M. Schaupp u.a. (Hrsg.): Repräsentation und Erinnerung

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Titel
Repräsentation und Erinnerung. Herrschaft, Literatur und Architektur im Hohen Mittelalter an Main und Tauber


Herausgeber
Schaupp, Monika; Peter Rückert
Erschienen
Stuttgart 2016: Kohlhammer Verlag
Anzahl Seiten
329 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Waldschütz, Stadtarchiv/Stadtmuseum Stockach

Mit den Begriffen Repräsentation und Erinnerung wendet sich der zu besprechende Sammelband Themen zu, die seit Jahrzehnten in der Mediävistik intensiv diskutiert werden. Mehr als andere Themen sind diese für eine interdisziplinäre, fächerübergreifende Betrachtungsweise geeignet. Es ist insofern zu begrüßen, dass der Band Beiträge von Historiker:innen, Literaturwissenschaftler:innen sowie Kunst- und Bauhistoriker:innen versammelt und an einem lokalen Beispiel – nämlich dem Main-Tauber-Gebiet – und einem begrenzen Zeitraum, dem Hochmittelalter, die Zusammenhänge von Erinnerungskulturen und Herrschaftsrepräsentation untersuchen will.

Die elf Beiträge des Bandes werden durch die Schlagwörter: Herrschaft, Literatur und Architektur gegliedert. Dies liegt einerseits durchaus nahe, andererseits wird dadurch schon ein Schwachpunkt des Bandes deutlich. Unter dem Begriff Herrschaft (in der Logik des Bandes wäre „Geschichte“ treffender gewesen) werden drei Beiträge von Historikern subsumiert, es folgen drei literaturwissenschaftliche Beiträge und schließlich fünf Beiträge von Architektur- und Kunsthistoriker:innen. Ein interdisziplinärerer Dialog kommt durch diese Konzeption nicht zustande, die Beiträge stehen weitestgehend für sich.

Dies gilt umso mehr, als dass die knappe Einführung (Annette Kehnel und Ludger Lieb, S. 7–9) keinerlei Einordnung in die Forschungstraditionen vornimmt – zu denken wären etwa an die Memoriaforschung, den Gießener SFB Erinnerungskulturen oder methodisch-theoretische Zugänge. Ebenso wenig wird der Versuch unternommen, die Beiträge auf ein Methodenkonzept oder Leitfragen zu verpflichten oder diese zumindest im Nachhinein zu systematisieren bzw. die zwischen den Beiträgen bestehenden Bezüge explizit zu machen. Auch die abschließende Zusammenfassung (Sandra Eichfelder) kann dieses Desiderat nicht füllen, fasst diese als leicht erweiterte Version des Tagungsberichts die einzelnen Beiträge doch lediglich knapp zusammen.

Zustandekommen und Konzeption des Bandes lassen sich vielmehr durch einen inhaltlichen Schwerpunkt erschließen. Im Saalbau der oberhalb der Tauber gelegenen Gamburg wurden seit 1986 Wandmalereien freigelegt. Sie zeigen Begebenheiten vom Kreuzzug Friedrich Barbarossas, an dem der mutmaßliche Auftraggeber, der Gamburger Burgherr Beringer der Jüngere, selbst teilgenommen hatte. Die Malereien sind in die Zeit um 1200 zu datieren und als die ältesten profanen Wandmalereien nördlich der Alpen anzusehen.

Drei Aufsätze widmen sich deshalb der Gamburg und wurden auf der dem Band zugrundeliegenden Tagung passenderweise auch ebendort gehalten. Goswin von Mallinckrodt, als Kunsthistoriker und Mitglied der Eigentümerfamilie bestens mit Gebäude und Malereien vertraut, skizziert die Baugeschichte des Saalbaus und rekonstruiert die durch darüberliegende Putzschichten sowie Tür- und Fenstereinbrüche geschädigten Wandmalereien. In diesen lässt sich zweimal Kaiser Friedrich Barbarossa und der durch ein Spruchband beschriebene Würzburger Bischof Gottfried I. von Spitzenberg identifizieren. Die genauen Zusammenhänge der Szenen lassen sich dagegen kaum bestimmen.

Zwei weitere Beiträge ordnen die Wandmalereien der Gamburg in den breiteren Kontext ein. Judith Bangerter-Paetz betont die Einzigartigkeit des Gamburger Saalbaus im Vergleich mit anderen repräsentativen Saalbauten des nordalpinen Reichs. Harald Wolter-von dem Knesebeck deutet als ausgewiesener Kenner der profanen Wandmalerei die Gamburger Malereien unter Bezugnahme auf die Buchmalerei sowie die zeitlich leicht späteren Malereien des Braunschweiger Doms und der Feste Hohensalzburg. Die Gamburger Szenen sollten die logistische Leistung des dritten Kreuzzugs hervorheben und zugleich den Auftraggeber – möglicherweise auch selbst mehrfach abgebildet – im eigenen Sozialgefüge als Kreuzzugsheimkehrer und Gefolgsmann des Würzburger Bischofs verorten (S. 195, 201).

An diesen inhaltlichen Schwerpunkt knüpfen die anderen Beiträge an. So wurde der Aufsatz der Germanistin Henrike Manuwald über die bildliche Darstellung Barbarossas in Bilderhandschriften der Sächsischen Weltchronik wohl aufgrund der Barbarossadarstellungen in der Gamburg aufgenommen. Anhand von drei spätmittelalterlichen Handschriften kann Manuwald überzeugend aufzeigen, dass Bilder über den Text hinaus die Erinnerung an den Kaiser emotional beeinflussen konnten und gerade die bildliche Darstellung von dessen Tod unterschiedlichste Assoziationen hervorruft. Die Bilder eröffneten damit neben dem Text eine weitere Deutungsebene, die im Fall der Gothar Handschrift aus genuin welfischer Perspektive erfolgte. Regelrecht konkurrierende Erinnerungstraditionen macht der Historiker Stefan Burkhardt im Blick auf die Memoria des 1160 von Stadtbürgern ermordeten Mainzer Erzbischofs Arnold von Selenhofen aus. Jenseits der Tatsache, dass die Herren von Gamburg die gleichnamige Burg ursprünglich als mainzisches Leihegut erhielten und Arnold in der von den Grafen von Wertheim gegründeten Zisterze Bronnbach begraben werden sollte (aber nicht wurde), ist im Beitrag kein inhaltlicher Bezug zum Untersuchungsraum erkennbar.

Auch der Artikel von Stefan Tebruck dient als Vergleichsfolie. Am Beispiel der Reinhardsbrunner Chronik und eines Kreuzfahrtlieds des 14. Jahrhunderts betrachtet er die Erinnerung an die Kreuzzugsteilnahme Landgrafs Ludwig III. sowie weiterer thüringischer Adliger. Durch die Kreuzzüge seien adlige Erinnerungsgemeinschaften entstanden, deren Erinnerungen jedoch zu unterschiedlichen Zeiten ganz verschiedene Formen und Funktionen annehmen konnten. Tebrucks Zugriff überzeugt. Bedauerlicherweise findet ein Transfer seiner Herangehensweise auf den Raum von Main und Tauber im Buch nicht statt. Mit einer anderen Form der Erinnerung an die Kreuzzüge beschäftigt sich der Kunsthistoriker Jürgen Krüger. Er untersucht drei kleine achteckige Kirchen in Grünsfeldhausen, Oberwittighausen und Standorf sowie die runde Krypta der Johanniterkirche in Wölchingen. Alle vier Kirchen sieht er als architektonischen Reflex der Kreuzzüge. Wenn er anregt (S. 281f.), auch Turmbekrönungen als Reflex der Kreuzzüge zu untersuchen, wird die Gefahr deutlich, dass selbst zeitlich sehr viel später erfolgte Bauten als durch die Kreuzzüge beeinflusst dargestellt werden.

Weitere Beiträge des Bandes stehen mit dem zweiten Tagungsort, dem ehemaligen Kloster Bronnbach, in Verbindung. Die Zisterze wurde – wie Peter Rückert in seinem einführenden Aufsatz betont (S. 14) – von miteinander verwandten edelfreien Herren (Gamburg, Zimmern, Lindenfels) gegründet und durch die Grafen von Wertheim entscheidend gefördert. Katinka Häret-Krug macht deutlich, dass die Architektur der Zisterze keinesfalls von den Stifterfamilien beeinflusst, sondern über das Mutterkloster Maulbronn und den Zisterzienserorden vermittelt wurde. Allerdings habe die Bronnbacher Architektur auf Bauten der Stifter- und Fördererfamilien Auswirkungen gehabt.

Die Grafen von Wertheim und ihr mutmaßlicher Ministeriale Wolfram von Eschenbach stellen die Verbindung zum Aufsatz von Eckart Conrad Lutz dar. Auf die Vermutung, dass dieser seine Dichtungen am Wertheimer Hof geschaffen haben könnte, geht Lutz in der schriftlichen Form seines Abendvortrags jedoch nicht ein. Stattdessen deutet er anhand einiger Szenen den Parzival als eine Form der Erzählung, die an Weisheit appellieren und höfische Bildung fördern sollte. Diese Ergebnisse leuchten ein, schade allerdings, dass Lutz – obwohl als lohnenswerter Untersuchungsgegenstand abschließend genannt (S. 122) – die von Wolfram immer wieder eingearbeiteten historischen und regionalen Anspielungen nicht weiter untersucht. Fast keinen Bezug zum Tagungsthema hat der Artikel von Norbert Kössinger. Er untersucht mittelhochdeutsche Texte auf ungewöhnlichen Überlieferungsträgern wie Kanonen und amuletthaften Rotuli. Bei diesen handele es sich nicht um reine Textspeicher, sondern die Texte erhielten aufgrund des Überlieferungsträgers oder durch deren kommunikativen Gebrauch eine besondere Funktion.

Der Band versammelt ein breites Panorama von Artikeln, die einzeln für sich mit Gewinn zu lesen sind. Es gelingt jedoch nicht, die Beiträge überzeugend zu verknüpfen. Die Beiträger:innen bleiben von lobenswerten Ausnahmen abgesehen (Tebruck, Manuwald, Wolter von dem Knesebeck) ihrer eigenen Disziplin verpflichtet. Als erläuternde Klammer für die meisten Beiträge kann am ehesten der erste Beitrag aus der Feder von Peter Rückert dienen. Unter dem Titel „Adelige Herrschaften an Main und Tauber und ihre Erinnerungskultur um 1200“ greift Rückert zentrale Themen des Bandes auf und legt einleitend die Grundlage für einige der Detailstudien. Den verwandtschaftlich, herrschaftlich, sozial und durch das Kreuzzugserlebnis verbundenen Familien der Grafen von Wertheim sowie der Herren von Gamburg, Lauda und Zimmern attestiert er ausgeprägte Bemühungen um nach außen gerichtete adlige Herrschaftsrepräsentation, die sich in monumentaler Architektur und höfischer Literatur äußerten.

Vielfalt ist die Stärke dieses Bandes. Dies gilt hinsichtlich der fachlichen Herkunft der Beiträger:innen ebenso wie mit Blick auf die herangezogenen Quellen und die methodischen Zugänge. So stellt der Band eine multiperspektivische Annäherung an Fragen von Erinnerung und Repräsentation dar. Zugleich ist diese Vielfalt aber auch eine Schwäche des Bandes. Querverweise zwischen den Artikeln fehlen weitgehend. Inhaltliche Widersprüche zwischen den einzelnen Beiträgen werden nicht explizit gemacht, vor allem aber bleiben die methodischen Anregungen aus den Beiträgen der anderen Disziplinen unberücksichtigt. Die Betrachtung der Barbarossadarstellungen der Gamburg hätte etwa von den Ausführungen Henrike Manuwalds profitieren können. Die historischen und kunst- bzw. baugeschichtlichen Studien sich gegenseitig rezipieren können. Es wäre zu wünschen gewesen, dass die Beiträge nach der Tagung im Hinblick auf die interdisziplinären Anregungen noch einmal stärker überarbeitet worden wären. Inhaltlich hätte der Band zudem von der Rezeption neuerer Forschungen zur Funktion von Hausklöstern, der Ausgestaltung von Herrschaft und Gefolgschaft sowie der Diskussion um das Lehenswesen profitieren können. Trotz all dieser Desiderata bleibt ein von inhaltlich starken Beiträgen gekennzeichneter Sammelband, der grafisch ansprechend gestaltet und reichhaltig bebildert ist. Die einzelnen Beiträge können Fachpublikum wie interessierte Öffentlichkeit mit Gewinn lesen.

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