Titel
Inte bara Stasi…. Relationer Sverige-DDR 1949-1990


Autor(en)
Almgren, Birgitta
Erschienen
Stockholm 2009: Carlsson Bokforlag
Anzahl Seiten
564 S.
Preis
SEK 320,–
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Hecker-Stampehl, Nordeuropa-Institut, Humboldt-Universität zu Berlin

Die schwedische Germanistin Birgitta Almgren von der Södertörn-Universität in Stockholm hat 2009 mit ihrem Buch ein umfangreiches Werk über die Beziehungen zwischen Schweden und der DDR vorgelegt. Almgren hat sich zuvor bereits mit umfangreichen Studien zu Nordenbildern in der Germanistik sowie zu den kulturellen Beziehungen zwischen Schweden und dem „Dritten Reich“ beschäftigt. Ihr neues Buch kann man also als Fortsetzung der zuvor von ihr betriebenen Forschungen verstehen. Wie gestalten sich die Kontakte eines kleinen Staats an der europäischen Peripherie zunächst zum nationalsozialistischen Deutschland und im Fall des hier zu besprechenden Werkes, zur sozialistischen Diktatur? Wie wird eine sich selbst als offen, demokratisch und transparent wahrnehmende Gesellschaft von einem anderen Regime infiltriert? Als deutscher Leser mag man sich fragen, was die Relevanz des Themas ausmacht. Für Schweden war Deutschland bzw. die deutschsprachige Kultur über Jahrhunderte hinweg der kulturelle, politische und wirtschaftliche Orientierungspunkt. Schweden nahm nicht aktiv am Zweiten Weltkrieg teil, Sympathien und florierenden Handel mit Deutschland unter Hitler gab es dennoch – ohne, dass man die antinazistischen Stimmen darüber vergessen sollte. Nach Kriegsende gab es zunächst vor allem wirtschaftliche Kontakte mit der Bundesrepublik, noch 1949 auch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Westdeutschland.

Obwohl Schweden den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik nie vollkommen akzeptierte, folgte man dennoch der Politik anderer westlicher Länder und ignorierte die SBZ/DDR. Erst 1972/73 kam es nach dem Zustandekommen der Ostverträge, des Berlin-Abkommens sowie des Grundlagenvertrags zur Anerkennung der DDR – durch Schweden wie auch durch zahlreiche weitere westliche Länder. Für die ostdeutsche Führung stellte Nordeuropa aber auch zuvor bereits eine außenpolitische Schwerpunktregion dar. Dabei spielten einerseits die bereits erwähnten lange zurückreichenden Beziehungen zwischen Deutschland und dem Norden eine gewisse Rolle, andererseits setzte man darauf, in den nordischen Ländern als erstes den diplomatischen Durchbruch im Westen zu erlangen. Man glaubte, in neutralen Staaten wie Schweden oder Finnland mehr Sympathien als andernorts zu genießen und hielt überdies die nordischen NATO-Mitgliedsstaaten für die „schwächsten Glieder“ in der Kette des westlichen Bündnisses. Gegenüber Finnland und Schweden war die DDR dabei eindeutig am aktivsten. Eine Untersuchung der gegenseitigen Wahrnehmungen und der kulturpolitischen Beziehungen, die zudem die gesamte Zeit der Existenz des zweiten deutschen Staates abdeckt, ist von daher nicht nur für die schwedische Seite von Interesse.

Die Grundlagen der politischen Geschichte bis zur Anerkennung 1972/73 und auch die Grundzüge der DDR-Kulturpolitik gegenüber Schweden sind in mehreren Dissertationen in den letzten Jahren grundlegend aufgearbeitet worden. Almgrens Studie ist aber weit mehr als eine Synthese der bereits vorliegenden Forschung, sondern zeichnet sich neben dem Umstand des breiter angelegten Untersuchungszeitraums vor allem durch eine historisch-kulturwissenschaftliche Herangehensweise aus. Almgren weist eine umfassende Kenntnis der politischen Strukturen auf und kennt die Forschung über die komplexe Situation, in der sich die DDR-Außenpolitik gegenüber dem Westen immer wieder befand. Ihr Untersuchungsgegenstand sind nicht die offiziellen und offiziösen Beziehungen auf der politischen Ebene oder in Wirtschaftsfragen, sondern die zahlreichen Begegnungen zwischen Künstlern und Literaten, im universitären Milieu, die Rolle kulturpolitischer Institutionen, die Arbeit in Schulen und Universitäten, aber auch die Frage, welche Rolle die schwedischen Kommunisten für den kulturellen Austausch spielten. Der Band ist nicht chronologisch, sondern thematisch gegliedert. Nach einer kurzen Zusammenfassung der wesentlichen ereignishistorischen Fakten folgt ein Kapitel über das Ministerium für Staatssicherheit, dessen Funktionsweisen und die Arbeit im Archiv der BStU in Berlin.

Die großen Kapitel der Hauptuntersuchung widmen sich den Prinzipien und Institutionen der DDR-Kulturpolitik in Schweden, der Arbeit der DDR an schwedischen Schulen und Universitäten, die schon erwähnte Rolle der schwedischen Kommunisten, der Position des in Schweden lebenden Schriftstellers Peter Weiss sowie der Tätigkeit der Freundschaftsgesellschaft Schweden-DDR, wobei deren langjähriger Vorsitzender, der Sozialdemokrat Stellan Arvidson, und seine Lebens- und Arbeitsgefährtin Britta Stenholm im Mittelpunkt stehen. Ein abschließender kürzerer Abschnitt widmet sich der Rhetorik des Kalten Krieges.

Die Studie gehört zu denjenigen, die man gerne als quellengesättigt bezeichnet. Der schiere Umfang des aufgearbeiteten Materials erschließt sich weniger aus dem Quellenverzeichnis am Ende des Bandes als anhand der Anmerkungen, wo durch die zahlreichen Nachweise auf einzelne Dokumente die umfangreiche Quellenarbeit ersichtlich wird. Neben Material aus zahlreichen deutschen Archiven sind Nachlässe und weiteres Material aus schwedischen Archiven aufgearbeitet worden. Eine wichtige Quelle sind Interviews mit Zeitzeugen, wobei Almgren auf die Problematik der oral history hinweist, aber den Quellenwert der Erinnerungen als durchaus valide Aussagen über Selbstbild und (verzerrte) Erinnerung betont.

Die zahlreichen Einzelphänomene, die Almgren zu ihrer weit ausholenden Studie zusammenfasst, ergeben in der Gesamtheit ein differenziertes Bild. Almgren geht es um die zahlreichen Grauschattierungen, die in der Begegnung zwischen dem sozialistischen Deutschland und dem stark von der Sozialdemokratie geprägten Schweden entstanden. Allerdings lässt sich im Ergebnis der Lektüre festhalten, dass es der DDR erstaunlich gut gelungen ist, das Image von einer besseren, friedliebenden Gesellschaft im nordeuropäischen Nachbarland zu verbreiten. Es waren keineswegs nur Anhänger sozialistischer Splitterparteien, die zum Beispiel in der Sozial- und Schulpolitik der DDR ein Vorbild erkannten. Dabei kann Almgren auch deutlich machen, dass schwedische Vertreter etwa ihre positive Wahrnehmung des DDR-Schulsystems, das sie zu adaptieren gedachten, von dessen marxistisch-leninistischen Prämissen freimachten oder dass ein so exponierter Fürsprecher der DDR wie Arvidson auf kritische Anfragen, wie er den bis zur äußersten Gewalt gehenden Schutz der innerdeutschen Grenzen bewerte, schlicht nicht einging. Handkehrum bewahrten viele Schweden Negativbilder von der Bundesrepublik, die aus der Adenauerzeit stammten, in welchen Westdeutschland als konservative, kapitalistische und karrieristische Ellenbogengesellschaft da stand. Die Sympathien wandelten sich teilweise je nach der Parteizugehörigkeit der Bundeskanzler bzw. der Regierungsmehrheiten. So wurde die Ära Brandt vorwiegend positiv bewertet, während nach der Bonner Wende von 1982 alte Ablehnungsmuster revitalisiert wurden.

Viele Schweden machten sich, so kann Almgren zeigen, vor, dass Schweden von der DDR lernen könne und übersahen die Mechanismen, mit denen die ostdeutsche Bevölkerung überwacht und diszipliniert wurde. Tendenzen zur Verharmlosung der DDR sind kaum zu übersehen.

Die DDR, so hieß es beispielsweise, sei „auf dem Weg, zu einer Wohlstandsgesellschaft westlichen Zuschnitts verwandelt zu werden, aber unter sozialistischen Vorzeichen“. Das Fazit lautete: „Es ist grau, kleinförmig und trist in der DDR, aber unter der Oberfläche findet sich eine bunte Gegenwart und eine spannende Zukunft.“1 Deutlich wird durch Almgrens Studie, dass Anhänger solcher DDR-Bilder bereit waren, sich für die Zwecke der DDR vom MfS rekrutieren zu lassen. Auch auf die Tätigkeit etwa deutscher Germanisten in Schweden, die zudem in Stasi-Diensten standen, wird eingegangen.

Wie kann man erklären, dass es in Schweden zu solch einer Verklärung kam? Die Kreise, welche letzten Endes direkten Kontakt mit DDR-Vertretern hatten, blieben auch nach der Anerkennung relativ klein. Besuche schwedischer Vertreter in der DDR waren wie die anderer westlicher Repräsentanten von Inszenierungen und der Zurschaustellung von bestimmten, in Szene gesetzten Ausschnitten des Alltagslebens geprägt. Während ihrer Aufenthalte genossen die schwedischen Besucher vollkommene Rede- und Bewegungsfreiheit und wurden, selbst wenn sie es nicht waren, wie Staatsgäste hofiert. Umgekehrt entwickelte die DDR mit ihrem seit 1967 in Stockholm existierenden Kulturzentrum und durch zahlreiche Gastspiele ostdeutscher Sänger, Musiker, Theaterensembles usw. ein sehr attraktives Kulturangebot, das regen Zulauf fand und zu einem positiven DDR-Bild beitrug. Offene Agitation für den Sozialismus erwies sich selten als hilfreich, deshalb ging die kulturpolitische Arbeit der DDR in Schweden sehr raffiniert von statten: Die ostdeutschen Vertreter traten sehr zurückhaltend auf und zielten stärker auf Imagebildung als auf politische Überzeugungsarbeit hin. Die Überzeugung sollte gewissermaßen aus den kulturellen Sympathien heraus entstehen.

Schweden bestand allerdings keineswegs ausschließlich aus DDR-Sympathisanten. Almgren verweist auf kritische Leserbriefe und Zeitungsartikel. Stellan Arvidsons Ende der 1970er-Jahre geäußerte Behauptung, es gebe in der DDR keine politischen Gefangenen, provozierte kritische Leitartikel. Zwar musste die DDR Rückschläge in der öffentlichen Wahrnehmung wie sie durch die Ereignisse von 1953, 1961 oder 1968 hervorgerufen wurden, seit den 1970er-Jahren in diesem Ausmaß nicht mehr hinnehmen. Maßnahmen wie die Ausbürgerung Wolf Biermanns waren aber nicht nur für das DDR-Bild im Allgemeinen von Schaden, sondern drohten auch die guten Netzwerke innerhalb der schwedischen Universitätswelt zu beschädigen.

Birgitta Almgren hat eine beeindruckende Studie vorgelegt, die auch in Deutschland Widerhall finden sollte. Daher ist auf eine überarbeitete Übersetzung ins Deutsche zu hoffen. Etwas Kritik muss geäußert werden: Das erwähnte Kapitel über die Arbeit des MfS hätte in einer – allerdings fehlenden – Einleitung sicherlich einen besseren Ort gefunden. Die ausführlichen Reflexionen Almgrens über ihren eigenen Forschungsprozess sind zwar nicht uninteressant, aber hier wäre einiges durch Umstellungen und Reduktion zu gewinnen gewesen. Eine diskurstheoretische Verortung ihrer Studie nimmt Almgren zudem nicht vor, sondern webt das Verständnis, mit dem sie an ihr Material herangeht, eher en passant in die Darstellung mit ein. Statt einer theoretisch-methodischen Reflexion und Standortbestimmung zu Beginn der Untersuchung findet sich – eher wie ein Fremdkörper – das letzte Kapitel der Hauptuntersuchung, das auf die Rhetorik des Kalten Krieges eingeht. Die (sehr treffenden) Erörterungen zum Sprachgebrauch im Ost-West-Konflikt wirken an dieser Stelle aber deplatziert; sie hätten an den Anfang gehört.

Die Studie ist in Schweden weitgehend positiv, aber nicht ohne Widersprüche aufgenommen worden. Für Kontroversen sorgte auch die Weigerung des schwedischen Geheimdienstes, Almgren Unterlagen über schwedische Stasi-Informanten aus den so genannten Rosenholz-Akten zur Verfügung zu stellen. Die Autorin erreichte den Zugang erst nach längeren Gerichtsverhandlungen. Birgitta Almgren, die ihre Forschungen mit einer biographischen Studie zu Stellan Arvidson und Britta Stenholm weiter vertieft, hat für ihre jahrelange Beschäftigung mit den deutsch-schwedischen Beziehungen im März 2010 einen Sonderpreis der Schwedischen Akademie erhalten.

Anmerkung:
1 Arne Järtelius, Honeckers DDR (= Världspolitikens dagsfrågor 1987:2), Stockholm 1987, S. 3 u. 5, zitiert nach: Almgren, Inte bara Stasi…, S. 28–29 (Übersetzung des Rezensenten).

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