R. Bruno-Jofré u.a. (Hrsg.): Global Reception of John Dewey's Thought

Titel
The Global Reception of John Dewey's Thought. Multiple Refractions Through Time and Space


Herausgeber
Bruno-Jofré, Rosa; Schriewer, Jürgen
Reihe
Routledge International Studies in the Philosophy of Education
Erschienen
New York 2011: Routledge
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
€ 100,65
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Steffen Schlüter, Institut für Erziehungswissenschaft/Philosophie, Universität Koblenz-Landau

Die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes befassen sich mit der internationalen Rezeption der Pädagogik von John Dewey in verschiedenen nationalen bzw. historischen, gesellschaftlichen und politischen Kontexten in Staaten Lateinamerikas, Asiens, Afrikas, Europas und Nordamerikas. Im ersten Beitrag des Bandes, „Deweyan Thought Refracted Through Time and Space” ordnet Jürgen Schriewer den Band in den aktuellen Forschungsstand ein. Schriewer verweist darauf, dass Untersuchungen über die internationale Verbreitung von Wissen ein breites Forschungsfeld darstellen. Im besonderen Zusammenhang einer „internalization of educational knowledge“ (S. 2) zeigen statistische Analysen, dass Dewey im Bereich der Erziehungswissenschaft der international am meisten zitierte Autor ist. Zugleich wird deutlich, dass die transnationalen Dewey-Rezeptionen von je spezifisch nationalen, gesellschaftlichen und historischen Voraussetzungen bestimmt worden sind. Wie sehr ein solcher Transfer der Pädagogik von Dewey durch eine national selektive Lesart erfolgen kann, deutet schon der Titel des Aufsatzes von Marcelo Caruso und Inés Dussel: „Dewey in Argentina (1916-1946). Tradition, Intention, and Situation in the Production of a Selective Reading” (S. 43-58) an.

Rosa Bruno-Jofré und Gonzalo Jover erörtern darüber hinaus in ihrem Aufsatz „The Readings of John Dewey’s Work and the Intersection of Catholicism” (S. 23-42) eine katholische Lesart der pädagogischen Werke von Dewey durch den chilenischen Jesuiten Alberto Hurtado (1901-1952), die nicht allein von nationalen Gegebenheiten abhängen muss. Einerseits reagierte Hutardo seiner Zeit auf das in Chile in den 1920er-Jahren entstandene öffentliche Interesse am Pragmatismus und an Deweys Ideen über Erziehung. Andererseits ging es ihm zugleich um eine Modernisierung des Katholizismus in Fragen der Pädagogik, Erziehung, Schule und des Unterrichts mit Hilfe der pädagogischen Werke Deweys. Der Beitrag von Rosa Bruno-Jofré und Carlos Martínez Valle über „Ruralizing Dewey. The American Friend, International Colonization, and the Action School in Post-Revolutionary Mexico (1921-1940)“ (S. 59-80) ist darüber hinaus auch für den Denkweg von Dewey aufschlusreich. Immerhin sei Dewey 1926 der Auffassung gewesen, „that rural education in post-revolutionary Mexico, one of the most important social experiments that had taken place in the world, had helped him recover his faith in the school as an instrument for social transformation, and in his own educational ideas” (S. 59). Man könnte also Deweys Beobachtungen und Reflexionen der Entwicklungen in Mexiko durchaus als Ausdruck des Interesses an der Verifizierbarkeit seines pädagogischen Glaubensbekenntnisses betrachten.

Barbara Schulte untersucht den „Chinese Dewey“ (S. 83-115), also Deweys Einfluss in China über einen Zeitraum von fast hundert Jahren seit seiner Chinareise zwischen 1919 und 1921. Dewey sei überzeugt gewesen, „that his ideas were principally transferable into other cultures“ (S. 84). China erlebte im 20. Jahrhundert grundlegende gesellschaftliche und politische Veränderungen, in denen auch verschiedene Metamorphosen der Dewey-Rezeption stattfanden. In den ersten Jahrzehnten galt Dewey sowohl als Marxist, als auch als Antimarxist. Auf die chinesische Kulturrevolution von 1966 bis 1976 hatte Dewey allerdings keinen Einfluss: „[A]s a Western thinker of the wrong ideology he had no place in the Cultural Revolution discourse” (S. 97). Die Wertschätzung seiner Werke kehrte dann in den 1980er-Jahren zurück. In China würde man heute der Überzeugung begegnen, dass Dewey „have had his greatest impact on China – greater than on any other country, including even the United States” (S. 85). Das gilt nicht allein für seine Pädagogik, sondern auch für seine Philosophie der Demokratie. Dewey vermittle, aus chinesischer Sicht, einen „balanced view of society and individual” allgemein, sowie insbesondere zwischen „individualistic education“ und einem nationalistischem Erziehungsprogramm, welches den Einzelnen „completely to the interests of the state“ unterordne (S. 103). Damit wäre, von solchen Untersuchungen ausgehend, Dewey als ein zukünftiger Vermittler zwischen China und den Vereinigten Staaten zu empfehlen.

Eine große Bedeutung zeigt Dewey auch in Japan, wie die Darstellung „Re-Contextualizing Foreign Influence in Japan’s Educational History. The (Re)Reception of John Dewey“ von Jeremy Rappleye erläutert (S. 116-145). Das hebt bereits der erste Satz dieses Beitrages hervor: „Perhaps nowhere in the world was the enthusiasm for John Dewey greater than in Japan” (S. 116). Diese Begeisterung gab es jedoch nicht während Deweys Japan-Reise im Frühjahr 1919, sondern erst drei Jahrzehnte später nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Diese „re-reception“ der Pädagogik von Dewey wurde seit November 1946 durch die Amerikaner veranlasst. Eine neue Verfassung sollte in Japan zum Aufbau demokratischer Institutionen führen. Die Pädagogik von Dewey rückte hierbei verstärkt in den Fokus. „Education”, schreibt Rappleye, „was singled out by the Occupation authorities as a major source of Japan’s drive to war, as well as one of the prime levers for rebuilding a more democratic Japanese society” (S. 133). Analogien mit Entwicklungen in Westdeutschland nach 1945 scheinen durchaus vorhanden zu sein.

In diesem Zusammenhang stellt Norbert Grube in seinem Aufsatz „A ‚New Republic‘? The Debate between John Dewey and Walter Lippmann and Its Reception in Pre- and Postwar Germany” (S. 196-214) eine überraschende These auf: Deweys Einfluss auf die Pädagogik Westdeutschlands nach 1945 sei gering gewesen. Es wäre eine Übertreibung zu behaupten, Dewey sei der geistige Vater der amerikanischen „policy of re-education“ seit 1947 gewesen. Vielmehr bleibe festzustellen, dass Walter Lippmann als „a kind of spiritual founding father for various semi-governmental organizations of political instruction and propaganda” fungierte, bspw. für die “Vereinigung für staatsbürgerliche Erziehung“ (S. 209). Grube bezieht diesen größeren Einfluss von Lippmann im Vergleich zu Dewey in West-Deutschland auf deren Debatte aus den 1920er-Jahren in den Vereinigten Staaten über die Bedeutung der Öffentlichkeit in einer demokratischen Gesellschaft. Demnach wäre, folgt man der aufschlussreichen Darstellung von Grube, weniger von einer demokratischen Umerziehung der Deutschen durch Bildung nach 1945 zu sprechen, sondern vielmehr von einer demokratischen Re-Sozialisierung der Menschen in Westdeutschland durch „political instruction and propaganda“ (ebd.).

Ana Isabel Madeira befasst sich in ihrem Beitrag über „Diffusion-Reception Networks of Pedagogical Knowledge. The Circulation of John Dewey’s Educational Discourse in the Luso-Afro-Brazilian Space” (S. 149-169) mit dem Einfluss der Ideen Deweys im portugiesisch-sprachigen Raum. Am Beispiel von Dewey im pädagogischen Diskurs, zeigt dieser Text zugleich eine Seite des kulturellen und gesellschaftlichen Austausches zwischen Portugal, Brasilien und afrikanischen Ländern bzw. zwischen Portugal und seinen ehemaligen Kolonien.

Irina Mchitarjan beschreibt in ihrem Aufsatz „John Dewey and the Development of Education in Russia Before 1930” (S. 173-195) das breite Echo der pädagogischen Werke Deweys im damaligen Russland und Sowjet-Russland. Diese Geschichte blieb lange Zeit vernachlässigt. Die Rezeption der pädagogischen Ideen von Dewey beginnt nach der bürgerlichen Revolution in Russland von 1905. In den Folgejahren entwickelte sich ein breites Interesse für die freie und lebensnahe Erziehung der Reformpädagogik aus Westeuropa und Nordamerika. Hierbei rückte der Zusammenhang von Lernen und Erfahrung in den Schriften von Dewey mit in den Fokus der Aufmerksamkeit. Dieses Interesse nahm nach der bolschewistischen Revolution von 1917 noch einmal zu. In den ersten Jahren der Sowjetunion begeisterte man sich für Deweys kindzentrierte Erziehung. Förderin dieser Rezeption war Lenins Ehefrau und Weggefährtin Nadeschda Konstantinowna Krupskaja. Sie hatte nicht nur großen Einfluss im sowjetischen Bildungsministerium, sondern war zugleich überzeugte Befürworterin eines demokratischen Bildungssystems wie in den Vereinigten Staaten. „She was open to both national and international efforts at educational reform. Among the latter, Krupskaia favored the American school system as being more democratic than the German one […]. In America, Krupskaia said, the president’s and the wage-laborer’s sons are sitting next to each other at their school desks” (S. 181). Die bolschewistische Partei unter Stalin dagegen begegnete Dewey mit rigider Ablehnung.

In einem Nachwort verweist James Scott Johnston nochmals darauf, dass die transnationalen Rezeptionen der Ideen von Dewey in Europa, Amerika, Afrika und Asien nicht Deweys systematischem Zusammenhang von Demokratie, Philosophie und Pädagogik folgten, sondern von nationalen Voraussetzungen aus mehr oder weniger selektiv gedeutet worden sind (S. 215-228).

Für einen an der Dewey-Forschung interessierten Leserkreis ist der Sammelband in vielfacher Hinsicht aufschlussreich. Die Beiträge vermitteln einerseits zahlreiche Anknüpfungspunkte für weitere Untersuchungen über die internationale Rezeption der Werke von Dewey. Die Herausgeber verweisen darauf, dass internationale Transfers von Wissen abhängig bleiben von nationalen Provenienzen der Rezipierenden. Dewey steht dafür exemplarisch.

Andererseits jedoch kommt hierbei die herausragende Bedeutung seiner Gedanken zum Ausdruck. Deweys Schriften bieten nicht nur deshalb Möglichkeiten für transnationale Rezeptionen, weil die darin entfalteten Ideen einen amerikanischen Pragmatismus beinhalten, sondern auch, weil darin ein „globaler Zeitgeist“ zum Ausdruck kommt, der sowohl in Europa und Nordamerika, als auch in Brasilien, Mozambique, Japan oder in China positiv aufgenommen worden ist. Dewey ging es also nicht allein darum, die Entwicklungen in der amerikanischen Kultur zu analysieren und perspektivisch darzustellen, sondern im Fokus seiner Werke stehen Entwicklungen der Menschheit seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Hierin besteht die Grundlage für die im Sammelband dargestellten internationalen Dewey-Rezeptionen.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Kooperation
Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension