S. Limoncelli: The Politics of Trafficking

Cover
Titel
The Politics of Trafficking. The First International Movement to Combat the Sexual Exploitation of Women


Autor(en)
Limoncelli, Stephanie A.
Erschienen
Anzahl Seiten
216 S.
Preis
€ 35,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jürgen Nautz, Institut für Volkswirtschaftslehre, Universität Wien

Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks entfaltete sich ein Globalisierungsprozess mit umfassenden Auswirkungen auf die Lebensumstände der Menschen. Die Beseitigung der Verkehrs- und Kommunikationshindernisse bewirkte eine deutliche Steigerung der Mobilität von Kapital und Arbeit, die sich jedoch nicht auf die Bereiche legalen Wirtschaftens beschränkte, sondern auch illegale Aktivitäten umfasste. Besonderes Aufsehen hat dabei zunächst der Handel mit Frauen, trafficking in women, in der Regel zur Zuführung zum Sexgewerbe, erregt.

Etwas zeitversetzt haben sich die Sozial- und die Rechtswissenschaften in wachsendem Ausmaß mit dem Phänomen befasst. Die Hausse dieser Literatur dürfte in der zurückliegenden Dekade gelegen haben – gekennzeichnet durch eine mittlerweile beinahe unüberschaubare Literatur. Bis heute ist eine Vielzahl der Studien durch eine deutliche Ahistorizität charakterisiert. Frauenhandel ist jedoch keineswegs das „neue Gesicht der Migration“.1 Er begleitete schon die erste Industrialisierungs- und Globalisierungswelle und stand bereits um 1900, und nicht nur in Europa, ganz oben auf der Agenda. Es entwickelte sich ein globales Netzwerk von privaten und staatlichen Organisationen, die sich passioniert dem Kampf gegen den „Mädchenhandel“, wie es im deutschsprachigen Raum zunächst hieß (im englischen und romanischen Sprachraum white slave trade bzw. traite des blanches), widmete.

Unter der Überschrift „White Slavery“ sind über diese Problematik in Großbritannien und den USA schon eine Reihe von historischen Arbeiten entstanden, für Europa und andere Weltregionen sieht dies bislang weniger günstig aus. Dabei ist die Einbeziehung historischer Befunde in die aktuelle Analyse und Suche nach Problemlösungen von großer Bedeutung, da es sich beim Kampf gegen den Frauenhandel um eine frühe Form der Governance handelt, wo sich private und staatliche Organisationen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene verbündet haben, um einen als drängend empfundenen Missstand abzustellen. Die Quellenlage ist auch ausreichend, um empirisch fundierte Studien auszuarbeiten. Es wäre also möglich, die Wirkung bestimmter Strategien zu messen und bei einem Vergleich historischer und aktueller Prozesse nach Pfadabhängigkeiten und Rupturen zu fragen, die Ausgangspunkt für weitere qualitative Fragestellungen bieten könnten.

Dass in jüngster Zeit die Geschichte des Frauenhandels und ihre Bedeutung für den aktuellen Problemstand entdeckt wurden, ist unter anderem der Soziologin Stephanie Limoncelli zu verdanken. Mit ihrem Buch widmet sie sich wesentlichen Elementen des internationalen Netzwerks gegen den Frauenhandel, das sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert entfaltete und bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wirksam blieb. Limoncelli versucht, die Wirkung der Verquickung von Gender, Sexualität, Moral und nationalen Interessen bei der Formulierung der internationalen Anti-Trafficking-Agenda nachzuzeichnen sowie die unterschiedlichen Frauenbilder und Wertehaltungen herauszuarbeiten, die in der Koalition gegen den Frauenhandel aufeinandertrafen. Sie orientiert sich dabei an den beiden tonangebenden internationalen Dachorganisationen, die für sehr unterschiedliche Frauenbilder und politische Zielsetzungen stehen: Die „International Abolitionist Federation“ (IAF) und das „International Bureau for the Suppression of the White Slave Traffic and Women and Children” (IB). Limoncelli zufolge neigten die Mitglieder der IAF zu feministischen Positionen und setzten sich im Rahmen eines internationalen humanitären Netzwerks für die individuellen Frauenrechte ein. Jene des IB, das ins Lager der Sittlichkeitsreformer gehörte, bestand dagegen aus engagierten Frauen, die sich nicht dem Feminismus verbunden fühlten, und Männern, die in amtlicher Funktion (als Mediziner, Juristen, Polizisten, Wissenschaftler usw.) mit der Problematik befasst waren.

Beide Organisationen hatten ihren Ausgangspunkt in England und sind bereits häufiger in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben worden. Neben diesen waren auch andere, meist religiös orientierte Organisationen und Komitees engagiert. Die Vielfalt der vorhandenen Weltanschauungen und Glaubensrichtungen lässt zu Recht darauf schließen, dass es keine einhellige Auffassung über die Geschlechterrollen und damit auch nicht über Zielsetzung und Konzept der Aktionen gab, soweit sie über den Kampf gegen den Frauenhandel hinausging, der gleichsam den Kern einer negativen Integration darstellte. Von Limoncelli wird kritisiert, dass dieser Binnendifferenzierung in der Forschung bislang nicht genügend Rechnung getragen worden sei. Daher ist es ein Ziel des Buches, die unterschiedlichen ideologischen Grundlagen und damit auch verschiedene Programmatiken der beteiligten Organisationen herauszuarbeiten und dabei den Antagonismus zwischen feministisch orientiertem Abolitionismus und Regulationismus herausstellt, der sich aus der Sittlichkeitsreformbewegung speiste.

Zunächst befasst sich Limoncelli mit dem für sie zentralen Auslöser des Frauenhandels im 19. Jahrhundert, den staatlichen Interventionen auf den Prostitutionsmärken. Sie entfaltet die Funktion, die Staat und Militär bei dem Weg von Frauen in die Prostitution und bei deren Kontrolle innehatten. Dabei konzentriert sie sich auf die Kolonialmächte Großbritannien, Frankreich, die Niederlande und Italien. Sie zeigt, dass sich die Kolonialverwaltungen bemühten, für europäische Männer, die in den Kolonien Dienst taten, heterosexuelle Dienstleistungen bereitzustellen. Hingegen lag der Schwerpunkt der staatlichen Stellen in den Mutterländern darauf, Männer vor Geschlechtskrankheiten zu schützen, indem sie entsprechende medizinische Richtlinien durchsetzten. Diesen Bestrebungen sei gemein gewesen, dass sie auf die Kontrolle über weibliche Körper und weibliche Sexualität abstellten.

Im zweiten Kapitel untersucht Limoncelli, warum sich die Regulierung im 19. Jahrhundert sowohl in den Mutterländern als auch in den Kolonien zum bevorzugten Instrument staatlicher Kontrolle über die weibliche Sexualität entwickeln konnte. In einem weiteren Kapitel wird die Herausbildung der internationalen Organisationsstrukturen zur Bekämpfung des Frauenhandels dargestellt, wobei sich Limoncelli auf die Aspekte konzentriert, die die Bekämpfung der staatlichen Regulierung betrafen. So zeichnet sie die Diskussion über die internationalen Abkommen zur Bekämpfung des Frauenhandels unter der Ägide des Völkerbundes nach, der satzungsgemäß die Aufgabe besaß, den Kampf gegen Frauen- und Kinderhandel zwischen den Staaten zu koordinieren. Danach beschreibt sie die Implementierung der internationalen Beschlüsse in Frankreich, Italien und den Niederlanden, wobei sich wiederum am Gegensatz zwischen Moralreformern und Abolitionisten orientiert.

Die unterschiedliche Zusammensetzung der Organisationen brachte nach Auffassung der Autorin ein unterschiedliches Verständnis von Trafficking mit sich. Für feministische Abolitionisten war Frauenhandel unlösbar mit dem staatlich regulierten Prostitutionswesen verbunden. Daher forderten sie konsequenterweise die Beendigung solcher staatlichen Interventionen. Der Staat sollte nicht mehr über den weiblichen Körper verfügen können. Die Sittlichkeitsbewegung begriff Trafficking als eine unmoralische Verführung zur Prostitution. Ihre Lösung bestand darin, die rechtlichen Bestimmungen zu verändern bzw. auszuweiten, um dem einen Riegel vorzuschieben. Limoncelli argumentiert, dass die Konzepte der Regierungsvertreter affiner zu den Vorstellungen des IB gewesen seien und sich bei den internationalen Abkommen und beim Agenda-Setting gegenüber den feministisch-abolitionistischen Positionen der IAF durchsetzten konnten.

Limoncellis Polarisierung der Anti-Trafficking-Koalition führt freilich zu einer Überbewertung der Differenz zwischen den beiden ideologischen Blöcken. Tatsächlich waren diese Differenzen in der nationalen Politikformulierung nicht so wirkungsmächtig. Wenn man die internationalen Foren verlässt, stößt man auf ideologische Gemengelagen, die wohl auch der realpolitischen Einschätzung der Durchsetzungsmöglichkeiten von Maßnahmen gegen Frauenhandel geschuldet waren, aber auch dem gemeinsamen sozialen Background der Mitgliedschaft. So gab es in England durchaus eine Zusammenarbeit zwischen beiden Lagern, um gemeinsame Mindestziele zu erreichen. Gleiches gilt auch für andere Länder: Die Programmatik und Strategie der Österreichischen Liga zur Bekämpfung des Mädchenhandels war beispielsweise dadurch gekennzeichnet, dass für die Frauen mehr Rechte, von Gesetzgeber und Regierung dagegen eine effektivere strafrechtliche Verfolgung der Profiteure des Frauenhandels eingefordert wurden. Kooperationen wurden auch dadurch erleichtert, dass die soziale Zusammensetzung der weiblichen Mitgliedschaft, die sich überwiegend aus gut situierten bürgerlichen Milieus zusammensetzte, bei allen Organisationen ähnlich war. Auch gab es, etwa in den USA, teilweise andere ideologische Frontverläufe als die von Limoncelli verorteten. Stärker hinterfragt werden müsste hier die Wirkung der religiös-fundierten gesellschaftlichen Fragmentierungen in europäischen Staaten: Wie wirkten die Abgrenzungen des katholischen und protestantischen Milieus, welche Rolle spielte der Antisemitismus? Für die Niederlande wäre etwa die Frage nach der Wirkung der Versäulung zu beantworten usw.

Die Überschätzung des abolitionistisch-moralreformerischen Antagonismus hat möglicherweise eine Ursache in der empirischen Basis der Studie. So benutzt Limoncelli fast ausschließlich Quellen, die in internationalen Kontexten entstanden sind (Völkerbund, Überlieferungen der Dachorganisationen). Der Blick auf die nationalen Entwicklungen erfolgt somit fast ausschließlich aus dieser Perspektive oder fußt auf Material, das beim Austausch mit der internationalen Ebene entstanden ist. Unberücksichtigt bleiben nationale, regionale und lokale Überlieferungen zum Thema. Diese aber würden ein ausgewogeneres Bild über die Bewegung und die nationale Diffusion der internationalen Beschlüsse und Debatten bieten. Da die Verfasserin zudem lediglich wenige französischsprachige Titel in ihrem Literaturverzeichnis aufführt, zu den Niederlanden nur solche in englischer Sprache und italienische Publikationen überhaupt nicht konsultiert hat, kann dieses empirische Defizit auch nur bedingt ausgeglichen werden. Auch hätte die Rezeption deutschsprachiger Forschungen zu einem ausgewogeneren Bild beigetragen.

Eine Entkontextualisierung zeigt sich auch an anderer Stelle: „Regulation […] was part of the overall growth of state interventions in matters of sexuality; it moved prostitution from the realm of religious oversight to a secular domain” (S. 26). Dies ist nicht zu bestreiten, jedoch war das Wachstum des Staates nicht allein auf Sexualfragen beschränkt, sondern betraf weite Bereiche, um die sich zuvor vor allem die Religionsgemeinschaften gekümmert hatten (Sozialpolitik, Bildung usw.). Die Regulierung des Sexgewerbes steht im Kontext einer ebenso umfassenden wie innenpolitisch umstrittenen Ausweitung staatlicher Interventionen, nicht zuletzt ausgelöst durch das Vordringen des Wettbewerbs in immer mehr politische Arenen. Differenzierungen dürften sich auch bei einer Gegenüberstellung der Politikkonzepte in Kolonialreichen und Staaten ohne Kolonien zeigen. Wenn für die englische Politik die Erhaltung der Ehre der herrschenden Nation wichtig ist, finden wir zum Beispiel eine ähnliche Argumentation in Polen, die sich für den Schutz der nationalen Ehre gegenüber Übergriffen der herrschenden Deutschen im Habsburgerreich einsetzt.

Limoncelli hat in ihrem Buch wichtige Bestimmungsgrößen für die Entstehung des Frauenhandels, die Gegenstrategien sowie die sie tragenden Akteure herausgearbeitet und liefert eine plausible Erklärung für die Entwicklungen auf der internationalen Ebene. Leider hat sie auf eine breitere Kontextualisierung verzichtet, wodurch die Erklärungstiefe dieser Studie gemindert wird. Neben den Geschlechterdifferenzen und dem Antagonismus zwischen Abolitionismus und Regulationalismus gab es weitere „Framings“, die Diskurse und Strategien im Kampf gegen den Frauenhandel und die Bedingungen des Prostitutionsgewerbes mitbestimmten. Auch gab es bereits „eigene“ nationale Entwicklungen vor der Internationalisierung des Kampfes gegen Frauenhandel.

Anmerkung:
1 Maria Cristina Boidi, Frauenhandel. Das neue Gesicht der Migration, in: Arbeitsgruppe Migrantinnen und Gewalt (Hrsg.), Migration von Frauen und strukturelle Gewalt, Wien 2003, S. 53-68.

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