R. Zelnick-Abramovitz: Taxing Freedom

Cover
Titel
Taxing Freedom in Thessalian Manumission Inscriptions.


Autor(en)
Zelnick-Abramovitz, Rachel
Reihe
Mnemosyne Supplements 361
Erschienen
Anzahl Seiten
XIV, 176 S.
Preis
€ 92,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Günther, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld

„Die Steuer ist ein Preis der Freiheit“ – das Diktum des ehemaligen Bundesverfassungsrichters und Vordenkers in Sachen Steuerrecht, Paul Kirchhof1, im Rahmen der vom Philosophen Peter Sloterdijk angestoßenen Debatte um den philosophischen Sinn bzw. Unsinn fiskalischer Umverteilung in einem Gemeinwesen könnte – losgelöst von diesem letztlich (staats)ethischen Diskurs – gut und gerne als Motto dem kleinen Werk von Rachel Zelnick-Abramovitz vorangestellt werden. Denn was die ausgewiesene Expertin für das Freilassungswesen in der griechischen Geschichte2 hier vorlegt bzw. aus ihrer Erstlingsarbeit weiterentwickelt hat, ist der Versuch, die übergeordneten Strukturen des Zusammenhangs von Freilassungswesen und wirtschaftlicher Abschöpfung dieses Aktes seitens des Staates in Thessalien und darüber hinaus im gesamten griechischen Osten des Mittelmeerraumes zu ergründen.

In ihre Einleitung (S. 1–13) entwickelt Zelnick-Abramovitz ihre Grundthese, es handele sich bei den zahlreich belegten, weitgehend uniformen Freilassungsinschriften in Thessalien aus hellenistischer und römischer Zeit um Publikationsinschriften, die einerseits wegen des Überblicks und der Kontrolle des Freilassungswesens seitens der thessalischen Poleis bzw. des Thessalischen Koinon, andererseits wegen der für die Inschriftenaufstellung fälligen Gebühr von öffentlichem Interesse gewesen seien. Damit wendet sie sich gegen andere Forschungsmeinungen, welche diese Inschriften als Beweis für die Erhebung einer Freilassungssteuer nach dem Vorbild der römischen vicesima libertatis (vel manumissionum) und damit letztlich als Zeugnis des Einflusses der römischen Rechtsordnung auf die griechischen Kerngebiete allgemein bzw. Thessalien im Besonderen nach der berühmten Freiheitsdeklaration des T. Quinctius Flamininus 196 v.Chr. respektive der Neuorganisation des Koinon 194 v.Chr. deuten.

Den Untersuchungsgang bilden dabei fünf Teilkapitel: Zuerst umreißt Zelnick-Abramovitz die verschiedentlich belegten Steuern in den griechischen Poleis sowie Abgabeformen im Zusammenhang mit Sklaverei außer der näher zu untersuchenden für den Freilassungsakt (S. 15–27). Da es an einer neueren Gesamtdarstellung im Anschluss an die Pionierarbeit von Andreas M. Andreades3 fehlt, sind die Aussagen hier natürlich eher allgemein gehalten, es werden also die unterschiedlichen Abgabeformen (sogenannte „direkte“ und „indirekte“ Steuern4) und die verschiedenen Abgaben, so etwa auf Sklavenverkauf oder -handel, bis in römische Zeit differenziert aufgeführt.5

Im zweiten Kapitel stellt Zelnick-Abramovitz dann die Formulare der insgesamt wohl über 1.700 Freilassungen bezeugenden Inschriften aus den Poleis des Thessalischen Koinon vor (S. 29–53). Ihre genauen Untersuchungen zur Wortwahl, den genannten Institutionen und der zumeist vorhandenen Angabe der bezahlten festen Abgabe von 15 Stateren (seit augusteischer Zeit dann umgerechnet 22,5 römische Denare), aber auch ihre Beobachtungen zu Abweichungen im Formular bzw. zu anderen Abgaben im Zusammenhang mit der Freilassung, nämlich die oftmalig belegte Zahlung einer Summe an den Freilasser, dienen ihr als Basis für ihre Argumentationskette in den folgenden Kapiteln.

So wendet sich Zelnick-Abramovitz im dritten Kapitel (S. 55–69) gegen die Annahme, bei der zu bezahlenden Abgabe von 15 Stateren habe es sich um eine Steuer auf die Freilassung nach römischen Vorbild gehandelt. Vielmehr sei es ihrer Einschätzung nach eine Gebühr für die Registrierung als Freigelassener gewesen. So spricht die Wortwahl in den meisten Dokumenten für diese These, da hier zumeist der Zusammenhang zwischen Registrierung bzw. Publikation und Bezahlung hergestellt wird. Die ferner angeführten Abweichungen zur römischen Freilassungssteuer, der vicesima libertatis (vel manumissionum), so beispielsweise hinsichtlich der Erhebung ad valorem statt mit festem Satz, sind ebenfalls gewichtig, aber natürlich nicht hinreichend.6 Die oftmals vorgetragene These eines direkten Einflusses römischer Behörden im Zuge der Politik des T. Quinctius Flamininus auf die griechischen Verhältnisse muss man wenigstens für diesen Bereich allerdings relativieren.

Im vierten Kapitel (S. 71–107) stellt Zelnick-Abramovitz die stark verstreuten weiteren Zeugnisse für Abgaben auf Freilassungen aus dem griechischen Osten zusammen, wobei sie insgesamt bei den meisten Belegen ebenfalls mehr eine Gebühr als eine Steuer vermutet. Insbesondere ihre Kritikpunkte (S. 94–105) an der radikalen Neudeutung der sogenannten Phialai-Inschriften aus Athen durch Elizabeth A. Meyer sind hier hervorzuheben, da sie mit guten Argumenten die traditionelle Deutung dieser Inschriften als Belege von Freilassungsprozessen gegenüber dem Bezug Meyers auf Verfahren gegen Metöken vertritt.7

Mit dem fünften Kapitel ordnet Zelnick-Abramovitz dann die Freilassungsinschriften in den größeren ökonomischen und sozialen Kontext der thessalischen Poleis nach der Ablösung der makedonischen Vorherrschaft durch Rom ein (S. 109–132). So kann sie Finanzierungsbelange wie Kontrollgedanken als Beweggründe für die zu vermutende koinonweite Einführung des gebührenbehafteten Publikationszwangs wahrscheinlich machen. Offen bleiben Fragen nach dem Zusammenwirken zwischen dem thessalischen Gesamtbund und den einzelnen Poleis, wobei die teilweise abweichende Wortwahl der Inschriften, die darin genannten (Finanz-)Institutionen sowie Effektivitätserwägungen für eine weitreichende Ausgestaltungsfreiheit seitens jeder einzelnen Polis sprechen. Eine prägnante Zusammenfassung (S. 133–139), eine Bibliographie (S. 141–150), ein umfangreicher Appendix mit den Einzelbelegen der Freilassungsinschriften (S. 151–156) sowie Stellen-, Sach- und Wortregister (S. 157–176) runden das kompakte Werk ab.

Alles in allem legt Zelnick-Abramovitz eine konzise Studie zu den thessalischen Freilassungsinschriften vor, die über den konkreten Gegenstand hinaus Einblicke in die Regulierungsmaßnahmen der drei wesentliche Ordnungsrahmen vorgebenden Entitäten – Polis, Koinon und römischer Hegemon – bietet. Dass diese die gewünschte Rechtssicherheit des Freigelassenen mit gewissem Zwang zur Publikation des Aktes in bare Münze umzuwandeln wussten, verwischt nicht nur die (terminologischen) Grenzen zwischen „Steuer“ und „Gebühr“, sondern war der stolze Preis des gemeinen Mannes für (s)ein Quäntchen Freiheit in der Antike.

Anmerkungen:
1 So der Titel des Beitrags von Paul Kirchhof in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 07.11.2009, (<http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/sloterdijk-debatte-die-steuer-ist-ein-preis-der-freiheit-1887337.html>, 15.04.2014).
2 Rachel Zelnick-Abramowitz, Not Wholly Free. The Concept of Manumission and the Status of Manumitted Slaves in the Ancient Greek World, Leiden 2005.
3 Andreas M. Andreades, Geschichte der griechischen Staatswirtschaft, Bd. 1: Von der Heroenzeit bis zur Schlacht bei Chaironeia, München 1931 (ND Hildesheim 1965).
4 Zur Problematik dieser Begrifflichkeiten aus der modernen Finanzwirtschaft, die mit den antiken Termini sowie dem Ablauf des Besteuerungsvorgangs nicht überein zu bringen sind, vgl. Sven Günther, Vectigalia nervos esse rei publicae. Die indirekten Steuern in der Römischen Kaiserzeit von Augustus bis Diokletian, Wiesbaden 2008, S. 14–21.
5 Zu den verschiedenen Steuern auf Sklaven in der griechischen Epoche wäre von deutschsprachiger Seite der allerdings ebenfalls nicht umfassende Artikel im Handwörterbuch der Antiken Sklaverei zu ergänzen: Silvia Bussi / Daniele Foraboschi, Art. „Steuer: I. Klassisches Griechenland; II. Hellenismus; III. Römisches Ägypten“, in: Handwörterbuch der antiken Sklaverei (HAS), I–IV, Stuttgart 2012.
6 Für die römische Freilassungssteuer jetzt grundlegend (und leider nicht herangezogen): Günther, Vectigalia, S. 95–126; dort auch die Details zum Erhebungswesen in Form der Zusammenarbeit von „staatlichen“ Registrierungsbehörden der Freilassung und den privaten Zollpächtern. Auch bei der römischen Freilassungssteuer war so der Freigelassene an einer öffentlichen Registrierung der Freilassung interessiert, da nur diese als vollwertig anerkannt wurde und die gewünschte Rechtsfolge, den Status als römischer libertus, zeitigte. Vgl. bes. Günther, Vectigalia, S. 118–121.
7 Elizabeth A. Meyer, Metics and the Athenian Phialai-Inscriptions. A Study in Athenian Epigraphy and Law, Wiesbaden 2010. Zu weiteren Kritikpunkten der vielfach äußerst positiv aufgenommenen Arbeit vgl. die Rezension von Kostas Vlassopoulos, Bryn Mawr Classical Review 2011.02.48 (<http://bmcr.brynmawr.edu/2011/2011-02-48.html>, 02.05.2014).

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