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Titel
Bishops and the Politics of Patronage in Merovingian Gaul.


Autor(en)
Gregory I. Halfond
Erschienen
Anzahl Seiten
220 S.
Preis
$ 49.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Till Stüber, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Das Thema, das Gregory Halfond in seinem neuen Buch behandelt, ist ebenso interessant wie komplex: Der Verfasser fragt danach, wie es die merowingischen Bischöfe fertiggebracht haben, ihre kollektive Identität als ordo episcoporum zu wahren, obwohl dieser ordo doch stets Fliehkräften verschiedenster Art ausgesetzt gewesen war. Inwiefern hatten insbesondere die Beteiligung an überregionaler Politik sowie die – mehr oder weniger ausgeprägte – Bindung an den Königshof Auswirkungen darauf, wie Bischöfe sich selbst wahrnahmen, mithin darauf, was einen Bischof ausmachte? Halfond geht dabei von der Beobachtung aus, dass das Bischofsamt scheinbar widersprüchliche Tendenzen in sich vereinte: Obzwar der Episkopat als göttliche Stiftung galt, wurden frühmittelalterliche Bischöfe mit zahllosen Ansprüchen „von dieser Welt“ (Joh 18,36) behelligt, die mit dem theologisch bedingten Amtsverständnis nur schwer auf einen Nenner zu bringen waren. Dem Verfasser geht es dabei nicht so sehr um das bereits vielfach beackerte Feld der bischöflichen Stadtherrschaft, ihn interessiert vielmehr die „große“ Politik, mithin die komplexen Verflechtungen und wechselseitigen Abhängigkeiten, die fränkische Bischöfe an den Königshof banden. Er fragt danach, wie Bischöfe – sei es einzeln oder im Kollektiv – mit den widersprüchlichen Erwartungen umgingen, mit denen sie konfrontiert wurden.

Im ersten Kapitel des Buches schaut sich Halfond die verschiedenen Formen der Unterstützung, die Könige von Kirchenleitern erwarteten, genauer an („Episcopal Service to the Court“, S. 28–62). Zentral sei hierbei jene Beratertätigkeit gewesen, die bereits im bekannten Brief des Remigius von Reims an Chlodwig zur Sprache kommt (Epistola Austrasiaca 2). Wie Halfond nicht nur am Beispiel des Bischofs Nicetius von Trier zeigen kann, waren bischöfliche Ratschläge allerdings ein zweischneidiges Schwert, insbesondere dann, wenn sie ungefragt erteilt wurden.

Der Verfasser fragt in diesem Zusammenhang auch nach der Funktion bischöflicher Versammlungen, die ja ebenfalls beratschlagend tätig sein konnten. Da es in den meisten Fällen die Herrscher waren, die (Teil-)Reichssynoden einberiefen, will Halfond wissen, weshalb diese Versammlungsform aus königlicher Perspektive so interessant war. Neben den neuen Rechtsregelungen, die hier formuliert wurden, geht der Verfasser auch auf die judikativen Aufgaben ein, die Synoden gleichermaßen erfüllten. Er stellt fest, dass die Könige von dieser Institution unterschiedlich häufig Gebrauch machten, wenn es galt, politisch illoyale Kleriker – besonders Bischöfe – gerichtlich zu verurteilen. Halfond erliegt nicht der Versuchung, seine Feststellungen interpretativ überzustrapazieren: Dass der Königshof in einzelnen Fällen versuchte, den Ausgang solcher Gerichtsverhandlungen durch Bestechung und andere Umtriebe zu beeinflussen, dürfe nicht zum Schluss verleiten, in der Merowingerzeit seien Urteile immer politisch präjudiziert gewesen. Wie der Verfasser zu Recht betont, zeigt bereits die Durchführung von Gerichtssynoden, dass die kirchliche Forderung, Kleriker seien von Klerikern zu verurteilen, von den fränkischen Königen grundsätzlich anerkannt wurde, wenngleich die Anwendung einzelner Normen stets Ergebnis eines Aushandlungsprozesses gewesen ist.

Dem Rezensenten sei gleichwohl eine kritische Anmerkung erlaubt: Das Kapitel hätte sicher an Tiefe gewonnen, wenn sich Halfond mit den rechtshistorischen Ausführungen von Anton Nissl zum „doppelten Gerichtsstand“ höherer Kleriker auseinandergesetzt hätte.1 Mag auch manches veraltet sein, wurde dieses Buch doch nie durch eine gleichwertige Studie ersetzt und lässt sich deshalb auch heute noch gewinnbringend lesen, obwohl seit seiner Abfassung fast 140 (!) Jahre vergangen sind. Wenn Halfond außerdem feststellt, dass einige Bischöfe wegen „secular crimes“ (vor allem Hochverrat), andere wiederum wegen Verstößen gegen das Kirchenrecht verurteilt worden seien, dann reflektiert diese Schlussfolgerung im Grunde die Voreingenommenheit der Quellen. Denn während Geschichtsschreiber oder Hagiographen aus der Rückschau kein Problem damit hatten, politische Gründe für eine Verurteilung anzuführen, kam es für Rechtsgelehrte, die die Verhandlung vorbereiteten, darauf an, dass die Anklage juristisch wasserdicht war. Wie das Beispiel des Johannes Chrysostomos (†407) zeigt, war es durchaus möglich, dass ein Bischof, der am Kaiserhof in Ungnade gefallen war, deshalb abgesetzt wurde, weil er die Eucharistiefeier falsch zelebriert hatte. Dass die merowingischen Bischöfe in ähnlich gelagerten Fällen nicht weniger einfallsreich waren als ihre oströmischen Amtskollegen, hat Hubert Mordek anhand der Collectio Bernensis überzeugend nachgewiesen.2 Weder die Erkenntnisse von Nissl noch von Mordek werden indes von Halfond berücksichtigt.

Das zweite Kapitel „Royal Patronage and its Benefits“ (S. 63–94) handelt von den vielfältigen Bestrebungen, die der Königshof unternahm, um sich einzelne Bischöfe geneigt zu machen und enger an das Herrscherhaus zu binden. Halfond subsumiert diese Praktiken unter dem Stichwort „Patronage“. Hierunter versteht er nicht nur die finanzielle Ausstattung von Sanktuarien, sondern auch die öffentlich zur Schau gestellte Nachsicht gegenüber Delinquenten aus dem Umkreis des Bischofs, außerdem die – wenn auch nur selektive – Bestätigung von Konzilsdekreten. Halfond gibt einen instruktiven Überblick über merowingerzeitliche Bestimmungen zur Bischofsbestellung, die sich in Synodalbeschlüssen und Kapitularien finden. Der Fokus liegt auf der königlichen Beteiligung an diesen Wahlen bzw. auf dem Spielraum, den die Quellen dem König zugestanden. Hierauf folgt ein – wiederum aus den Quellen geschöpfter – Abschnitt über die vielfältigen petitiones, die Bischöfe am Königshof vorbringen konnten (Gefangenenbefreiungen, Abgabenbefreiung, Gnade für Verurteilte etc.). Das Kapitel schließt mit einem tour d’horizon zur Stellung des Bischofs in der weltlichen Gesetzgebung. Halfond geht insbesondere auf die hohen Wergelder in den Leges ein, die unbestreitbar den „high social value of an episcopal life“ (S. 91) reflektieren.

Im Zentrum des dritten Kapitels stehen Streitigkeiten innerhalb des Episkopats. Halfond behandelt hier Konflikte, die sich an der Bindung einzelner Prälaten an den Königshof entzünden konnten („Unity in Disunity. The Limits of Corporate Solidarity“, S. 95–119). Mit Recht betont Halfond, dass harmonische Formulierungen in Konzilsakten nicht darüber hinwegtäuschen sollten, dass consensus unter Bischöfen nicht die Regel, sondern ein Ideal war, das denkbar schwer zu verwirklichen war. Hierzu passt nicht zuletzt die Beobachtung, dass sich einige Kanones mit innerepiskopaler Konfliktlösung befassen. Die Konfliktursachen, die Halfond kurz anreißt, waren so vielfältig wie das (kirchliche) Leben selbst: Uneinigkeit über Dogmatisches, Streit um Pfarrsprengel, Privatbesitz, Neid auf beförderte Amtskollegen etc. Ein Faktor, den Halfond mit guten Gründen hervorhebt, ist die Tatsache, dass die kirchliche Provinzialeinteilung – die ja einst analog zur diokletianischen Provinzialeinteilung geschaffen worden war – in vielen Fällen mit den ephemeren fränkischen Reichsteilungen divergierte. Während die Reichsteilungen sich besonders im Institut der Teilreichssynode spiegelten, hätten die alten Kirchenprovinzen im Rahmen des kirchlichen Denk- und Handlungshorizonts gleichwohl fortbestanden und weiterhin identitätsbildend gewirkt.

Das fraglos stärkste Kapitel ist das vierte, in dem Halfond exemplarisch auf politische Umbrüche eingeht und danach fragt, welche Handlungsspielräume sich den Bischöfen angesichts dieser „Stresstests“ boten („Disunity in Unity. Territorial Integration and its Effects“, S. 120–159). Während sich Halfond in den übrigen Kapiteln leider nur selten auf eine tiefergehende Analyse seines Quellenmaterials einlässt, beschließt er sein Buch mit drei ausführlichen Fallstudien, die sich mit den vielleicht wichtigsten Einschnitten in der merowingischen Geschichte beschäftigen: 1. Die fränkische Expansion zur Zeit Chlodwigs, 2. die Vereinigung des Frankenreiches unter Chlothar II., 3. die Etablierung der pippinidischen Hegemonie nach der Schlacht von Tertry im Jahr 687. An allen drei Begebenheiten kann die Bedeutung von königlicher Patronage und bischöflichen Loyalitätsbindungen anschaulich illustriert werden. Besonders gelungen scheint dem Rezensenten die Analyse des Briefes von Remigius an seine Mitbischöfe (Epistola Austrasiaca 3). Wichtig ist auch die Beobachtung, dass an der Pariser Reichsversammlung von 614 das Netzwerk um Aredius von Lyon und Domnolus von Vienne eine herausgehobene Rolle spielte, das ehedem zu den größten Unterstützern der austrasisch-burgundischen Linie gehört hatte. Hieran und an anderen Beispielen kann Halfond anschaulich illustrieren, wie königliche Patronage und kollektive Identität der Bischöfe in praxi ineinander griffen.

Insgesamt bietet Halfond einen gut recherchierten Beitrag zu einem wichtigen Thema der frühmittelalterlichen Geschichte. Auch wenn man sich an vielen Stellen eine tiefere Quellenanalyse gewünscht hätte, vermag es der Verfasser doch, an einigen Punkten neue Akzente zu setzen und die Forschung um manche Facette zu bereichern.

Anmerkungen:
1 Anton Nissl, Der Gerichtsstand des Clerus im Fränkischen Reich, Innsbruck 1886.
2 Hubert Mordek, Bischofsabsetzungen in spätmerowingischer Zeit. Justelliana, Bernensis und das Konzil von Mâlay (677), in: ders. (Hrsg.), Papsttum, Kirche und Recht im Mittelalter. Festschrift für Horst Fuhrmann zum 65. Geburtstag, Tübingen 1991, S. 31–53.

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