J. Pekelder u.a.: Der Kaiser und das "Dritte Reich"

Cover
Titel
Der Kaiser und das "Dritte Reich". Die Hohenzollern zwischen Restauration und Nationalsozialismus


Autor(en)
Pekelder, Jacco; Schenk, Joep; Bas, Cornelis van der
Erschienen
Göttingen 2021: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
135 S.
Preis
€ 18,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Franka Maubach, Universität Jena

Der mittlerweile öffentlich geführte Streit um die Entschädigungsforderungen der Hohenzollern dreht sich regelmäßig um eine sehr konkrete Frage: Hat der Ex-Kronprinz Wilhelm dem Nationalsozialismus, wie es im Juristendeutsch heißt, Vorschub geleistet? Inwiefern hat er ihm entgegengearbeitet, inwieweit das Regime mitgetragen? Die rechtliche Auseinandersetzung, die beigezogenen Gutachten, die mediale Debatte kreisen um diesen Sachverhalt. Dieser wird geprüft, weil das Ausgleichsleistungsgesetz von 1994, das die Entschädigung von Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone ermöglicht, Ausnahmen kennt: Hat der Antragsteller dem Nationalsozialismus „erheblichen Vorschub geleistet“, werden keine Leistungen gewährt.1 Dass der Tatbestand nur für Kronprinz Wilhelm untersucht wird, nicht aber für seinen Bruder August Wilhelm, der sich, wie die Autoren des vorliegenden Bandes argumentieren, am ehesten als „brauner Fleck auf der Weste des Hauses Hohenzollern“ erwies (S. 53), liegt daran, dass Wilhelm als Thronfolger galt und damit als Familienvorstand. So führt die Logik dynastischer Erbfolge im Grunde bis in die Gegenwart: Dass jetzt Enkel Georg Friedrich Prinz von Preußen als erster Vertreter, Sprachrohr und Dauerkläger der Hohenzollern auftritt, hat mit der Übergabe des dynastischen Staffelstabs an ihn zu tun. Weil sein Vater früh starb und weil dessen ältere Brüder unter Stand geheiratet hatten, wurde er zum (virtuellen) Thronfolger. Das mag die Vehemenz erklären, mit der er Familieninteressen vertritt. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Wilhelm II. vor über 100 Jahren abgedankt hat, ist gleichwohl bemerkenswert, dass das Uhrwerk dieses alten Erbfolgemechanismus so beharrlich tickt, obwohl die Zeit längst abgelaufen ist.

In dem Büchlein von Jacco Pekelder, Joep Schenk und Cornelis van der Bas kann man viel lernen über diese innerkaiserfamiliären Mechanismen, über das Verhältnis verschiedener Hohenzollern zum Nationalsozialismus, aber auch über die stete Hoffnung, irgendwann die Monarchie zu restituieren. Damit rückt der kleine Band die Debatte jenseits der konkreten Streitfrage auf angenehm knappe, nüchterne und kenntnisreiche Weise in größere Kontexte.2 Kaum 150 Seiten stark und reich bebildert, handelt es sich um eine Art Minikatalog zu einer Ausstellung, die 2020 in Huis Doorn gezeigt wurde, wo der letzte deutsche Kaiser seinen Exilwohnsitz hatte und später ein Museum entstand, das sich der Geschichte der letzten Kaiserfamilie ebenso widmet wie den beiden Weltkriegen. Die Texte gehen über die üblichen Bildkommentare und historischen Kontextualisierungen eines Ausstellungskatalogs hinaus und entstanden im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung, die Huis Doorn mit Wissenschaftlern und (nirgendwo namentlich genannten!) Studierenden der Universität Utrecht durchführte. Dabei reichen die vier Kapitel bis scharf an die Gegenwart: Am Ende werden mit Louis Ferdinand und Georg Friedrich diejenigen in den Blick genommen, die den Antrag auf Ausgleichsleistungen stellten beziehungsweise aufnahmen.

Die Fakten selbst sind nicht neu. In der Zusammenschau aber bietet das Buch einen erhellenden Einblick und guten Einstieg sowohl in die Funktionsweise alter Dynastien als auch in die vielfältigen Versuche, die Monarchie mit den politischen Ordnungen in der Moderne zu verbinden; Kontexte, deren Kenntnis die Einschätzung von Haltung und Handlungen Ex-Kronprinz Wilhelms erleichtert. Welche Rolle spielte das Ziel, die – oder eine neue Form der – Monarchie wiederherzustellen? Wie weit näherten sich Wilhelm II., seine Söhne und Enkel dem Nationalsozialismus an? Wie sehr entfernten sie sich dabei von klassischen Konzepten einer Monarchie von Gottes Gnaden? Wie genuin nationalsozialistisch also war ihre Unterstützung des NS-Regimes?

Die Differenzierungen, die die Autoren hier herausarbeiten, sind aufschlussreich. Denn die Beziehungen zum Nationalsozialismus waren durchaus vielfältig. Vor allem die Hohenzollern mit Thronprätendenz versuchten, der Monarchie über die Annäherung an das NS-Regime wieder eine Chance zu eröffnen. Eine Ausnahme stellte August Wilhelm („Auwi“) dar, der mindestens zeitweise die alte Kaisertreue gegen eine leidenschaftliche Verehrung des „Führers“ eintauschte. Dagegen setzten „Wilhelm der Letzte“ (S. 18) und dessen zweite Frau Hermine, eine umtriebige Netzwerkerin in der rechten „Bewegungsfamilie“ Weimars, auf Wiederherstellung des „quasi-absolutistischen Kaisertums“ Wilhelms II. (S. 60). Zwar gab es ideologische Überschneidungen mit dem Nationalsozialismus wie einen heftig verschwörungsideologisch durchzogenen Antisemitismus. Dieser habe sich bei Wilhelm II. – hier folgen die Autoren der milderen Einschätzung Christopher Clarks – aber eher rhetorisch statt in Taten manifestiert (S. 37–44).3

Während „Auwi“ – nur Prinz, nicht Thronfolger – sich in Kameradschaftsbünden wie der „Sturmabteilung“ (SA) aufgehoben gefühlt habe, habe vor allem Ex-Kronprinz Wilhelm eine modern völkische Konzeption monarchischer Ordnung entwickelt, die sich wie im faschistischen Italien in einem Bündnis von Monarch und Masse realisieren sollte: „einer kaiserlichen Diktatur auf Basis der Volksmassen“ (S. 60). So imaginierte er sich – gleichfalls zusammen mit seiner Frau Cecilie, die im rechten „Bund Königin Luise“ Netze knüpfte – als Kaiserdiktator in der „Volksgemeinschaft“. Die Autoren zeichnen nach, dass und wie Wilhelm den Nationalsozialisten die Machteroberung und -durchsetzung erleichterte, indem er sich etwa bei der Reichspräsidentenwahl 1932 für Hitler aussprach und das Regime nach der Machtübernahme in Wort und Tat und mit öffentlichen Auftritten wie beim „Tag von Potsdam“ unterstützte. Gerade auf dem Weg des direkten Vergleichs mit Vater und Bruder lässt sich das charakteristische Profil einer strategisch-ideologischen Unterstützung des Nationalsozialismus durch Wilhelm erkennen. Freilich stellten die Nationalsozialisten Hoffnungen dieser Art schnell kalt – mit Gewalt, wie 1934, oder durch Schonung, wie 1940, als der „Prinzenerlass“ Angehörigen ehemals regierender Fürstenhäuser den Fronteinsatz verbot, damit gefallene Kaiserenkel nicht der Heldenverehrung anheimfielen (S. 47f.).

Es ist schade, dass das letzte Kapitel über Louis Ferdinand und dessen Enkel Georg Friedrich so kurz geraten ist (S. 93–122). Über die Hohenzollern in der bundesdeutschen Demokratie wüsste man gerne mehr; der Fortgang der Geschichte ist spannend, weil er den historischen Streitfall mit der Gegenwart verbindet. Die Eigendynamik dynastischer Erbfolge blieb auch nach 1945 virulent, wenngleich die Hoffnung jetzt auf eine repräsentative Monarchie im demokratischen Staat umgelenkt werden musste. Louis Ferdinand, 1907 geboren, ist hier die den Zeitenwechsel überbrückende Schlüsselfigur. Anders als Vater und Onkel war der promovierte Wirtschaftswissenschaftler im Nationalsozialismus weder aktiv noch hielt er sich zum Zeitpunkt der Machtübernahme überhaupt im Deutschen Reich auf – auch wenn er dem NS-Regime alles andere als abgeneigt war, unterzeichnete er seine Briefe doch gerne mit „Heil Hitler“ (S. 98). Stattdessen lernte er in den USA bei Henry Ford, dem Automobilunternehmer und glühenden Antisemiten („The International Jew“, 1920), wie sich rechtes Denken und Demokratie vereinbaren ließen, und versuchte sich 1933 sogar in Vermittlungsversuchen zwischen Roosevelt und Hitler (S. 100).

Nach 1945 arbeitete der weltläufige Unternehmer beharrlich daran, der Monarchie einen Platz in der bundesdeutschen Demokratie zu verschaffen. Leider erlaubt es die Anlage des Bändchens nicht, über die bizarren Versuche zu berichten, die Monarchie in den 1950er-Jahren wieder hoffähig zu machen: Man denke an die einsame Feier zum 250. Geburtstag des Königreichs Preußen 1951 an der Universität Erlangen, wo mit dem jüdischen Remigranten Hans Joachim Schoeps wohl einer der glühendsten und schillerndsten Monarchisten der frühen Bundesrepublik lehrte.4 Ein „monarchistisches Manifest“ war in Arbeit und Louis Ferdinand wurde als Präsidentschaftskandidat nach Heuss gehandelt. Auch wenn sich Aktivitäten wie diese am irrelevanten Rand des Geschehens abspielten, sind sie doch Indiz dafür, dass der Glaube an eine Renaissance der Monarchie lebendig blieb. In einem Interview mit dem Spiegel drückte Louis Ferdinand 1957 die Hoffnung aus, in einem vereinigten Deutschland eine Rolle spielen zu dürfen – „daß wir unsere Sachen zurückbekommen“, sei ihm „gar nicht so wichtig“.5 Öffnete sich das window of opportunity in der nationalen Emphase nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten weiter als in den 1950er-Jahren? Mit über 80 Jahren orchestrierte Louis Ferdinand nun nicht nur die Umbettung Friedrichs II. nach Sanssouci.6 Kurz vor seinem Tod 1994 gelang ihm auch, jenen Antrag auf Entschädigung zu stellen, über den noch immer nicht entschieden ist. Wenn in der Sendung Jan Böhmermanns7, der die ganze Causa publik machte, ein Interview mit Georg Friedrich eingespielt wird, in dem der 24-Jährige auf der (mit ungleich größerem Bahnhof begangenen) Feier zum 300. Geburtstag des Königreichs 2001 darauf spekulierte, dass schon irgendwann wieder über eine Monarchie in Deutschland nachgedacht werden würde, dann ist das im Rahmen der Satire zum Lachen und mit Blick auf die Realitäten bizarr, aber im Sinne der erbdynastischen Familiendynamik nur logisch.

Wie hartnäckig gerade die Thronfolger in spe ihren Kampf für die Monarchie durch die Systeme hindurch führten, macht der Band von Pekelder, Schenk und van der Bas eindrucksvoll deutlich. Damit regt die wissenschaftliche Familienaufstellung zum Nachdenken über dynastische Erbfolgedynamiken an, die wider die Realitäten auf Erfüllung warten. Freilich erschien die Hoffnung auf deren Umsetzung um 1933 besonders realistisch; dass daraus eine entschiedene Unterstützung des Regimes erwuchs, lässt sich gar nicht bestreiten. Wie sie sich in der konkreten Streitfrage positionieren, deuten die Autoren an, wenn sie den Prozess der Familie Hugenberg Revue passieren lassen (S. 120f.): Deren Antrag auf Ausgleichsleistungen für enteignete Güter wurde 2007 vom Verwaltungsgericht Leipzig abgelehnt.

Anmerkungen:
1 Ausgleichsleistungsgesetz vom 01. Dezember 1994, Paragraf 1, Absatz 4.
2 Siehe zum Kontext auch das instruktive Themenheft 4 der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 68 (2020).
3 Vgl. Christopher Clark, Wilhelm II. Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers, München 2008 [im engl. Original zuerst 2002].
4 Vgl. Hans Joachim Schoeps, Die Ehre Preußens, Stuttgart 1951.
5 Wenn ich Kaiser wär‘. Interview mit Louis Ferdinand, in: Der Spiegel 15 (1957), S. 28–30, hier S. 30.
6 Plastisch dazu Martin Sabrow, Die Hohenzollern und die Demokratie nach 1918 (II), in: Deutschland Archiv, 18.12.2020, https://www.bpb.de/324802 (30.04.2021).
7 "Neo Magazin Royale" vom 14.11.2019.

Kommentare

Von Pekelder, Jacco01.06.2021

Wir danken Franka Maubach für die faire und informative Rezension. Wir würden nur gerne zwei Details richtigstellen. Erstens: Frau Maubach schreibt im 2. Absatz, dass die am Band beteiligten Studierenden der Universität Utrecht nicht namentlich erwähnt werden. Die drei Studierenden werden tatsächlich aber oben auf Seite 4 genannt. Die drei ersten Exemplare der niederländischen Version des Buches wurden von uns am 1.10.2020 bei der online Eröffnung der Ausstellung im Museum Huis Doorn an Maartje Collaris, Sjoerd van Hoenselaar und Suzanne Ros feierlich ausgehändigt, um ihren Beitrag zu unterstreichen. Zweitens: Frau Maubach schreibt im gleichen Absatz, dass die Ausstellung nur 2020 zu sehen gewesen sei. Die Ausstellung im Museum Huis Doorn wurde aber verlängert: sie kann Covid-bedingt bis zum 15.8.2021 besucht werden. Die Wiedereröffnung der Museen wird im Juni erwartet.

Jacco Pekelder / Joep Schenk / Cornelis van der Bas


Von Maubach, Franka01.06.2021

Ich danke Jacco Pekelder, Joep Schenk und Cornelis van der Bas für ihre Replik. Möge die bis August verlängerte Ausstellung noch viele Besucherinnen und Besucher finden! Die Namen der Studierenden habe ich im Fließtext gesucht, in Vorwort oder Einleitung, wo üblicherweise der Ort für den Dank ist. Auf der Impressumseite 4 habe ich sie nicht erwartet und, das tut mir leid, nicht entdeckt. Dort findet sich der Hinweis auf die Mitarbeit von Maartje Collaris, Sjoerd van Hoenselaar und Suzanne Ros.


Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension