Titel
Pohansko bei Breclav. Ein Frühmittelalterliches Zentrum als sozialwirtschaftliches System


Autor(en)
Machácek, Jiri
Reihe
Studien zur Archäologie Europas
Erschienen
Anzahl Seiten
441 S.
Preis
€ 85,00
Rezensiert für Clio-online und H-Soz-Kult von:
Sabine Felgenhauer-Schmiedt, Institut für Ur- und Frühgeschichte, Univeristät Wien

Schon der Titel ist programmatisch. Ein wichtiger Fundplatz soll in einem Kontext vorgestellt werden, der die Verbindung mit dem so genannten Großmährischen Reich nicht als primär ansieht, sondern eine neutrale Darstellung mit einem Schwerpunkt auf die wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten im großräumigen Vergleich anstrebt. Der besondere Reiz, aber nicht Einzigartigkeit, der mährischen Anlagen liegt sicher darin, dass sie verhältnismäßig kurzlebig waren und dass sie insofern kein zukunftsträchtiges Modell verkörperten. Sie (oder „das System“) zogen keine direkte Nachfolger nach sich und sind dergestalt als Ausdruck einer speziellen gesellschaftlichen Entwicklungsphase in einem speziellen Milieu zu betrachten.

In der Einführung präzisiert der Autor sein Anliegen, die archäologischen Ergebnisse mit ihren eigenständigen, spezifischen Quellen methodenorientiert darzustellen und sich nicht von der Geschichtswissenschaft oder von landeskundlichen Fragen dominieren zu lassen. Der theoretische Überbau ist ihm also wichtig, wobei sein Anliegen eine Darstellung „im Rahmen des prozessualistischen Paradigmas“ ist, also einem aus dem anglophonen Raum ausgehenden, einflussreichen, aber von der post-prozessualen Archäologie nicht unwidersprochenen Konzept.

Ein breit angelegtes Kapitel, für das Verständnis des Werkes von großer Bedeutung, ist der Methodologie gewidmet, die er einerseits in die „Archäologische Methode“ und andererseits in die „Systemtheorie in der Archäologie“ unterteilt. Es folgt ein Kapitel „Pohansko – ein vorläufiges Modell“, das die bisherige Forschungsgeschichte, an der der Autor mit seiner Herrenhofinterpretation ja auch einen nicht unbedeutenden Anteil hat, beinhaltet. Der analytische Blick des Autors ortet dabei deutlich die Wirkung der allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse auf die jeweiligen Interpretionen. Sein erklärtes Ziel ist es, Bisheriges mit neuen Methoden zu verifizieren oder auch zu verändern. Das Herzstück ist die Neuauswertung der Grabungsstelle Lesní skolka innerhalb des umwehrten Areals von Pohansko. Aus diesem Bereich werden jeweils die eingetieften und die ebenerdigen Objekte einer Prüfung unterzogen. Dies geschieht unter starker Betonung computergestützter Analysen, die in zahlreichen grafischen Darstellungen und Tabellen ihren Niederschlag finden. Bei den eingetieften Objekten stellt sich insbesondere die Frage nach der kritischen Beurteilung, also dem Zeitpunkt und der Zusammensetzung des Füllmaterials.

Die frühere Gliederung der eingetieften Objekte wurde mit dem neuen Verfahren bestätigt. Zu bedenken ist, ob dieses komplizierte Herangehen, vor dem man Respekt haben muss, wirklich notwendig ist. Die Überlegungen hinsichtlich der Pfostenlöcher (von Häusern, Palisaden oder Zäunen) sind darauf gerichtet, inwieweit sich einzelne Phasen mit gerichteten Strukturen erkennen lassen. Das Ergebnis insgesamt ist ein zeitlich gestaffeltes Bebauungsmuster, das mit geziemender Vorsicht vermittelt wird. Im untersuchten Grabungsareal gibt es erstaunlich viele Pfostenbauten und wenige Grubenhäuser, die in größerer Zahl in der südlichen Vorburg zu finden sind.

Die in ihren Ansätzen verständliche, in ihrer Durchführung wiederum wohl nur für Spezialisten verfolgbare Keramikbearbeitung, erbrachte eine klar erkennbare vorgroßmährische Phase, drei großmährische Phasen und eine weitere, die in nachgroßmährische Zeit hinübergleitet. Die Phasen aus dem 9. und beginnenden 10. Jahrhundert unterscheiden sich nur durch verschiedene Quantitäten verschiedener Keramikausformungen. Das Problem des Abfallverhaltens, bzw. der Gleichzeitigkeit zugefüllter Objekte kann oft nicht eindeutig geklärt werden. Aussagekräftige weitere Funde, wie z.B. Metall-, Knochen- oder Steinobjekte werden dann wieder einem computergestützten Verfahren unterzogen, um die Aussagen zu objektivieren. Funktion, Bedeutung und Sinn werden analysiert, wobei sich erstere auf handwerkliche Nachweise bezieht und am besten nachvollziehbar scheint.

Ein weiteres Kapitel widmet sich den Gräbern, bzw. Grabgruppen, die innerhalb des Siedlungsareals gefunden wurden. Diese Hereinnahme der Toten in das Areal der Lebenden wirft die Frage nach einem eventuellen Zusammenhang mit dem Christentum auf, das vom Autor überregional und intensiv diskutiert wird.

Es folgt das wichtige Kapitel der räumlichen Struktur und deren Dynamik innerhalb des Grabungsareals, gestützt auf chronologische Erkenntnisse. Bebauungsmuster der vorgroßmährischen Phase sowie der älteren und jüngeren großmährischen Phase werden dabei deutlich. In der markanten Abänderung der Ausrichtung zwischen der ältesten und der großmährischen Phase sieht der Autor eine bewusste Planung, vergleichbar der in hochmittelalterlichen Städten. Bei der zweiten großmährischen Phase werden ein Verkehrsweg und rechtwinkelige Strukturen ausgesondert, die für die gesellschaftlich- soziale Interpretation besonders wichtig werden sollen. Diese Strukturen sind auch am westlich des vorgestellten Grabungsfeldes liegenden Herrenhof erkennbar, und u.a. auch anhand der geophysikalisch vorgefundenen Anomalien im noch nicht gegrabenen westlichen Teil der umwehrten Anlage verfolgbar.

Zur Interpretation dieser Befunde schlägt der Autor einen großen zeitlichen und geographischen Bogen, angereichert mit zahlreichen Abbildungen der besprochenen Siedlungen, bzw. Orte. Die Frage der Gehöfte in früher Zeit wurde schon vom Ausgräber B. Dostal angeschnitten und sie wird in der tschechischen Literatur nach wie vor kontrovers diskutiert. Umzäunte Gehöfte spielen vor allem deshalb eine so bedeutende Rolle, weil sie als eingegrenzte Wirtschaftseinheit auf Privateigentum hindeuten. Der Autor vergleicht die Befunde von Pohansko mit fränkischen, alamannischen oder bajuwarischen ländlichen Siedlungen und auch mit den Parzellierungen in Handwerks- und Handelssiedlungen im Fränkischen Reich, bzw., dessen nördlicher und westlicher Nachbarschaft. Als „Grundherrn“ sieht er am ehesten den „Herrscher“, spricht also eine spezielle Art von Grundherrschaft an.

Das Kapitel „Das frühmittelalterliche Zentrum als System“ widmet sich der Dauer der Siedlung, der Frage und Dynamik der Einwohnerzahl, den wirtschaftlichen Bedingungen (hier werden auch die Tierknochen miteinbezogen), den handwerksbezogenen Objekten, der Gesellschaftsgliederung, dem Kult und den auf Handel und Verkehr deutenden Nachweisen. Genährt wird das „System“ von Inputs und Outputs auf den verschiedenen Ebenen wie z.B. Menschen, Religion, Militärwesen, die sich gegenseitig auch beeinflussen können. Im 10. Jahrhundert werden Naturkatastrophen evident, die Bevölkerung geht zurück und Keramik bildet ein Argument dafür, dass man in die Gegend von Olmütz und auch nach Nordwestböhmen auswanderte.

Zum Schluss werden die Modelle munitio, palatium und emporium noch einmal ausführlich thematisiert, um zu dem Schluss zu kommen, dass jedes dieser drei in Pohansko präsent sei. Das heißt eigentlich, dass Pohansko doch ein Individuum ist, das sich nicht in eine bekannte Schublade einfügen lässt. Der weite Blick des Autors nach dem eher westlichen Europa mit differenzierten Fragestellungen ist äußerst beeindruckend, erweckt aber auch den Wunsch nach einem ebensolchen Vergleich mit den anderen Anlagen, die in dem Gebiet liegen, das Großmähren genannt wird. Historisch-politische Fragestellungen bezüglich Pohansko werden, wie im Vorwort angekündigt, wenig angesprochen.

In einem Anhang ist noch ein digitaler Katalog der archäologischen Quellen zu finden. Außerdem ist eine äußerst brauchbare, Maßstäbe setzende CD beigegeben, in der alle Befunde und Funde des Grabungsareals zu finden sind.

Insgesamt liegt mit dem Band sicherlich ein beeindruckendes Werk vor, das höchst individuell die besonderen analytischen Fähigkeiten des Autors widerspiegelt und eine sehr konsequente Durchführung eines von ihm offenbar als geeignet befundenen theoretischen Konzepts bietet, das aber vor allem ein wichtiger und sicherlich äußerst anregender Beitrag zur Kenntnis und zum Entwicklungsstand frühmittelalterlicher zentraler Orte in Mitteleuropa darstellt, wofür auch dem Herausgeberteam und dem Verlag sehr zu danken ist.

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