F. D. Esser: Der Wandel der Rheinischen Agrarverfassung

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Titel
Der Wandel der Rheinischen Agrarverfassung. Der Einfluss französischer und preußischer Agrarreformen zwischen 1794 und 1850 auf die bäuerlichen Rechtsverhältnisse im Rheinland


Autor(en)
Esser, Franz Dominic
Reihe
Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 32
Erschienen
Köln 2020: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
270 S.
Preis
€ 70,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Friederike Scholten, Münster

Mit Franz Dominic Essers Der Wandel der Rheinischen Agrarverfassung. Der Einfluss französischer und preußischer Agrarreformen zwischen 1794 und 1850 auf die bäuerlichen Rechtsverhältnisse im Rheinland wird ein Thema von nicht nur rechtsgeschichtlicher, sondern zugleich auch agrar- sowie sozial- und wirtschaftshistorischer Bedeutung behandelt. Das 227 Seiten umfassende Werk, entstanden als Qualifikationsarbeit an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich, konzentriert sich dabei auf die besonderen Verhältnisse im linksrheinischen Raum, präziser im Département de Roer (vormals Teil des Herzogtums Jülich-Berg und des Kurfürstentums Köln), und verfolgt die Entwicklung der Agrarverfassung chronologisch. Seine Hauptquellen umfassen zunächst (1) zeitgenössische Gesetzestexte sowie Verordnungen und Beschreibungen aus dem Untersuchungsraum. Für seinen geographischen Schwerpunkt des Raumes Düren verwendet er darüber hinaus (2) statistische Erhebungen sowie private Dokumente des Ortes Poll, gelegen im „Amt Nörvenich“ (S. 20) sowie das (3) Privatarchiv der Freiherren von Geyr zu Schweppenburg (Burg Müddersheim). Der Wert dieser Arbeit ist allein aufgrund der vom Verfasser gewählten Thematik, welche sowohl in der agrar- als auch rechtshistorischen Forschung durchaus noch mehr Beachtung finden sollte, nicht zu verkennen. Schon in der Einleitung zeichnen sich jedoch erste Probleme ab. Essers weitestgehend einfach gehaltener Studienaufbau sowie die von ihm formulierten Forschungsfragen nach Art und Weise, Inhalt, Umsetzung und Auswirkungen der Reformen sowie ihren gesetzlichen Grundlagen wirken leider wenig innovativ und sind dabei, trotz seines selbst formulierten Anspruchs, nicht einmal besonders rechtsgeschichtlich fokussiert. Dementsprechend fällt auch seine Kernthese kurz und knapp aus: Esser zufolge sind die Agrarreformen der Dreh- und Angelpunkt für die weitere Entwicklung des Bauernstandes. Die Ablösung habe die Grundlage für die weitere Entwicklung der bäuerlichen Betriebe geschaffen.

Sowohl im Rahmen der Darstellung des Forschungsstandes als auch im Verlauf der Arbeit konzentriert sich Esser größtenteils auf Literatur aus dem 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dies rührt aus der Annahme, dass die Forschungslage zur Thematik unzureichend sei. Zwar ist dieser Gegenstand in der Tat in der neueren Forschung wenig betrachtet worden, die Forschungslage ist jedoch nicht, wie er Justus Hashagen von 1908 (sic!) zitiert, „stark vernachlässigt“ (S. 16) worden. Zu denken wäre an dieser Stelle doch an Christian Reinickes Bibliographie zur rheinischen Agrargeschichte1, die von Wolfgang Schieder herausgegebenen Bände zur „Säkularisation und Mediatisierung“2, den kommentierten Quellenausgaben3 sowie Buchholz’ „Französischer Staatskult 1792–1813 im linksrheinischen Deutschland“.4

Die Untersuchung selbst ist chronologisch aufgebaut und befasst sich zunächst mit den vorrevolutionären Verhältnissen, bevor Esser dann die französische und abschließend die preußische Zeit betrachtet, um zu einer Beurteilung der Auswirkungen der Agrarreformen zu gelangen. Im Rahmen seiner Skizze der rheinischen Agrarverfassung vor der französischen Besatzung beschäftigt sich der Autor zunächst also mit der Struktur der ländlichen Bevölkerung (1. freie Vollerwerbsbauern, 2. persönlich freie Pächter sowie 3. Kötter), dem Steuer- und Abgabewesen und dem Realteilungsrecht. Der Leser lernt dabei, dass in den Gebieten links des Rheins grundherrschaftliche Verhältnisse bereits lange vor den Reformen nur noch eine untergeordnete Rolle spielten. So wird der Untersuchungsraum geprägt von einem breit gefächerten Pachtsystem, „dessen vertragliche Ausgestaltung im Einzelfall vom gesellschaftlichen Stand und der Schichtzugehörigkeit der Vertragsparteien abhing beziehungsweise diese erst begründete“ (S. 89). Diese Pachtverhältnisse und nicht etwa grundherrschaftliche Beziehungen stellen also die Verknüpfung zwischen der besitzenden Obrigkeit (Adel und Geistlichkeit) und den Bauern her. Für den interessierten Leser wäre es an dieser Stelle wünschenswert gewesen, wenn Esser an dieser Stelle seiner Studie die Gelegenheit genutzt hätte, die Andersartigkeit des Untersuchungsraums in den Vordergrund zu stellen. Der frühe Wegfall der Leibeigenschaft sowie die Dominanz der Verpachtung sind ein Alleinstellungsmerkmal der linksrheinischen Gebiete. Eine solche Erläuterung bleibt allerdings aus und der Leser muss auf Basis seines Vorwissens allein zu dieser Erkenntnis gelangen. Die Ursache für diese doch stark überblicksartig dargestellten Zustände am Ausgang des 18. Jahrhunderts liegt wohl primär in der vom Autor gewählten rechtshistorischen Perspektive, bei der agrar- und wirtschaftshistorische Aspekte weniger relevant sind.

Das darauffolgende Kapitel beschäftigt sich dann mit dem Einsetzen der Einflussnahme französischen Rechts auf die rheinische Agrarverfassung sowie deren Durchführung und Folgen. Anschaulich werden die ideologischen Strömungen dargestellt, die maßgeblich die Veränderungen beeinflussten. Mit seiner vorwiegend deskriptiven Darstellung der Besetzung des Rheinlandes ab 1794 und den daraus resultierenden Veränderungen der Agrarverfassung bleibt der Verfasser auch hier seinem Stil treu. Er stellt aber nicht nur die gesetzlichen Grundlagen der Reformen unter der französischen Herrschaft sowie ihre Durchführung dar, er betrachtet auch die Auswirkungen für die verschiedenen Akteursgruppen (bäuerliche Pächter sowie landsässiger Adel). Esser kommt zu dem (Zwischen-)Ergebnis, dass erst nach 1798 mit der Übertragung der französischen Agrargesetze ein fundamentaler Wandel der altrheinischen Agrarverfassung herbeigeführt worden sei. Sichtbar sei dies an der Abschaffung des Lehnsystems, dem Wegfall der Zehnten und Dienste, der Ablösbarkeit der Reallasten und an der Säkularisation und dem Verkauf des geistlichen Immobiliarvermögens. Während der Adel seine Stellung, zumindest wirtschaftlich, weitestgehend behalten habe, haben sich für den auf dem Land ansässigen Klerus weitreichendere Konsequenzen ergeben. Ob jedoch die Bauern tatsächlich als „unstreitige Gewinner der französischen Agrarreformen“ (S. 164) – so Essers Urteil – zu betrachten sind, sollte weniger pauschal, als vielmehr anhand von Einzelbeispielen geprüft werden. Dies mag an dieser Stelle jedoch weniger das Ziel der vorliegenden Studie sein.

Mit der Übernahme der preußischen Regentschaft über die linksrheinischen Gebiete ab 1814 gilt es, als Abschluss der Studie, zu untersuchen, wie sich die Entwicklung der rheinischen Agrarverfassung nun in preußischer Hand bis 1850 verhielt. Esser zeigt detailliert, dass auf der linken Rheinseite die französischen Gesetze in großen Teilen bestehen blieben – anders als im rechtsrheinischen Teil. Warum auch hier die linksrheinischen Gebiete die große Ausnahme waren, vermag der Autor leider nicht zu diskutieren. Etwas differenzierter als zu 1814 sieht er um 1850 dann die Position der Bauern: Wie die Bauern letztlich in „rechtlicher, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht aus über 50 Jahren französischer und preußischer Reformpolitik hervorgegangen waren“ (S. 220), unterscheide sich stark für jeden bäuerlichen Betrieb. Im Allgemeinen, so Essers Schlussfolgerung, sei aus der Bauernschicht um die Mitte des 19. Jahrhunderts ein „finanzstarker Eigentümerstand“ (S. 226) entstanden. Esser führt an dieser Stelle als Beispiel das Schicksal der Halbwinnerfamilie Breuer an, der es gelang, ihren Hof aus vormaliger Verpachtung in Eigentum zu übernehmen und über die Jahrzehnte hinweg auszubauen. Die Geschichte der Familie Breuer ist für sein Argument passend gewählt und macht dem Leser Lust auf mehr – sie bleibt jedoch eine der wenigen Darstellungen der Entwicklung historischer Akteure im Zusammenhang der Agrarverfassung.

Schließlich, so das Fazit der Studie, stellten die Agrarreformen letztlich das Fundament für den Fortbestand landwirtschaftlicher Familienbetriebe dar: „Erst jene Agrarreformen schufen das Fundament eines bäuerlichen Eigentümerstandes im linken Rheinland sowie […] die Basis für einen geschlossenen Übergang der Agrarimmobilien auf die folgenden Generationen“ (S. 227). Dies ist sicherlich richtig – jedoch auch nur ein Teil der Geschichte. Das finanzielle Fundament für diese Entwicklung rührt nämlich aus dem landwirtschaftlich-technischen Fortschritt sowie der Agrarkonjunktur her. Es ist eher das Zusammenspiel aller drei Faktoren, das die Zukunft der Landwirtschaft im 19. Jahrhundert maßgeblich mitprägte.

Am Ende von Essers Arbeit ist der Leser gut über die rund 60 Jahre (verwaltungsgeschichtliche) Entwicklung der linksrheinischen Agrarverfassung informiert. Was fehlt, ist eine agrar-, wirtschafts- und sozialhistorische Einbettung der Geschehnisse, die das Bild vervollständigen würde.

Anmerkungen:
1 Christian Reinicke, Bibliographie zur Rheinischen Agrargeschichte 500–1800, 2. verb. Aufl., Trier 1986.
2 Wolfgang Schieder (Hrsg.), Säkularisation und Mediatisierung in den vier rheinischen Departements 1803–1813. Edition des Datenmaterials der zu veräußernden Nationalgüter, 5 Bde., Boppard am Rhein 1991.
3 Gudrun Gersmann / Hans-Werner Langbrandtner (Hrsg.), Adlige Lebenswelten im Rheinland. Kommentierte Quellen der Frühen Neuzeit, Köln 2009; dies. (Hrsg.), Im Banne Napoleons. Rheinischer Adel unter französischer Herrschaft – ein Quellenlesebuch, Essen 2013.
4 Christopher Buchholz, Französischer Staatskult 1792–1813 im linksrheinischen Deutschland. Mit Vergleichen zu den Nachbardepartements der habsburgischen Niederlande, Frankfurt am Main 1997.

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