F. Britsche u.a. (Hrsg.): Visual History und Geschichtsdidaktik

Cover
Titel
Visual History und Geschichtsdidaktik. (Interdisziplinäre) Impulse und Anregungen für Praxis und Wissenschaft


Herausgeber
Britsche, Frank; Greven, Lukas
Reihe
Wochenschau Wissenschaft
Erschienen
Frankfurt 2023: Wochenschau-Verlag
Anzahl Seiten
255 S.
Preis
€ 31,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Georg Marschnig, Institut für Geschichte, Universität Graz

Der im Jahr 2023 von Frank Britsche und Lukas Greven herausgegebene Band „Visual History und Geschichtsdidaktik. (Interdisziplinäre) Impulse und Anregungen für Praxis und Wissenschaft“ möchte die Debatte um Visual History und Geschichtsdidaktik wieder anstoßen, die nach einem Aufflammen am Ende der 2000er-Jahre länger nicht mehr im Zentrum der geschichtsdidaktischen Diskussion stand. Christoph Hamanns Forderung nach einer Fokussierung von „Bildkompetenz“ (2007) verfing in der vielschichtigen Kompetenzdebatte kaum. Zwar widmete sich die 12. Ausgabe der „Zeitschrift für Geschichtsdidaktik“ im Jahr 2013 dem Thema „Visual History“, danach verebbte die Diskussion allerdings deutlich, obwohl die allgegenwärtige, multimediale Bilderflut ungebremst voranschritt.1 Nicht zuletzt die Konfrontation mit den Bilderwelten auf Social Media sowie die auch in der Unterrichtspragmatik immer stärker verfangende Kompetenzorientierung verlangen eine Wiederaufnahme der geschichtsdidaktischen Auseinandersetzung mit Bildmedien. Dies ist letztlich das Ansinnen des Bandes von Britsche und Greven, der auf der Grundlage des interdisziplinären, im Jahr 2021 durchgeführten Workshops „Bild – Macht – Geschichte. Interdisziplinäre Überlegungen zur Visual History in historisch-politischer Bildung“ entstanden ist. Das Ansinnen des Workshops, nämlich die verschiedenen bilderforschenden und -verarbeitenden Disziplinen in den Dialog zu bringen, schlägt sich auf anregende Weise in dem Buch nieder, das zusätzlich um einige weitere spannende Expertenbeiträge erweitert wurde.

Als klar umrissenes Ziel wurde die titelgebende Verknüpfung von Geschichtsdidaktik und Visual History definiert, um dabei insbesondere die Potenziale letzterer für die Pragmatik einer historisch-politischen Bildung auszuleuchten. Dies soll, so die beiden Herausgeber, durch die Fokussierung verschiedener historischer Fallbeispiele sowie die Integration zusätzlicher Perspektiven – aus Kunstgeschichte und Museumswissenschaft, Digital Humanities und Politikwissenschaft – erreicht werden. Diese Impulse verleihen dem Band die im Titel versprochene interdisziplinäre Ausrichtung, die sich durch die sichtbare Verknüpfung mit geschichtsdidaktischen Fragestellungen gewinnbringend im Ensemble der Beiträge niederschlägt. Darin lassen sich neben pragmatischen Entwürfen auch aktuelle empirische Studien sowie konzeptionelle Überlegungen zum Umgang mit Visualia finden. Die Trias aus Empirie, Theorie und Pragmatik wurde auch dem Aufbau des Buches zugrundegelegt. Dabei folgen auf theoretische Reflexionen im ersten Teil empirisch gestützte und gründlich analysierte Fallenbeispiele im zweiten Abschnitt sowie schließlich praktisch-anwendungsorientierte Beiträge im dritten Teil.

Im einführenden Text erfüllt Gerhard Paul die Aufgabe, den Stand der Forschung zu präsentieren, und betont dabei besonders die Notwendigkeit, Bilder als „konstruktive sowie generative Kräfte in der geschichtsdidaktischen und -wissenschaftlichen Forschung sowie in der Geschichts- und Erinnerungskultur“ (S. 12) zu begreifen. Wie Paul weist auch Markus Bernhardt auf den vielfach „sorglosen Umgang mit Bildquellen“ (S. 54) hin und formuliert basierend auf seiner Kritik Leitlinien für die Verwendung von Bildern in Schulbüchern. Auch in Thomas Golls Beitrag werden Desiderata in der (politik-)didaktischen Bildarbeit aufgezeigt und davon ausgehend eine domänenspezifische Methode der Bildanalyse und -interpretation in der Politischen Bildung entwickelt. Am Ende des ersten Kapitels fokussiert Markus Walz visuelle Angebote in Ausstellungen und plädiert für eine Weiterentwicklung der gegenwärtigen musealen Praxis.

Der zweite Teil des Buches präsentiert Studien, die Visualia als geschichtskulturelle Phänomene analysieren und dabei nicht nur chronologisch einen weiten Bogen anbieten, sondern auch räumlich ein weites Feld bespielen. Christin Neubauer und Mira Claire Zadrozny kontrastieren Historienbilder aus der polnischen und französischen Geschichte, Tobias Schade blickt nach Skandinavien und macht die Potenziale von Bildarbeit anhand des „Wikingerschiffs“ deutlich, das er als Chiffre für populäre Repräsentationen des Wikinger-Mythos begreift. Julia Modes beschreibt die Visualisierungspraktiken von politischen Delinquenten anhand südeuropäischer Beispiele, die von der frühen Neuzeit bis in die Zeitgeschichte reichen. Maximilian Fink (Begegnung an der Elbe) und Christina Brüning (Nahostkonflikt) diskutieren die Wirkmacht ikonischer Pressefotografien und bieten didaktische Wege zu deren pragmatischer Verhandlung an.

Im dritten Abschnitt des Bandes werden praxisnahe Anwendungen vorgestellt. Jonas Fröhlich untersucht anhand von Mobile Games Ritterdarstellungen und legt damit die Lernpotenziale offen, die in der Auseinandersetzung mit derartigen geschichtskulturellen Manifestationen liegen. Kathrin Klausmeier fragt danach, wie Instagram-Beiträge in Lehr-Lern-Prozesse integriert und zu einer Weiterentwicklung der visuellen Kompetenzen Lernender genutzt werden können. René Smolarski, Heike Messemer und Sandra Münster präsentieren 3-D-Modelle als Möglichkeitsräume, sich mit der Architekturgeschichte von Städten auseinanderzusetzen. Abschließend widmet sich Andrea Krebs der Anwendung „App in die Geschichte“ und der Nutzung von digitalen Bildarchiven mittels Lernplattformen sowie Strukturierung von Lernprozessen.

Das Buch beeindruckt nicht nur durch die zeitliche und räumliche Vielfalt, die von den Beiträgen abgedeckt wird, sondern auch durch die Diversität der geschichtskulturellen Phänomene, die von den Autor:innen untersucht wurden. Neben fünf Beiträgen, die den digitalen Raum als Sphäre der historisch-politischen Bildung fokussieren, stehen Geschichtsschulbücher, Ausstellungen, Postkarten, Spiele und (Propaganda-)Fotografien im Zentrum der vorgelegten Analysen. Visualia werden in allen Beiträgen als besonders wirkmächtige Medien beschrieben, die Macht- und Herrschaftsstrukturen sichtbar machen und im hohen Maße das „Geschichtsbewusstsein in der Gesellschaft“ (K.-E. Jeismann) prägen. Wie mit diesen Bildmedien (inner- sowie auch außerhalb des Geschichtsunterrichts) im Sinne einer kritischen historisch-politischen Bildung verfahren werden kann, steht freilich weiterhin zur Debatte, die jüngst durch technische Innovationen (Stichwort KI) weiter befeuert wurde. Der Band von Frank Britsche und Lukas Greven leistet in dieser Debatte zweifelsfrei einen wertvollen Beitrag. Aus diesem Grund ist ihm eine weite Verbreitung zu wünschen.

Anmerkung:
1 Christoph Hamann, Visual History und Geschichtsdidaktik. Bildkompetenz in der historisch-politischen Bildung, Herbolzheim 2007; Saskia Handro / Bernd Schönemann (Hrsg.), Visualität und Geschichte (Geschichtskultur und historisches Lernen 1), Berlin 2011; Markus Bernhardt, Visual History: Einführung in den Themenschwerpunkt, in: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 12 (2013), S. 5–8.

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