S. Steinbach: Einführung in die Wirtschaftsgeschichte

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Titel
Einführung in die Wirtschaftsgeschichte. Band 3: Mittelalter


Autor(en)
Steinbach, Sebastian
Reihe
Einführung in die Wirtschaftsgeschichte (3)
Erschienen
Stuttgart 2021: Kohlhammer Verlag
Anzahl Seiten
292 S.
Preis
€ 26,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Monika Gussone, Historisches Institut, Universität Mannheim

Sebastian Steinbachs Einführung in die mittelalterliche Wirtschaftsgeschichte ist einer von fünf Bänden, die sich zum Ziel gesetzt haben, ein „aktuelles, deutschsprachiges und epochenübergreifendes Handbuch“ darzustellen, „das in systematischer Weise in die europäische Wirtschaftsgeschichte von ihren Ursprüngen bis in die Moderne einführt.“ (S. 9) Am Beispiel der im Mittelalter weitberühmten VLFBERHT-Schwerter (S. 11f., auf S. 131 und 149 wieder aufgegriffen) wird der Leser gleich zu Beginn sehr anschaulich mit der (mittelalterlichen) Wirtschaftsthematik bekannt gemacht. Zugleich verdeutlicht Steinbach die Relevanz der Wirtschaftsgeschichte, indem er die vielen, auch interdisziplinären Fragen anspricht, die sich allein mit einem solchen Gegenstand verbinden können. Ergänzend führen die in allen Kapiteln zu findenden, sorgfältig ausgewählten und kommentierten Quellenbeispiele dem modernen Menschen nicht nur vor Augen, mit welchen – anders gearteten – Schwierigkeiten im Mittelalter zu rechnen war, wie es beispielsweise der Bericht des Mönchs Richer von St-Remi über eine höchst problematische Reise zeigt (Quelle 2.1), sondern es werden auch Beschreibungen von Handwerkstechniken, wie die Herstellung von Braunfirnis (Quelle 8.1), Verwaltungsvorgänge, wie das hochmittelalterliche Aufgebot an Panzerreitern für Italien (Quelle 3.4), Handelskorrespondenz (Quelle 6.3) oder die Bestrafung abergläubischer Praktiken zur Vermeidung von Tierkrankheiten (Quelle 4.6) vorgestellt.

Immer wieder wird in Erinnerung gerufen, dass man die mittelalterliche Wirtschaft vor dem Hintergrund einer anderen als der modernen Gedankenwelt betrachten muss und sich daraus selbstverständlich andere Herangehensweisen an Aufgaben und Probleme ergaben.
Exkurse informieren über Forschungsthesen, erläutern gängige Forschungsbegriffe, etwa der hochmittelalterliche Landesausbau (S. 94), das Verlagswesen (S. 115) oder die Pirenne-These (S. 142). Auch die beiden Karten auf S. 243 und 244, auf denen sehr übersichtlich die Routen und Waren des Fernhandels vom 13. bis 15. Jahrhundert und die Handelsrouten der Hanse dargestellt sind, sind sehr hilfreich. Wie auch die Abbildungen illustrieren Tabellen und Übersichten die Textaussagen in sinnvoller Weise.

Weniger praktisch ist dagegen die Platzierung der Anmerkungen zwischen Karten und Literaturverzeichnis. Zusammen mit dem verwendeten Kurztitelsystem (Familienname und Jahr), das meist mehrfaches Blättern erfordert, verleitet es eher dazu, die Anmerkungen überhaupt nicht zur Kenntnis zu nehmen. Ähnlich steht es mit den Verweisen auf die zahlreichen Quellenbeispiele, denen keine Seitenangaben beigefügt wurden und die zudem vielfach fehlerhaft sind.

Der Band gliedert sich in neun logisch aufeinanderfolgende Großkapitel, die wiederum in verschiedene Abschnitte unterteilt sind. Sie möchten ein Gesamtbild der Aspekte bieten, die für die Wirtschaft des Mittelalters von Bedeutung waren. Es folgen eine Zusammenfassung bzw. ein Ausblick, der betont, dass das Mittelalter keinesfalls innovationsfeindlich war, und ein Anhang, bestehend aus zwei Karten, den Anmerkungen zum Text, einem Literaturverzeichnis, einem Abbildungsverzeichnis und einem kombinierten, knapp gehaltenen Register für Namen, Orte und Sachen.

Während das erste Kapitel vor allem den Nutzen der Wirtschaftsgeschichte für die Mittelalterforschung hervorhebt und die von Wirtschafts- und Sozialhistoriker:innen genutzte Methodenvielfalt anreißt, folgen mit den Großkapiteln 2 und 3 zwei Themenbereiche, die die Grundlage beschreiben, auf der im Mittelalter Wirtschaft und Wirtschaftsentwicklung, insbesondere in Europa, stattfinden konnten: Geografie, Klimaveränderungen, Energienutzung und Beeinflussung der Umwelt sowie die zeitgenössische Umweltwahrnehmung, dann die von diesen äußeren Bedingungen abhängige Entwicklung der Bevölkerung und deren Struktur sowie die Quellen, die für die Untersuchung dieser Fragen für die Zeit des Mittelalters zur Verfügung stehen. So hatte die variierende Tageslänge im Verlauf des Jahres Auswirkungen auf die Länge des Arbeitstags und damit auf den Lohn, Bevölkerungswachstum und Wirtschaftswachstum standen in direkter Korrelation zueinander. So hatte starker Bevölkerungsrückgang, wie nach der Pest von 1348/1350 das Wüstfallen von Ackerflächen und Siedlungsraum zur Folge.

Kapitel 4 behandelt die Landwirtschaft, in der während des Mittelalters durchgehend mehr als 80 Prozent der Bevölkerung beschäftigt war. Auch dieses Kapitel geht von den Quellen aus und widmet sich darauf den verschiedenen Zweigen der Agrarproduktion und den drei Entwicklungs-Phasen der mittelalterlichen Landwirtschaft. Das Handwerk im Allgemeinen, das sich gerade im städtischen Bereich nicht ohne die in der Landwirtschaft erwirtschafteten Überschüsse spezialisieren konnte, sowie im Einzelnen das Lebensmittelgewerbe (Müller, Bäcker, Brauer), die Textil- und Lederproduktion, Baugewerbe, Salzgewinnung, Glas-, Keramik- und Eisenherstellung, und abschließend das Zunftwesen bilden einen weiteren Themenbereich (Kap. 5).

Kap. 6 betrachtet den Handel vom Frühmittelalter bis ins Spätmittelalter, am Beispiel einzelner Handelsgüter (wie Getreide, Salz, Metall oder Textilien), ihre Bedeutung für bestimmte Regionen und deren Handelsverflechtungen. Der mittelalterlichen Hanse ist ein eigenes Unterkapitel gewidmet. Inhalt des 7., sehr instruktiven Kapitels ist die für den Handel bedeutsame Geldwirtschaft, die sich in Geldgeschichte und Münzgeschichte gliedert. Technik, Verkehr und Infrastruktur bilden das 8. Kapitel, das Orte und Objekte von Technik beleuchtet, und sich ebenfalls mit Akteuren, Institutionen, Medien und Begriffen und nicht zuletzt Innovationen auseinandersetzt. Kapitel 9 schließlich ist Wirtschaftsethik, Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik gewidmet.

Ärgerlich und vor allem einem nachlässigen Lektorat anzulasten sind die vielen Druckfehler und falschen Verweise, die durchgängig zu finden sind. Es sollen hier nur einige wenige Beispiele genannt werde: Auf S. 41, Z. 5, der (statt: das) Viertel als Getreidemaß; der Verweis auf S. 21 bezieht sich nicht auf Quelle 8.2, sondern auf 8.3, auf S. 67 findet sich ein Verweis auf Kap. 8.2 (es müsste aber Kap. 8.4 sein), auf S. 191 wird auf Kapitel 6.1.3 verwiesen, das jedoch nicht existiert (evtl. ist Kap. 6.3 gemeint), ebensowenig gibt es eine Abbildung 6.3 (Verweis auf S. 131). Im ersten Absatz auf S. 203 sind entweder Satzteile verloren gegangen oder durcheinandergeraten. Auf S. 192 findet sich grossus Pragenses (statt Pragensis), auf S. 185 Christiana Religo (statt: Religio); auf S. 220 Odorico de Pordernone (statt: Pordenone), Viacenza (statt Vicenza). Auch vermisst man ab und zu Belege, wie auf S. 87 zu den Zitaten aus dem Capitulare de villis. Ein Hinweis auf Arnold Eschs Aufsatz zu Überlieferungschance und Überlieferungszufall, dessen Gedanken zur Ungleichgewichtigkeit der Überlieferung im Ausblick zumindest anklingen(S. 239f.)1, hätte erlaubt, diese Problematik noch einmal vertieft nachzuvollziehen.

Auf einige Irrtümer bzw. irreführende Formulierungen soll am Schluss noch hingewiesen werden: So sind Begarden nicht identisch mit Beginen, sondern männliche Anhänger der Armutsbewegung (Quelle 5.6, S. 136); die Formulierungen auf S. 184–186 suggerieren, dass es Christiana-Religio-Denare erst unter Ludwig dem Frommen und nicht bereits unter Karl dem Großen gegeben habe; das Ende der Kreuzfahrerstaaten fiel ins Jahr 1291 (nicht 1292).

In der Erläuterung zur Quelle 8.2 (= Abb. 8.1, S. 204f.) sind die Arbeitsschritte bei der Herstellung einer mittelalterlichen Handschrift nicht alle in der richtigen Reihenfolge beschrieben. Beispielsweise wurde ein mittelalterlicher Codex in der Regel erst auf einzelne Lagen geschrieben und dann zusammengebunden, nicht umgekehrt, der Arbeitsschritt des Federanspitzens folgte daher nach dem Zuschneiden des Pergaments und nicht nach dem Beschlagen des Buchdeckels. Auf S. 83 (Q 4.8) hätte bei der Quellenart „Inventar“ angesprochen werden sollen, dass manche Besitztümer grundsätzlich nicht in Inventaren verzeichnet sind, entweder, weil sie von zu geringem Wert waren oder als zur Immobilie gehörig angesehen wurden, und daher kein vollständiger Überblick über das Vorhandene gegeben wird. Auch wäre es hilfreich gewesen, nicht nur das Aussehen eines Angerdorfs, sondern ebenfalls den Aufbau eines Hufendorfs zu beschreiben (S. 96).

Abschließend bleibt trotz der kleineren Einwände zu betonen, dass Sebastian Steinbach mit diesem Buch ein gut verständlicher, facettenreicher und sehr interessanter Einstieg in die Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters gelungen ist, der zudem sehr schön aufzeigt, welche Quellenarten und Methoden für deren Erforschung herangezogen werden können und sollen.

Anmerkung:
1 Arnold Esch, Überlieferungs-Chance und Überlieferungs-Zufall als methodisches Problem des Historikers, in: Historische Zeitschrift 240 (1985), S. 529–570.

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