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Titel
Die Unterwerfung der Zeichen. Zur ›Konstitution‹ von Herrschaftsrecht durch das Krönungszeremoniell im späten Mittelalter am Beispiel der Krönung in den Königreichen Aragon und Frankreich


Autor(en)
Geyer, Stefan
Reihe
Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen 38
Erschienen
Zürich 2020: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
432 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Steffen Krieb, Regesta Imperii, Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz

Die im Jahr 2013 an der Rechtswissenschaftlichen Universität Zürich angenommene und für den Druck überarbeitete Habilitationsschrift untersucht am Beispiel des Krönungszeremoniells in den Königreichen Aragon und Frankreich das Verhältnis von Ritual und Recht, das bereits in den Anfängen der inzwischen etablierten Neuen Verfassungsgeschichte als Problem erkannt wurde.1 Das Interpretament der strukturierenden Wirkung von Ritualen hat sich, wenngleich nicht unwidersprochen2, in der Erforschung vormoderner politischer Ordnungen weitgehend durchgesetzt und auch das Verständnis moderner, auf rechtlich normierten Verfahren gegründeter Staatlichkeit durch eine kulturgeschichtlich gewendete Verfassungsgeschichte erweitert.3

Während also die Bedeutung von Ritualen und zeremoniellem Handeln für die Konstituierung und Aufrechterhaltung von Herrschaftsordnungen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit inzwischen breit untersucht ist, erscheint es legitim, die Rolle rechtlicher Denkweisen in diesem Kontext zu thematisieren. Stefan Geyers Untersuchung fragt daher danach, „welche rechtlichen Wirkungen von rituellen Verhaltensweisen ausgehen können und welche Wechselwirkung zwischen Ritual und Recht bestehen, wobei vermutet wird, dass sich in der Konfrontation von rechtlicher Denkweise mit rituellem Verhalten das Entstehen von Staatlichkeit beobachten lässt.“ (S. 23) Methodisch ist sie einem mediengeschichtlichen Ansatz verpflichtet, der von der Annahme ausgeht, dass Recht nicht an sich existiert, sondern "für die Erzeugung von Rechtswirkungen einer medialen Umsetzung" (S. 13) bedarf. Das Krönungsgeschehen in Aragon und Frankreich im 14. Jahrhundert wird dabei als medialer Ort mit einer rechtlichen Funktion verstanden, sofern dort „über die Unterscheidung Recht/Unrecht verhandelt wird und die entstehenden Sichtbarkeiten in einer rechtlich systemimmanenten Weise verarbeitet werden.“ (S. 32)

Dabei geht Geyer in drei Schritten vor, die den Ebenen möglicher rechtlicher Wirkungen der Rituale entsprechen. Diese könnten eine „verfügungsähnliche Performanz“ (S. 33) entfalten, wenn dabei subjektive Rechte übertragen würden, also die rechtliche Wirklichkeit durch die Handlung verändert würde. Auf einer zweite Ebene wird die Rolle der Rituale für die Entstehung von Gewohnheitsrecht analysiert, da in der Wiederholung gleichartiger Handlungen zur Übertragung subjektiver Rechte die dahinterliegenden Rechtsnormen sichtbar würden. Die dritte Ebene nimmt Funktionen der Krönungen in den Blick, die nicht innerhalb des Systems Recht erklärt werden können, jedoch mittelbar rechtliche Wirkungen entfalten könnten.

Im ersten Teil (S. 43–223) geht es um die Fragen, ob die sakrale Erhöhung durch die Weihe Grundlage der Königsherrschaft war und die Krönung somit rechtliche Voraussetzung für die Herrschaftsbefugnisse war. Die Analyse von Krönungsordines sowie staatstheoretischen Texten, die sich durchaus intensiv mit der Krönung befassten, führt zu einem negativen Ergebnis. Weder in Aragon noch in Frankreich wurden durch die Krönung subjektive Rechte im Sinne von Herrschaftsbefugnissen übertragen. In Aragon war man hingegen bestrebt, diesen Eindruck zu vermeiden, was als späte Reaktion auf die Bemühungen Papst Innozenz III. gedeutet wird, die Krönung zu einem Zeichen für die Lehensabhängigkeit des Königs vom Papsttum zu machen. Auch in Frankreich spielte demnach die rechtliche Dimension bei der Königserhebung keine Rolle. Das Zeremoniell sei vielmehr dazu benutzt worden, ein spezifisches Bild des französischen Königtums zu entwerfen. In beiden Königreichen war man zudem bestrebt, der Kirche die Kontrolle über das Krönungsgeschehen zu entziehen, was sich vornehmlich darin zeigte, dass die Herrscher gesetzesähnlich über die Texte der Ordines verfügten.

Auch für die Ausbildung des Thronfolgerechts in beiden Königreichen spielte die Krönung keine Rolle. Die entsprechenden rechtlichen Regelungen wurden entweder in privatrechtlichen Verfügungen wie Testamenten getroffen (Aragon) oder in verschiedenen Formen politischer Versammlungen ausgehandelt (Frankreich). Auch für die Sichtbarmachung des zur Rechtsgewohnheit gewordenen Primogenitur war die Krönung wenig geeignet. Sie bildete jedoch den gemeinsamen Bezugspunkt des Sprechens über die Thronfolge: „Man kann über die Krönung und ihre Rechtmäßigkeit sprechen, wo die Worte für die Schaffung eines Verfassungsrechts fehlen.“ (S. 171)

Im zweiten Teil (S. 227–399) verlässt die Untersuchung das engere Feld der Rechtsgeschichte und fragt nach den indirekten rechtlichen Wirkungen der Krönung, die in einer möglichen psychischen Wirkung des Zeremoniells auf den König und seine Untertanen gesucht werden. Letzteres fasst Geyer als „Herstellung von Gefolgschaft bei den Untertanen“ (S. 227), worunter wohl die Begründung und Festigung des Legitimitätsglaubens zu verstehen ist, dessen Bedeutung Max Weber für die Formen traditionaler Herrschaft hervorgehoben hat. In Aragon hatte die mit der Krönung verbundene Weihe des Königs zum Diakon zumindest eine kirchenrechtliche Wirkung, die es dem Herrscher erlaubte, in der Kirche zu predigen. Die beim französischen Zeremoniell erfolgende Annäherung des Königs an einen Bischof war hingegen nicht von rechtlicher Relevanz, sondern wird von Geyer treffend als „Auratisierung“ beschrieben, die „in politischer Hinsicht auf den Glauben des Betrachters, dem ein Grund gegeben werden soll, gerade diesem König Gefolgschaft zu leisten“ (S. 265), zielte.

Weniger überzeugend fällt die Erörterung der Salbung als „Erweckungserlebnis“ (S. 277) und einer damit einhergehenden Verpflichtung des Herrschers auf ritterliche Tugenden aus. Hierbei übersieht Geyer, dass damit keineswegs eine Neuerung eingeführt wird, da zentrale Kategorien des Ritterethos aus den bereits in frühmittelalterlichen Fürstenspiegeln formulierten Herrschertugenden hervorgingen. Auch die aus der Zeremonie der Schwertübergabe, an dessen Ende der König sein Schwert dem Seneschall als Amtsträger weiterreicht, entwickelte These, der König beginne „ein Dasein als Funktionär zu führen; ihm kommen verfassungsrechtliche Pflichten zu, die hier als Tugendpflichten in der Person der Königs verankert sind“ (S. 333), bürdet diesem Ritual doch etwas zu viel Beweislast auf.

Im abschließenden Kapitel werden die Krönungen des 14. Jahrhunderts als „Verfassungstheater“ gedeutet, das zur „Propagierung eines ideologischen Überbaus“ (S. 399) der Königsherrschaft genutzt wurde. In Aragon orientierte man sich dabei an der Krönungspraxis des westlichen Kaisertums und machte in einer Krönungsprozession mit vielen Teilnehmern die herrschaftliche Ordnung erlebbar. In Frankreich dienten die Zeremonien hingegen einer Aufführung der historisch-mythischen Legitimation der Dynastie, die u.a. durch die Verwendung von Herrschaftszeichen evoziert wurde, die Karl dem Großen zugeschrieben wurden. Auch das Kollegium der Pairs de France hatte weniger praktisch-administrative als symbolische Relevanz, weil die Herrschaft der Dynastie damit unmittelbar auf Christus und seine zwölf Apostel sowie Karl den Großen und seine zwölf Gefährten zurückgeführt wurde.

Stefan Geyer gelingt es in seinem Buch durchaus, mittels der rechts- und mediengeschichtlichen Perspektive einer von der Geschichtswissenschaft traditionell intensiv untersuchten Quellengattung wie den Krönungsordines neue Facetten abzugewinnen. Hervorzuheben ist dabei sein Mut, auch ein aus rechtswissenschaftlicher Sicht negatives Ergebnis deutlich zu benennen, um das Material anschließend auf eher indirekte rechtliche Wirkungen zu befragen. So gelangt er zu der These, dass die Dimension der verfügungsähnlichen Performanz und damit die rechtlich-konstitutive Funktion der Krönung im Spätmittelalter tendenziell abnimmt. Darin steckt die auch mehrfach explizit geäußerte Annahme, im Früh- und Hochmittelalter seien Herrschaftsrechte tatsächlich durch die Ausführung der Rituale und Zeremonien übertragen worden, die jedoch keine Grundlage in der mediävistischen Literatur zum Thema hat. Bereits Percy Ernst Schramm sah in der Krönung ein „politisches Schauspiel“, welches „sichtbar machte, wie der Klerus, die Großen, der Adel, die Untertanen zu ihrem König standen und wie dieser sein Verhältnis zu Gott ausgelegt wissen wollte“.4 Auch Gerd Althoff hat immer wieder den Aufführungscharakter und von Ritualen hervorgehoben. Die von ihm postulierte Macht der Rituale beruhte nicht in der Übertragung von Herrschaftsrechten, sondern dass mit ihnen Macht ausgeübt werden konnte und diese zugleich diejenigen verpflichteten, die sie ausführten.5

Anmerkungen:
1 Heinz Duchardt / Gert Melville (Hrsg.), Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und früher Neuzeit (Norm und Struktur 7), Köln u.a. 1997.
2 Gerd Althoff, Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, 2. mit einem neuen Vorwort vers. Aufl., Darmstadt 2013. Zur Kritik: Hanna Vollrath, Haben Rituale Macht?: Anmerkungen zu dem Buch von Gerd Althoff, „Die Macht der Rituale, Symbolik und Herrschaft im Mittelalter“, in: Historische Zeitschrift 284 (2007), S. 385–400.
3 Barbara Stollberg-Rilinger, Verfassungsgeschichte als Kulturgeschichte, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte: Germanistische Abteilung. 127 (2010), S. 1–32.
4 Zitiert nach Karl Schnith, Krönung, in: Lexikon des Mittelalters. Bd.5, Sp. 1547–1549, Zitat Sp. 1548.
5 Althoff, Macht S. 7: Die rituellen ‚Aufführungen‘ konstituierten generelle Verhältnisse und Verpflichtungen, regelten keinerlei detaillierten Rechte und Pflichten.