M. Haschemi Yekani: Koloniale Arbeit

Cover
Titel
Koloniale Arbeit. Rassismus, Migration und Herrschaft in Tansania (1885–1914)


Autor(en)
Haschemi Yekani, Minu
Reihe
Globalgeschichte (24)
Erschienen
Frankfurt a.M. 2019: Campus Verlag
Anzahl Seiten
318 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mona Rudolph, Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Minu Haschemi Yekani eröffnet ihre Untersuchung mit Überlegungen zur „global color line“, die zugleich den semantischen Ansatzpunkt ihrer Untersuchung darstellen. In seinem 1888 erschienen Werk The Souls of Black Folk unternahm W.E.B. Du Bois mit dem von ihm geprägten Begriff der „global color line“ den Versuch, ein ambivalentes Phänomen sprachlich greifbar zu machen. Für Du Bois repräsentierte der Term die in den Vereinigten Staaten verwurzelte rassistische Gesinnung, die diffus anmutete, aber zugleich ein exportierbares Produkt darstellte, das in Ausprägung und Reichweite global war.1 In ihrer Studie nimmt Yekani ebenjene „global color line“ zum Anlass, um danach zu fragen, inwieweit makrostrukturelle Rassismuskonzepte auf Mikroebene Widerhall gefunden haben, ausgehandelt und geprägt wurden. Als konkreten Untersuchungsgegenstand zieht sie das koloniale Arbeitsregime während der deutschen Herrschaftsperiode im kolonialen Tansania (1885–1914) heran und erarbeitet anhand von drei Beispielen die Wechselwirkungen zwischen Rassismus, Migration und Herrschaft. Für die Beantwortung der Fragestellung dienten vereinzelt behördliche Korrespondenzen aus dem Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, dem Berliner Missionswerk, dem Staatsarchiv Hamburg und dem Archiv der Evangelischen Brüder-Unität Herrnhut; der weitaus größere Teil der Studie stützt sich jedoch auf bestehende Sekundärliteratur.

Die Analyse erfolgt systematisch anhand von drei thematischen Blöcken: Innerhalb dieser drei Hauptkapitel werden die Anwerbung von Kontraktarbeitern jenseits Deutsch-Ostafrikas, die religiöse Ausrichtung der Kolonialschulen sowie der Umgang mit sogenannten „prekären Weißen“ im Kolonialgebiet beleuchtet. Mitunter bleibt bei dieser inhaltlichen Schwerpunktsetzung offen, nach welchen Kriterien die Auswahl erfolgte und warum gerade diese drei Episoden der Autorin besonders geeignet erschienen, um sich ihrer Fragestellung zu nähern.

Das erste Kapitel zeichnet die Anwerbung von asiatischen und indischen Arbeitskräften für das deutsche Kolonialgebiet nach. Hierbei plädiert Yekani dafür, die Anwerbung von indischen und asiatischen Kontraktarbeitern nicht ausschließlich und zwangsläufig als Nebenprodukt kolonialer Expansion wahrzunehmen, sondern den Anwerbeprozess stattdessen aus dieser vorherrschenden eurozentrischen Sichtweise herauszulösen. Die Motive für die Anwerbung der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft (DOAG) sieht die Autorin in einem Arbeitermangel-Narrativ begründet, das als Legitimationsstrategie für die Anwerbung von nicht indigenen Kontraktarbeitern diente. Innerhalb des Kapitels werden sowohl die Ambiguitäten und Facetten diverser Interpretationen von Rassismus innerhalb des Kaiserreichs herausgearbeitet als auch aufgezeigt, inwiefern diese Debatten Eingang in den kolonialen Kontext gefunden haben. Während im Kaiserreich die Anwerbung chinesischer Arbeiter unter dem Schlagwort der „Gelben Gefahr“ firmierte und die chinesische Arbeitskraft hier als Bedrohung wahrgenommen wurde, gestaltete sich die Lage innerhalb Deutsch-Ostafrikas deutlich ambivalenter. Yekani zeigt, dass innerhalb Deutsch-Ostafrikas vielmehr das Ideal des ausbeutbaren chinesischen Arbeiters im Vordergrund stand, der den indigenen afrikanischen Arbeitskräften als strebsames Vorbild dienen sollte. Unabhängig von der gewählten Legitimationsstrategie folgten alle Akteure in den Debatten Vorstellungen einer imaginären rassischen Hierarchieleiter, die verschiedenen ethnischen Gruppen unterschiedliche Entwicklungsstufen zuordnete. In dem Unterkapitel 1.6 setzt sich die Autorin mit der Frage der agency, also den Handlungsspielräumen der angeheuerten Arbeitskräfte, auseinander. Hierfür legt Yekani einen eng gefassten agency-Begriff zugrunde, der den Aktionsradius der Arbeiter auf die Handlungsmöglichkeiten der Weigerung und der offenkundigen Auflehnung begrenzt. Nach der Vorstellung der Autorin wirkte sich auf den indigenen Aktionsradius zusätzlich hemmend aus, dass die Arbeiter für die Dauer ihres Vertrags einem nahezu totalitären Kontrollregime unterworfen waren. Offen bleibt die Frage, welche Handlungsmöglichkeiten – jenseits von Weigerung und Auflehnung – die Kolonialherrschaft den Arbeitern eröffnete und inwiefern die Arbeiter in der Lage waren, diesen Raum für sich zu nutzen und auszugestalten. Zwar scheint die Frage nach dem Grad der Durchdringung des Kolonialgebiets durch den deutschen Herrschaftsapparat immer wieder auf; sie wird jedoch lediglich am Rande thematisiert und kommt leider ausgesprochen kurz. Gerade hier wäre es interessant gewesen zu erfahren, inwiefern die deutsche Kolonialverwaltung überhaupt in der Lage war, ihr Legitimationsmuster angesichts personeller, finanzieller und infrastruktureller Lücken in die Tat umzusetzen und inwiefern ebendiese Lücken den Kontraktarbeitern Handlungsmöglichkeiten eröffneten.

Dem zweiten Kapitel liegt die konfliktreiche Auseinandersetzung zwischen Missionen, Reichstag und Kolonialadministration über die religiöse Ausrichtung des Schulcurriculums im Kolonialgebiet zugrunde. Dabei werden koloniale Schulen weniger als Bildungsort und vielmehr als Ausbildungsstätte von Subalternen und der Schulunterricht als koloniales Herrschaftsinstrument begriffen. Vor dem Hintergrund der religiösen Zugehörigkeit der Schülerschaft erhellt Yekani die Interessensgegensätze der Akteursgruppen. Stand die Integration von christlichen Schülern im Fokus der Bemühungen des Reichstags und der Missionen, setzte die Kolonialregierung vor Ort dagegen verstärkt auf die Aufnahme muslimischer Schüler. Vor dem Hintergrund dieser sich widersprechenden Konzeptionen traten zugleich die Interessensgegensätze der Akteursgruppen zu Tage: Während die Missionen vorrangig die Ausbreitung des christlichen Glaubens anstrebten, schwebte den Abgeordneten des Reichstags die Stärkung christlicher Kolonialsubjekte in den deutschen Kolonialgebieten vor. Das Gouvernement hatte dagegen pragmatische Gründe für die Bevorzugung der muslimischen Schüler im Blick; sie sollten später als Subalternbeamte im Verwaltungsapparat absorbiert werden und somit die Festigung und das Fortbestehen der deutschen Herrschaft sichern. Aus Yekanis Sicht führte das Vorgehen des Gouvernements zu einem Erstarken des Islams, auch weil die Missionsschulen ihre Tätigkeiten zunehmend ins Landesinnere verlegten. Trotz der facettenreichen Analyse der divers gelagerten Motive wird das Ringen um die Deutungshoheit über diesen Themenkomplex der Akteure untereinander sowie ihre Durchsetzungsmöglichkeiten auf diesem strategisch brisanten Konfliktfeld dabei nur vereinzelt berücksichtigt. Ebenjene Betrachtung hätte allerdings interessante Einblicke in die Möglichkeiten gewährt, die den Akteuren für die Umsetzung ihrer Interessen gegeben waren.

Innerhalb des dritten Kapitels „Unerwünschte Gäste“ erweitert Yekani ihre Analyse um die inklusive Wirkung rassistischer Gesinnungen. Wurden Schattierungen des Rassismus in den vorangehenden zwei Kapiteln vor allem in ihrer exkludierenden Funktion wahrgenommen, wird hier der nach innen abgrenzende Wirkmechanismus beleuchtet. Als Untersuchungsgegenstand dienen „prekäre Weiße“, die für ihren Lebensunterhalt innerhalb des Kolonialgebiets nicht aufkommen konnten. Die Einwanderung und der Aufenthalt „prekärer Weißer“ wurde als Bedrohung wahrgenommen, da diese die imaginäre Höherwertigkeit und den hierauf basierenden Herrschaftsanspruch der Kolonialbeamten in Deutsch-Ostafrika in Frage zu stellen drohten. Denn „prekäre Weiße“ ließen aufgrund ihres ungesicherten Daseins die koloniale Herrschaftslegitimation porös werden. Zusätzlich verstärkt wurde dieses Bedrohungsszenario dadurch, dass sich europäische Akteure innerhalb Deutsch-Ostafrikas immer wieder mit dem Verlust der „richtigen“ und damit der „weißen“ Rasse konfrontiert sahen. Yekani zeigt, dass der Wunsch nach Exklusion der „prekären Weißen“ innerhalb des Kaiserreichs viel Raum einnahm und vorrangig dort gefordert wurde. Dem Gouvernement im kolonialen Tansania blieb es dagegen überlassen, die „prekären Weißen“ vor Ort zu dulden sowie finanziell für ihren Lebensunterhalt aufzukommen oder für ihre Rückführung Sorge zu tragen. Die Autorin zeigt hier überzeugend, wie begrenzt umsetzungsfähig die vom Kaiserreich auf das Kolonialgebiet projizierten Vorstellungen blieben. Dennoch bleibt auch innerhalb dieses Kapitels der Aktionsradius der kolonialen Verwaltungsorgane und das Ringen der Behörden um Einfluss, Zugriffsmöglichkeiten und Verfügungshoheit leider nur ein Randaspekt.

Gleichwohl legt Minu Haschemi Yekani innerhalb ihrer Untersuchung eindrücklich die Nuancen und Schattierungen rassistischer Gesinnungen, deren diffuse und changierende Charakterzüge sowie den kolonialen Resonanzboden in Deutsch-Ostafrika frei. Insgesamt stellt Koloniale Arbeit eine theoriegesättigte Erweiterung der Kolonialgeschichtsschreibung zur deutschen Herrschaftsperiode im kolonialen Tansania dar.

Anmerkung:
1 W.E.B. Du Bois. The Souls of Black Folk, Oxford 2007 [Erstveröffentlichung 1903].

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