G. A. Lehmann: Imperium und Barbaricum

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Titel
Imperium und Barbaricum. Neue Befunde und Erkenntnisse zu den römisch-germanischen Auseinandersetzungen im nordwestdeutschen Raum – von der augusteischen Okkupationsphase bis zum Germanien-Zug des Maximinus Thrax (235 n. Chr.)


Autor(en)
Lehmann, Gustav Adolf
Reihe
Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse 821
Anzahl Seiten
134 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus-Peter Johne, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Die 2.000-Jahrfeier der Schlacht im Teutoburger Wald 2009 hat den Auseinandersetzungen zwischen Römern und Germanen auch im Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit wieder einen Platz verschafft. Das über das Jubiläum hinaus anhaltende Interesse an dieser Thematik ist vor allem den archäologischen Entdeckungen der letzten Jahrzehnte zu verdanken, die die seit langem bekannten literarisch-historiographischen Quellen bestätigen, ergänzen und präzisieren. In seinem kritischen Forschungsbericht konfrontiert der mit der Thematik bestens vertraute Göttinger Gelehrte Gustav Adolf Lehmann die neueren Ausgrabungsbefunde mit den bisherigen Zeugnissen. In den Mittelpunkt stellt er die Grabungsplätze von Kalkriese, Waldgirmes, Hedemünden und Kalefeld.1

Einleitend werden die Grundzüge römischer Rhein- und Germanien-Politik von Caesar bis Augustus skizziert (S. 14–23). Der Ära der Drusus-Feldzüge in den Jahren 12 bis 9 v.Chr. ist das folgende Kapitel gewidmet (S. 24–45). Die Anlage des Standlagers Hedemünden an der unteren Werra lässt sich seit 2004 mit relativer Sicherheit mit dem Feldzug des Drusus an die Elbe 9 v.Chr. in Verbindung bringen. Damit ist erstmals eine genaue Ortsangabe für seine Marschroute gewonnen, für die man bisher aus der literarischen Überlieferung nur die nicht genau lokalisierbaren Stammesgebiete der Chatten und Cherusker und die Flüsse Weser und Elbe hatte.

Der Höhepunkt römischer Herrschaft in Germanien zwischen 7 v.Chr. und 9 n.Chr. ist das Thema des nächsten Kapitels (S. 46–66). Darin geht es neben dem Ausbau der „Lippestraße“ mit dem Standlager Haltern vor allem um die Zivilsiedung Waldgirmes an der Lahn. Die dort seit 1993 durchgeführten Ausgrabungen erbrachten den Nachweis einer römischen Stadt östlich des Rheins in ihrer Gründungsphase bereits in den Jahren um den Beginn der christlichen Zeitrechnung. Sie bestätigen eine diesbezügliche Nachricht des Historikers Cassius Dio (56,18,2), die man bisher für übertrieben, wenn nicht sogar für erfunden hielt. In der umstrittenen Frage, ob Germanien zwischen Rhein und Elbe vor dem Jahre 9 n.Chr. bereits eine römische Provinz gewesen ist, spricht sich Lehmann zu Recht gegen eine solche Konstituierung aus. In einem anderen Punkt wird man ihm aber nicht zustimmen können: Bei dem planmäßigen Zusammentreffen eines römischen Heeres unter Tiberius im Sommer 5 n.Chr. an der unteren Elbe mit der Rheinflotte kann es sich nicht um die von der Nordspitze der Halbinsel Jütland heimkehrenden Schiffe gehandelt haben (so S. 84, Anm. 112 und S. 123). Die Flotte des Jahres 5 n.Chr. diente nach Velleius Paterculus (2,106,3) der Versorgung des Landheeres mit einer „Fülle von Nachschub aller Art“, wobei er die „Beachtung der rechten Zeiten“ auf Anweisung des Tiberius betont. Diese Angaben lassen sich mit einer Erkundungsfahrt in unbekannte Gewässer nicht vereinbaren. Die Expedition zum Kap Skagen gehört wahrscheinlich schon in das Jahr 4 n.Chr. und brachte die Erkenntnis, dass die Halbinsel Jütland eine Weiterfahrt auf dem Nordmeer jenseits der Elbmündung versperre, mithin diese nach Ems und Weser der letzte ins Innere Germaniens führende Wasserweg sei.2 Das Verbot des Augustus, die Elbe zu überschreiten, dürfte damit wohl im Zusammenhang stehen.3

Die clades Variana und die in den letzten Jahren teilweise sehr emotional geführte Diskussion um den Kampfplatz von Kalkriese stehen im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen (S. 67–86). Nach eingehender Vorstellung der verschiedenen Forschungspositionen und sorgfältiger Abwägung der einzelnen Argumente spricht sich Lehmann für die Kalkriese-Niewedder Senke als einen wichtigen, aber nicht den letzten Ort der sich über mehrere Tage hinziehenden Varusschlacht aus. Es folgt ein knapper Überblick zu dem Zeitraum vom Ende der Germanicusfeldzüge 16/17 n.Chr. bis zum Beginn der Markomannenkriege im Jahre 166 (S. 87–95).

Das abschließende Kapitel beschäftigt sich mit den Nachrichten aus der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts und hier vor allem mit dem Feldzug des Maximinus Thrax 235 (S. 96–112). Dieser im Geschichtswerk des Herodian und in den Kaiserbiographien der Historia Augusta sich nur schemenhaft abzeichnende Krieg hat durch die 2008 erfolgte Entdeckung eines römisch-germanischen Kampfplatzes auf dem Harzhorn-Höhenzug bei Kalefeld im Kreis Northeim eine überraschende Neuinterpretation erfahren. Nahm man nach der bisherigen Quellenlage an, dass Maximinus von Mainz aus die bis zum Rhein vorgedrungenen Germanen aus dem rechtsrheinischen Provinzgebiet wieder vertrieb und über den Limes hinaus vorstieß, um dann nach Pannonien zu gelangen, so zeigt sich jetzt, dass es neben dieser zweifellos vorhandenen Stoßrichtung auch einen Feldzug nach Norddeutschland gegeben hat.4

Am Harzhorn fand eine für ein Römerheer, das sich auf dem Rückweg von Niedersachsen nach Hessen befand, offenbar siegreiche Schlacht gegen Germanen statt. Holzreste datieren das Geschehen auf die Zeit zwischen 230 und 240, die bislang ermittelte Schlussmünze gehört in das Jahr 228, der Zusammenhang mit den Kämpfen des Maximinus Thrax ist demnach offenkundig. Ob allerdings vage Hinweise in der Historia Augusta tatsächlich auf Informationen über diesen Zug beruhen, darf doch sehr bezweifelt werden.5 Die Funde am Harzhorn stellen eine echte Überraschung dar. Selbst wenn der damit fassbare Feldzug noch einmal bis in den Elberaum geführt haben sollte, stellt er doch im gesamthistorischen Rahmen des 3. Jahrhunderts nur noch eine letzte erfolgreiche Episode für die Römer dar. Wenige Jahre zuvor waren die Germanen bis an den Rhein vorgedrungen, wenige Jahrzehnte später mussten der Limes und das gesamte rechtsrheinische Provinzgebiet endgültig aufgegeben werden. Einige Flüchtigkeitsfehler bei Daten und Namen beeinträchtigen den guten Gesamteindruck der Arbeit nicht; hervorzuheben sind die farbigen Abbildungen.

Lehmanns Wiener Akademievortrag ist eine eindrucksvolle Aufarbeitung des derzeitigen Quellenbestandes und der sich daraus ergebenden Interpretationen für die römisch-germanischen Kriege vom 1. bis zum 3. Jahrhundert. Die rege Grabungstätigkeit im nordwestdeutschen Raum lässt auf weitere Erkenntnisse hoffen, die den gegenwärtigen Wissensstand bestätigen oder auch korrigieren können.

Anmerkungen:
1 Vgl. Gustav Adolf Lehmann, Zum Zeitalter der römischen Okkupation Germaniens: neue Interpretationen und Quellenfunde, in: Boreas 12 (1989), S. 207–230; ders., Zur historisch-literarischen Überlieferung der Varus-Katastrophe 9 n. Chr., in: Boreas 13 (1990 [1991]), S. 143–164; ders., Das Ende der römischen Herrschaft über das westelbische Germanien, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 86 (1991), S. 79–96; Gustav Adolf Lehmann / Rainer Wiegels (Hrsg.), Römische Präsenz und Herrschaft im Germanien der augusteischen Zeit. Der Fundplatz von Kalkriese im Kontext neuerer Forschungen und Ausgrabungsbefunde, Göttingen 2007.
2 Vgl. Klaus-Peter Johne, Die Römer an der Elbe, Berlin 2006, S. 141–144; Reinhard Wolters, Die Schlacht im Teutoburger Wald, München 2008, S. 56-58.
3 Strab. 7,1,4 p. 291 C.
4 Vgl. Herod. 7,2,1–9; Hist. Aug. Maxim. 11,7–12,6; 13,3–4; Ulrich Huttner, Von Maximinus Thrax bis Aemilianus, in: Klaus-Peter Johne u.a. (Hrsg.), Die Zeit der Soldatenkaiser, Berlin 2008, S. 161–221, hier S. 165–167.
5 Vgl. S. 103–105 und Johne, Elbe, S. 262–264.

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