R. van Royen u.a.: Griechen kommen von der Venus, Römer vom Mars

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Titel
Griechen kommen von der Venus, Römer vom Mars. Eine etwas andere Einführung in die Antike


Autor(en)
Royen, René van; Vegt, Sunnyva van der
Reihe
Beck'sche Reihe 1848
Erschienen
München 2008: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
190 S.
Preis
€ 14,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andrea Schütze, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Einer historischen Tatsache kann man sich schriftlich auf dreierlei Weise widmen: literarisch, wissenschaftlich oder populärwissenschaftlich. In jedem Fall ist zur Bewertung der Abhandlung ein unterschiedlicher Maßstab anzulegen. Eine Mischung aus Literatur und Wissenschaft stellt die Populärwissenschaft vor. Einerseits sucht sie auf unterhaltsame Weise größere Leserkreise für eine durchaus ernsthafte Thematik zu interessieren, andererseits soll durch Allgemeinverständlichkeit eine Simplifikation wissenschaftlich komplexer Inhalte – möglichst ohne Verlust des inhaltlichen Anspruchs – erreicht werden. Hier die Waage im Ausgleich zu halten, dürfte nicht immer ein leichtes Unterfangen darstellen, kann aber im gelungenen Fall auch für einen Wissenschaftler als durchaus anerkennenswerte Leistung betrachtet werden. Als öffentliches Sprachrohr erzeugt populärwissenschaftliche Literatur vielfach eine wichtige kommunikative Ebene zwischen der Masse interessierter Laien und einer deutlich kleineren Gruppe hochspezialisierter Fachleute. Ihre wissenschaftliche Rekrutierungswirkung als Einstiegslektüre darf meines Erachtens nicht unterschätzt werden.

Die beiden niederländischen Autoren Sunnyva van der Vegt und René van Royen stellen mit ihrem witzig betitelten Buch „Griechen kommen von der Venus, Römer vom Mars“ nicht ihr erstes populärwissenschaftliches Werk vor.1 Ihr nun im Beck-Verlag in einer deutschen Übersetzung erschienenes, „recht eigenwillige[s]“ Einführungswerk hat – wie der Klappentext angibt – „die antiken Zeugnisse einmal gegen den Strich gebürstet“; es gliedert sich neben Vor- und Nachwort in fünf Kapitel, jeweils mit Unterüberschriften weiter unterteilt, für die die Autoren teilweise sehr einprägsame Formulierungen gefunden haben2; andere hingegen fallen zu effektbedacht aus oder lassen keinen inhaltlichen Bezug mehr erkennen.3 Die Anmerkungen zeigen ein deutliches Bemühen der Autoren, das präsentierte Wissen vornehmlich aus den Quellen herauszulesen bzw. diese selbst sprechen zu lassen; Forschungsliteratur wird nur vereinzelt benannt. Dies kann angesichts eines fehlenden weiterführenden Literaturverzeichnisses für ein Einführungswerk nicht recht überzeugen. Ein Bildnachweis beendet den kleinen Band.

Im ersten Kapitel „Venus und Mars“ (S. 9–16) wird zunächst sehr schön herausgearbeitet, dass „Liebe und Aggression [als] die stärksten Gefühle, die wir kennen“ (S. 9), nicht allein die emotionalen Eckpfeiler unserer Empfindungswelt bilden, sondern deren Wahrnehmung ganz wesentlich sozial determiniert ist. Der Hinweis auf den konträren Umgang mit Sexualität und Gewalt zwischen europäischer und US-amerikanischer Kultur leitet zu einem antiken Parallelverhältnis zwischen Griechen und Römern über. Dabei konstatieren die Autoren für das antike Verhältnis „eine noch viel breitere Kluft“, präsentierten sich Römer und Griechen doch als „zwei eigenständige Welten oder besser gesagt, zwei gänzlich unterschiedliche Planeten“ (S. 12f.). Die Wechselbeziehungen europäischer und US-amerikanischer wie griechischer und römischer Kultur bleiben allerdings unerwähnt.

Ein kurzer Quellenexkurs stellt die Bedeutung unmittelbarer Quellenaussagen vor und unterstreicht die Problematik, eine nur geringe Zahl erhaltener Autorenstimmen als repräsentativ für die Millionen antiker Menschen ohne überlieferte Meinungsäußerung heranzuziehen. Die Begründung der dann doch vertretenen Repräsentationsfähigkeit, dass „damals, nicht anders als heute, nur die Bücher in Umlauf blieben, die dem Geschmack einer breiten Öffentlichkeit entsprachen“ (S. 16), vermag allein schon deshalb nicht zu überzeugen, weil Literatur in der Antike immer eine Angelegenheit der Bildungselite blieb. Zudem war die Überlieferungssituation für lateinische und griechische Quellen nicht immer gleich.

Wie schon zuvor für Liebe und Aggression konstatieren die Autoren im Abschnitt „Der Sinn des Lebens“ (S. 17–50) durchaus richtig religiöses Empfinden als eine von „den jeweiligen kulturellen und gesellschaftlichen Kontexten“ abhängige Wahrnehmung (S. 18). Bedauerlicherweise wird von der Vielfalt griechischer Philosophie nur der Epikureismus als Repräsentation des Griechentums ausführlich vorgestellt. Als Kontrast tritt gegen diese Lebenshaltung zunächst die christliche Weltsicht eines Augustinus auf, dem „jede normale menschliche Regung und Emotion zuwider“ war (S. 34); eine auf den ersten Blick richtig erscheinende Feststellung, die jedoch Augustinus’ Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität und dem Thema Liebe in seinen Werken vollständig ausblendet. Gleichermaßen unerwähnt bleiben die kulturellen Einflüsse der jüdischen Religion auf die sittliche Orientierung der Christen. Als „Ursprung“ dieser lebensfeindlichen Haltung (S. 36) wird die römische Kultur ausgemacht, die als eine geldgierige, geltungs- und ruhmsüchtige Blendergesellschaft charakterisiert wird. Sallust als Feind jeglicher Beschaulichkeit zu interpretieren (S. 40), dabei aber die dem Römer durchaus vertraute Otium-Pflege dem Leser vorzuenthalten, ist ebenso problematisch wie die These, „andere zu übertreffen, über ihnen zu stehen“ (S. 49), sei ein typischer Ausdruck einer römischen Leistungsgesellschaft; dieses Leistungsideal findet sich auch im Nationalwerk der Griechen, in Homers Illias: Auch seine Helden wollen immer der erste sein und sich vor allen auszeichnen (Hom. Il. 11,784).

Die beiden folgenden Kapitel „Liebe und Sex“ (S. 51–86) und „Die Ehe“ (S. 87–126) sind dem Autorenteam mit zahlreichen Anekdoten, dem literarischen Aufeinanderprallen von Puritanern und Freigeistern sowie recht witzigen und anschaulichen Beschreibungen von Symposien und Hochzeitsfeierlichkeiten oder dem ehelichen Alltag deutlich besser gelungen.4 Das letzte Kapitel „Krieg – eine Frage der Zivilisation“ (S. 127–172) beginnt mit einer ansprechenden Auseinandersetzung mit der heroisierenden Historienmalerei von Jacques-Louis Davids „Raub der Sabinerinnen“ und seiner wenig realitätsnahe Geschichtsinterpretation. Ein sehr unterhaltsames historisches Einfühlungsvermögen bezeigen die Autoren mit ihrer Beschreibung des frühen Rom und seiner Bewohner5, der finanziellen Not römischer Bauern-Krieger oder der nicht unterzukriegenden Durchhaltementalität der Römer im Zweiten Punischen Krieg (S. 154).

Problematisch erweisen sich hingegen wiederum die „steilen Thesen“ (S. 157) der Autoren. Dass die Römer im Hemd die Welt erobert hätten (S. 129), ist zwar grundsätzlich richtig; die Annahme römische Soldaten hätten auch „im Gebirge oder in den feuchten und kühlen Wäldern Westeuropas“ keine Hosen getragen (S. 156), ist dagegen doch zu vorschnell.6 Aus diesem Kleidergefühl die These für römischen Militärerfolg abzuleiten (S. 157), ist nicht nur „steil“, sondern schlicht unhaltbar. Krieg konnte zwar als Ventil für innenpolitische Missstände genutzt werden, die Annahme einer Art „Kampfhund-Politik“ der römischen Oberschicht (S. 151), die soziale Not ausnutzte, um Kriegslust zu schärfen, erscheint aber gleichfalls als sehr gewagt. Dichtung und Kriegskommentar gegenüberzustellen und deren Aussagen ohne kritische Prüfung vollständig zu übernehmen, um so einen Mentalitätsunterschied zwischen gewaltskeptischen und eher sportlichen Griechen einerseits und brutalen und gegenüber den eigenen Männern kaltschnäuzigen Römern andererseits herzuleiten (S. 170f.), dürfte in einem Einführungswerk auch sehr kühn sein.

Das Buch ist unterhaltsam und regt zur Diskussion an, und sicher haben die Autoren in ihrer These vom grundsätzlichen kulturellen Unterschied zwischen Griechen und Römern Recht. Die abschließende Charakterisierung der Griechen als positive Gefühlsmenschen mit Empathiefähigkeit, Erotik und Romantik auf der einen und der Römer als emotional verkrüppelte und ruhmsüchtige Kampfmaschinen auf der anderen Seite bleibt aber dennoch zu oberflächlich. Es ist vollkommen richtig, dass Griechen und Römer ein ganzer Kosmos trennt (S. 173); es ist aber nicht der von den Autoren am Ende beschworene Makrokosmos, sondern – wie sie selbst am Beginn ihres Buches fordern – jener, der sich erst durch ganz genaues Hinsehen offenbart.

Anmerkungen:
1 In deutscher Übersetzung erschienen im Beck-Verlag zudem: René van Royen / Sunnyva van der Vegt, Asterix – Die ganze Wahrheit (= Beck’sche Reihe 1582), München 2004; René van Royen / Sunnyva van der Vegt, Asterix entdeckt die Welt (= Beck’sche Reihe 1750), München 2007.
2 So beispielsweise: „Liebe bei einem guten Glas Wein“ (S. 51); „Männer des Mars“ (S. 152).
3 So beispielsweise: „Die kleine Raupe Nimmersatt“ (S. 147); „Jung gewohnt, alt getan“ (S. 143).
4 So etwa: „Die griechische Frau stand eindeutig unter der Knute. ‚Zu Recht‘, würde Juvenal gesagt haben. Denn anderenfalls hätten sich dieselben skandalösen Zustände wie in Rom eingeschlichen, wo die Männer vor ihren Frauen kuschten“ (S. 117).
5 Als eine der aufgezählten Gründungsursachen hätte auch Roms wirtschaftstrategische Position an der Tiberfurt, einer alten Salzhandelsroute, erwähnt werden können.
6 Die Vindolanda-Täfelchen erwähnen beispielsweise Kleidungsstücke wie Socken und Unterhosen (Tab. Vindol. II 346.2,4), die auf offiziellen Darstellungen fehlen, vgl. Hansjörg Ubl, Was trug der römische Soldat unter dem Cingulum?, in: Carol van Driel-Murray (Hrsg.), Roman Military Equipment: the Sources of Evidence, Oxford 1989, S. 68f. (mit Anm. 15).

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