C. Antenhofer u.a. (Bearb.): Barbara Gonzaga

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Titel
Barbara Gonzaga. Die Briefe / Le Lettere (1455–1508), übers. v. Valentina Nucera


Autor(en)
Antenhofer, Christina; Behne, Axel; Farrari, Daniela; Herold, Jürgen; Rückert, Peter (Bearb.)
Reihe
Sonderveröffentlichungen des Landesarchivs Baden-Württemberg
Erschienen
Stuttgart 2013: Kohlhammer Verlag
Anzahl Seiten
492 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Jaser, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Schon ihre Brautreise über die Alpen glich einer tour de force. Barbara Gonzaga (1455–1503), geborene Markgräfin von Mantua und erste Herzogin von Württemberg, hatte 1474 nicht nur mit einer mehrfach verbrieften Muttersehnsucht (Briefe Nr. 65–67), sondern auch mit widrigen Wetter- und Wegverhältnisse auf den Passstraßen zu kämpfen. Nur ein Maultierkorb schuf Abhilfe von der Reiseübelkeit – mit ihrer Begleiterin Paola Torelli als Gegengewicht! – und gab den offenbar wenigstens etwas aufheiternden Blick auf Tannenwälder, Frischlinge und Wildschweine frei (Nr. 77). Auch bei Barbaras „Alltag in der Fremde“ (S. 25) zunächst an der Seite von Graf/Herzog Eberhard V./I. ‚im Bart‘ von Württemberg (1445–1496) in Urach und Stuttgart, dann auf ihrem Witwensitz in Böblingen überwiegen letztlich die Molltöne: eine früh verstorbene Tochter und daraufhin anhaltende Kinderlosigkeit, eine immer mehr versiegende Korrespondenz mit Eltern und Geschwistern, vom Ehemann verwehrte Heimatbesuche, eine verpasste Rückkehr nach Mantua während ihrer Witwenschaft, Auseinandersetzungen um ihren Nachlass, schließlich eine aufgelassene letzte Ruhestätte im Dominikanerinnenkloster Kirchheim und eine gestörte Totenmemoria im Zuge der Reformation.

Die hier zu besprechende Edition von insgesamt 325 Briefen zwischen 1455 und 1508, die von oder an Barbara Gonzaga geschrieben wurden oder in denen sie Erwähnung fand – etwa in der Korrespondenz zwischen den Gonzaga und dem Haus Württemberg oder in Gesandtenberichten – gibt einen Eindruck davon, weshalb sich Barbara selbst in ihren späteren Württemberger Jahren als „unglücklich“ („misera“, S. 64) bezeichnete. Anders als im heimischen Mantua, wo Isabella d’Este als Mittherrscherin und gleichberechtigte Partnerin im Sinne eines „power sharing“1 agierte, blieben die politischen Entfaltungsmöglichkeiten und die Bewegungsfreiheit italienischer Fürstinnen nördlich der Alpen deutlich beschränkter, wie etwa auch die Briefe ihrer Schwester Paola vom Görzer Grafenhof zeigen.2 Insofern bietet die Edition eine reiche Materialbasis, um entlang eines biographischen Zeitstrahls Geschlechterrollen und Handlungsspielräumen von Fürstinnen um 1500 auch unter Berücksichtigung individueller und struktureller Faktoren auf die Spur zu kommen. Noch mehr analytischen Gewinn verspricht die Rolle Barbaras als transalpine Brückenfigur, die zahlreiche kommunikationsgeschichtliche Perspektiven eröffnet, etwa auf unterschiedliche Briefmuster und Korrespondenzerwartungen, auf Mehrsprachigkeit und Strategien des Spracheinsatzes, auf Praktiken der dynastischen Informationsbeschaffung und generell auf das Briefeschreiben als weibliche Ressource.

Aufbauend auf der internationalen Wanderausstellung „Von Mantua nach Württemberg: Barbara Gonzaga und ihr Hof“ von 2011–20133 war die Herausforderung eines transalpinen Editionsprojekts nur von einer italienisch-deutsch-österreichischen Forschungskooperation zu bewältigen, namentlich von Christina Antenhofer (Innsbruck), Axel Behne (Cuxhaven), Daniela Ferrari (Mantua), Jürgen Herold (Greifswald) und Peter Rückert (Stuttgart). Allerdings sind die Überlieferungsgewichte des auf Italienisch, Lateinisch und Deutsch verfassten Briefverkehrs denkbar ungleich verteilt: Während das Mantuaner „Archivio Gonzaga“ als „eine[s] der vollständigsten und homogensten Hofarchive“ (S. 35) überhaupt mit einer einzigartigen Korrespondenzdichte, insbesondere aber mit Abschriften des ausgehenden Briefverkehrs („Copialettere“) aufwarten kann4, begegnet weiter nördlich – vor allem im Hauptstaatsarchiv Stuttgart und im Tiroler Landesarchiv Innsbruck – nur ein geringer Teil des edierten Materials. Zu dieser räumlichen Überlieferungsdisproportionalität kommt noch eine zeitliche Unwucht, denn nahezu die Hälfte der edierten Briefe stammt aus der Zeit vom Beginn der Brautfahrt im Juni 1474 bis wenige Wochen nach Barbaras Niederkunft im August 1475.

Der optisch ansprechend gestaltete und durchgehend zweisprachig deutsch-italienische Band nähert sich mit drei Einleitungen dem transalpinen Briefkorpus an: Auf einen kurzen biographischen Abriss folgt eine eingehende Verortung der Korrespondenz um Barbara Gonzaga in dem jeweiligen Überlieferungsprofil der Archive in Mantua, Stuttgart und Innsbruck. Den Abschluss bilden die überzeugenden Ausführungen von Christina Antenhofer und Jürgen Herold zu Brieffunktionen und -anlässen, Kanzleipraktiken, Korrespondenzverläufen, Briefformen und -mustern, Beschreibstoffen, Siegeln und Briefverschlüssen und Spezifika des edierten Materials, die keine Wünsche offenlassen und sich auf eine langjährige Forschungserfahrung der beiden Autor/innen stützen können.5 Das Gleiche gilt für die editorischen Gebrauchsanweisungen, die den Aufbau jedes Editionsartikels, die Funktion der zweisprachigen Regesten und die Transkriptionsregeln erläutern.

Aus dem „breiten Spektrum unterschiedlicher Themen und Interaktionsarten“ (S. 56) seien hier nur zwei Gegenstandsbereiche herausgegriffen, um das Potenzial dieser Edition für die transalpine Hofforschung wenigstens anzudeuten: So gehörte Barbara als „Repräsentantin der Gonzaga im deutschen Südwesten“ (S. 63) einem diplomatischen Netzwerk an, das den Informations- und Nachrichtenzufluss von anderen Höfen und den wichtigsten italienischen und europäischen Staaten an den Mantuaner Markgrafenhof sicherte. Entsprechend gab die neue Gräfin von Württemberg Briefe ihres Gatten zu seiner Beteiligung am Kriegsverlauf der Neusser Fehde 1475 unvermittelt an ihre Eltern in Mantua weiter (Nr. 133, 169) – eine politische Berichterstattung, an der auch ihr Sekretär und Dolmetscher Konrad von Hertenstein sowie einige andere ihrer italienischen Begleiter beteiligt waren. Neben Empfehlungs- und Geleitschreiben sowie Notifikationen wichtiger Familienereignisse bildet der höfische Gabentausch ein weiteres Kernthema der Korrespondenz, die damit einen wichtigen Beitrag zum boomenden Forschungsfeld der material culture studies und Tiergeschichte zu leisten verspricht. Ein Korrespondentenregister, ein Personen- und Ortsindex sowie Stammtafeln flankieren die reich bebilderte Edition.

Zusammenfassend setzt die Edition in vielerlei Hinsicht Maßstäbe: Sie ordnet das edierte Material präzise in hof-, kommunikations- und kulturgeschichtliche Kontexte ein, bietet Zugang zu einem besonders prägnanten Beispiel des transalpinen Sprach- und Kulturkontakts und rekonstruiert die Alteritätserfahrung einer Renaissancefürstin, die bei aller zeittypischen Beispielhaftigkeit auch durchaus individuell anzurühren vermag. Mehr noch zeigt aber dieser vorbildlich bilinguale Band, wie gewinnbringend eine internationale Zusammenarbeit im editorischen Alltagsgeschäft sein und wie ein wissenschaftlicher Brückenschlag über nationale Grenzen hinweg gelingen kann. Es steht für die Renaissanceforschung zu hoffen, dass damit einer transalpinen (Vergleichs-)Perspektive neues Leben eingehaucht werden kann, die strukturhistorisch zwar erprobt, kulturgeschichtlich aber noch nicht hinreichend ausgearbeitet ist.

Anmerkungen:
1 Sarah D. P. Cockram, Isabella d’Este and Francesco Gonzaga. Power Sharing at the Italian Renaissance Court, Farnham 2013. Vgl. meine Rezension in: H-Soz-Kult, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/type=rezbuecher&id=219361936> (29.06.2016).
2 Christina Antenhofer, Briefe zwischen Süd und Nord: Die Hochzeit von Paula de Gonzaga und Leonhard von Görz im Spiegel der fürstlichen Kommunikation (1473–1500), Innsbruck 2007; Ebba Severidt, Familie, Verwandtschaft und Karriere bei den Gonzaga. Struktur und Funktion von Familie und Verwandtschaft bei den Gonzaga und ihren deutschen Verwandten (1444–1519), Leinfelden-Echterdingen 2002.
3 Von Mantua nach Württemberg: Barbara Gonzaga und ihr Hof / Da Mantova al Württemberg: Barbara Gonzaga e la sua corte, hrsg. v. Peter Rückert, 2. Aufl., Stuttgart 2012.
4 Zur Frühgeschichte dieses Hofarchivs siehe Axel Jürgen Behne, Das Archiv der Gonzaga im Spätmittelalter, Marburg 1990.
5 Vgl. dazu Anmerkung 2 und zuletzt Jürgen Herold, Albrecht Achilles und die Gonzaga, Markgrafen von Mantua, in: Mario Müller (Hrsg.), Kurfürst Albrecht Achilles (1414–1486), Kurfürst von Brandenburg, Burggraf von Nürnberg, Ansbach 2014, S. 135–150.