jens Gründler) [S. 352–353]
Daniel HORNUFF, Schwangerschaft. Eine Kulturgeschichte (Paderborn 2014) (Marina Hilber) [S. 354–356]
Ulrike HEIDER, Vögeln ist schön. Die Sexrevolte von 1968 und was von ihr bleibt (Berlin 2014) (Niklaus Ingold) [S. 357–359]
Marius TURDA, Eugenics and Nation in Early 20th Century Hungary (Houndsmills–Basingstoke 2014) (Christian Promitzer) [S. 360–361]
Vereinsinformationen [S. 362–363]