Cover
Titel
Money and Coinage in the Middle Ages.


Herausgeber
Naismith, Rory
Reihe
Reading Medieval Sources 1
Erschienen
Anzahl Seiten
376 S.
Preis
€ 149,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Steinbach, Münzkabinett am Niedersächsischen Landesmuseum - Das WeltenMuseum in Hannover / Mittelalterliche Geschichte, Universität Osnabrück

Eine Gesamtdarstellung von „Münze und Geld im Mittelalter“ ist bis heute ein Publikationsdesiderat der deutschen Mediävistik. Einschlägige Veröffentlichungen behandeln in der Regel die materielle Seite des Geldes in Form der Münze (Numismatik) oder deren originären Gebrauchskontext (Geldgeschichte). Wie lohnenswert eine Verbindung beider Sphären sein kann, beweist Rory Naismith nun eindrücklich mit seinem Sammelband "Money and Coinage in the Middle Ages", in dem er 12 Experten vereint, die das Thema aus verschiedenen interdisziplinären Blickwinkeln beleuchten. Bereits die Einleitung des Herausgebers präsentiert einen gelungenen Rundumschlag, der sich auch als kurze Einführung in das Thema im Rahmen einer propädeutischen Publikation zur Geschichte des Mittelalters gut machen würde: Formen des Geldes (Münzen, Barren, Wechsel, etc.) kommen ebenso zur Sprache wie die Herstellung von Münzen, die Symbolik der Münzbilder, das Münzrecht oder Münzverrufungen. Darüber hinaus erläutert Naismith Chancen und Risiken der Analyse von Münzfunden – der Hauptquelle für Numismatik und Geldgeschichte – und nennt zahlreiche Überschneidungen mit benachbarten Wissenschaftsdisziplinen wie der Archäologie, Kunst- oder Kulturgeschichte.

Die folgenden Aufsätze des Hauptteils sind in drei Teile gegliedert, von denen der erste mit "Thinking about Medieval Money" übertitelt ist. In seinem Beitrag gibt Gaspar Feliu einen äußerst lesenswerten Einblick in die ökonomischen Mechanismen und sozialen Auswirkungen der Entwicklung und des Gebrauchs verschiedener realer und virtueller Geldformen des Mittelalters. Die Entstehung des Fiatgeldes als Folge andauernder Münzmanipulationen wird ebenso behandelt wie diejenige des Rechengeldes im Umfeld der zunehmenden Schriftlichkeit. Weitaus theoretischer kommt Bill Maurers Beitrag daher, der sich den Theorien zur Entstehung des Geldes und seiner Funktion bei der Formierung sozialer Ordnungen ("social currencies", S. 47-48) widmet und abschließend das Geld noch einmal als Akteur und nicht als Objekt untersucht. Hierbei fragt er auch nach den Grundfunktionen von Geld, die entweder alle ("general purpose money", S. 46) oder nur teilweise ("special purpose money", S. 46, 49-50) erfüllt sein können, was insbesondere in vormodernen und außereuropäischen Kulturen der Fall war. Nicht zuletzt aufgrund dieses geographisch und zeitlich weiträumigen Blickwinkels wirkt der Beitrag denn auch streckenweise wie ein „Fremdkörper“ im Band, was seinen wissenschaftlichen Wert keinesfalls mindert. Allerdings wären ein paar mehr mittelalterliche Beispiele sicherlich hilfreich für das Verständnis seiner Funktion innerhalb der Aufsätze gewesen.

Im Zweiten Teil des Buches erfolgt unter dem Titel "Key Phases of Medieval Money and Coinage" ein chronologischer Abriss der Münz- und Geldgeschichte von ca. 400-1500, der sich an der geldgeschichtlichen Epocheneinteilung des Mittelalters orientiert. Alessia Rovelli bietet einen Einblick in das Frühmittelalter. Hierbei schlägt sie den üblichen Bogen von der Münzreform des Kaisers Konstantin bis zu derjenigen Karls des Großen. Innovativ ist die Verknüpfung des Übergangs von den pseudoimperialen zu den nationalen Prägungen in Gold, Silber und Kupfer unter Berücksichtigung des herrschaftspolitischen Verhältnisses der jeweiligen barbarischen gentes zu Ostrom. Auch werden abschließend noch einmal wesentliche Fragen zum Gebrauchskontext der Münzen aufgeworfen, die Perspektiven für zukünftige Forschungen eröffnen. Zur ökonomischen Sphäre lässt sich freilich aufgrund der spärlichen Quellenlage nicht viel Neues bringen. In seinem Beitrag bietet Andrew R. Woods anstelle eines chronologischen einen thematischen Überblick. Dieser reicht vom Pfennig als herrschaftspolitischem Informationsmedium über die Vermehrung der münzprägenden Institutionen, die Verfügbarkeit von Silber als Prägemetall bis hin zum zunehmenden Münzgebrauch zwischen dem 8. und 11. Jahrhundert. Anhand prägnanter Beispiele entfaltet er ein facettenreiches Panorama der „Pfennigzeit“ – wenngleich Entwicklungen im byzantinischen und islamischen Münzwesen nur am Rande berührt werden (konnten). Einen wahren Parforceritt bietet dagegen Richard Kelleher, wenn er die Entwicklung der europäischen Münzsysteme von Portugal bis zu den Kreuzfahrerstaaten und von Norwegen bis Sizilien in zwei Etappen – die Zeit vor und nach der Einführung von Großsilber- (Groschen-) und Goldmünzen in Italien – umreißt und fast nebenbei die Bedeutung der „Kommerziellen Revolution“ für die Entwicklung der Geldwirtschaft erläutert. Deutlich wird allerdings eine gewisse Bevorzugung für die englische Münzgeschichte, in der sich der Verfasser offensichtlich besonders gut auskennt. Gelegentliche Überschneidungen mit dem vorangegangenen Kapitel (bspw. Silberbergbau und Feodalmünzen) sind dabei unvermeidlich. Etwas aus der Reihe fällt der Beitrag von Philipp Rössner, präsentiert er doch eigentlich keine Münz- und Geldgeschichte, sondern eine äußerst lesenswerte und in Details überraschende Einführung in Formen, Funktionen und Forschungsfelder von und zu Geld im (Spät-)Mittelalter. Diese komprimierte Darstellung des Untersuchungsgegenstandes hätte sich auch hervorragend als Einleitung des gesamten Sammelbandes gemacht.

Im dritten Teil werden dann einzelne "Themes in the Study of Medieval Money and Coinage" vorgestellt, um die zahlreichen Aspekte münz- und geldgeschichtlicher Forschung zum Mittelalter deutlich zu machen. In seinem Beitrag greift der Herausgeber Rory Naismith noch einmal die Funktion und Wirkung von Geld in der mittelalterlichen Gesellschaft auf und unterscheidet hierbei zwischen pragmatischen Überlegungen (Wie wurde Geld gebraucht?) und symbolischen Aspekten (Wie wurde über Geld gedacht?). Auch hierbei kommt es notgedrungen zu einigen Redundanzen in Bezug auf vorangegangene Kapitel (Edelmetallknappheit, Kleingeldmangel, Kaufkraft und Produktionskosten). Besonders interessant sind die Beispiele von Geld in nicht-ökonomischen Quellen wie Rechtstexten und Heiligenlegenden, die einen anderen Zugang zum Untersuchungsgegenstand und seiner Konnotation in unterschiedlichen Alltagssituationen erlauben. Der ökonomischen Seite wendet sich anschließend Nick Mayhew zu, wobei er einleitend erläutert, dass Historiker oftmals dazu neigen, die Rolle des Geldes in der mittelalterlichen Wirtschaft zu unterschätzen, was nicht zuletzt der (schlechten und einseitigen) Quellenlage geschuldet sei. Danach setzt er sich mit der Quantitätstheorie des Geldes ebenso auseinander wie mit der Preisentwicklung, der Edelmetallversorgung, dem Geldvolumen und der Zirkulationsgeschwindigkeit und überprüft deren jeweilige Anwendbarkeit auf die mittelalterlichen Verhältnisse, wobei ihm England – als die quellenmäßig am besten und lückenlosesten dokumentierte Region – als Vorlage für seine Berechnungen dient. Für Leser, die sich in geldhistorischen Theorien nicht so gut auskennen, wäre an der einen oder anderen Stelle sicherlich eine detailliertere Erklärung der Tabellen und Zahlenwerte hilfreich gewesen. Sehr anschaulich gestaltet sich dagegen der Beitrag von Nanouschka Myrberg Burström, in dem sie anhand zahlreicher (nicht nur mittelalterlicher) Beispiele die verschiedenen historischen und anthropologischen Konzepte von „Münze“ und „Geld“ in der archäologischen Forschung skizziert, Münzen als Teil der Forschungsgeschichte beschreibt und deren Bedeutung als Objekte für den Erkenntnisgewinn deutlich macht. Hierbei sind besonders ihre Ausführungen zur Analyse von Münzfunden lesenswert, in denen sie die verschiedensten Interpretationsmöglichkeiten einzelner Fundkategorien erklärt (S. 243-257). Elizabeth Edwards untersucht die Beziehung von "Money and Literature" anhand verschiedener Autoren wie Geoffrey Chaucer oder Dante Alighieri und Werken wie Trubert, Summoner’s Tale oder Lanval. Ein Großteil der überwiegend englischen und französischen Texte stammt aus dem Spätmittelalter, wobei Edwards (vielleicht nicht ganz überraschend) eine literarische Reflektion des merkantil-ökonomischen Aufschwungs jener Zeit feststellt. Moralische, allegorische und symbolische Deutungen des Geldes stehen hierbei im Vordergrund. Für ein Einführungswerk schade ist, dass kein Versuch einer Gesamtschau zu Geld in der mittelalterlichen Literatur unternommen wird – hätten sich doch einige Leser sicherlich auch für die bekannteren altnordischen Sagas, die Minnelyrik oder die Helden- und Artusepik interessiert. Einen besonders interessanten und lesenswerten Bezug zur Kunstgeschichte bietet Anna Gannon. Anhand der angelsächsischen Münzprägung des 7./8. Jahrhunderts zeichnet sie die Entwicklung einer frühmittelalterlichen Ikonographie und Ästhetik nach und erläutert die dahinterstehenden sozialen und herrschaftlichen Veränderungen – von imitativen statusmarkierenden Objekten einer heidnischen Kriegergesellschaft zu innovativen Zahlungsmitteln eines christlichen Königtums. Den Schluss markiert Lucia Travaini. Ihre Darstellung reicht von den Anweisungen an Prägestätten zur Gestaltung des Münzbildes bis zur Bedeutung der Ikonographie der Gepräge selbst und von den Auseinandersetzungen um Nachahmungen akzeptierter Motive bis zu Münzen als Identifikationsobjekte von Pilgern. Ein ums andere Mal präsentiert sie dabei überraschende Beispiele von Identitätsvermittlung durch Münzen, wie beispielsweise den Brakteaten im Grab Albrechts des Bären und seiner Gemahlin Sophia. Ein insgesamt gelungener Abschlussbeitrag für die Publikation.

Rory Naismith hat mit seinem Sammelband eine äußerst lesenswerte Gesamtdarstellung von Münze und Geld im Mittelalter vorgelegt. Die einzelnen Beiträge liefern sowohl chronologische Überblicke als auch themenbezogene Darstellungen, die den Facettenreichtum der mittelalterlichen Münz- und Geldgeschichte widerspiegeln und mit zahlreichen interessanten Forschungsergebnissen aufwarten. Hilfreich dürften für viele Leser auch die zahlreichen Literaturangaben am Ende eines jeden Beitrags sowie am Ende des Bandes sein, die allerdings (der Sprache des Buches geschuldet) im Wesentlichen englisch- und französischsprachige Publikationen enthalten – teilweise auch dort, wo eigene Publikationen der untersuchten Länder vorgelegen hätten.

Hervorzuhebende Wermutstropfen sind die vergleichsweise spärliche Bebilderung und die fehlende Angabe von Vergrößerungsfaktoren bei den Abbildungen. So erscheint der Denar Karls des Großen (S. 82) kleiner (Durchmesser 5,7 cm) als derjenige (S. 96) seines Vaters (Durchmesser 7,2 cm) – im Original sind beide mit etwa 1,7 cm Durchmesser annähernd gleich groß. Auch einige zusätzliche Karten, Tabellen oder Diagramme hätten dem Band gutgetan. Was ebenfalls fehlt ist ein Methodenteil, der anhand von Beispielen die zahlreich angesprochenen Arbeitsweisen des Numismatikers und Geldhistorikers (Münzfundanalyse, Stempelkritik, Preisentwicklung, Quantitätstheorie, etc.) dem Anfänger in der Materie noch einmal veranschaulicht hätten. Auch der hohe Preis von 131,00 £ dürfte (leider) so manchen Interessierten vom Kauf abhalten.

Zurück bleibt die Ungewissheit, ob die Anlage als Sammelband für eine Einführung (Reihe: "Reading Medieval Sources") in die Thematik wirklich glücklich ist: Zwar versammelt die Publikation ohne Frage zahlreiche Experten für bestimmte Zeit- und Themenabschnitte. Dadurch ergibt sich zwangsläufig allerdings auch eine gewisse Heterogenität und häufige Redundanzen sind unvermeidbar. Auch finden sich Beiträge, die einen echten Einführungscharakter haben, neben solchen, für die man bereits einiges an Vorwissen mitbringen muss. Möglicherweise wäre eine Bearbeitung „aus einem Guss“ für Anfänger in Sachen Münz- und Geldgeschichte hier hilfreicher gewesen. Dennoch ist der Band empfehlenswert für alle, die einen Blick in die Münz- und Geldgeschichte des Mittelalters werfen wollen und zeigt auf, zu welch vielfältigen Themen (Archäologie, Kunstgeschichte, Verfassungsgeschichte, Wirtschaftsgeschichte, etc.) die Disziplin etwas beisteuern kann und wo noch Forschungsfelder der Zukunft liegen.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension