Cover
Titel
Trojanische Pferde. Politische Verlage im Kalten Krieg. Gesammelte Aufsätze 1988–2022


Autor(en)
Körner, Klaus
Reihe
Buchgeschichte(n)
Erschienen
Leipzig 2023: Lehmstedt Verlag
Anzahl Seiten
543 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Paweł Zajas, Adam-Mickiewicz-Universität Poznań / University of Pretoria

Der Begriff des „kulturellen Kalten Krieges“ entstand in den 1980er-Jahren, als US-Historiker erstmals kulturelle Aspekte der damals hauptsächlich bipolar begriffenen Auseinandersetzung zwischen dem US-amerikanischen und europäischen Liberalismus auf der einen sowie dem Kommunismus auf der anderen Seite analysierten.1 Stephen J. Whitfield führte in seinem wegweisenden Buch „The Culture of the Cold War“ (Baltimore 1991) das Konzept einer amerikanischen „Kultur des Kalten Krieges“ ein. Laut Whitfield war die Kultur des Kalten Krieges ein Schlüsselbegriff für die Beschreibung vor allem der 1950er-Jahre, in denen die Gesellschaft der USA in zwei Lager gespalten war. Auf der einen Seite habe es die Kommunisten gegeben, darunter naive Gutmenschen wie rücksichtlose Bewunderer von Stalin, auf der anderen Seite jene, die glaubten, dass der Kommunismus die eigene Gesellschaft untergraben werde und dass seine Unterstützer mit allen Mitteln bekämpft werden müssten.

Im Kontext der Begriffsgeschichte wurde auf die Tatsache hingewiesen, dass es sich bei der Verwendung solcher Termini bis Anfang der 1990er-Jahre um eine westliche Perspektive handelte. Schon allein von einem „Kalten Krieg“ zu sprechen, berge daher das Risiko, post factum einen nordamerikanischen wie westeuropäischen Kampfbegriff anzuwenden und ihn in einen allgemeinen analytischen Begriff zu verwandeln. Noch in den 2010er-Jahren stellten sich Forscherinnen und Forscher die Frage, inwieweit dieses Konzept nützlich sei, um (inter-)nationale Kontexte jenseits der Vereinigten Staaten, etwa europäische Erfahrungen der Jahre 1945–1990, zu beschreiben und zu analysieren.2

Während die Idee eines von den USA ausgehenden europäischen Kosmopolitismus in der Forschungsliteratur von Anfang an als selbstverständlich galt, übersah man die nicht weniger evidente Tatsache, dass auch der Sozialismus, der den Krieg mit dem kapitalistischen Wettbewerb um Ressourcen in Verbindung brachte, selbstbewusst und notwendigerweise international wie internationalistisch geprägt war.3 Als Antwort auf diese eklatante Forschungslücke untersuchten etwa Katerina Clark, Nicolai Volland und Rossen Djagalov verschiedene kulturelle Praktiken, die den sozialistischen Kosmopolitismus bestimmt hatten.4 Der rumänische Literaturwissenschaftler Mircea Martin interpretierte in diesem Kontext den Sozialistischen Realismus als „artificial cultural-ideological construct“, dessen einheitliche und gleichzeitige Umsetzung eine transkontinentale „geoliterary ecumene“ erzeugt habe.5 Der französische Literaturkritiker Alexandre Gefen argumentierte, dass sich die im und durch den „Kalten Krieg“ formierende Weltliteratur einen Paradigmenwechsel in der Vorstellung und Bewertung literarischer Werke mit sich gebracht habe. Infolge der Militarisierung der Literatur, der Erhöhung ihres propagandistischen Werts und ihrer Rückkehr in die soziale Lebenswelt sei das europäische Kernprinzip der ästhetischen Autonomie infrage gestellt worden.6 Diese neue Idee der politisierten Weltliteratur fand ihren Ausdruck in der Heteronomie wie im ästhetischen Agonismus, welche in literarischen Systemen Osteuropas und der „Dritten Welt“ ein komplexes Erbe hinterlassen haben.7

Ein pluralistisches Verständnis kultureller und literarischer Werte manifestierte sich demgegenüber vor allem in aktuellen Publikationen, welche sich auf Orte jenseits der Supermächte bezogen, insbesondere auf den Globalen Süden. Sie forderten das konventionelle Narrativ des „Kalten Krieges“ als einer bipolaren Auseinandersetzung zwischen den Supermächten produktiv heraus, warnten davor, den „Kalten Krieg“ als dominierende Antithese der Weltliteratur zu sehen, und zeigten, dass die weltliterarischen Praktiken während des Konflikts viele bereits bestehende globale Netzwerke nutzten, aber auch neue Wege entwickelten.8 Andere Beiträge vertieften sich in weltliterarische Prozesse, die durch die politische Geschichte des kommunistischen Internationalismus und des Third Worldism ermöglicht wurden.9

Klaus Körners Buch über westdeutsche Verlage und Verlagsagenturen, die Kleinschriften oder Bücher in der Zeit des „Kalten Krieges“ produzierten und sie teilweise im Auftrag Bonner Ministerien verbreiteten, fügt sich in die skizzierte neuere Forschung zum „kulturellen Kalten Krieg“ nicht ein. Die in dem Band gesammelten 20 Aufsätze erschienen im Zeitraum 1988 bis 2022 (meistens in der Zeitschrift „Aus dem Antiquariat“) und wurden vom Autor in ihrer ursprünglichen Gestalt übernommen. Dennoch ist das vorliegende Werk aus vielen Gründen ein beachtliches Unternehmen. Körner tritt als Zeitzeuge der von ihm beschriebenen Epoche des westdeutschen Buchhandels auf. In den 1950er-Jahren war er als Schülerzeitungsredakteur und in den 1960er-Jahren als Student im Ost-West-Arbeitskreis an der Freien Universität Berlin, später als Hilfskraft an der Universität Kiel und als Assistent am Hamburger Institut für Politische Wissenschaft tätig. Er sammelte die analysierten Publikationen und befragte die involvierten Akteure (die Editionsvorgänge sind kaum aktenkundig).

In den ersten Kapiteln untersucht Körner die „Kleinschriften der Adenauer-Zeit“. Mit einfacher Ausstattung und geringem Umfang wurden sie nicht zum Verkauf produziert, sondern dienten übergeordneten werblichen Zwecken. Ihr Vertrieb lief außerhalb der normalen Wege des Buchhandels. Daher etablierte sich für die Flugschriften, Wahlkampfbroschüren, Behördenveröffentlichungen, Prospekte und Leseproben die Bezeichnung „graue Literatur“ (S. 16). In der Zeitspanne von 1945 bis 1967 erschienen in der Bundesrepublik und in West-Berlin circa 25.000 politische Kleinschriften. Aufgrund des Papiermangels waren sie einerseits als Bücher-Ersatz gedacht, andererseits erfüllten sie eine prominente kulturpolitische Funktion im Prozess der „Umerziehung“ der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft.

In den nachfolgenden Beiträgen widmet sich Körner kleineren und größeren Verlagen, die im „kulturellen Kalten Krieg“ eine wichtige Rolle spielten. Neben längst vergessenen Verlagsanstalten (Drei Türme Verlag, Deutscher Buchverlag, Michael-Verlag, Äquator-Verlag, Nibelungen-Verlag) behandelt der Autor in eigenständigen Texten unter anderem die Verlage Athenäum, Desch, arani und Röderberg. Besonders interessant ist die Frühgeschichte des Springer-Verlages, bevor dessen Gründer Ende der 1950er-Jahre „auf einen kämpferisch-konservativen Kurs“ umsteuerte. So erhalten wir ein wenig bekanntes Bild von Axel Springer „als liberalster deutscher Verleger“ (S. 208).

Da die einzelnen Texte mit Blick auf die Buchveröffentlichung nicht überarbeitet wurden, ist ihr Aufbau recht divers. Manche Kapitel listen Fakten und Zahlen auf, andere dagegen sind wie Theaterdramen in Akten aufgebaut („Eugen Kogon als Verleger“). Die Schilderung der (längst bekannten) Wiederverwendung ehemaliger NS-Propagandisten in der Adenauer-Ära lässt uns manchmal an Agentenfilme denken (fünfstellige DM-Beträge in „braunen Handköfferchen“ als gängige „Zahlungsmodalitäten“ der 1950er-Jahre, S. 34). Die Behauptung, die „gesamte Buchproduktion der fünfziger Jahre“ habe eine „unpolitische Grundausrichtung“ gehabt (S. 20), trifft nicht zu. Verlage wie Piper oder Kiepenheuer & Witsch hatten eine deutliche ideologische und kulturpolitische Prägung; nicht zuletzt aus diesem Grund vermittelten sie in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre „schöne“, aber auch philosophische und soziologische Literatur aus Mittel- und Osteuropa. Der ominöse Einfluss des CIA wird – nach dem nicht ganz glücklichen Vorbild des Buches „Wer die Zeche zahlt…“ von Frances Stonor Saunders (London 1999; dt. Berlin 2001) – an vielen Stellen überschätzt. So stellt Körner die von der amerikanischen Besatzungsmacht gegründete Zeitschrift „Der Monat“ – die 1948 bis 1971 erschien und 1978 bis 1987 noch einmal neu ins Leben gerufen wurde – als Werkzeug der „größte[n] politische[n] Propagandaorganisation“ vor, des US-Informationsdienstes (S. 21). Damit gerät aus dem Blick, dass es sich um eine Qualitätszeitschrift europäischen Ranges handelte.

Trotz mancher Unzulänglichkeiten beweist Klaus Körner mit dem Band „Trojanische Pferde“ seine beeindruckende Kenntnis des literarischen Feldes der frühen und mittleren Bundesrepublik. Der umfangreiche Tafelteil bietet zudem einen visuellen Einblick in die gestalterischen Mittel des „Kalten Bücher-Krieges“ (S. 249–280). An Körners Arbeiten wird die von der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels herausgegebene „Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert“ in den Bänden zur Nachkriegszeit kaum vorbeikommen können.10 Von seiner materialreichen Sammlung sollten auch künftige, methodologisch fundierte Studien zum „kulturellen Kalten Krieg“ profitieren.

Anmerkungen:
1 George Lipsitz, Class and Culture in Cold War America. „A Rainbow at Midnight“, New York 1981; Lary May (Hrsg.), Recasting America. Culture and Politics in the Age of Cold War, Chicago 1989.
2 Annette Vowinckel / Marcus M. Payk / Thomas Lindenberger, European Cold War Culture(s)? An Introduction, in: dies. (Hrsg.), Cold War Cultures. Perspectives on Eastern and Western European Societies, New York 2012, S. 1–10, bes. S. 1, S. 5.
3 Jeremy Friedman, Ripe for Revolution. Building Socialism in the Third World, Cambridge 2021.
4 Katerina Clark, Socialist Realism and the Sacralizing of Space, in: Evgeny Dobrenko / Eric Naiman (Hrsg.), The Landscape of Stalinism. The Art and Ideology of Soviet Space, Seattle 2003, S. 3–18; Nicolai Volland, Socialist Cosmopolitanism. The Chinese Literary Universe, 1945–1965, New York 2017; Rossen Djagalov, Literary Monopolists and the Forging of the Post-World War II People’s Republic of Letters, in: Evgeny Dobrenko / Natalia Jonsson-Skradol (Hrsg.), Socialist Realism in Central and Eastern European Literatures under Stalin. Institutions, Dynamics, Discourses, London 2018, S. 25–38.
5 Mircea Martin, A Geoliterary Ecumene of the East. Socialism Realism – the Romanian Case, in: ders. / Christian Moraru / Andrei Terian (Hrsg.), Romanian Literature as World Literature, New York 2018, S. 235–255, bes. S. 236.
6 Alexandre Gefen, L’idée de littérature. De l’art pour l’art aux écritures d’intervention, Paris 2021.
7 Sorin Radu Cucu, World Literature as Palimpsest. Toward an Agonistic Idea of Cold World Literature, in: Journal of World Literature 7 (2022), S. 491–511, hier S. 497.
8 Peter J. Kalliney, Aesthetic Cold War. Decolonization and Global Literature, Princeton 2022; Jini Kim Watson, Cold War Reckonings. Authoritarianism and the Genres of Decolonization, New York 2021; Francesca Orsini / Neelam Srivastava / Laetitia Zecchini (Hrsg.), The Form of Ideology and the Ideology of Form. Cold War, Decolonization and Third World Print Cultures, Cambridge 2022; Monica Popescu, At Penpoint. African Literatures, Postcolonial Studies, and the Cold War, Durham 2020.
9 Kun Huang, Translated Solidarity. Lumumba’s Textual Afterlives and the Poetics of African Decolonization in Maoist China, in: Journal of World Literature 7 (2022), S. 577–596; Eesha Jila Ikbal, World Literature in Kerala. Cold War and Contentions, in: ebd., S. 597–614.
10 Christoph Links, Rezension zu Klaus Körner: Trojanische Pferde, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 78 (2023), S. 309–310, hier S. 310. Zu den bisherigen und den geplanten Bänden der Buchhandelsgeschichte siehe https://www.degruyter.com/serial/gddtb-b/html?lang=de#volumes (20.03.2024).