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Titel
Die Schau des Fremden. Ausstellungskonzepte zwischen Kunst, Kommerz und Wissenschaft


Herausgeber
Grewe, Cordula
Erschienen
Stuttgart 2006: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
376 S.
Preis
€ 52,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Voßkamp, Historisches Institut, Universität Duisburg-Essen

Die teils englisch-, teils deutschsprachigen Beiträge des Sammelbandes gehen auf eine Konferenz des Deutschen Forums für Kunstgeschichte (DFK) und des German Historical Institute in Washington (GHI) zurück, die unter dem Titel „Exhibiting the Other: Museums of Mankind and the Politics of Cultural Representation“ im Jahr 2000 in Paris stattfand.1 Aus der ursprünglichen Idee, HistorikerInnen und KunsthistorikerInnen an einen Tisch zu bringen, entwickelte sich eine breitgefächerte Tagung mit Beiträgen aus unterschiedlichsten Disziplinen. Thematisch bewegen sich diese im Spannungsfeld von „art, artifact, and attraction“ (S. 9). An die ausführliche Einführung der Herausgeberin Cordula Grewe (Teil I) schließen sich drei Hauptkapitel an, die den Völkerschauen und Weltausstellungen (Teil II), der musealen Präsentation ethnologischer Objekte und Forschungserträge vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart (Teil III) und künstlerischen Aneignungen von Ethnologie (Teil IV) gewidmet sind.

Alice von Plato beschäftigt sich mit Repräsentationen von Geschichte und Ethnographie auf den französischen Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts. Ihr geht es hauptsächlich um den Einfluss eines Millionenpublikums auf historische Visualisierungen des ‚eigenen’ und ‚fremden’ Kulturerbes im Spektrum von erzieherischer Kunstgeschichtsauffassung und folkloristischer Alltagsdarstellung. Besonders die Verknüpfung verschiedener Wissenschaftsdisziplinen im historisch-ethnographischen Teil der Weltausstellung von 1889 (Ethnologie, Anthropologie, Geschichte und Archäologie) hatte nach von Plato „weitreichende, wenngleich bisher vernachlässigte Konsequenzen für den Blick auf die Geschichte“ (S. 56). Die folgenden Beiträge untersuchen die Repräsentation spezifischer Kulturräume auf Völkerschauen am Beispiel Samoas (Gabriele Dürbeck) und Belgisch-Kongos (Bärbel Küster). Dürbeck schildert Entstehung und Wandel von Stereotypen des Fremden in der Südseeliteratur des 19. Jahrhunderts sowie auf den populären Samoa-Schauen zwischen 1889 und 1910. Die Stereotype vom Paradies auf Erden, sexueller Freizügigkeit, Kriegertum und dem ‚edlen Wilden’ erfuhren dabei, so Dürbeck, eine zunehmende Kommerzialisierung und Fixierung durch die Völkerschauen. In kolonialpolitischer Hinsicht erfüllten sie zwei Funktionen: Sie steigerten zum einen die Attraktivität des Landes, zum anderen ein deutsch-nationales Superioritätsgefühl gegenüber konkurrierenden Kolonialmächten. Analog wurden auf der Brüsseler Weltausstellung Land und Bewohner von Belgisch-Kongo mit Flora und Fauna, ethnographischen Objekten sowie einem Dorf mit 300 Kongolesen präsentiert. Küster interessiert hier vor allem die politische Dimension der ästhetischen Aneignung und Überformung des Exotischen in der Art Nouveau.

Im Teil III kreisen zunächst drei Aufsätze um Krisen und neue Konzepte der zeitgenössischen musealen Präsentation von Ethnologie. Daran schließen sich fünf Beiträge zu ethnologischen Sammlungen in Frankreich und zum Fallbeispiel Musée du Quai Branly in Paris an. Enid Schildkrout greift den ‚Krieg’ zwischen Kunst und (Natur-)Wissenschaft in den USA auf, der um die Ausrichtung musealer Anthropologie tobt. Den Hintergrund bilden Debatten um die Verlagerung von ethnographischen Themen und Objekten aus naturhistorischen Museen, in denen sie traditionell beheimatet waren. Anthropologen stehen in der Museumsdidaktik nach Schildkrout vor einer zweifachen Herausforderung: „making their co-workers and the public see the poetry in science and the truth in art“ (S. 141). Aus deutscher und französischer Perspektive beschäftigen sich Elisabeth Tietmeyer (am Beispiel des Museums Europäischer Kulturen in Berlin) und Michel Colardelle mit der Zukunft ethnographischer Museen bzw. „Musées de Société“.

Die hier angeschnittenen Problemfelder – das Museum zwischen Kulturförderung, Zeitgeist sowie wissenschaftlichen, didaktischen und ästhetischen Ansprüchen – werden in verschiedenen Beiträgen zum Fallbeispiel Paris vertieft. Darin werden die Entwicklungen von musealer Repräsentation anthropologischer und ethnographischer Themen vom Louvre bis zum Musée du Quai Branly vom 19. bis ins 21. Jahrhundert nachvollzogen. Das letztere, im Juni 2006 eröffnete Museum vereint die Sammlungen des Musée de l’Homme und des Musée des Arts d’Afrique et d’Océanie. Zu den anthropologischen Grundlagen des museologischen Konzeptes und der Vision einer „Einheit von Kunst und Wissenschaft“ äußern sich Germain Viatte (S. 212) und Maurice Godelier (S. 215ff.). Insbesondere Lorenzo Brutti setzt sich kritisch mit der von ihm diagnostizierten ethno- und eurozentrischen Haltung der Museumsleitung sowie den kulturellen Projektionen in der Ausstellungskonzeption auseinander (vgl. S. 235ff.).

Unter der Überschrift „Ethnologie im Zeichen der Avantgarden“ stehen im IV. Teil des Sammelbandes „künstlerische Aneignungen“ im Mittelpunkt. Die Suche nach dem Primitiven im Werk Max Klingers (1857-1920) und die Verarbeitung ethnographischer Objekte etwa bei Emil Nolde (1867-1956) ist häufig, so Andrew Zimmermann, als wichtiger Schritt in der Entwicklung der Klassischen Moderne interpretiert worden (S. 279). Marsha Morton erläutert die Suche nach dem ‚Primitiven’ im zivilisierten modernen Menschen, die sich für Klinger in Träumen, Mythen, der Darstellung des Grotesken und der Konfrontation mit Tabus manifestierte. Klinger ließ sich ebenso wie Nolde und andere KünstlerInnen durch die Objekte der ethnographischen Sammlungen inspirieren. Ausgehend von künstlerischen Aneignungen und der kolonialpolitischen Situation (am Beispiel Deutsch-Neuguineas) analysiert Zimmermann die Selbstdefinition der deutschen Anthropologie als Naturwissenschaft in Abgrenzung von historischen und ästhetischen Positionen. Diese Abgrenzung führte auch zur Vernachlässigung schriftlicher Quellen durch Anthropologen, „because they believed their subjects had neither writing nor history, and also because they viewed writing and history as uncertain sources of knowledge“ (S. 281). Die zeitgenössische Kritik des Kunsthistorikers und Theoretikers Carl Einstein am Berliner Museum für Völkerkunde nimmt Uwe Fleckner zum Anlass, die Kontroverse Kunst versus Ethnographie anhand des 1926 neu gestalteten Museums zu beleuchten. Einstein leitete aus seiner Kritik den Vorschlag ab, die ‚primitive’ Kunst in ihren historischen Kontext einzubinden, und entwickelte damit „both a new museum concept and a new ethnological program“ (S. 314).

Die beiden übrigen Aufsätze in Teil IV untersuchen (Re-)Produktionsbedingungen afrikanischer Kunst. Wendy A. Grossman fragt nach der Rolle der Fotografie als förderndem Faktor für die Etablierung afrikanischer Objekte als anerkannte Kunst im frühen 20. Jahrhundert. Fotos bewirkten, so Grossmans These, sowohl eine neue Art der Bedeutungsproduktion für die Objekte als auch neue westliche Auffassungen über afrikanische Kunst (S. 318). Grossman zeigt dies unter anderem am Beispiel des Fotografen Walker Evans. Till Förster beschreibt Auswirkungen der Globalisierung auf lokale Formen zeitgenössischer afrikanischer Kunst. Erleichterungen im Zugang zum internationalen Kunstmarkt erweisen sich für die Künstler als ambivalent: Zum einen wird eine Loslösung von touristischen Klischees ‚typisch afrikanischer’ Kunst möglich, zum anderen bringt der Kontakt zur Kunstwelt kaum zu bewältigende Herausforderungen mit sich, da sich hier schwer vereinbare soziale und kulturelle Sphären begegnen (S. 342). Förster stellt Schilder- und Porträtmaler sowie ‚real art’-Künstler vor; er analysiert dabei Motive, Entstehungsbedingungen und Verbreitung der verschiedenen Formen unter den Vorzeichen des Globalisierungsprozesses.

Äußerst begrüßenswert für einen so breitgefächerten Sammelband ist schließlich das Nachwort (Teil V), in dem Barbara Kirshenblatt-Gimblett das Buch als Ganzes noch einmal reflektiert und die wichtigsten Aspekte der Formierung der angesprochenen Disziplinen sowie des Funktionswandels von Museumskonzeptionen resümiert. Museen sind nach Kirshenblatt-Gimblett zum Blitzableiter für Kontroversen geworden, da sie eine „arena for the performance and contestation of cultural citizenship“ darstellen (S. 376). Insgesamt umfasst der Sammelband ein breites Spektrum an Analysen und Bewertungen zur Visualisierung des ‚Eigenen’ und ‚Fremden’, das nicht nur den Stand der Debatte zu völkerkundlichen Museen und deren Umstrukturierung präsentiert, sondern auch vielfältige Denkanstöße für die angesprochenen Disziplinen bieten kann.

Anmerkung:
1 Vgl. den Konferenzbericht aus Sicht der Veranstalter: <http://www.ghi-dc.org/bulletin28S01/b28conferences.html#g>.

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