Vergangene Zukünfte der Arbeit. Historische Imaginationen, Prognosen und Planungen von Arbeit in der Moderne

Vergangene Zukünfte der Arbeit. Historische Imaginationen, Prognosen und Planungen von Arbeit in der Moderne

Veranstalter
Knud Andresen (Forschungsstelle für Zeitgeschichte, Hamburg), Michaela Kuhnhenne (Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf), Stefan Müller (Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn), Franziska Rehlinghaus (Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam), Ulf Teichmann (Ruhr-Universität Bochum)
Veranstaltungsort
Hans-Böckler-Stiftung, Hans-Böckler-Straße 39, 40476 Düsseldorf
Ort
Düsseldorf
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.11.2016 - 18.11.2016
Deadline
09.05.2016
Von
Stefan Müller

Die diesjährige Tagung der Reihe „Neue Perspektiven auf die Gewerkschaftsgeschichte“ möchte sich den vergangenen Zukünften von Arbeit und der Arbeiterbewegung vom 19. bis ins 21. Jahrhundert widmen. Damit nimmt sie Bezug auf aktuelle geschichtswissenschaftliche Forschungen, in denen das Verhältnis von historischen Zukunftserwartungen und historischem Zukunftshandeln in modernen Gesellschaften untersucht und diskutiert wird.1 Auf der Tagung sollen die Geschichte der Arbeiterbewegung und die Geschichte der Arbeit als Geschichte von Zukunftsentwürfen gelesen werden, die eine wirklichkeitsstrukturierende und geschichtsmächtige Kraft besaßen und damit als eigenständige historische Tatbestände anzuerkennen sind.2 Hierbei geht es in einer mittleren und weiteren Perspektive um in Programme gegossene Utopien, um dystopische Szenarien mit politischen Handlungsappellen und um historische Versuche der Planung von Arbeit, der Prognose ihrer Entwicklung und ihrer Gestaltbarkeit in der Zukunft.

Auf der Tagung soll die Zukunft der Arbeit als diskursive Arena zahlreicher Akteur_innen interpretiert werden, die von programmatischen Vordenkenden, über Gewerkschaften und andere Verbände, Expert_innengruppen, einzelne Arbeitgeber_innen und Arbeitnehmer_innen hin zu politischen Akteur_innen und Staaten reichten. Sie alle versuchten Zukunft nicht nur zu denken, sondern auch zu gestalten und sahen sich dabei historisch bedingten determinierenden Faktoren gegenüber, die es in ihre Zukunftsvorstellungen und ihr Zukunftshandeln miteinzubeziehen galt. Im Mittelpunkt der Tagung steht daher die Frage, wie der Zukunftsbegriff im Feld der Arbeit selbst bestimmt wurde, auf wen oder was sich die diversen Zukunftskonzepte erstreckten, für welche Zeithorizonte sie entworfen wurden und welche Handlungsoptionen für die vergangene Gegenwart daraus resultierten.
Dieses große Feld möchten wir anhand von theoretisch und empirisch fundierten Studien durchmessen, deren zeitlicher Rahmen vom späten 19. Jahrhundert bis zum beginnenden 21. Jahrhundert reichen kann. Dabei interessieren insbesondere folgende vier Themenfelder.

1) Die erträumte oder befürchtete Zukunft

Vorstellungen von Zukunft, als Utopien einer klassenlosen Gesellschaft oder als Dystopien von Unterdrückung, Machtlosigkeit und Armut, waren seit ihrem Entstehen ein entscheidender Handlungsfaktor für die Arbeiterbewegung.3 In diesem Themenfeld sind Beiträge erwünscht, die sich mit der Geschichte umfassender Ideen einer erstrebenswerten oder vermeidbaren Zukunft befassen und nach deren Inhalten und Reichweite in politischen und sozialen Programmen4 und ihrer Vermittlung durch die Massenmedien fragen. Hier können u. a. Debatten untersucht werden, die sich mit der Zukunft der sozialen Frage beschäftigten, mit Entwürfen von Sozialbeziehungen, mit Voraussagen der künftigen Entwicklung der Arbeiterbewegung selbst oder – ganz klassisch – mit kommunistischen und sozialistischen Zukunftsvisionen. Ein besonderes Interesse gilt dabei auch der Verarbeitung von Zukunftsideen in gesellschaftlichen Umbruchsituationen wie Revolutionen, Kriegen, Regierungswechseln etc., in denen ‚Erfahrungsraum‘ und ‚Erwartungshorizont‘ auseinanderfielen und so eine Neugestaltung von Zukunftsentwürfen notwendig machten.5

2) Die plan- und machbare Zukunft der Arbeit

Die Zukunft der Arbeit wurde im späten 19. und 20. Jahrhundert immer wieder zum Gegenstand wissenschaftlicher Analysen und Planungen, die sich einerseits aus Verlängerungen vergangener Erfahrungen, andererseits aus erstrebenswerten Zielvorstellungen ergaben. Ein wichtiges Werkzeug waren hierbei Prognosen, die mittelfristige Entwicklungen vorhersagbar und damit auch kontrollierbar und beeinflussbar machen wollten und so Zukunftshandeln direkt strukturierten. Dies gilt z. B für den Bereich der Technologieentwicklung, die Zukunftsvorstellungen in sowohl optimistischer wie fatalistischer Weise prägte und zentrale Themen von Prognosen und Planungen bestimmte. Die Plan- und Machbarkeit von Zukunft fand so im Spannungsfeld von Erfahrungswissen und Erwartungshoffen bzw. -bangen statt und evozierte die Entwicklung eines neuen, wissenschaftlich fundierten Methodenarsenals. Sie erstreckte sich dabei von der ökonomischen Planung einzelner Betriebe über die Lenkung ökonomischer und sozialer Entwicklungen der verschiedenen Wirtschaftssektoren bis zur allgemeinen Verfassung und Zukunftsfähigkeit der Arbeitsgesellschaft. Zentrale Akteur_innen waren hierbei Ingenieur_innen, Ökonom_innen, Sozialwissenschaftler_innen, Arbeitsmethodiker_innen und andere Expert_innen, die für unterschiedliche Interessensgruppen wie Arbeitgeber_innen oder Arbeitnehmer_innen beratend tätig wurden. In diesem Zusammenhang sind Beiträge zu den Themen wissenschaftliche Prognosen, Technikentwicklung und Planungen von Arbeit denkbar,6 die sich z. B. mit Fragen der Rationalisierung oder der Technisierung (Automatisierung, Computerisierung etc.) der Arbeit beschäftigen, mit Konzepten des ‚Social Engineering‘, mit der langfristigen Konzipierung sozialer Sicherungssysteme oder mit der Arbeitnehmer_innenoptimierung durch Maßnahmen am Arbeitsplatz oder durch Bildung.

3) Die entgleitende Zukunft der Arbeit

Als Kehrseite dieser planbaren Zukunft sollen auch Vorstellungen einer Zukunft der Arbeit in den Blick genommen werden, die historischen Akteur_innen bzw. Akteursgruppen zu entgleiten drohten. Zu denken ist hier zum Beispiel an den Verlust von politischen Handlungsspielräumen als Produkt der Globalisierung von Arbeit, an den Umgang mit Arbeitslosigkeit als Folge wirtschaftlicher Krisen und des industriellen Strukturwandels, an die Ängste, die sich mit der Technisierung und Automatisierung von Produktionsabläufen verbanden oder an den umfassenden Diskurs über die Grenzen des Wachstums. In diesen Zusammenhang gehören auch Untersuchungen zum historischen Umgang von Individuen mit ihren Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. Willkommen sind auch Beiträge, die die Themenfelder 2) und 3) miteinander verbinden und beispielsweise nach dem Umgang mit fehlgeschlagenen Planungen und daraus resultierenden neuen Zukunftserwartungen fragen.

4) Die umstrittene Zukunft

In allen Themenfeldern interessieren besonders die Konflikte, die aus sich widersprechenden Zukunftsvorstellungen verschiedener Gruppen entstanden. Wie verhielten sich Zukunftskonzepte von Arbeiterbewegung und Bürgertum, von Arbeitgeber_innen und Arbeitnehmer_innen, von Politiker_innen, Parteien und Gewerkschaften, von ‚alten‘ und ‚neuen sozialen Bewegungen‘, von Frauen und Männern, von Arbeiter_innen und Angestellten, von in- und ausländischen Arbeitnehmer_innen zueinander, und welche gesellschaftlichen Dynamiken erwuchsen daraus? Wie wurde die Zukunft ausgehandelt, wer beanspruchte die Handlungsmacht über die Zukunft der Arbeit, wer wurde für ihre Entwicklung in die Pflicht genommen oder verantwortlich für ihr Gelingen oder ihr Scheitern gemacht? Und nicht zuletzt: wie wurden Zukünfte gegeneinander ausgespielt?

Willkommen sind Beiträge zu diesen und weiteren Themenfeldern aus den Geistes- und Sozialwissenschaften, die sich mit Entwicklungen in Deutschland befassen, aber auch eine international vergleichende oder transnationale bzw. globalgeschichtliche Perspektive einnehmen können. Die Beiträge sollten dabei die Handlungsrelevanz der untersuchten Zukunftsentwürfe in der jeweiligen Gegenwart reflektieren und somit die Frage stellen, inwiefern auch nicht eingetretene Zukünfte die Geschichte der Arbeiterbewegung und anderer Akteursgruppen über die Ideen- und Diskursgeschichte hinaus prägten. Wir bitten alle Beitragenden, ihren Gegenstand theoretisch bzw. methodisch zu konzeptualisieren.

Die Tagung wird vom Kooperationsprojekt „Jüngere und jüngste Gewerkschaftsgeschichte“ der Hans-Böckler-Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung veranstaltet. Reisekosten und Unterkunftskosten für Vortragende werden durch die Hans-Böckler-Stiftung und die Friedrich-Ebert-Stiftung getragen.

Abstracts mit etwa 400 Worten und ein kurzes akademisches CV sind bis zum 9. Mai 2016 an Knud Andresen (andresen@zeitgeschichte-hamburg.de) zu senden.

1 Einen Überblick boten zwei von Lucian Hölscher organisierte Konferenzen, vgl. Tagungsbericht: Die Zukunft des 20. Jahrhunderts, 11.07.2014 – 12.07.2014 Bochum, in: H-Soz-Kult, 18.10.2014, <http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-5613> und Tagungsbericht: Die Zukunft des 20. Jahrhunderts II, 16.10.2015 – 17.10.2015 Essen, in: H-Soz-Kult, 20.01.2016, <http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-6334>.

2 Reinhart Koselleck, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1979.

3 Lucian Hölscher, Weltgericht oder Revolution. Protestantische und sozialistische Zukunftsvorstellungen im deutschen Kaiserreich, Stuttgart 1989.

4 Thomas Welskopp, Im Bann des 19. Jahrhunderts. Die deutsche Arbeiterbewegung und ihre Zukunftsvorstellungen zu Gesellschaftspolitik und „sozialer Frage“, in: Ute Frevert (Hg.), Das Neue Jahrhundert. Europäische Zeitdiagnosen um 1900, Göttingen 2000, S. 15-46.

5 Reinhart Koselleck, ‚Erfahrungsraum‘ und ‚Erwartungshorizont‘. Zwei historische Kategorien, in: Ders.: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1989, S. 349-375.

6 Michael Salewski, Technik als Vision der Zukunft um die Jahrhundertwende, in: Michael Salewski u. Ilona Stolken-Fitschen (Hg.), Moderne Zeiten. Technik und Zeitgeist im 19. und 20. Jahrhundert, 1994, S. 77-91.

Programm

Kontakt

Dr. Stefan Müller

Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung
Godesberger Allee 149, 53170 Bonn
(0228) 883-8072
(0228) 883-9204
stefan.mueller@fes.de

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