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Titel
Das Prinzip Sicherheit.


Autor(en)
Sofsky, Wolfgang
Erschienen
Frankfurt am Main 2005: S. Fischer
Anzahl Seiten
171 S.
Preis
€ 16,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eckart Conze, Seminar für Neuere Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Das Thema „Sicherheit“ hat Konjunktur. Aus dem politischen Raum drängte es zuerst in die Feuilletons und hat nunmehr auch die Wissenschaft erreicht. Ursächlich dafür ist eine allenthalben wahrgenommene Erosion von Sicherheit – von Sicherheiten, um präziser zu sein. Diese Erosion charakterisiert den politischen Diskurs unserer Tage. Das gilt für die so genannte „neue Welt-Unordnung“ seit dem Ende des Ost-West-Konflikts, es gilt, insbesondere seit dem 11. September 2001, für die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, und es gilt für die Gefährdungen unserer natürlichen Umwelt durch Klimawandel oder die Gefahren von Hochrisikotechnologien. Es gilt aber auch für die vermeintlich oder tatsächlich verstärkte Bedrohung öffentlicher Sicherheit durch Kriminalität, und es gilt nicht zuletzt für den tatsächlichen oder vermeintlichen Verlust von sozialer Sicherheit in den und durch die Reformen des Sozialstaats. Weil „Sicherheit“ und „Unsicherheit“ mehr als je zuvor zu Schlagworten des politischen Diskurses geworden sind, ist es nur zu begrüßen, wenn Historiker/innen, Politologen/innen oder Soziologen/innen den Sicherheitsbegriff kritisch analysieren, wenn sie ihn in eine historische Perspektive rücken und die Geschichte von Sicherheits- bzw. Unsicherheitsvorstellungen thematisieren, wenn sie Sicherheit als Wertsystem untersuchen und das Spannungsverhältnis von Sicherheit und Freiheit vermessen oder wenn sie auf die gesellschaftliche Konstruktion von Sicherheit verweisen und individuelle wie kollektive Sicherheitsbedürfnisse beispielsweise korrelieren mit der Entwicklung moderner Staatlichkeit.

Der Göttinger Soziologe Wolfgang Sofsky, Autor der wichtigen und in vieler Hinsicht bahnbrechenden Studie „Die Ordnung des Terrors. Das Konzentrationslager“ (1993) sowie des „Traktats über die Gewalt“ (1996) wartet nun mit einem Essay auf, der ganz unbescheiden mit dem Titel „Das Prinzip Sicherheit“ daherkommt und schon im Klappentext die These formuliert: „Sicherheit ist das Grundproblem der menschlichen Gattung.“ Statt aber dieses Problem- und Begriffsfeld exakt zu vermessen und klar die Historizität von Sicherheit zu fassen oder systematisch Dimensionen von Sicherheit bzw. des Sicherheitsproblems herauszuarbeiten, verlässt Sofsky diese Analyseebene relativ rasch – im Grunde noch ehe er sie betreten hat –, um sich der Frage nach dem „Preis, der für eine Politik umfassender Sicherheit zu entrichten ist“, zuzuwenden, die ihn viel stärker interessiert als das Thema Sicherheit selbst. Der Sicherheitsdiskurs ist für ihn – und das ist ja nicht falsch – ein relationaler Diskurs, der stets in einem Wechselverhältnis zu anderen soziopolitischen und soziokulturellen Wertdiskursen steht wie beispielsweise dem Gerechtigkeits- oder, vor allem, dem Freiheitsdiskurs. Und hier liegt auch der eigentliche Zielpunkt des Essays, dem es im Kern darum geht, Sicherheit und Freiheit als sich wechselseitig ausschließende Werte zu identifizieren und in dieser Rivalität rigoros für die Freiheit zu optieren. Das ist zunächst gar nicht zu kritisieren. Doch verliert mit dieser Prämisse gegenseitiger Exklusivität im Sinne eines klaren Entweder-oder von Freiheit und Sicherheit sowie der entsprechenden Positiv- bzw. Negativkonnotierung der beiden Wertsysteme die Argumentation Sofskys schnell ihren Reiz. Denn ihre Ausrichtung wird absehbar; sie führt nicht zu einer Auseinandersetzung damit, wie Freiheit und Sicherheit gegenwärtig und künftig zu vermitteln sein könnten, sondern endet apokalyptisch im Horrorszenario eines absoluten Sicherheitsstaates, der freilich, so die Volte am Schluss, binnen kurzem auch zu absoluter Unsicherheit für den Einzelnen führen würde. Sicherheit zerstört also laut Sofsky nicht nur Freiheit, sondern letztlich auch Sicherheit.

Zu solchen Schlüssen kann man kommen. Aber plausibel sind sie nur, wenn man vorher systematisch den Sicherheitsbegriff seziert hat und zum Beispiel scharf zwischen individueller und kollektiver Sicherheit getrennt hat, wenn man unterschiedliche Dimensionen von Sicherheit voneinander unterschieden hat. Dann würde nachvollziehbar, warum Sicherheit als Imperativ staatlichen Handelns individuelle Sicherheit als Sicherheit individueller Freiheit zerstören kann. Dies wäre dann noch immer keine revolutionäre These, aber eine, die man diskutieren und auf Geschichte und Gegenwart beziehen könnte. Denn das Bändchen bietet immerhin eine Fülle an historischem und gegenwärtigem Anschauungsmaterial, und zwar aus allen möglichen Bereichen, die man mit der Thematik Sicherheit – Unsicherheit in Verbindung bringen kann. Von Naturkatastrophen, Börsenpaniken, Krieg und Terror ist ebenso die Rede wie vom Aufstieg der Versicherungswirtschaft, der Entwicklung moderner Sozialstaatlichkeit und der staatsbildenden Funktion einer guten „policey“. All diese Stichworte bleiben indes ungeordnet und werden auf dem knappen Raum nicht entfaltet. Weder eine historisch-genetische noch eine horizontale, begriffsfeldbezogene Sachsystematik wird erkennbar. Zu punktuell sind die Beobachtungen, zu pointiert die Einschätzungen und Schlüsse, deren apodiktische und immer wieder allzu simple, ja leere Sprache – „Angst steigert die Unsicherheit, und Unsicherheit erzeugt Angst“ – die Überzeugungskraft nicht erhöht, sondern vollends zerstört.

Auch gegenwartsdiagnostisch ist der Band kraftlos. In seiner kulturpessimistisch gemeinten Beschreibung einer „Kultur der Ängstlichkeit“ kommt Sofsky über die „Argumente“ der aktuellen deutschen politischen und medialen Reformdiskussion kaum hinaus. Und ganz im Einklang mit dieser Reformdiskussion steht auch Sofskys Klage über die Abwertung von Courage und sein Plädoyer für mehr Mut: „Wenn niemand Mut erwartet, wird auch kein Mut erbracht.“ Das könnte auch aus dem Schatzkästlein des Bundespräsidenten stammen. Es ist sicher richtig, dass der Bundestagswahlkampf des Jahres 2005 dem Thema Sicherheit hierzulande eine beachtliche Konjunktur beschieden hat. Wissenschaftlich und intellektuell sollte die Herausforderung allerdings darin bestehen, diese Konjunktur in ihrer Entwicklung und ihrer Ausprägung zu analysieren, statt nur auf der Themenwelle mitzuschwimmen und einen Akzent allenfalls durch die Düsternis der Zukunftsszenarien zu setzen. Von der analytischen Kraft und der stimulierenden Wirkung älterer1 und jüngerer2 soziologischer Beiträge zur Sicherheitsthematik ist Sofsky weit entfernt. So liefert er uns eine Quelle zur Sicherheitsdiskussion des frühen 21. Jahrhunderts, keine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihr.

Anmerkungen:
1 Kaufmann, Franz-Xaver, Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem. Untersuchungen zu einer Wertidee hochdifferenzierter Gesellschaften, Stuttgart 1970.
2 Bonß, Wolfgang, Vom Risiko. Unsicherheit und Ungewißheit in der Moderne, Hamburg 1995.

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