N.O. Eke (Hrsg.): Vormärz-Handbuch

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Titel
Vormärz-Handbuch.


Herausgeber
Eke, Norbert Otto
Erschienen
Bielefeld 2020: Aisthesis Verlag
Anzahl Seiten
1.051 S.
Preis
€ 128.00 (DE); € 131.60 (AT); CHF 166.00 (freier Preis)
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dieter Langewiesche, Fachbereich Geschichtswissenschaft, Universität Tübingen

Es ist beeindruckend, was die wissenschaftliche Vereinigung Forum Vormärz Forschung seit ihrer Gründung 1994 erreicht hat: eine Vielzahl von Tagungen, darunter spezielle für junge Forscherinnen und Forscher, ein Jahrbuch, das verlässlich erscheint, eine reich bestückte Schriftenreihe und seit einigen Jahren eine Editionsreihe. Nun kommt das voluminöse Vormärz-Handbuch hinzu. Wer sich mit der deutschen Geschichte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschäftigt, erhält mit ihm einen detaillierten Epochenüberblick, ein Nachschlagewerk mit umfangreichen Registern, einen Zugang zu einer Vielzahl von speziellen Forschungsbereichen und auch Hinweise auf offene Fragen. Der Schwerpunkt liegt auf literaturwissenschaftlichen Zugängen zur Epoche, doch sie werden stets mit gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen verknüpft. Es geht um den deutschsprachigen Raum und seine transnationalen Verbindungen.

Der Umfang des Handbuches – 118 Artikel auf knapp 1.000 zweispaltigen Textseiten, von 104 Autorinnen und Autoren verfasst – lässt es nicht zu, auf einzelne Artikel einzugehen. Es muss genügen, die Konzeption zu skizzieren. Die Einführung „Prolegomena einer Epochendarstellung“ ist stärker als das Handbuch insgesamt literaturwissenschaftlich angelegt. Darin mag sich widerspiegeln, dass der Vormärz-Begriff, der in der Einleitung erläutert wird, in der Geschichtswissenschaft meist pragmatischer und offener, weniger kämpferisch als in der Literaturwissenschaft verwendet wurde. Es folgen zwei Abschnitte („Historischer Abriss“ und „Übergreifende Fragestellungen“), die in Buchlänge (knapp 300 Seiten) eine Art Handbuch im Handbuch bieten. Es informiert über historische Ereignisse wie Revolutionen und Aufstände, über Institutionen wie Justiz und Militär, über politische Bewegungen und Organisationen, staatliche Ordnungen, kulturelle Programme und Praktiken, über Kirchen und Religionen, einschließlich des Judentums und seiner Gegner, die Grundmuster wirtschaftlichen und sozialen Wandels werden erklärt, und auch die Bedeutung des Exils findet Beachtung. Besonders herausgehoben (fünf Artikel) werden die Gruppenbildungen in Form von Assoziationen, politischen, sozialen und literarischen Vereinen und Bewegungen.

Der anschließende Abschnitt „Interdisziplinäre Implikationen“ ist den medialen Öffentlichkeiten, einschließlich der Interventionen durch die Karikatur, der Musik und dem Musikleben, dem Wandel des Kunstverständnisses, dem ökonomischen und philosophischen Denken gewidmet. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die z.T. aus den Quellen gearbeiteten fünf Artikel „Kulturaustausch und Kulturtransfer“ mit Frankreich, England, Dänemark bzw. „dem Norden“, Schweiz und Italien. Ein weiterer Beitrag bilanziert die Bemühungen um wissenschaftliche Editionen von Vormärz-Autoren. Wie in vielen Artikeln wird auch nach der Rolle von Frauen gefragt.

Die beiden abschließenden Abschnitte füllen etwa die Hälfte des Handbuchs. Unter der Überschrift „Literaturverhältnisse, Literaturkonzepte und literarische Gattungen“ werden Literaturmarkt, Presse, Journalismus und Zensurpraktiken analysiert, vor allem aber werden detailliert gegliedert Literaturgattungen, ihre Bedeutung und ihre Entwicklungen im Vormärz vorgestellt. Einen ähnlich präzisen Überblick dürfte kein anderes Werk bieten. Den Abschluss bilden Artikel zu 50 Autoren, darunter sechs Frauen, und zu denen, die man Das Junge Deutschland genannt hat.

Ein Handbuch, das aus relativ kurzen Artikeln (bis zu zehn zweispaltige Seiten, die Artikel zu einzelnen Personen sind kürzer) besteht, wird man wohl vornehmlich als Nachschlagewerk nutzen. Zur durchgehenden Lektüre eignet es sich weniger. Dazu mag auch beitragen, dass bei einer so großen Zahl von Autorinnen und Autoren eine einheitliche Form der Darstellung nicht zu erreichen ist. Ein Teil der Artikel bilanziert den Forschungsstand, andere bieten eigenständige Quellenanalyse. Das hängt vom Thema ab, das behandelt wird. Wer den Deutschen Bund oder die Revolution von 1848/49 zu charakterisieren hat, schreibt anders als es bei Artikeln mit einem begrenzteren Thema der Fall ist.

Der Herausgeber nennt das Handbuch „Ansporn und Auftrag“ zu einer „umfassenden Kartierung“ des Vormärz (S. 16). Das ist wohl doch zu bescheiden formuliert. Entstanden ist ein fächerübergreifender Zugang zum Vormärz, der die Forschung bilanziert und ihr in vielen Bereichen Aufgaben nahelegt.

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