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Titel
Tempel und Palast. Die Beziehungen zwischen dem König und dem Eanna-Tempel im spätbabylonischen Uruk


Autor(en)
Kleber, Kristin
Reihe
Alter Orient und Altes Testament 358. Veröffentlichungen zur Wirtschaftsgeschichte Babyloniens im 1. Jahrtausend v. Chr. 3
Erschienen
Münster 2008: Ugarit-Verlag
Anzahl Seiten
XIV, 404 S., XLI Tafeln
Preis
€ 91,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
André Heller, Lehrstuhl für Alte Geschichte, Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Für den altorientalischen Großtempel interessiert sich der Althistoriker nur gelegentlich. Was wenig verwundert, hat dieser doch bei den antiken Schriftstellern kaum Spuren hinterlassen. Herodot (1,181ff.) beschreibt Esangila, das Heiligtum des Zeus (d.h. Bēl-Marduk), und Etemenanki, die dazugehörige Ziqqurrat. Bei den Alexanderhistorikern werden Alexanders Pläne zum Wiederaufbau dieses vorgeblich von Xerxes zerstörten Tempels angedeutet. In diesem Zusammenhang spricht Arrian (an. 7,17,3–4) davon, dass Esangila über ausgedehnten Landbesitz und üppiges Vermögen verfügt habe, das die Chaldäer, die Priester Babylons, jedoch nicht zum Wiederaufbau hätten aufwenden wollen. Manchmal werden die Chaldäer gar als Zentrum des Widerstands gegen Alexander angesehen.1 Hierin drückt sich ein oftmals mangelhaftes Wissen über Strukturen und Aufgaben eines altorientalischen Großtempels aus; diese Kenntnis ist jedoch auch für Althistoriker unerlässlich, die zur Geschichte des achämenidischen und hellenistischen Zweistromlandes forschen.

Die Monographie Klebers – eine Münsteraner Dissertation – gehört in den Kreis von Arbeiten, die im Rahmen des START-Projekts zur Wirtschaftsgeschichte Babyloniens im 1. Jahrtausend v.Chr. an der Universität Wien unter der Leitung von Michael Jursa entstanden bzw. noch entstehen. Die Zahl der im Rahmen dieses Projekts zusammengestellten Keilschrifttafeln des 1. Jahrtausends v.Chr. beträgt etwa 20.500. Problematisch ist die ungleiche zeitliche wie örtliche Verteilung des Materials sowie die weltweite Zerstreutheit über verschiedene Museen und Sammlungen; da ein Großteil der Tafeln illegalen oder schlecht dokumentierten Grabungen entstammt, müssen die Archivzusammenhänge außerdem erst mühsam rekonstruiert werden.2 Die Materialbasis der Untersuchung Klebers zu Uruk beruht auf knapp 7000 Texten, wovon etwa 2400 unpubliziert sind (S. 4). Die Arbeit gliedert sich in insgesamt acht Kapitel, die wiederum in thematische Abschnitte unterteilt sind; hinzu treten eine Literaturliste, Indices sowie am Ende des Bandes 41 Tafeln mit Kopien bislang unpublizierter Keilschrifttafeln, die in der Arbeit im Original und in deutscher Übersetzung präsentiert werden. Der behandelte Zeitrahmen erstreckt sich von der Zeit der neubabylonischen Könige bis zu den Anfängen der Regierungszeit des Achämenidenherrschers Xerxes (605–484 v.Chr.), unter dessen Regierung der Eanna-Tempel massiv an Bedeutung verlor.

Nach einer knappen Einleitung, in deren Fußnoten die wichtigste Literatur zum Themenkomplex des altorientalischen Tempels angeführt wird, widmet sich Kleber der Verwaltungsstruktur des Tempels. Sie nennt die wichtigsten Ämter mit ihren originalen Bezeichnungen, die sie später auch ausschließlich verwendet, und den deutschen sowie englischen Übersetzungen, woraus die Schwierigkeit einer adäquaten Wiedergabe erkennbar wird (S. 5ff.). Schon an dieser Stelle (und nicht erst auf S. 345f.) hätte explizit auf den Umstand hingewiesen werden müssen, dass es sich bei den Tempelfunktionären keinesfalls um Priester handelt – wie es etwa die früher verwendete Übersetzung „Bischof“ für das akkadische šatammu impliziert –, sondern um Verwaltungsbeamte. Es ist dies eines der klassischen Missverständnisse nicht nur von Althistorikern, die gerne von einer babylonischen Priesterschaft sprechen. Die Kontrolle des Königs über den Tempel zeigen die immer wieder vorgenommenen Umbesetzungen bei den Tempelfunktionären sowie gelegentliche strukturelle Änderungen (S. 7–30 u. 336–344). Die Prosopographie der leitenden Beamten ergänzt mit zahlreichen neuen Belegen die mittlerweile vor 30 Jahren vorgelegte Studie Kümmels zu den Berufsgruppen von Uruk (S. 30–44).3 Zur umstrittenen Frage, ob es sich bei den Funktionären mit dem Titel ša-rēši um Eunuchen handelt, äußert sich Kleber unentschieden (S. 39f.).

Das mit Abstand umfangreichste Kapitel ist den „Steuern und Abgaben“ (Kapitel 4: S. 75–235) gewidmet, wobei die Beteiligung von Eanna an verschiedenen Baumaßnahmen am besten dokumentiert ist (Kapitel 4.6 und 4.7: S. 102–198). Von großer Bedeutung sind Klebers Schlussfolgerungen zum so genannten Sūru-Dossier (S. 142–153), also zu Texten, die aus Nippur, Sippar oder Uruk stammen und in denen ein Ort bzw. Land Sūru genannt wird. In den letzten Jahren tendierte die Forschung dazu, diesen Ort in der Nähe von Nippur anzusetzen und ihn für eine Ansiedlung von Deportierten aus Tyros zu halten. Kleber hingegen argumentiert schlüssig, dass sich diese Urkunden allesamt auf die Stadt Tyros selbst beziehen. Dies aber hat weitreichende Konsequenzen: Bislang ging man davon aus, dass Nebukadnezar II. so gut wie gar keine Strukturen in den eroberten Gebieten am Mittelmeer schuf, da es dafür nicht den geringsten Beweis zu geben schien. Nach Klebers zwingender Argumentation agierten hohe Funktionäre babylonischer Tempel als Beauftragte des Königs in den eroberten Gebieten. Weitergehende Schlüsse lassen sich allerdings momentan daraus noch nicht ableiten (S. 153f.). Auch die „militärischen Dienstverpflichtungen des Tempels“, so der Titel von Kapitel 4.8 (S. 198–235), können in den Eanna-Urkunden gut nachverfolgt werden.

Für die bisher nur spärlich bezeugte Aufstellung und Verehrung von Königsstatuen im Vorhof der Tempel präsentiert Kleber den noch unpublizierten Text BM 113249, der zeigt, dass der Achämenidenkönig Kambyses über einen Beauftragen Informationen über die in Eanna aufgestellten Königsstatuen und deren Inschriften einholen wollte (S. 270f.). BM 79712 belegt ein Opfer vor den Königsstatuen, das in achämenidischer Zeit durchgeführt wurde.4 Dieser Befund lässt sich sicherlich – mit aller Vorsicht – auf andere Tempel in Babylonien ausdehnen. Hinsichtlich der Verwaltung Babyloniens plädiert Kleber dafür, dass die Amtsbezeichnung šakin māti nicht den Gouverneur Gesamtbabyloniens, sondern lediglich den Statthalter des Meerlandes (šakin māt tâmti) bezeichnet habe (S. 310–326). Neben dem Umstand, dass die beiden Amtsträger niemals im selben zeitlichen Kontext auftreten, ist das Fehlen des šakin māti im „Hofkalender“ Nebukadnezars auffällig, während der Statthalter des südbabylonischen Meerlandes dort auftaucht.

Am Ende ihrer Arbeit lässt Kleber noch einmal das Verhältnis der einzelnen Könige zu Eanna Revue passieren (S. 336–344) und schließt mit grundsätzlichen Aussagen zum Verhältnis zwischen Palast und Tempel (S. 344–348). In der gut redigierten und verständlich geschriebenen Arbeit finden sich nur gelegentlich Fehler, so sind auf den S. 257f. einige der angegebenen Regierungsjahre verschrieben. Bei der als Beleg für Wachtposten am Tigris herangezogenen Stelle Diodor 19,7,4 ist nicht dieser Fluss, sondern der Pasitigris gemeint – ein Irrtum, der der antiken Literatur nur zu gerne unterlief.5

Klebers Studie zu Tempel und Palast ist ein weiterer, überaus wichtiger Beitrag zum Verständnis der Organisation und Aufgaben eines spätbabylonischen Großtempels. Es ist das große Verdienst der Autorin, zum ersten Mal deutlich die vielfältigen Aufgaben, die Eanna zu erfüllen hatte, zusammengestellt zu haben: Er war nicht nur Rohstofflieferant (Wolle), sondern auch maßgeblich für die Bereitstellung von Arbeitskräften und Material für große Bauvorhaben wie Projekte in Babylon oder die „Medische Mauer“ verantwortlich. Auch die Stellung und Ausrüstung von Soldaten gehörte dazu. Darüber hinaus spielten Funktionäre des Tempels von Uruk und anderen babylonischen Städten und Tempeln eine zentrale Rolle bei der Administration der neu eroberten Gebiete an der phönikischen Küste, was eindrucksvoll den immensen Aktionsradius illustriert. Die spätbabylonischen Tempel besaßen somit nicht nur kultische Funktion, sondern waren zudem – was in Ansätzen natürlich bereits bekannt war – durch ihre ökonomische Bedeutung von erheblicher Eminenz für das reibungslose Funktionieren des Staates in seiner Gesamtheit. Aus diesem Grund war es der König, der den Tempel kontrollierte, was immer wieder zu Konflikten mit der städtischen Oberschicht führte, die ihren Einfluss dort bedroht sah. Die unter der Regierung Dareios’ I. steigenden Belastungen für die Großtempel Babyloniens könnten somit eine Ursache für die Aufstände gewesen sein, die Xerxes 484 v.Chr.6 niederschlug und die das Ende von Eanna und der engen Verbindung zwischen Babylon und Uruk bedeuteten.7 Zu den Gründen für die babylonischen Aufstände, die sogar in den antiken Quellen ihren Niederschlag fanden, äußert sich Kleber leider nicht. Dies schmälert jedoch nicht die beachtliche Leistung der Autorin, deren Thesen den Ausgangspunkt zu weiteren Forschungen über Tempel und Gesellschaft der Spätzeit Babyloniens bilden sollten.

Anmerkungen:
1 Zuletzt Hans-Ulrich Wiemer, Alexander – der letzte Achämenide? Eroberungspolitik, lokale Eliten und altorientalische Tradition im Jahr 323, in: Historische Zeitschrift 284 (2007), S. 281–309.
2 Zu den neubabylonischen Archiven jetzt Michael Jursa, Neo-Babylonian Legal and Administrative Documents. Typology, Contents and Archives, Münster 2005.
3 Hans Martin Kümmel, Familie, Beruf und Amt im spätbabylonischen Uruk. Prosopographische Untersuchungen zu Berufsgruppen des 6. Jahrhunderts v. Chr. in Uruk, Berlin 1979, S. 108–146.
4 Hier hätte auf Hdt. 1,183,3 verwiesen werden können: Raub eines andrias – also einer Königsstatue – aus Esangila durch Xerxes.
5 Dazu Albert B. Bosworth, The legacy of Alexander the Great. Politics, warfare, and propaganda under the successors, Oxford 2004, S. 115, Anm. 68.
6 So jetzt nach Caroline Waerzeggers, The Babylonian revolts against Xerxes and the ‚end of archives‘, in: Archiv für Orientforschung 50 (2003/04), S. 150–173.
7 Dazu Karlheinz Kessler, Urukäische Familien versus babylonische Familien. Die Namengebung in Uruk, die Degradierung der Kulte von Eanna und der Aufstieg des Gottes Anu, in: Altorientalische Forschungen 31 (2004), S. 237–262.

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