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Titel
Die Briten in Hamburg. Besatzerleben 1945-1958


Autor(en)
Ahrens, Michael
Reihe
Forum Zeitgeschichte 23
Erschienen
Anzahl Seiten
474 S., 28 Abb.
Preis
€ 30,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dominik Nagl, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften, Universität Kassel

Mit „Die Briten in Hamburg“ hat der Hamburger Journalist und Historiker Michael Ahrens eine umfassende und detailreiche Studie über die britische Besatzungsherrschaft in der Hansestadt vorgelegt. Ahrens beschränkt sich in der aus seiner Doktorarbeit hervorgegangenen Untersuchung dankenswerterweise nicht auf eine Darstellung der politischen, ökonomischen und militärischen Aspekte dieses Themas, sondern räumt auch dessen kultureller und sozialer Dimension breiten Raum ein. Hierdurch entsteht ein äußerst vielschichtiges und anschauliches Bild der britischen Besatzungspolitik in Hamburg, das nahezu alle Lebensbereiche abdeckt. Ahrens fügt der umfangreichen Literatur zu Teilbereichen der Besatzungspolitik1 nicht einfach nur einen weiteren Mosaikstein hinzu, sondern zeichnet ein breites, in dieser Form bislang fehlendes Panorama. Es reicht von der Entstehung und Entwicklung der lokalen britischen Organisations- und Verwaltungsstrukturen sowie den politischen Kontroversen in Großbritannien über die hohen Kosten der Besatzung bis hin zum Alltagsleben der Soldaten, Zivilangestellten und ihrer Angehörigen (auf dem Höhepunkt der Besatzung 1947 rund 30.000 Personen) sowie den Problemen der deutsch-britischen Zusammenarbeit und des städtischen Zusammenlebens. Die ausgewerteten Bestände des Londoner Public Record Office, des Hamburger Staatsarchivs und anderer einschlägiger Archive erweisen sich hierbei als überaus reichhaltiger Quellenfundus.

Ahrens zeigt, dass der britischen Besatzungspolitik oft improvisierte Züge anhafteten und viele Kurskorrekturen vorgenommen werden mussten. Im Fokus der Untersuchung stehen die vier Jahre der unmittelbaren Besatzungsherrschaft zwischen 1945 und 1949. Das Buch endet allerdings nicht abrupt 1949 mit der Gründung der Bundesrepublik, sondern verfolgt in Form eines Epilogs unter dem Titel „Der langsame Übergang in die britisch-deutsche Normalität“ den allmählichen Rückzug der britischen Besatzungsmacht noch bis ins Jahr 1958. Die Zeit der Besatzung unterteilt Ahrens chronologisch in drei Phasen, denen er jeweils ein sehr umfangreiches und thematisch weiter untergliedertes Kapitel widmet. Die Anfänge von Mai 1945 bis Dezember 1946 beschreibt der Autor als Phase der „Besetzung und Konsolidierung“, die Zeit zwischen Januar 1947 und Mai 1948 als „Hochphase“ sowie die Phase von Juni 1948 bis September 1949 als „(un)geordneten Rückzug“.

Im ersten Teil schlägt Ahrens einen Bogen vom Einmarsch der britischen Truppen in Hamburg am 3. Mai 1945 bis zur „Ordinance No. 57“. Letztere beendete Anfang 1947 die erste Phase der direkten Machtausübung durch die Mitarbeiter der mit der Besatzungsregierung betrauten „Control Commission of Germany“ (CCG). In einem Prolog erfährt der Leser, dass die Briten schon am 24. September 1944 im nordfranzösischen Arras unter dem Kommando eines kanadischen Luftwaffenoffiziers eine anfänglich nur siebenköpfige Einheit („609 Civil Affairs Detachment“) gebildet hatten, die die Keimzelle der späteren britischen Militärregierung darstellte. Bei dieser handelte es sich um eine von neun Gruppen, die von den USA, Kanada und Großbritannien aufgebaut worden waren, um in den befreiten Gebieten Nordwesteuropas sowie in Deutschland lokale Militärregierungen zu etablieren. Die Angehörigen der Einheit erhielten regelmäßig Deutschunterricht und wurden im Februar 1945 durch Fachoffiziere für Finanzen, Technik und Gesundheit auf ihre künftigen Aufgaben vorbereitet. Der offizielle Marschbefehl für Hamburg erreichte das „609 Detachment“ allerdings erst am 12. April 1945.

Nach dem kampflosen Einzug des Militärs in die Stadt entstanden schon bald zwei britische Apparate, die weitgehend unabhängig voneinander agierten: einerseits das Militär, das die eigene Versorgung auch nach Kriegsende weiterhin selbst organisierte; andererseits die mit der Militärregierung betraute Control Commission of Germany. Diese Konstellation erwies sich als spannungsreich, weil es keine allein entscheidende Instanz als Gegenüber der deutschen Stellen gab. Die prägende Figur der Militärregierung in den ersten 15 Monaten der Besatzung war der Artillerieoffizier Oberst Harry William Hugh Armytage, der am 10. Mai 1945 als Stadtkommandant berufen wurde. Er sorgte sofort dafür, dass der nationalsozialistische Hamburger Bürgermeister Carl Vincent Krogmann durch den Kaufmann Rudolf Petersen ersetzt und der Senat von belasteten Funktionsträgern des alten Regimes gesäubert wurde.

Interessant ist, dass in den britischen Diskussionen über die Ausgestaltung der Besatzungsherrschaft immer wieder Bezüge zu den kolonialen Erfahrungen Großbritanniens in Indien und Afrika hergestellt wurden. Die Idee etwa, dass die Deutschen sich idealerweise unter britischer Beaufsichtigung möglichst rasch wieder selbst verwalten sollten, ohne dass sich britische Besatzungsbeamte direkt einmischten, wurde mit dem System der „indirect rule“ verglichen, „das Lord Cromer in Ägypten und Lord Lugard in Afrika unterhalb der Sahara um 1890 entworfen hatten“ (S. 29). In der Praxis waren die Ähnlichkeiten aber gering. Ahrens urteilt, dass die britische Besatzung nur „in einigen wenigen, sehr eng umrissenen Bereichen koloniale Züge“ getragen habe (S. 450). Der Autor nennt als Beispiele für eine „bruchlose Übernahme von Privilegien aus den Kronkolonien“ lediglich ein paar besonders hochklassige britische Offiziersklubs, eigene S-Bahn-Abteile für Briten und die Tatsache, dass ein General der Besatzungsarmee Anspruch auf eine Wohnung mit 16 Zimmern hatte.

Die Beziehungen zur deutschen Bevölkerung waren anfänglich durch großes Misstrauen und das Fraternisierungsverbot gekennzeichnet. Hierzu trug auch bei, dass das in der britischen Besatzungsarmee verbreitete Deutschlandbild anfänglich noch stark von den Ideen Robert Vansittarts geprägt war, der bis 1941 die britische Regierung außenpolitisch beraten hatte und den Deutschen „pathologische Züge“ unterstellte (S. 124).2 Letztlich setzten sich aber das optimistische Prinzip der „re-education“ und die vertrauensfördernde Politik der „indirect rule“ (Motto: „cooperation“ statt „direction“) gegen eine Politik der harten Hand durch. Für Spannungen mit der deutschen Bevölkerung sorgten indes besonders in den ersten Jahren der Besatzung die angespannte Versorgungslage und die Requirierung von Wohnraum in einer Situation der Wohnungsnot. Mit der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage nach der Währungsreform 1948 und der allmählichen personellen Verkleinerung des Besatzungsapparats schwächten sich diese Konflikte aber zusehends ab. Als ein gewisses Defizit der Arbeit erweist sich hierbei, dass der Autor die deutsche Wahrnehmung der britischen Besatzer meist nur indirekt behandelt. Ahrens beschränkt seine Studie bewusst auf eine Untersuchung der „unmittelbaren Perspektive des britischen Apparates“ (S. 16). Der Leser erfährt daher wenig darüber, wie die deutsche Bevölkerung die Besatzung erlebte und wie etwa die Erinnerungen an den Luftkrieg und die großen Zerstörungen in Hamburg die deutsche Haltung gegenüber den Briten beeinflussten.

In einer leider sehr kurz geratenen Schlussbetrachtung fasst Ahrens schließlich einige der wesentlichen Ergebnisse seiner Untersuchung zusammen. Insgesamt überwiegt der Eindruck, dass Briten und Deutsche – sieht man von einer kleinen Blüte deutsch-britischer Vereine am Ende der Besatzungszeit ab – trotz der räumlichen Nähe in getrennten Sphären lebten. Die Besatzer schufen sich in Hamburg eine Parallelwelt, in der sie mit Wohnraum, Lebensmitteln, Ärzten und Freizeitmöglichkeiten in eigenen Klubs, Kinos und Kasernen versorgt wurden. Der Autor resümiert, dass die Briten Hamburg weit weniger nachhaltig geprägt hätten als etwa die Franzosen ihre Besatzungszone. „Der Begriff der ‚Franzosenzeit’ hat sich etabliert“, so Ahrens, „während von einer vergleichbaren ‚Engländer’- oder ‚Britenzeit’, die sich ins Gedächtnis der Stadt, ihrer Bevölkerung und der Geschichtsbücher eingebrannt hätte, kaum die Rede sein kann.“ (S. 452) An dieser Stelle wünscht man sich als Leser eine eingehendere Behandlung der unterschiedlichen Ausprägung und Wirkung der verschiedenen Besatzungspolitiken sowie eine ausführlichere Einordnung der Ergebnisse in den Forschungskontext zur alliierten Besatzungsherrschaft insgesamt.3 Dies schmälert den Wert von Michael Ahrens’ facettenreicher, flüssig geschriebener Studie als Rekonstruktion der britischen Besatzungspolitik und des britischen Lebens in Hamburg jedoch nicht.

Anmerkungen:
1 Stellvertretend für diese Literatur seien genannt: Michael Wildt, Der Traum vom Sattwerden. Hunger und Protest. Schwarzmarkt und Selbsthilfe, Hamburg 1986 (über Hamburg in den Jahren 1945–1948); Daniel A. Gossel, Die Hamburger Presse nach dem Zweiten Weltkrieg. Neuanfang unter britischer Besatzungsherrschaft, Hamburg 1993; Erwin Boldt, Die verschenkte Reform. Der Neuaufbau der Hamburger Polizei zwischen Weimarer Tradition und den Vorgaben der britischen Besatzungsmacht, Münster 2002.
2 Vgl. Jörg Später, Vansittart. Britische Debatten über Deutsche und Nazis 1902–1945, Göttingen 2003 (rezensiert von Henning Hoff, in H-Soz-u-Kult, 18.2.2004: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-1-096> [3.12.2011]).
3 Vgl. insbesondere die folgenden allgemeinen und lokalen Untersuchungen zur alliierten Besatzungspolitik: Klaus-Dietmar Henke, Die amerikanische Besatzung Deutschlands, München 1996; Silke Satjukow, Besatzer. „Die Russen“ in Deutschland 1945–1994, Göttingen 2008; Volker Koop, Besetzt. Französische Besatzungspolitik in Deutschland, Berlin 2005; Roy Bainton, The Long Patrol. The British in Germany since 1945, Edinburg 2003; Patricia Meehan, A Strange Enemy People. Germans under the British, 1945–1990, London 2001; Theodor Scharnholz, Heidelberg und die Besatzungsmacht. Zur Entwicklung der Beziehungen zwischen einer deutschen Kommune und einer amerikanischen Garnison, Heidelberg 2001; Herbert Schott, Die Amerikaner als Besatzungsmacht in Würzburg, Würzburg 1985; Friedrich Jeschonnek / Dieter Riedel / William Durie (Hrsg.), Alliierte in Berlin 1945–1994. Ein Handbuch zur Geschichte der militärischen Präsenz der Westmächte, Berlin 2002; Falko Heinz, Landau in der Pfalz unter französischer Besatzung, Frankfurt am Main 2008.