K. Wojciech: Die Stadtpräfektur im Prinzipat

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Titel
Die Stadtpräfektur im Prinzipat.


Autor(en)
Wojciech, Katharina
Reihe
Antiquitas 1, 57
Erschienen
Anzahl Seiten
X, 402 S.
Preis
€ 79,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Olli Salomies, Institutum Classicum, Universität Helsinki

Angestrebt ist in dem hier zu rezensierenden Buch von Katharina Wojciech, die gekürzte Fassung einer Kölner Dissertation aus dem Jahr 2008, „eine erschöpfende, systematische Darstellung der praefectura urbis der ersten 3 Jahrhunderte n. Chr.“ (S. 4).1 Dies ist der Verfasserin ganz sicher auch gelungen; es handelt sich in der Tat um ein magnum opus, in dem alle Aspekte der Stadtpräfektur eingehend besprochen werden. Es versteht sich von selbst, dass bei einer Behandlung eines solchen Themas ganz „neue“ Erkenntnisse nicht überall geboten werden können; es ist aber dennoch in jedem Fall sehr gut, dass der Forschung jetzt eine moderne und auch die neueste Literatur berücksichtigende Darstellung der Stadtpräfektur zur Verfügung steht. Das Literaturverzeichnis (S. 361–373) mit Titeln auch in „exotischen“ Sprachen wie Polnisch verzeichnet nur die abgekürzt zitierte Literatur und gibt somit nur ein blasses Bild vom Reichtum der verwendeten Forschung; für den Nicht-Juristen ist besonders die Heranziehung und Besprechung der juristischen (oft in italienischer Sprache verfassten) Literatur nützlich.

Die Einrichtung der Stadtpräfektur wird im ersten Kapitel (S. 7ff.) behandelt. Unter Augustus sind sicher nur zwei Präfekten bezeugt: Messalla Corvinus ganz kurz wohl im Januar 25 v.Chr. und Statilius Taurus etwa 16–13 v.Chr. Schon Messalla Corvinus trug wohl den später üblichen Titel praefectus urbi (S. 15). Erst mit L. Piso wurde das Amt permanent; von Piso sagt Tacitus zum Jahr 32, er habe das Amt 20 Jahre bekleidet. Mit anderen nimmt die Autorin an, diese Angabe sei ungenau, Piso sei erst unter Tiberius mit dem Amt betraut worden. Die Einrichtung einer permanenten Stadtpräfektur wird begründeterweise als Konsequenz aus der Aufstellung der später dem Stadtpräfekten unterstellten cohortes urbanae schon unter Augustus (s.u.) verstanden. In diesem Kapitel ist mir im Übrigen aufgefallen, dass die Argumentation gelegentlich auf etwas unsicheren und ungenau formulierten Annahmen beruht; so heißt es etwa zu den rechtlichen Grundlagen des Amtes, dass diese Fundierung notwendig gewesen sei, „damit ein entsprechendes Handeln von der Führungsschicht akzeptiert wurde“ (S. 14).

Im zweiten Kapitel (S. 29ff.) untersucht Wojciech die „territorialen Grenzen der Zuständigkeit des Stadtpräfekten“. Die Verfasserin schließt sich der Meinung an, dass der Stadtpräfekt bis in die severische Zeit für ganz Italien zuständig war; die 100-Meilen-Grenze für dessen Handeln wurde erst von Septimius Severus eingeführt. Allerdings sei der Präfekt in der vorseverischen Zeit nicht „grundsätzlich für die Sicherheit der Halbinsel (d.h. auch außerhalb von Rom) verantwortlich“ gewesen; eine an sich plausible Annahme, die aber in erster Linie dadurch begründet wird, dass es in Italien seit Augustus „eigens damit (d.h. mit der Sicherheit) betraute Militärposten“ gab (S. 40). Diese Posten sind aber sehr schlecht bezeugt (die republikanische S. 40, Anm. 158 zitierte Inschrift CIL IX 3907 = I² 1815 gehört jedenfalls nicht in diesen Zusammenhang); und selbst wenn es sie überall in Italien tatsächlich gegeben haben sollte, kann man sich fragen, ob sich die Existenz dieser Posten und die Annahme, der Stadtpräfekt sei für die Sicherheit der ganzen Halbinsel zuständig gewesen, gegenseitig unbedingt ausschließen müssen.

Im dritten Kapitel (S. 45ff.) erörtert Wojciech den Stadtpräfekten als Ordnungshüter. Wie sie feststellt, sind die Quellen hier nicht sehr ergiebig und berichten normalerweise bloß von untypischen Ausnahmesituationen, beispielsweise über das Chaos nach Caligulas Ermordung. Dazu kommt noch, dass in den Quellen zumeist nicht zwischen Prätorianern und urbaniciani unterschieden wird. Der Schlussteil des Kapitels ist „besonderen Gefährdungsfaktoren“ gewidmet, die einzeln mehr oder wenig kurz besprochen werden; Wojciech erörtert Probleme mit Schauspielern, Vereinen, Wahrsagern, Magiern, Astrologen, Philosophen und Christen. Bei der zuletzt genannten Gruppe bieten die Märtyrerakten und andere christliche Quellen interessante Informationen zu den Tätigkeiten der Präfekten.

Die Rechtsprechungskompetenzen des Stadtpräfekten untersucht Wojciech im vierten Kapitel (75ff.), dem längsten des Buches. Einzeln behandelt werden Themen wie der „Eingriff in das Herr-Sklave-Verhältnis“, der „Eingriff in das Freilasser-Freigelassener-Verhältnis“, die tutela oder auch die cura. Hier und da hat man den Eindruck, dass Wojciech dabei recht weit vom Thema abkommt; so wird beispielsweise im Kapitel 4.1.2 („Der Stadtpräfekt als Schutzinstanz“), in dem es vor allem um „Beschwerden von schlecht behandelten Sklaven“ (S. 81) geht, die Stellung der Sklaven gegenüber ihren Domini in der Kaiserzeit auch im allgemeinen behandelt; Wojciech erörtert hier etwa auch die Prostitution der Sklaven (S. 91ff.) oder die ingrati liberti (S. 105ff.). Doch ist dies sicher so zu erklären, dass die Kompetenzen des Präfekten in einer bestimmten Angelegenheit nicht beschrieben werden können, ohne dass man gleichzeitig auf die Problemlage generell – etwa die Institution der tutela (S. 115ff.) – genauer eingeht, eventuell auch unter Berücksichtigung der Verpflichtungen anderer beteiligter Amtsträger. Dass im Übrigen hier nicht alle Fragen geklärt werden können, versteht sich von selbst; dies wird etwa in der Liste von Vergehen, bei denen man eine Kompetenz des Präfekten nur annehmen kann, recht deutlich (S. 139).2

Das fünfte Kapitel (S. 163ff.) behandelt die Marktaufsicht, wobei einzeln auf die Aufsicht über Geldgeschäfte, die Sorge für Gewichts- und Maßnormen und die Überwachung des Fleischmarktes eingegangen wird. Hier handelt sich also zumeist um Aktivitäten, für die früher die Ädilen zuständig waren. Wann genau auch diese Aufgaben dem Stadtpräfekten zugeschrieben wurden, ist nicht auszumachen; die frühesten Zeugnisse für seine Verantwortlichkeit stammen jedenfalls erst aus dem 2. Jahrhundert. Dem Personal der Stadtpräfektur widmet sich Wojciech im sechste und letzten Kapitel (S. 205ff.). Zunächst geht die Verfasserin auf die cohortes urbanae ein, wobei die außerhalb Roms – etwa in Ostia – stationierten Einheiten unberücksichtigt bleiben. Nach einer eingehenden Besprechung der Quellen und der Ansichten moderner Forscher stellt Wojciech fest, dass die Stadtkohorten schon unter Augustus aufgestellt wurden, wann genau, sei aber nicht auszumachen (S. 210).3 Die Anzahl der Kohorten, ihre Stärke, ihr Oberbefehl und ihre Stationierung werden ebenfalls besprochen. Auch hier müssen Details noch offen bleiben, so etwa die genaue Anzahl der Kohorten unter Augustus (S. 211). Wojciech wendet sich (S. 213) jedenfalls dezidiert gegen die These, dass man aus der Inschrift CIL VI 1009 = ILS 2012 folgern könne, die Stadtkohorten hätten stets oder zumindest zeitweise unter dem Oberkommando des Prätorianerpräfekten gestanden. Ein eigenes Lager bekamen die urbaniciani nach der Autorin am ehesten unter Septimius Severus (S. 216). Die Zusammensetzung des officium des Präfekten (S. 217ff.) lässt sich weitgehend rekonstruieren. Die einzelnen Chargen sind allerdings eher spärlich bezeugt; so ist beispielsweise nur ein einziger cornicularius bekannt (S. 217). Auch Mitglieder des consilium und adsessores (S. 233ff.) erscheinen in unseren Quellen nur äußerst selten.

Die Untersuchung wird durch eine über 100 Seiten lange sehr nützliche Prosopographie der Stadtpräfekten zwischen Augustus und 289 abgeschlossen. Die Nummerierung der namentlich bekannten Präfekten endet mit Nr. 75, es gibt aber auch einige unsichere Fälle (S. 355–357); die meines Erachtens in keinem Fall akzeptable Angabe der Historia Augusta (Did. 1,1), Salvius Iulianus sei zweimal Konsul und Stadtpräfekt gewesen, wird zwar als wenig glaubhaft bezeichnet, aber nicht entschieden abgewiesen (S. 358f.). In der Prosopographie zitiert Wojciech wörtlich alle Zeugnisse, die sich auf die Präfektur beziehen, die griechischen Quellen mit einer deutschen Übersetzung. Über einige Details ließe sich zweifellos diskutieren, es handelt sich dabei aber nur um Kleinigkeiten.4

Der Stil des Buches schien mir – wenn es einem Rezensenten, dessen Muttersprache nicht Deutsch ist, erlaubt ist, sich dazu zu äußern – hier und da etwas lässig (etwa: „widersprach massiv dem mos maiorum“, S. 24); auffallender erschien mir jedoch die Gewohnheit der Verfasserin, auf andere Forscher oft mit dem bloßen ersten Buchstaben des Nachnamens zu verweisen (z.B. „M.“ S. 127, „E.“, S. 131, „S. M.“ S. 168 u. 171, „Ch. und P.“ S. 171, „D.“ S. 226 usw.). Dies sind aber Kleinigkeiten; im Ganzen gesehen handelt es sich um ein willkommenes Buch, das der Forschung von großem Nutzen sein wird.

Anmerkungen:
1 Etwa gleichzeitig ist auch eine andere Arbeit zur Stadtpräfektur erschienen: Sebastian Ruciński, Praefectus urbi. Le gardien de l’ordre public à Rome sous le Haut-Empire Romain, Poznań 2009 (ursprünglich eine Dissertation an der Universität Poznań), die von der Autorin auf S. 3 (nicht aber im Literaturverzeichnis) erwähnt wird. Nach der kurzen Charakterisierung Wojciechs (S. 3f.) soll es in Rucińskis Arbeit manche Lücken und auch einiges andere zu bemängeln geben.
2 Ähnliches gibt es auch sonst: vgl. z.B. S. 202 zur eventuellen Zuständigkeit des Präfekten für die ausreichende Weinversorgung in der Hauptstadt.
3 Vgl. S. 209f. zur Inschrift aus tiberischer Zeit AE 1978, 286 mit der auffallenden Erwähnung einer cohors XI praetoria.
4 So glaube ich z.B., dass Gal[er.] in CIL VI 41184 (Nr. 40) und Claud. in ILS 8979 Tribus-, nicht Gentilnamen sind.

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