Ryan K. Balot: Courage in the Democratic Polis

Cover
Titel
Courage in the Democratic Polis. Ideology and Critique in Classical Athens


Autor(en)
Balot, Ryan K.
Erschienen
Anzahl Seiten
XVI, 408 S.
Preis
£ 41.99; € 50,85
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jennifer Juliane Stracke, Institut für Geschichtswissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Das Phänomen der Tapferkeit war in der geschichtlichen Forschung ein nicht unbeachtetes Thema1; mit der Monographie „Courage in the Democratic Polis“ von Ryan K. Balot liegt nun eine neue umfangreiche Arbeit zu diesem Themenkomplex vor, jedoch mit einem anderen Schwerpunkt. Balot, der sich schon früher mit dem Thema Tapferkeit befasst hat2, beschäftigt sich bewusst mit dem politischen Verständnis der andreía (zuweilen auch übersetzt mit Männlichkeit) und der Grundfrage nach dem Zusammenhang zwischen Tapferkeit und Demokratie. Untersucht wird ein breites Quellenspektrum: attische Reden, Geschichtswerke, philosophische Texte und Tragödien.

Die Monographie ist in drei Teile gegliedert. Nach einer Einführung und einer Erläuterung der Vorgehensweise (S. 1–21) beginnt Balot mit dem ersten Teil: „The Periclean Ideology and its Critics“ (S. 25–176). Der zweite Teil (S. 177–294) beschäftigt sich mit „Equality, Emotion and Civic Education“, während der dritte Teil (S. 295–351) „Athens’ Ideology of Eudaimonism“ in den Fokus rückt. Die recht umfangreiche Bibliographie (S. 353–383) und der Index (S. 385–394) sowie das Stellenverzeichnis (S. 395–408) schließen die Monographie ab.

Balot definiert Tapferkeit als ein Ideal, das sich unter anderem auf Basis der Redefreiheit (parrhesía) als solches entwickelte und nicht nur für Heroen, sondern auch für den athenischen Bürger als erreichbar galt. Die zu den Tugenden zählende Tapferkeit ist auch im Zusammenhang mit einem demokratischen Verständnis der eudaimonía zu sehen.

Im ersten Teil steht vor allem das Ideal des Perikles, geschildert in der Leichenrede (Thuk. 2, 34–46), im Fokus. So sehe der thukydische Perikles zwei Komponenten als Grundbedingung für die ideale Tapferkeit an: zum einen den Intellekt, also das Wissen, das eine Reflektion bestimmter Sinnzusammenhänge möglich macht, und zum anderen einen gefestigten Charakter. Dieser Vorstellung stellt Balot verschiedene Theorien und Ansätze anderer antiker Autoren gegenüber (Aischylos, Herodot, Platon).

Die Redefreiheit hatte eine grundlegende Bedeutung für die Demokratie in Athen. Sie führte nach Meinung des Autors nicht nur zu besseren Urteilen: nur dort, wo frei gesprochen werden durfte und eine gewisse Gleichheit (zumindest für die männlichen Vollbürger) herrschte, konnte auch offen über Konzepte und Ideale gesprochen werden. Balot sieht in der Redefreiheit eine Bedingung für das sich neu gestaltende Konzept der Tapferkeit in Athen. Diese zeigte sich nicht nur im Militärischen, sondern konnte auch etwa auf die Rhetorik übertragen werden: frei zu reden verlangte Mut.
Dieser vornehmlich athenischen Ansicht stellt Balot die Tapferkeitsvorstellung in Sparta bzw. im Persischen Reich gegenüber. Den Spartanern sprach man in Athen eine gewisse Tapferkeit nicht ab, doch basiere sie auf den falschen Motiven: der Furcht vor Strafe und vor Schande. Die Perser dagegen seien nur aus Furcht vor ihrem Herrn tapfer, der andernfalls bestrafe (die fehlgeleitete Vorstellung von Idealen wie Tapferkeit und Männlichkeit wird auf das Fehlen der Demokratie zurückgeführt; als Quelle dient Balot vor allem „Die Perser“ des Aischylos). Im Vergleich hierzu schien das spartanische Konzept der Tapferkeit in den Augen der Athener nicht ganz so leer; dennoch wird unter anderem die fehlende Redefreiheit als einer der Gründe angesehen, warum die Tapferkeit der Spartaner fehlerhaft sei. Auch sahen sie, so Balot, die Demokratie als den anderen Herrschaftsformen überlegen an. Eudaimonie galt nur dann als möglich, wenn man nach den Tugenden, die mit dem Ideal verbunden waren, strebte.

Die Tapferkeit gehörte zur inneren Haltung; diese Grundhaltung musste schon in der Kindheit verinnerlicht werden und bedurfte der Erkenntnis, dass man Sorge für den oikos nicht von der Sorge für die pólis trennen könne. Sowohl vor Gericht als auch auf der Bühne wurde das Ideal den Bürgern vor Augen geführt und diskutiert. Der gebildete Bürger sollte sich der Gründe für bestimmte Handlungsweisen bewusst werden.

Nicht ganz von Athens Streben nach den Idealen zu trennen sei der athenische Imperialismus; in dieser Problematik setzt Balot einen weiteren Schwerpunkt.

Der zweite Teil („Equality, Emotion and Civic Education“) beschäftigt sich mit unterschiedlichen Vorstellungen und Motivationen. Das gemeinschaftliche Ideal, dem die Bürger Athens folgen und im Notfall auch Opfer zu bringen bereit sein sollten, basierte zunächst auf den Tugenden der Heroen. So galt vormals der Hoplit als idealer Kämpfer, doch im Zuge der Entwicklung Athens zur Seemacht sollte sich diese Vorstellung erweitern.

Traditionell waren für die homerischen Helden mit Tapferkeit auch Feigheit und Schande als Gegenpole verknüpft; die Furcht vor dem Verlust der Ehre sollte zu tapferem Verhalten motivieren.

Balot nennt mehrere Fallbeispiele, die einen Wandel veranschaulichen. So zeigen Gerichtsreden, wie Emotionen auf eine bestimmte Weise gelenkt wurden und man versuchte, sich von allzu traditionellen Ansichten zu befreien3. Entscheidungen sollten gut geprüft werden, das Handeln durchdacht sein; allgemein sei auf eine gute Lebensführung zu achten. Ziel war, dass nicht mehr nur Einzelne ihren guten Charakter beweisen, sondern möglichst alle Bürger die Notwendigkeit erkennen, bewusst zu handeln: die der Tapferkeit zugrunde liegende Motivation wandelte sich.

Auch auf der Bühne wurden bestimmte Rollenmodelle gezeigt. Balot geht hier vor allem auf Aristophanes‘ „Lysistrata“ und Euripides‘ „Andromache“ ein; gerade ersteres Stück verweise darauf, dass ein reiferes Verständnis von Männlichkeit als erstrebenswert galt, nicht das ungeordnete und kriegerische, unreflektierte. Zudem steht – neben der hierarchischen Beziehung zwischen andreía und sophrosýne – der Zusammenhang zwischen pólis und oikos im Mittelpunkt.

Sowohl die Reden als auch die Tragödien sollten zu einem gebildeten Bürger führen, der sich seines Handelns bewusst ist. So wollte man der Eudaimonia näher kommen, die im dritten Teil noch einmal gesondert thematisiert wird („Athens Ideology of Eudaimonsim“).

Diese birgt ein nicht unerhebliches Konfliktpotential durch die unterschiedlichen Interessen des Einzelnen und der Gemeinschaft. Balot kommt nicht umhin, auf die Widersprüchlichkeit der athenischen Ideale hinzuweisen: Wie muss Tapferkeit konstruiert sein, um sowohl die eigenen Ansprüche als auch die der Gemeinschaft zu erfüllen? So kenne man in jeder Gesellschaft die Notwendigkeit, die eigenen Interessen (im Extremfall das eigene Leben) zum Wohle der Gemeinschaft zu opfern. Tapferes Verhalten konnte somit für den Einzelnen schädlich sein.

Hier greife vor allem der Glaube der Athener an die Demokratie als überlegene Staatsform, da nur in dieser Freiheit möglich sei. Das Leben – als Ganzes gesehen – müsse auch als Ganzes gut geführt werden. Im äußersten Notfall also tapfer das eigene Leben zum Wohle der Freiheit anderer zu opfern könne Teil der Eudaimonie sein. Als Beispiel hierfür dient Balot die Tellus-Episode bei Herodot (Hdt. 1, 30): ohne die Bereitschaft, für die Gemeinschaft Risiken einzugehen, gilt das eigene Leben als sinnlos.

Balot benennt in seiner abschließenden Zusammenfassung drei Problemstellungen. Zum einen vergleicht er noch einmal die Tapferkeit in Athen und in Sparta und zieht die persönliche Schlussfolgerung, dass die Athener als tapferer anzusehen seien, weil sie die Hintergründe ihres Handelns begriffen (S. 332–333).

Zweitens betont er Platons Erkenntnis, dass Tapferkeit mit sophrosýne verbunden sein müsse; für diesen notwendigen Konnex nennt er weitere Beispiele und sieht hierin eine der wichtigsten Erkenntnisse der Athener bezüglich der Tapferkeit. Die Möglichkeit der freien Rede und der offenen Diskussion sieht er als maßgebliches Instrument an.

Zuletzt widmet er sich modernen Theorien (unter anderem den de Tocquevilles) zur Demokratie, nach denen sie Tapferkeit reduzieren oder aber übermäßig erhöhen könne. Anhand seiner Analyse der antiken Quellen sieht er die Tapferkeit nicht im Gegensatz zur Demokratie stehend.

Letztendlich sei die Rolle der Demokratie hinsichtlich des Ideals der Tapferkeit in Athen nicht zu unterschätzen, auch wenn sie das eine oder andere Problem aufwerfe. Die Idealvorstellung unterschied sich von der in anderen Städten; sie förderte zwar den Imperialismus und war anfällig für fehlgeleitete Vorstellungen von Männlichkeit, drosselte aber gleichzeitig die Aggressivität. Tapferkeit war nicht die wichtigste der bürgerlichen Tugenden (Gerechtigkeit), jedoch grundlegend für die Freiheit.

Mit seiner vorliegenden Studie hat sich Balot einem sehr interessanten Thema gewidmet; er zeigt verschiedene Problematiken dieses durchaus facettenreichen Phänomens auf und versucht, anhand der Quellen einige Lösungen anzubieten. Dabei untersucht er ein breitgefächertes Repertoire an unterschiedlichen Quellenarten und zeigt, auf welche Weise eine Auseinandersetzung mit dem Ideal der Tapferkeit erfolgen konnte. Wünschenswert wäre hier noch eine etwas genauere Betrachtung der chronologischen Einordnung gewesen.

Schwierig bleibt, dass Balot bei der Betrachtung der antiken Quellen von einem modernen Vokabular ausgeht; die modernen Begrifflichkeiten mögen jedoch Dimensionen darstellen, die den antiken Stimmen fremd waren.

Zudem hebt er besonders stark den Kontrast zwischen Athen und Sparta hervor; da hier zwei extreme Gegenpole vorliegen, ergibt sich der Eindruck eines klar kontrastierten Schwarz-Weiß-Bildes. Die Einbeziehung weiterer kleinerer Städte entfiel, wohl aufgrund mangelnder Quellen; doch hätte sich hier vielleicht noch ein etwas differenzierteres Bild ergeben.

Anmerkungen:
1 Vergleiche vor allem Ralph M. Rosen / Ineke Sluiter (Hrsg.), Andreia. Studies in Manliness and Courage in Classical Antiquity, Leiden / Boston 2003.
2 Darunter mehrere Aufsätze: Ryan K. Balot: Free Speech, Courage, and Democratic Deliberation, in: Ralph M. Rosen / Ineke Sluiter (Hrsg.), City, Countryside, and the Spatial Organization of Value in Classical Antiquity, Leiden / Boston 2004, 233–260; Ders., Courage in the democratic polis, in: The Classical Quarterly 54 (2004), S. 406–423; Ders., Pericles‘ anatomy of Democratic Courage, in: The American Journal of Philology 122 (2001), S. 505–525.
3 Hier sei anzumerken, dass eine etwas stärkere Betonung der Intention der Gerichtsreden wünschenswert gewesen wäre. So vermitteln diese zwar, was vermutlich als Ideal angesehen wurde, doch sind sie sehr stark darauf ausgelegt, den Richtern zu gefallen, und spiegeln weniger die Realität wider.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension