K. Ellwardt: Querkirchen im hessischen Raum

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Titel
Kirchenbau zwischen evangelischen Idealen und absolutistischer Herrschaft. Die Querkirchen im hessischen Raum vom Reformationsjahrhundert bis zum Siebenjährigen Krieg


Autor(en)
Ellwardt, Kathrin
Erschienen
Petersberg 2004: Michael Imhof Verlag
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wera Groß, Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, Wünsdorf

Unter dem Aspekt 'Kirchenbau zwischen evangelischen Idealen und absolutistischer Herrschaft' untersucht Kathrin Ellwardt, die sich zuvor bereits in mehreren Einzelpublikationen mit dem Thema evangelischen Kirchenbaus in Hessen beschäftigt hat, exemplarisch protestantische Querkirchen im heutigen Hessen. Als zeitlichen Rahmen legt sie den Zeitraum von der Reformation bis zum Ausbruch des Siebenjährigen Krieges 1756 fest. Die regionalen Grenzen des Untersuchungsgebietes umschließen den Raum mit der größten Dichte von Querkirchen, der zwischen Lahn und Dill, Taunus, Wetterau, Vogelsberg und Kinzigtal liegt und im Untersuchungszeitraum etwa ein Dutzend unterschiedliche Landesherrschaften umfasst.

Mit der bewussten Konzentration auf die relativ geringe Anzahl von 35 Beispielen strebt die Autorin eine problemorientierte und nicht flächendeckende Analyse an. Ihr zentrales Interesse gilt den unterschiedlichen Gründen für das Aufkommen und die Verbreitung dieses rein protestantischen Bautyps in den ausgewählten Gebieten. Dazu befragt sie die Einzelbauten nach ihren historischen Entstehungsbedingungen, nach ihrer Einordnung in herrschaftliche Zusammenhänge, nach den Ansprüchen ihrer Benutzer, nach Bautypus, Architekt und Auftraggeber.

Den Ausgangspunkt der Untersuchung bildet eine ausführliche Beschreibung des ausgewählten Querkirchenbestandes, die alle Einzelkirchen sortiert nach den politischen Territorien im Kontext darstellt. Ergänzend folgt ein Kapitel über die Querkirchen der Region aus den Jahren nach Beendigung des Siebenjährigen Krieges. Übergreifende Erkenntnisse dieses beschreibenden Teils werden in zwei Überblickskapiteln über die Bauaufgaben und das Verhältnis der Territorien zur Querkirche sinnvoll zusammengefasst.

Es folgen Kapitel zu den Architekturformen, zu architekturtheoretischen Idealentwürfen und ihrer Umsetzung sowie zu der Verwendung des Bautyps für konfessionelle Minderheiten und religiöse Randgruppen. In einer kurzen Zusammenfassung werden dann die theologischen und liturgischen Voraussetzungen für den protestantischen Kirchenbau dargelegt, bevor im zweiten Schwerpunkt der Untersuchung das Verhältnis von Landesherrschaft und Kirchenbau thematisiert wird.

In diesem Teil werden so unterschiedliche Aspekte wie der Landesherr als Bauherr, die Aufgabe des institutionalisierten Landbauwesens, die Organisation des Bauwesens, landesherrliche Kirchenbauprogramme, der Gebrauch der Querkirche als Herrschaftssymbol und herausragende Einzelprojekte mit persönlichen Ambitionen beleuchtet.

Nach einem Ausblick auf die Verbreitung des Querkirchentyps in den übrigen Territorien des Reiches und auf die Entwicklung bis heute, schließt der analytische Teil des Buches mit der Zusammenfassung der Ergebnisse ab. Eine der hier benannten Lücken in Bezug auf systematische Untersuchungen anderer Regionen wurde für den Niederrhein, nahezu zeitgleich mit der vorliegenden Arbeit, durch die 1999 publizierte Dissertation der Rezensentin geschlossen.1

Ergänzt wird die Untersuchung durch einen Katalogteil, Dokumentation genannt, in dem die 35 Kirchen in alphabetischer Reihenfolge in sehr divergierender Ausführlichkeit vorgestellt werden. Die unterschiedliche Quellenlage ist vermutlich Ursache für eine gewisse Ratlosigkeit in der Gliederung der Texte, die sich in einer inkongruenten Verwendung von Zwischenüberschriften niederschlägt.

Ein umfangreicher Apparat mit Anmerkungen, Quellen- und Literaturverzeichnis vervollständigen die Arbeit.

Die Sinnfälligkeit des vordefinierten zeitlichen Rahmens der Untersuchung erschließt sich nicht ganz, denn eine ca. zehnjährige Unterbrechung der Bautätigkeit aufgrund des Krieges bedeutet vermutlich noch kein Abreißen der Bautradition und keinen Wechsel der Architektengeneration. Durch die Aufnahme des Kapitels über die nicht unbedeutende und nicht weniger interessante Gruppe von Querkirchen der Jahre nach Beendigung des Siebenjährigen Krieges, scheint die Autorin ihre definierten Untersuchungsgrenzen selbst in Frage zu stellen. Eine sinnvolle Ergänzung wäre außerdem ein Kapitel über die Parallelität von Querkirchen und anderen Bautypen in den jeweiligen Territorien gewesen, die in einem Diagramm dargestellt aber nicht weiter erläutert wird.

Bei der Vielfalt unterschiedlicher Informationsstränge, die das Buch dem Leser auch ohne diese denkbaren Ergänzungen bietet, hätte eine konsequentere Systematik inhaltliche Wiederholungen einerseits und Zerstückelungen von Informationen andererseits verringert und das Verständnis erleichtert (siehe z.B. Kirchenbauprogramm in der Grafschaft Hanau-Münzenberg ab S. 33 und wieder ab S. 183). Die Anlage eines Indices hätte dem Leser außerdem die Zusammenführung von Informationen zu einem Objekt oder einem Thema deutlich erleichtert. Etwas mehr Sorgfalt bei der Lektorierung hätte schließlich verhindert, dass die Seitenzahlen im Inhaltsverzeichnis ab Seite 192 zwei zusätzliche Seiten ignorieren.

Insgesamt macht die vorliegende Studie deutlich, dass die Querkirche als Bautyp nicht ausschließlich einer protestantischen Konfession zugeordnet werden kann, sondern dass gleiche Anforderungen an die Nutzung, d.h. vergleichbare Gottesdienstformen auch zu weitgehend identischen Einrichtungen und Gestaltungen der Kirchenräume führten, egal ob reformiert oder lutherisch. Außerdem wird klar, dass die höfische Nutzung den Querkirchentyp ausgesprochen förderte, da er die optimale Anordnung – Nähe von weltlicher und kirchlicher Herrschaft – des Herrschaftsgestühls in einer kurzen Achse gegenüber der Kanzel anbietet. Diese Erkenntnisse lassen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf andere protestantische Territorien übertragen.

Leider ist die Quellenlage auch für die herrschaftliche Bautätigkeit in Bezug auf bewusste Entscheidungen für einen bestimmten Bautyp und die Entwurfsprozesse nicht sehr ergiebig und aussagekräftig. Konkrete Nachweise für die ausschlaggebenden Argumente im Entscheidungsprozess zugunsten der modernen Form der Querkirche fehlen bis auf wenige Ausnahmen daher auch in dieser Studie.

Über eine gründliche Aufarbeitung der einzelnen Kirchenbaugeschichten hinaus bietet das Buch also interessante Einblicke in die vielfältigen Verflechtungen zwischen politischen Herrschaften unterschiedlichen Ranges und konkreten Kirchenbauprojekten. Dabei werden bisher meist nur oberflächlich begründete Thesen an konkreten Beispielen überprüft und auf einer soliden Informationsgrundlage verifiziert oder relativiert.

Anmerkung:
1 Groß, Wera, Protestantische Kirchenneubauten des 16. bis 18. Jahrhunderts am Niederrhein und im Bergischen Land, hrsg.v. Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland, Düsseldorf 1999.

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