M. Schmoeckel: Auf der Suche nach der verlorenen Ordnung

Cover
Titel
Auf der Suche nach der verlorenen Ordnung. 2000 Jahre Recht in Europa - Ein Überblick


Autor(en)
Schmoeckel, Mathias
Erschienen
Köln 2005: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
600 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Helmut Goerlich, Juristenfakultät, Universität Leipzig

Rasch macht der erste Satz des Vorworts deutlich: Es geht um ein Lehrbuch. Umso mehr erstaunt der Titel, der rückgewandt eine Ordnung beruft, die verloren sein soll. Aber auch das hellt sich auf, ist der Autor doch Zivilrechtler und Rechtshistoriker, also in der Tradition eines historisierenden Rechtsbewusstseins zu Hause, das die Vergangenheit nicht einer erhofften besseren Zukunft wegen, sondern um ihrer selbst Willen sucht und stets bekräftigt findet in der Kontinuität des Rechts. Am besten rechtfertigt diese Perspektive der letzte Abschnitt des Buches, der vom Ende der Geschichte handelt. Dort wird eine allgemeine Skepsis gegenüber der demokratischen Ordnung des Gemeinwesens, so wie sie heute in all ihren Schwächen zu sehen ist, laut, die allerdings nicht erkennen lässt, ob heute in der nachrevolutionären Welt seriöse Alternativen überhaupt bestehen, abgesehen von dem berühmten Diktum von Winston Churchill, das man vergeblich sucht. Der Rückgriff auf die Geschichte mündet dann wieder in den Haupttitel des Buches, der allerdings suggeriert, es habe einmal eine Ordnung bestanden, die sich zu suchen lohnt. Dass diese Suche ein pejorativer Unterton begleitet, machen auch die Überschriften der fünf Abschnitte der Darstellung klar, nämlich "Der römische Bürger", "Der Sünder", "Der Mensch als Rechtssubjekt", "Homo oeconomicus" und endlich "Der Verbraucher".

Davon unabhängig entfaltet der Duktus des Inhalts ein Curriculum einer allgemeinen Einführung in die Rechtsgeschichte. Sie ist umfassend angelegt und kann daher wissenschaftlich nicht in Einzelheiten durchdrungen sein, rekapituliert also in Vielem einen Stand der Interpretation und muss diesen noch wesentlich verkürzen, um im Rahmen des ganzen Bandes zu bleiben. Allerdings lockert die exemplarische Darstellungsweise diesen Rahmen dann doch wieder auf. Zunächst wird die Aufgabe beschrieben, eine Einführung in die Rechtsgeschichte im Sinne einer Grundlegung zu liefern, die allerdings doch auch schon auf Interpretation aus ist. Dabei ist eine klare Trennung zwischen römischer, deutscher, nationaler und kirchlicher Rechtsgeschichte nicht möglich. Dabei kommt es auch zu einer inneren Erklärung des Haupttitels dahin, dass es Aufgabe sei, die innere Regelhaftigkeit, dies nicht nur als Spielregeln, sondern tiefer angelegt als zugrunde liegende Normen, ja als Weltbild, zu erschließen. Dabei soll dies nicht in eine Ideengeschichte führen, obwohl der Verlag das Werk – auch noch im in das Buch eingelegten Prospekt – für 2004 mit dem anspruchsvollen, aber auch verengenden Untertitel "eine Ideengeschichte des Rechts" ankündigt. Verzichtet hat Schmoeckel auf diesen Untertitel, weil das Recht als Kulturerscheinung verstanden wird, nicht als Instrumentarium, die Welt zu verändern. Dabei ist Recht aber auch verstanden als das Ergebnis eines Kommunikationsprozesses, an dessen Ende das Recht sich an die veränderten Zeitumstände und Deutungen angepasst hat und so seine Überzeugungskraft erhält. Zugleich sucht das Lehrbuch dabei an die Regionalgeschichte in der Kölner Bucht anzuschließen, was gewiss im besten Sinne paradigmatisch auch dazu dienen kann, den in unerträglicher Weise fiktiven Charakter einer nationalen Rechtsgeschichte sichtbar zu machen. Auch im konkreteren Sinne zielt das Buch mit präsentiertem Karten- und Bildmaterial, Quellenauszügen und biografischen Skizzen darauf ab, anschaulich zu sein, was oft – auch wenn kleine Fehler unterlaufen – gut gelingt. Das geschieht auch, indem über die Region in das römische Recht eingeführt wird in die Beschreibung des "goldenen Zeitalters" der römischen Herrschaft. Darauf folgt "Das christliche Reich", dann das germanische Königtum und die Völkerwanderung, darauf "Königsheil" als rätselhafter Titel, dann die "Renovatio imperii". Der Abschnitt "Der Sünder" führt in die Grundlagen einerseits im kirchlichen und andererseits im weltlichen Recht ein und gelangt bis zur Auflösung in "Ordnungen" statt einer "Ordnung", und zwar über die neue Rechtswissenschaft der Zeit, die die römische Klassik und Justinian wiederentdeckt und rezipiert. Darauf folgt der Mensch als Rechtssubjekt, nicht nur im Recht, sondern zunächst in Geist und Glauben, dann in absoluter Herrschaft und Aufklärung bis hin zu 1789. Der nächste Abschnitt sieht vor dem Hintergrund der Restauration und der historischen Rechtsschule wirtschaftliche Entwicklungslinien, nicht den Bruch in der Verfassungsentwicklung als Grundlage der Rechtsentwicklung und fügt unter diese Perspektive auch die totalitäre Herrschaft des Dritten Reiches, wobei der Autor auch einen Band mit Arbeiten über Juristen der Universität Bonn in dieser Zeit herausgibt. Der letzte Abschnitt "Der Verbraucher" beginnt hingegen mit dem Parteienstaat der SED; gegenübergestellt ist dem nicht die "freiheitliche", sondern die "freiheitlich-demokratische Grundordnung" im Westen und dann die "neue Weltordnung" nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die gesamte Darstellung durchzieht dabei zugleich ein Gewebe exemplarischer Skizzen zur Rechts- und Wissenschaftsgeschichte der jeweiligen Zeit, von der Theologie über die politische Theorie, bis in Entstehung und Wandel der rechtswissenschaftlichen Konzepte und Perspektiven. Die Darstellung ist in einfacher Sprache und plastisch gehalten, so dass man annehmen darf, dass sie Leser/innen in frühen Semestern angemessen ist. Außerdem kommen ihnen eine sehr gute Bibliographie und viele Literaturhinweise zu Gute. Die unvermeidlichen Vereinfachungen und schlaglichtartigen Orientierungen mögen in einzelnen Fragen oft irritieren, insgesamt aber liegt gewiss ein seinen Zwecken vollauf dienendes Lehrbuch vor, das als solches empfohlen werden kann.

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