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Titel
Das Ende der Antike. Geschichte des spätrömischen Reiches


Autor(en)
Brandt, Hartwin
Reihe
Beck Wissen 2151
Erschienen
München 2001: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
116 S.
Preis
DM 14,80 / EUR 7, 50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Gerhardt, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Der Verfasser dieser an ein breites Publikum gerichteten Überblicksdarstellung zur Spätantike von 284 bis 565 n. Chr. hat 1998 im Akademie-Verlag bereits ein Studienbuch zur Geschichte der römischen Kaiserzeit von 284 bis 363 n. Chr. vorgelegt und darin auf knapp 40 Seiten eine Darstellung dieser 80 Jahre geliefert.1 Etwa dieselbe Seitenzahl räumt er der Zeit von Diokletian bis Julian nun auch in seiner "Geschichte des spätrömischen Reiches" ein, die ihm die Gelegenheit bietet, die Darstellung bis zum Todesjahr Justinians fortzuführen. Die Konzeption des vorliegenden Bandes ist dahingehend geändert, daß einzelne Problemfelder wie Außen-, Finanz- oder Religionspolitik nicht mehr gesondert behandelt werden, sondern in die Ereignisgeschichte eingebettet sind. Auch systematischen Themen wie Wirtschaft und Gesellschaft widmet Brandt, anders als etwa Averil Cameron in ihrem vergleichbaren Überblickswerk "Das späte Rom" 2, keine eigenen Kapitel, sondern geht darauf in kleineren Exkursen innerhalb der fortlaufenden Darstellung ein.

Das Buch beginnt und endet, überraschend genug, mit einer Szene aus Thomas Manns "Buddenbrooks": Hanno Buddenbrook zieht im Familienstammbaum unter seinem Namen einen Doppelstrich, weil er glaubt, danach "käme nichts mehr". Damit hat der Autor ein treffendes Bild gefunden, zum einen für die Problematik von Grenzziehungen im Kontinuum der Geschichte und zum anderen für die Frage nach dem Verfall, als der die Geschichte der Buddenbrooks im Untertitel ("Verfall einer Familie") charakterisiert wird und der auch immer wieder als prägendes Kennzeichen der Spätantike verstanden wurde. Demgegenüber sieht Brandt in der Spätantike im Einklang mit der Forschung der letzten Jahrzehnte eine "Epoche eigener Dignität" (S. 8) und betont ihre Janusköpfigkeit, ihren Übergangscharakter an der Schwelle zwischen Antike und Mittelalter. Dies bleibt keine theoretische Betrachtung, sondern wird im Verlauf des Buches immer wieder anhand von Kontinuitätslinien belegt, die über das Ende der Antike hinausführen. Im Schlußabschnitt konstatiert Brandt dagegen den stärkeren Zäsurcharakter der Jahre 476 und 565 verglichen mit dem Jahr 284 und bindet so die Spätantike wieder enger an die Antike an, reklamiert sie gewissermaßen gegenüber Mediävisten und Byzantinisten für die Alte Geschichte.

Die Aufteilung der Kapitel ist im ersten Teil des Buches dieselbe wie in dem schon erwähnten Studienbuch (Diokletian und die Tetrarchie, Konstantin, Die Konstantinsöhne, Julian), nur die Untertitel wurden etwas griffiger formuliert. So lautet der des Konstantinkapitels statt "Monarchisierung und Christianisierung" nun "Durchbruch und Aufbruch" (denen dann unter Valentinian I. und Valens "Übergang und Einbruch" folgen).

Die zehn Seiten über Diokletian und die Tetrarchie zeigen exemplarisch, wie der Autor die Masse seines Stoffs auf engstem Raum in den Griff bekommt. Er führt einige für den Zeitraum besonders wichtige Aspekte (das System der Tetrarchie, die Verwaltungs-, Steuer- und Währungsreform, die Christenverfolgungen) verhältnismäßig breit aus; andere, wie die Kriege gegen Perser, Germanen und Sarmaten und die Unterdrückung von Aufständen in Gallien, Britannien, Africa und Ägypten, streift er nur. Forschungskontroversen (etwa strittige Datierungsfragen) werden weitgehend ausgeklammert, aber durchaus nicht immer außen vor gelassen; so werden z. B. die unterschiedlichen Antworten auf die Frage nach dem Initiator der Christenverfolgungen erörtert. Für das Gesamtbild entbehrliche Einzelheiten, wie z. B. den Tod des Carinus, läßt Brandt weg. Geschickt ausgewählte und jeweils kurz diskutierte Passagen aus den Quellen, hier vor allem aus Laktanz, De mortibus persecutorum, vermitteln antike Sichtweisen der Ereignisse und verleihen dem Text einen lebendigen und authentischen Charakter. Eine vorangestellte Karte des Römischen Reiches und eine Abbildung der Dezennalienbasis vom Forum Romanum runden das Kapitel ab. Unklar bleiben nur die von Brandt erwähnten Manipulationen bei der offiziellen Zählung der Herrschaftsjahre von Diokletian und Maximian (auf S. 11 wird ihre Abdankung am 1. Mai 305 "nach vermeintlich zwanzigjährigem gemeinsamem Regieren" erwähnt und auf S. 16 ihre "Feier des zwanzigjährigen Regierungsjubiläums" im Jahr 303).

Im Konstantinskapitel fällt besonders die sehr behutsame und ausgewogene Behandlung der umstrittenen Religionspolitik ins Auge, die Brandt zusammenfassend als "ambivalent" beschreibt (S. 25). Er betont, daß sich Konstantin auch nach der Schlacht an der Milvischen Brücke nicht vollständig von den heidnischen Kulten distanzierte (vgl. Brandt 1998, 33f.). Das im Text (S. 26) erwähnte Silbermedaillon von Ticinum hätte man sich auch als Abbildung gewünscht. Gegenüber dem Band von 1998 wird einigen Aspekten mehr Platz eingeräumt, so Konstantins Herkunft und Werdegang, den Auseinandersetzungen mit Licinius und den Hausmorden, wodurch die Person des Kaisers insgesamt mehr Profil gewinnt. Von den Forschungsdebatten zu Konstantin wird außer der Diskussion um die Religionspolitik auch die um den Inhalt des Gotenfoedus von 332 skizziert. Brandt schlägt sich hier auf die Seite derer, die in dem Abkommen keine einschneidende Neuerung sehen und annehmen, daß die Goten erst unter Theodosius I. den Status reichsangehöriger Foederaten erhielten.3 Etwas verwirrend ist, daß insgesamt drei Erhebungen Konstantins zum Augustus erwähnt werden.4

Constantius II., die wichtigste Gestalt im Kapitel über die Konstantinsöhne, wird von Brandt überwiegend kritisch beurteilt. Er folgt darin Ammian, dessen bekannte Voreingenommenheit gegenüber Constantius aufgrund seiner Sympathie für Julian allerdings nicht erwähnt wird (vgl. aber Brandt 1998, 45f.) und dem Eutrop (10, 15) mit seiner positiven Gesamteinschätzung gegenübersteht. Brandt konstatiert die Strukturschwäche des Kaisertums unter diesem Herrscher und charakterisiert seine Regierungszeit als Rückschritt für das Reichsganze. Breiter ausgeführt werden sein Rombesuch im Jahr 357 und sein Engagement für Konstantinopel. Dennoch bleibt er gegenüber Konstantin relativ blaß, was freilich auch in der Quellenlage begründet liegt.

Ganz anders sein Nachfolger Julian, der nur wenig mehr als anderthalb Jahre lang Alleinherrscher war und dessen Regierung Brandt bereits im Untertitel des Kapitels als "Grandioses Scheitern" bewertet. Das Schwergewicht liegt auf dem innenpolitischen Programm des Kaisers, während die Erfolge in Gallien, auf denen seine Beliebtheit beim Heer beruhte, und der Perserfeldzug relativ knapp abgehandelt werden. Die vergleichsweise breite Darstellung des Rhetorenedikts und anderer antichristlicher Maßnahmen 5 zielt auf die abschließende Feststellung, Julians Programm sei "nicht nur an der Kürze der Laufzeit, sondern eher an der Maßlosigkeit seines Anspruchs" gescheitert (S. 48).

Mit dem Kapitel über Valentinian und Valens verläßt Brandt den bereits in seinem Studienbuch bearbeiteten Zeitraum. Der "Übergangskandidat" Jovian wird mit Recht gegen die zeitgenössische Kritik an seinem unter Zwang mit den Persern geschlossenen Friedensabkommen in Schutz genommen (S. 49 f.). Ob man die Kohlenmonoxydvergiftung, an der er wahrscheinlich starb, einen natürlichen Tod nennen kann (S. 50), sei dahingestellt.6 Die Kompetenzaufteilung zwischen den Nachfolgern Valentinian und Valens war, wie Brandt betont, keine Weichenstellung in Richtung Reichsteilung; er verweist dafür auf die in Gesetzgebung und Münzprägung gewahrte staatsrechtliche Reichseinheit. Valentinian wird wie von Ammian so auch von Brandt positiv bewertet. Indem Brandt den bekannten Satz aus CTh 9, 16, 9 unicuique, quod animo inbibisset, colendi libera facultas tributa est mit "Jeder möge nach seiner Façon verehren, was immer ihm in den Sinn gekommen sei" übersetzt (S. 53), macht er den Kaiser auf dem Gebiet der religiösen Toleranz zu einem Vorläufer Friedrichs des Großen. Weniger günstig fällt das Fazit der Regierungszeit des Valens aus. Besonders gelungen ist die dramatische Schilderung der Ereignisse im Vorfeld der Schlacht von Adrianopel, deren Einschätzung durch Rufin als initium mali das Kapitel beschließt.

Das Theodosiuskapitel beginnt mit einem Exkurs zum Militärwesen, der von Brandts Dissertation über den Anonymus De rebus bellicis7 inspiriert sein dürfte. Relativ ausführlich geht der Autor auf das Gotenfoedus des Theodosius von 382 ein, das er als "Ausgangspunkt für die Ausbildung germanischer Reiche auf römischem Boden" und somit als "eine bedeutende Zäsur in der römischen Geschichte" charakterisiert (S. 59). Der Schwerpunkt des Kapitels liegt jedoch auf der Kirchen- und Religionspolitik. Brandt zitiert aus den beiden Gesetzen des Kaisers über die Verbindlichkeit des katholischen Christentums und läßt zum Streit um den Victoriaaltar ebenso den Heiden Symmachus wie seinen christlichen Gegenspieler Ambrosius zu Wort kommen. Ebenso eingehend werden der Basilikenstreit und der Bußakt von Mailand 390 dargestellt, der, so Brandt, Entwicklungen des Mittelalters vorwegnahm, ohne daß deshalb die Analogie zwischen Mailand und Canossa überstrapaziert werden sollte. Die religiösen Auseinandersetzungen gipfelten in der Niederlage des heidenfreundlichen Usurpators Eugenius am Frigidus 394. Brandt setzt sich mit der Frage auseinander, inwiefern es sich dabei um das "letzte Gefecht" zwischen Christentum und Heidentum handelte. Schließlich behandelt Brandt den Übergang des Kaisertums von Theodosius auf seine Söhne Arcadius und Honorius und wendet sich abermals dagegen, in dieser Nachfolgeregelung "bereits die Intention zur Reichsteilung zu sehen".8

In den beiden verbleibenden Kapiteln werden die Ereignisse in für Gesamtdarstellungen der Spätantike bewährter Weise getrennt nach West- und Ostrom dargestellt. Im Westen steht zunächst die Gestalt Stilichos im Mittelpunkt, bei dessen Tod sich Brandt zufolge erstmals ein dauerhaftes Schisma zwischen den Reichshälften abzeichnete. Zur Einnahme Roms durch Alarich 410 werden die unterschiedlichen Erklärungsversuche von Christen und Heiden (vertreten durch Augustin und Rutilius Namatianus) vorgestellt. Mit Constantius, Aëtius und Rikimer bestimmten auch weiterhin die Heermeister das Geschehen. Die schnelle Folge der Kaiserwechsel und Germaneneinfälle erlaubt hier kaum eine eingehendere Betrachtung. Dennoch werden kurze Hinweise auf die Bewahrung römischen Erbes im tolosanischen Reich, die Entstehung der Nibelungensage und die Vereinheitlichungstendenzen im Rechtswesen eingeflochten. Den letzten weströmischen Kaiser Romulus Augustulus läßt Brandt die kaiserliche Gewalt in den unübertroffenen Worten Friedrich Dürrenmatts an Odoaker übergeben: "Hier hast du den Lorbeerkranz und die Kaisertoga. Das Reichsschwert findest du bei den Gartengeräten und den Senat in den Katakomben Roms." (S. 84) Das von den Zeitgenossen als Einschnitt empfundene Epochendatum 476 wird von Brandt relativiert, indem er auf Kontinuitäten verweist und einen "Transformationsprozeß des spätantiken Westens in die frühmittelalterlich-germanische Welt, die in hohem Maße römisch geprägt blieb", konstatiert (S. 84f.). Anschließend behandelt er noch das Ostgotenreich Theoderichs bis zu dessen Tod 526.

Das Kapitel über das oströmische Reich bis 565 wird weniger von der Ereignisgeschichte dominiert. In einiger Breite stellt Brandt die von Synesius in seiner Rede "Über das Kaisertum" vertretenen Ideen und ihren Zusammenhang mit dem antigermanischen Kurswechsel am oströmischen Hof dar. Auch die religionspolitischen Auseinandersetzungen zwischen Heiden und Christen sowie zwischen Mono- und Dyophysiten werden anschaulich geschildert. Schließlich erhalten die Gesetzessammlungen des Codex Theodosianus wie später auch des Corpus Iuris Civilis den gebührenden Raum. Die Regierung Justinians nutzt Brandt zu einem Rückblick, indem er den Kaiser hinsichtlich seiner universalen Herrschaftsidee mit Augustus, hinsichtlich seiner religionspolitischen Rolle mit Konstantin und hinsichtlich seines Sendungsbewußtseins mit Diokletian vergleicht. So gelingt es ihm, noch vor dem abschließenden Resümee den Bogen zurück zum Beginn des Buches zu schlagen. Weniger geschickt wirkt der Schlußsatz des Kapitels, die oströmische Geschichte sei "schließlich zur byzantinischen Geschichte geworden" (S. 103), zumal deren Beginn meist in die Regierungszeit Konstantins gesetzt wird.

Eine Zeittafel, zwei Seiten Literaturhinweise, die sich auf Quellenausgaben mit deutscher Übersetzung und deutschsprachige Sekundärliteratur beschränken, sowie ein Register stehen am Ende des Bandes.

Insgesamt ist Brandts Parforceritt durch die Spätantike ein nützlicher und trotz der Faktenfülle gut lesbarer Überblick auf dem neuesten Stand der Forschung. Das Lesevergnügen wird nur gelegentlich durch die Vorliebe des Verfassers für Abstrakta etwas beeinträchtigt. Die Darstellung lehnt sich durchgängig stark an "Die Spätantike" von Alexander Demandt (Handbuch der Altertumswissenschaft III.6) an, dem Brandt im letzten Satz mit einem Zitat seine Reverenz erweist. Ein besonders sympathischer Zug des Buches ist sein Sinn für Humor, der auch für eine Anekdote Platz läßt wie die von Roma, dem Lieblingshuhn des Honorius, das dem Kaiser mehr am Herzen lag als die gleichnamige Stadt.

1 H. Brandt: Geschichte der römischen Kaiserzeit. Von Diokletian und Konstantin bis zum Ende der konstantinischen Dynastie (284-363), Berlin 1998.
2 München 1994, Originalausgabe: The Later Roman Empire, London 1993.
3 Vgl. die ausführlichere Diskussion bei Brandt 1998, 115-118; im gleichen Sinne E. L. Wheeler, Constantine's Gothic Treaty of 332, in: The Roman Frontier at the Lower Danube 4th-6th Centuries, hrsg. v. M. Zahariade, Bukarest 1998, 81-94.
4 S. 21f.; vgl. A. Demandt, Die Spätantike. Römische Geschichte von Diocletian bis Justinian 284-565 n. Chr., München 1989, 64 mit Anm. 15 und D. Kienast, Römische Kaisertabelle, 2. Aufl., Darmstadt 1996, 298f.
5 Darunter die Aufhebung der steuerlichen Immunität der Geistlichen (S. 46) - in gewissem Widerspruch zu Brandt 1998, 43, wo diese Maßnahme "im Prinzip" schon Constantius II. zugeschrieben wird, vgl. ebd. 159f.
6 Amm. 25, 10, 13, der auch die Möglichkeit eines gewaltsamen Todes andeutet, vgl. J. Curran: From Jovian to Theodosius, in: CAH 13, 1998, 80.
7 H. Brandt: Zeitkritik in der Spätantike - Untersuchungen zu den Reformvorschlägen des Anonymus De rebus bellicis, München 1988.
8 S. 68. So auch A. Lippold: Theodosius der Große und seine Zeit, 2. Aufl., München 1980, 51-56.

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