Titel
Kardinal Bernardino Spada. Eine Karriere im barocken Rom


Autor(en)
Karsten, Arne
Erschienen
Göttingen 2001: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dr. Rainer Decker, Uni Paderborn

Karsten schafft einen Spagat, bei dem viele andere Historiker scheitern oder den sie gar nicht erst wagen: Sowohl dem Fachmann als auch dem interessierten (früher sagte man: dem gebildeten) Laien neue, wichtige Einsichten zu vermitteln. Mit Hilfe der Gattung Biographie, die in der deutschen Geschichtswissenschaft leider nie ein großes Ansehen hatte, gelingt es ihm, allgemeine Strukturen von Papsttum, römischer Kurie, überhaupt Gesellschaft und Kunst in der frühen Neuzeit herauszuarbeiten und an einem Beispiel konkrete Gestalt annehmen zu lassen. Der „Held“ seiner Geschichte, Bernardino Spada (1594-1661), ist zwar nicht in die Reihe jener exzeptionellen Mitglieder der Kurie wie des großen Theologen Roberto Bellarmin (+ 1621) oder des kunstsinnigen und skrupellosen Scipione Borghese (+ 1633) einzureihen, doch auch er hat unter anderem mit dem von ihm umgebauten Palazzo Spada, seit 1927 Sitz des italienischen Staatsrats, und der darin befindlichen Gemäldegalerie dauerhafte Spuren hinterlassen. Karstens Arbeit ist im Zusammenhang mit seiner Berliner Dissertation „Künstler und Kardinäle. Vom Mäzenatentum römischer Kardinalnepoten im 17. Jahrhundert“ (im Druck) entstanden. Anlaß war der Fund einer bis dahin von der Forschung übersehenen Quelle im römischen Staatsarchiv, der biographischen Aufzeichnungen von Spadas Bruder, dem Oratorianerpater Virgilio Spada (1596-1662). Die Materialbasis wird erweitert durch zahlreiche dienstliche und private Briefe des Kardinals und nicht zuletzt durch die von ihm in Auftrag gegebenen Gemälde, Skulpturen und Bauten, die Karsten als Kunsthistoriker kenntnisreich interpretiert, so zum Beispiel ein eindrucksvolles Porträt, das Guido Reni 1631 geschaffen hat 1. Die wichtigsten Texte werden sowohl in deutscher Übersetzung als auch auf Italienisch (Fußnoten) zitiert

Spadas Karriere wäre nicht möglich gewesen ohne den Ehrgeiz und die finanzielle Unterstützung seines Vaters, des Familienpatriarchen Paolo Spada (1541-1631), der durch seinen Aufstieg zum Generalschatzeinnehmer der Romagna und eine umsichtige Familienpolitik die Weichen für die Karrieren der zahlreichen Nachkommen stellte. Karsten schildert anschaulich die weiteren zeitgebundenen Faktoren, das Klientelwesen, die Bedeutung persönlicher Beziehungen bis hin zum Stellenwert von Geschenken im Sinne des „Do ut des“, wobei er sich eine billige Verurteilung des im frühneuzeitlichen Europa allgemein, in der römischen Wahlmonarchie aber besonders verbreiteten Nepotismus verkneift 2. Er zeigt vielmehr Verständnis für den Vorrang familiärer und persönlicher gegenüber bürokratisch-normierten Strukturen in dieser Zeit. Geld und Beziehungen (besonders zur Familie Barberini und damit Papst Urban VIII., 1623-1644) waren zwar eine conditio sine qua non für diese Karriere, aber keine hinreichenden Bedingungen. Hinzu kamen persönliche Eigenschaften wie Fleiß, Sorgfalt, ein gutes Gedächtnis, Weitblick, Bildung, Sachkenntnisse, Durchsetzungsvermögen, die den jungen Bernardino Spada nach dem Jura-Studium in Bologna und dem Dienst als Rechtsreferendar an der Kurie zum Nuntius in Frankreich (1623-1627) qualifizierten, einem schwierigen Posten, den er zur Zufriedenheit sowohl König Ludwigs XIII. als auch des Papstes ausfüllte, so daß ihm 1626 das Kardinalsbirett übertragen wurde. Von 1627-1631 folgte die ebenfalls nicht leichte Tätigkeit als Legat, d.h. oberster päpstlicher Verwaltungsbeamter, in Bologna, wo der Kardinal eine wohldosierte Mischung aus Sozialfürsorge (niedrige Brotpreise bei einer Hungersnot, Errichtung eines modernen Hospitals während einer Pest) und Härte (bei der Eindämmung von Kriminalität) zeigte. Die letzten drei Jahrzehnte verbrachte Spada als einer der einflußreichsten Kurienkardinäle in Rom, geschätzt wegen seiner Sachkompetenz von Päpsten und Kollegen, aber nie ernsthaft als „papabile“ im Gespräch. Unter anderem sprach gegen ihn die große Zahl seiner Neffen, die, wie man fürchtete, im Falle seiner Erhebung zum Papst standesgemäß versorgt worden wären und damit vielen anderen Bewerbern die Chancen verbaut hätten.

Dramatisch wurde es für Spada im Konklave von 1655, als die Wahl eines seiner wenigen Feinde, des Kardinals Angelo Rapaccioli, drohte. Er hatte schon alles für ein Flucht vorbereitet, als es ihm noch gelang, seinen Gegner mit Hilfe einer Intrige aus dem Weg zu räumen. Spada hatte in Erfahrung gebracht, daß Rapaccioli 1647 einen theologisch sehr zweifelhaften Exorzismus durchgeführt hatte, indem er sich auf Verhandlungen mit dem „Teufel“, der in der besessenen Frau steckte, eingelassen und, weil dieser sich „reumütig“ zeigte, die Reinigung im Fegefeuer und schließlich die Aufnahme ins Paradies in Aussicht gestellt hatte (Wiedergabe des italienischen Textes im Anhang S. 289-291, deutsche Zusammenfassung S. 274 f.). Als der Kardinal dies im Konklave bekanntgab, war sein Gegner kompromittiert und der Weg frei zwar nicht für Spadas Favoriten, aber einen fähigen Kompromißkandidaten, Fabio Chigi (Alexander VII.).

Dieser zog Virgilio, den Bruder des Kardinals, als Berater in Kunstfragen heran. Die beiden Spadas hatten beträchtlichen Kunstverstand. Virgilio war einer der Hauptförderer Francesco Borrominis, was sich bei der Ausgestaltung der barocken Kapelle der Familie in der Kirche San Girolamo della Carità, vor allem aber bei der durch ihre optischen Täuschungen berühmten Galleria Spada auszahlte.

Einer weiten Verbreitung des Buches steht leider der hohe Preis entgegen. Das ist schade, denn die dank einer unprätentiösen, aber präzisen Sprache gut lesbare, über eine ausführliche Gliederung, Register, Stammtafeln und Fußnoten (erfreulicherweise unter den Seiten, nicht am Ende des Buches) leicht erschließbare Biographie läßt kaum Wünsche übrig. Nur den Fachmann werden einige Wiederholungen oder zu ausgiebige allgemein-historische Erläuterungen etwas stören. Und die römischen Archive dürften noch einige Ergänzungen bereithalten. So ließe sich in dem seit 1998 der Forschung zugänglichen Archiv der Glaubenskongregation Spadas Mitarbeit im Heiligen Offizium rekonstruieren (bis hin zu einer Statistik seiner Präsenz bei den wöchentlichen Sitzungen). Vielleicht wird ja auch einmal sein Nachlaßinventar auftauchen und ausgewertet werden wie im Fall des Kardinalinquisitors Desiderio Scaglia (+ 1639), der dadurch nicht nur, wie bisher, als Kritiker der Hexenverfolgungen, sondern auch als ein bedeutender Kunstsammler Konturen gewinnt 3.

Anmerkungen
1 Im Buch (schwarz-weiß) S. 128. WWW (in Farbe): http://www.galleriaborghese.it/spada/it/c-spada.htm
2 Sehr kritisch zum päpstlichen Nepotismus: Christoph Weber. Senatus Divinus. Verborgene Strukturen im Kardinalskollegium der frühen Neuzeit. Frankfurt/Main 1996. Siehe dagegen die Rezension von Volker Reinhardt in: Zeitschrift für historische Forschung 25 (1998), S. 454-456.
3 Zu Scaglia bereitet Fiorenza Rangoni eine Monographie vor. Siehe vorläufig dieselbe: "In communis vita splendidus et munificus". La collezione di dipinti del cardinale di Cremona Desiderio Scaglia. In: Paragone Arte, Anno LII, Terza serie, N. 35 (611), gennaio 2001 S. 47-100; dieselbe: Una fiesta a Cremona nel 1621. Celebrazioni per la Porpora di Desiderio Scaglia. In: Annali della Biblioteca Civica e Libreria Statale di Cremona 52, Studi e bibliografie 6, (2000) S. 93-144.

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