G. Althoff u.a. (Hrsg.): Spektakel der Macht

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Titel
Spektakel der Macht. Rituale im Alten Europa 800-1800. Katalog zur Ausstellung vom 21.09.2008 bis zum 05.01.2009 im Kulturhistorischen Museum Magdeburg


Herausgeber
Althoff, Gerd; Götzmann, Jutta; Puhle, Matthias; Stollberg-Rilinger, Barbara
Erschienen
Darmstadt 2008: Primus Verlag
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter-Michael Hahn, Professur für Landesgeschichte, Universität Potsdam

Begriffe wie Agende, Ceremonie, Ritual und Ritus werden in Lexika des 19. Jahrhunderts noch in ihren historischen Grundlagen ausreichend erklärt, aber im Allgemeinen scheint seitdem das Wissen um „Gebrauch, der durch sinnliche Mittel, denen meistens eine symbolische Bedeutung beigelegt wird, eine beabsichtige Richtung in der Gemüthswelt“ hervorzubringen, deutlich zurückgegangen zu sein. Solche Praktiken waren, wie in Meyers Konversations-Lexikon von 1858/64 nachzulesen ist, im kirchlichen, staatlichen, aber auch privaten Leben einst weit verbreitet. Gleichwohl haben die Historiker diesem Themenfeld lange nur geringe Beachtung geschenkt. Man sah darin vornehmlich nutzlose Äußerlichkeiten, obwohl vor allem Kirche und Diplomatie diese Traditionen fortsetzten. Dies zu ändern, ist die erklärte Absicht der Herausgeber und Autoren dieses reich bebilderten Kataloges gewesen. „Es gilt, das Bewusstsein dafür zu wecken, dass Rituale für die Ordnung einer Gesellschaft etwas Fundamentales leisten und dass politische Macht ohne `Spektakel` gar nicht auskommt“ (Einleitung der Hrsg., S. 15).

Daher werden sowohl in den einleitenden Essays als auch im beschreibenden Katalogteil nicht selten Beispiele aus Gegenwart und Vergangenheit nebeneinander gestellt, um am Beispiel von feierlichen Einsetzungen in ein weltliches oder kirchliches Amt zu illustrieren, dass politische Repräsentation und politisches Handeln epochenübergreifend feierlicher Formen bedurften. Kaiser und Papst, Ratsmann und Rektor, aber auch moderne Potentaten werden bei ihrer Amtsübernahme ins Blickfeld des Betrachters gerückt. Insbesondere die Rahmenhandlung und das materielle Zubehör werden aufgezeigt.

Durch die Sichtbarkeit ihres Tuns erwarben die Akteure über den Augenblick hinaus Ansehen und Legitimität. Aber Begleitumstände und Erfolgschancen dieser Strategie veränderten sich im Laufe der Jahrhunderte doch massiv. Dies kommt nur beiläufig, wenn überhaupt, zum Ausdruck. Daher mutet es wie eine Beschwörungsformel an, wenn dem Leser beinahe in jedem Absatz auf jeder Seite mehrfach der Begriff Ritual ins Auge springt. Dies bleibt nicht ohne Folgen für das Verständnis des historischen Gegenstandes. Er wirkt seltsam starr. Ein Eindruck, der durch die Auswahl der Literaturverweise verstärkt wird.

Allerdings deutet Hans-Ulrich Thamer in seinem abwägenden Beitrag zur Rolle des Rituals in der Moderne an, dass dessen soziales und politisches Gewicht sehr wohl Schwankungen unterlag. So vermochten verschiedene Sichtweisen dessen Wirksamkeit erheblich einzuschränken. Symbole und Handlungen waren nicht gegen Bedeutungsverluste gefeit. Natürlich lässt sich beim feierlichen Gebrauch ein Art von Grundvokabular an Symbolen und Handlungsmustern beobachten, schließlich wurde durch ein gleich oder ähnlich bleibendes Repertoire eine Form allgemeiner Verständlichkeit unter den Zeitgenossen erzielt. Aber wie wichtig waren diese komplexen Gebräuche für das Miteinander tatsächlich?

Wenn z.B. ein Bischof oder Rektor über lange Zeit nach einem fest stehenden Ritus in sein Amt eingeführt wurde, so kam diesem Vorgang für die Amtsführung und Handlungsspielraum eine ganz andere Bedeutung zu, als wenn politische Ämter, die sich über große Zeiträume mit Angehörigen einer Familie, eines Clans oder einer Parteiung besetzt worden waren, in neue Hände gelangten. In diesen Fällen war es in der Tat zentral, über feierliche Ceremonien die neuen Amtsinhaber mit Legitimität auszustatten. Solche Kontinuitätsbrüche bzw. Machtverlagerungen werden in diesem Band aber, sieht man von den Ausführungen zur Französischen Revolution und ihren Bestrebungen ab, eine neue Ordnung zu etablieren, zu wenig angesprochen. Ebenso hätte eindringlicher der Wandel der materiellen Zeichen thematisiert und ihre teilweise für den Akt konstituierende Wirkung beschrieben werden können. Wie wichtig waren sie, um die Handlungen mit einer feierlichen Aura zu versehen bzw. um eine öffentliche Wirkung zu erzielen?

Überdies kommt es zu zahlreichen inhaltlichen Wiederholungen und Überlappungen in den Essays sowie den nachfolgenden Katalogteilen. Dies gilt, um nur ein Beispiel herauszugreifen, für die Wahl Josefs II. und deren nähere Umstände. Dennoch ist es ein wesentliches Verdienst dieses Bandes, daran zu erinnern, dass die Fundamente sozialer Gemeinschaften nicht allein in schriftlich fixierten vertraglichen Regelungen festgelegt wurden, sondern dass deren Mitglieder, Vertreter oder aristokratische Repräsentanten durch die sich über Generationen wiederholende Ausführung feierlicher Riten die dauerhafte Verpflichtung und ihren festen Willen zu gemeinschaftlichem Handeln bekundeten und damit der Ordnung Stabilität verliehen haben.

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