E. Zegenhagen: "Schneidige deutsche Mädel"

Cover
Titel
"Schneidige deutsche Mädel". Fliegerinnen zwischen 1918 und 1945


Autor(en)
Zegenhagen, Evelyn
Erschienen
Göttingen 2007: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
504 S.
Preis
€ 42,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Fernando Esposito, Universität Tübingen

Man höre, so der Propagandist und Luftfahrtautor Rolf Italiaander 1940, dass „England im Begriff sei, Frauen gegen hohe Bezahlung in Jagd- und Bombengeschwader aufzunehmen. In Deutschland steht man solchen Tatsachen fassungslos gegenüber. [...] Ganz insbesondere lehnt es die deutsche Frau ab, sich zur Befriedigung von Abenteuergelüsten oder Geldgier in eine Uniform stecken zu lassen. [...] So gibt es heute in Deutschland auch keine Kriegsfliegerinnen, und es wird nie welche geben, weil sich dies, wie gesagt, mit dem Ethos des neuen deutschen Menschen nicht verträgt. Und doch ist die deutsche Frau auch in der Fliegerei zu Hause!“1 Diesem Paradox zwischen „patriarchalischen“ und/oder nationalsozialistischen Frauenbildern sowie dem faktischen „Zu-Hause-Sein“ deutscher Frauen in der Motor- und Segelfliegerei hat sich Evelyn Zegenhagen in ihrer an der Universität der Bundeswehr München vorgelegten und nun publizierten Dissertation gewidmet.

Dank der Untersuchung von mehr als 180 Fliegerinnen gelingt es der Autorin, die Vielfalt an Lebensentwürfen, Handlungsfeldern und Motivationen dieser Frauen aufzuzeigen. Zegenhagen richtet ihr Interesse auf die Geschlechterrollen, mit denen die Fliegerinnen konfrontiert waren und die sie durch ihre fliegerische Tätigkeit infrage stellten. Traten sie doch hierbei, was das zeitgenössische Interesse an ihnen durchaus verstärkte, in eine viril konnotierte und von Männern beherrschte Domäne ein. In ihrer „Kollektivbiographie“ weist Zegenhagen nach, dass der weibliche Sportflug jedoch keineswegs, wie bislang angenommen, als „Inkarnation eines emanzipatorischen Grundanliegens“ zu deuten sei (S. 10). Vielmehr hätten die Sportfliegerinnen der Zwischenkriegszeit „trotz ihrer anscheinend vermeintlich so progressiven Betätigung [...] keinen Ausbruch aus traditionellen Rollenbildern, Verhaltensweisen und (Ohn-)Machtsverhältnissen“ (S. 448) symbolisiert. Es war die gesamtgesellschaftlich relevante Technik- und Flugbegeisterung, welche auch diese Frauen zum Fliegen veranlasste. Auch sie fühlten sich von der „metapolitischen“ Symbolkraft der Aviatik angezogen und wurden mittels der Fliegerei umfassend in den politischen Kontext der Weimarer Republik und des Dritten Reiches eingebunden.

Die Autorin hat sich mit ihrer Arbeit einem Forschungsdesiderat zugewendet, das von den Arbeiten Peter Fritzsches, Robert Wohls, aber auch Bernhard Riegers aufgezeigt wurde und auch für die männlichen Flieger weiterhin erfüllt werden muss.2 Zur Schließung dieser Lücke hat Zegenhagen ein beachtliches Quellenkorpus aus Nachlässen und (Auto-)Biographien, Verbands- und Vereinsakten sowie zeitgenössischer Fliegerliteratur und -publizistik zusammengetragen und zudem selbst Interviews geführt.

Im zweiten, der Einleitung folgenden Kapitel blickt Zegenhagen auf den Frauenflugsport in den USA, in Großbritannien und – herkömmliche historische Disziplinengrenzen lobenswerterweise überwindend – in der UdSSR. Der Vergleich bildet die Hintergrundfolie für das Folgende.

Im dritten Kapitel werden die ökonomische Situation und die beruflichen Chancen der Fliegerinnen behandelt. Da sie aus der kommerziellen Luftfahrt ausgeschlossen wurden und sich ihnen auch bei der 1935 gegründeten Luftwaffe zunächst keinerlei Betätigungsfeld bot, blieb ihnen meist nur eine kleine ökonomische Nische, beispielsweise bei der Kunstfliegerei oder bei Werbeflügen. Die auffällige Korrelation zwischen der überproportionalen medialen Präsenz der Fliegerinnen und dem Aufbau der kommerziellen Luftfahrt wird von Zegenhagen leider nur angedeutet. Dabei trugen die Fliegerinnen auf der semantischen Ebene dazu bei, die Sicherheit der bisher vornehmlich kriegerischen, agonalen, mit dem Ruch der Gefahr konnotierten und insofern „männlichen“ Luftfahrt zu suggerieren.

An die knappe Zusammenfassung der jeweiligen Kapitel sind stets einige aufschlussreiche biographische Porträts angeschlossen, die das im Kapitel Herausgearbeitete verdeutlichen sollen. So folgen auf das vierte Kapitel zur Bedeutung der Sportfliegerinnen für das Frauenbild der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus biographische Skizzen von Elly Beinhorn, Ilse Fastenrath, Thea Rasche und Christl Marie Schultes. Im „gesamtgesellschaftlich reaktionären Klima“ der 1930er-Jahre, so Zegenhagen, sei „das Bild der Fliegerin in immer schärferen Konflikt mit der sozialen Realität“ geraten (S. 231). Das „Idol der kämpferischen, kameradschaftlichen, sportlichen, für ihr Vaterland engagierten Fliegerin“ konnte zwar „durchaus einige Aspekte des ohnehin ambivalenten nationalsozialistischen Frauenbildes bedienen“ (S. 231), doch sei die Fliegerin aufgrund der destabilisierenden Wirkung ihres Bildes aus dem öffentlich Raum nun sukzessive verdrängt und seien die traditionellen Geschlechterrollen erneut verfestigt worden.

Hernach behandelt die Autorin die „politische Symbiose“ der Sportfliegerinnen mit dem nationalsozialistischen Staat. Zegenhagen skizziert, inwiefern die Luftfahrt in der Zwischenkriegszeit als „metapolitscher Wert“ aufgefasst wurde, und deutet an, wie sich in der Fliegerei „das Potential einer symbolischen und realen Überwindung geographischer, technologischer und politischer Begrenzungen und Beschränkungen mit der Hoffnung [verband], aus den Niederungen eines bedrückten individuellen und kollektiven Daseins in eine lichte Zukunft emporzusteigen“ (S. 275). Zudem legt Zegenhagen dar, dass sich manch eine Fliegerin nicht nur propagandistisch instrumentalisieren ließ, sondern sich durchaus aktiv am Nationalsozialismus beteiligte. So beispielsweise Lisl Schwab, die Anfang 1932 bei Rudolf Heß um Propaganda-Aufträge anfragte, im August des gleichen Jahres in die NSDAP eintrat und „Lest den Stürmer“ auf die Tragflächen ihres Flugzeuges lackieren ließ. Einige Fliegerinnen waren, gleich ihren männlichen Gegenparts, bestrebt, am Aufbau des „neuen Deutschland“ mitzuwirken und die „deutsche Luftgeltung“ in der Welt wiederherzustellen. Trotz der anderweitigen Beteuerungen, beispielsweise des bereits zitierten Italiaander, waren circa ein Dutzend Motorfliegerinnen und schätzungsweise mehr als 100 Segelfliegerinnen, so Zegenhagens vorläufiger Befund, zu einem Kriegseinsatz bereit. Sie wurden ab 1939 als Überführungs- und Werkpilotinnen sowie als Einfliegerinnen durchaus zu einem Rädchen im Getriebe arbeitsteiliger Kriegsführung.

Das darauf folgende Kapitel ist dem Frauen-Segelfliegen in Deutschland gewidmet, einem nach Meinung der Autorin fälschlicherweise vernachlässigten Kapitel der Frauen- und Sportgeschichte. Im Segelflug, „Deutschlands Volkssport“, hätten sich Frauen eine Infrastruktur geschaffen, welche sowohl die „frühzeitig einsetzende Ignorierung und Ablehnung der Frauen durch maßgebliche Kreise der Flugsportbewegung wider[spiegelte], als auch das Bedürfnis der Frauen nach Schaffung eines rein weiblichen Freiraums und eines rein weiblichen Zugangs zur Fliegerei, mit weitaus weniger Konkurrenzdenken und -gefahr als im Motorflug“ (S. 398). Im Anschluss fasst Zegenhagen ihre Ergebnisse nochmals zusammen und ergänzt ihre Studie durch 69 Kurzbiographien weiterer deutscher Sportfliegerinnen.

Es ist der Autorin gelungen, den facettenreichen, von der Luftfahrtforschung bis zur Motor- und Segelfliegerei reichenden Beitrag von Frauen an der Aviatik in Deutschland nachzuzeichnen. An dieser grundsätzlich interessanten Studie ist dennoch zu bemängeln, dass die vorgetragenen interpretatorischen Argumente zuweilen etwas „ideologisch“ überfrachtet wirken. Die Autorin vermag es nicht immer, dem einengenden Jargon einer Historie zu entkommen, die dem Faktor Gender, der in der Aviatik und technischen Betätigungsfeldern im Allgemeinen unbestritten eine große Rolle spielt(e), zu Ungunsten anderer, ebenso bedeutender kultureller Konstrukte und Kräfte ein zu großes Gewicht verleiht. So wenn die Autorin beispielweise konstatiert, „nicht das Flugzeug bestimmte die Identität der Fliegerin, [...] sondern einzig und ausschließlich das Geschlecht“ (S. 431). Dabei macht Zegenhagen selbst immer wieder darauf aufmerksam, dass die Identität der untersuchten Frauen als Individuum wie auch als Gruppe von der Begeisterung für und Betätigung in der Fliegerei geprägt war und nicht von ihrem „Frausein“. Damit hat die Autorin meines Erachtens manche Chance vergeben, die das von ihr geborgene und reichhaltige Quellenkorpus geboten hätte.

Anmerkungen:
1 Italiaander, Rolf, Drei deutsche Fliegerinnen. Elly Beinhorn – Thea Rasche – Hanna Reitsch, Berlin 1940, S. 9f.
2 Siehe Fritzsche, Peter, A Nation of Fliers. German Aviation and the Popular Imagination, Cambridge, MA 1992; Wohl, Robert, A Passion for Wings. Aviation and the Western Imagination 1908-1918, New Haven 1994; ders., The Spectacle of Flight. Aviation and the Western Imagination 1920-1950, New Haven 2005, sowie Rieger, Bernhard, Technology and the Culture of Modernity in Britain and Germany, 1890-1945, Cambridge 2005.

Kommentare

Von Zegenhagen, Evelyn20.05.2008

Evelyn Zegenhagens Dissertation "Schneidige deutsche Maedel. Fliegerinnen zwischen 1918 und 1945" ist vom deutschen Luftfahrt-Presse-Club e.V. mit dem Hugo-Junkers-Preis 2007, einem der wichtigsten deutschen Fachpresse-Preise, ausgezeichnet worden. Der Luftfahrt-Presse-Club (www.luftfahrt-presse-club.de) vertritt etwa 400 Fachjournalisten und vergibt den mit 10.000 Euro dotierten Preis jaehrlich an herausragende Arbeiten auf dem Gebiet des Luftfahrt-Journalismus. Das Preisgeld wird von der Hugo-Junkers-Stiftung, dem Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie und dem Luftfahrt-Presse-Club getragen. Die Jury des Hugo-Junkers-Preises wuerdigte Evelyn Zegenhagens Dissertation als herausragende wissenschaftliche Arbeit, die sich erstmals ueberhaupt mit der Geschichte der deutschen Fliegerinnen in Weimarer Republik und "Drittem Reich" befasst.
Die Auszeichnung fand im Rahmen einer Feier am 26. April 2008 in der Bremenhalle in Bremen statt.
Weitere Informationen unter
http://www.entity38.de/aerobrief/index.php?option=com_content&task=view&id=3225&Itemid=129p;Itemid=129

und
http://www.luftfahrt-presse-club.de/upload/PDF-Dateien/lpcfolder2008.pdf.


Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension