K. Gerund u.a. (Hrsg.): Die amerikanische Reeducation-Politik nach 1945

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Titel
Die amerikanische Reeducation-Politik nach 1945. Interdisziplinäre Perspektiven auf "America's Germany"


Herausgeber
Gerund, Katharina; Paul, Heike
Anzahl Seiten
303 S.
Preis
€ 29,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marianne Zepp, Heinrich-Böll-Stiftung, Tel Aviv

Nach wie vor gilt, was Philipp Gassert 1999 in einem Literaturbericht schrieb1: Die historische Forschung tut sich schwer in ihrer Beurteilung des US-amerikanischen Einflusses auf andere Staaten. Dass es sich dabei um komplexe Prozesse der Redefinition, der Umformung in nationalen Kontexten und der Interaktion handelt, gilt in der Zwischenzeit ebenso als gesichert, wie es als Desiderat gilt, die gesamteuropäische Perspektive einzubeziehen oder gar globale Vergleiche anzustellen. An solchen Standards ist eine Neuerscheinung auf diesem Gebiet zu messen.

Die amerikanische Reeducation-Politik in Deutschland in den 1940er- und beginnenden 1950er-Jahren ist ein gut beforschter Gegenstand. Es liegen Arbeiten vor zu den Planungen der Besatzungspolitik, zur Struktur der Militärregierung, zu ihrer Wirkungsgeschichte in verschiedenen gesellschaftlichen Feldern. Diese erste Phase der US-amerikanischen Besatzung in Westdeutschland und West-Berlin ist als Amerikanisierung in die Zeitgeschichtsforschung eingegangen.2 Sie hat, wie die Herausgeberinnen schreiben, „im Sinne einer Demokratisierung […] in politischen und wissenschaftlichen Diskursen bleibende Wirkung entfaltet und vielfältige Aufmerksamkeit erfahren“ (Einleitung, S. 7). Diese sehr allgemeine Definition lässt einige Fragen offen. Es wird nicht deutlich, ob der seit 1942 in den USA vorbereitete und ab April 1945 in Deutschland durch die Militärverwaltung in Gang gesetzte Maßnahmenkatalog zur Demokratisierung im engeren Sinn gemeint ist. Die Auswahl der Beiträge geht darüber hinaus. Der Begriff „Umerziehung“, der in der Einleitung synonym gebraucht wird, hat seinen Ursprung in einer nationalistisch geprägten politischen Kontroverse im besetzten Nachkriegsdeutschland. Er transportiert damit eine bestimmte Konnotation, auf die die Herausgeberinnen allerdings nicht eingehen.

Die übergreifende These des Buches lautet, dass die Besatzungspolitik einen Kulturtransfer in Gang setzte, der Imaginationen im öffentlichen Bewusstsein hinterließ, die sie sowohl in den USA, aber stärker noch in Westdeutschland zu einer individuellen und kollektiven Erfolgsgeschichte machte. Dabei beschränkt sich die Auswahl der Beiträge nicht auf die 1940er-Jahre, sondern bezieht sich auch auf längerfristige Verarbeitungen in den USA (Sirois, Meindl, Beard) und in Deutschland (Hochgeschwender, Kreis).

Herbert Sirois beschreibt in seinem Beitrag eine Gesetzesinitiative, die 1948 während der Präsidentschaft Trumans unter der Bezeichnung Smith-Mundt Act verabschiedet wurde und unter dem Einfluss des bereits beginnenden Kalten Krieges in den USA als ein Instrument der Erziehungs- und Informationspolitik im besetzten Deutschland dienen sollte. Damit verbunden waren Kontroversen um eine staatlich beeinflusste Kulturpolitik, die seit den späten 1940er-Jahren dominiert wurden durch einen sich verschärfenden Antikommunismus in den USA. Die wachsende Zurückhaltung, ja Nichteinmischung der USA zum Beispiel bei der Reform des Erziehungswesens in Deutschland führt Sirois auf diese amerikanische Debatte über Interventionen zur Demokratisierung Deutschlands zurück. Seine Schlussfolgerung, dass der ideologisch motivierte Antikommunismus in den USA auf die Besatzungspolitik in Westdeutschland einwirkte, bestätigt einen sich in der Forschung wiederholenden Topos, nämlich die Transformation von einer regulierten punitiven Besatzungspolitik zur Kooperation mit einem zukünftigen Bündnispartner im Kräftefeld des Kalten Krieges.

Auch Michael Hochgeschwender geht in seinem Beitrag über den Kongress für kulturelle Freiheit von einem Phasenmodell aus: Die interventionistische Reeducation wurde seit den späten 1940er-Jahren abgelöst durch die Reorientation, eine auf Zusammenarbeit ausgelegte Besatzungspolitik. Das vom Autor beschriebene, 1950 gegründete Netzwerk linksliberaler und sozialdemokratischer Intellektueller, das seinen Hauptsitz in Paris hatte und in ganz Westeuropa agierte, war durch einen dezidierten Antikommunismus geprägt. Hochgeschwender zufolge war dessen Öffentlichkeitswirksamkeit begrenzt und in der Intention vor allem gegen eurokommunistische Strömungen gerichtet. Kriterien wie „Brillanz“, mit denen der Verfasser die Akteure dieses Netzwerks beschreibt, sind analytisch allerdings nicht weiterführend. Auch gewisse sprachliche Nachlässigkeiten schmälern das Lesevergnügen.

Gegenstand von Frank Mehrings Beitrag sind Dokumentarfilme, die im Rahmen des Marshallplans außerhalb der USA produziert wurden und für ein neues Europa werben sollten.3 Der Artikel zeigt überzeugend die Strategien eines Kulturtransfers, der „cultural diplomacy“ als eine Erziehungsaufgabe verstand und sich den Werten von Gleichheit, Überwindung des Nationalismus und Anerkennung kultureller Differenzen verpflichtet fühlte – und in dieser Intention ein neues Europa projektierte. Die Komplexität der wechselseitigen Wahrnehmungen und die Zeitgebundenheit der Filme lassen deren Aussagen oft widersprüchlich erscheinen und erfüllten die intendierte Wirkung nicht, so die Schlussfolgerung des Autors.

Philipp Baur widmet sich dem Symbol US-amerikanischer Aufbauhilfe im Nachkriegsdeutschland schlechthin, den CARE-Paketen. Er argumentiert überzeugend, dass dieser außerstaatlich organisierten Hilfsinitiative das Konstrukt eines „victimized Germany“ zugrundelag (S. 129). Mit Hilfe gezielter PR-Aktionen, eines „person-to-person humanitarianism“ (S. 119), rekrutierte man private Spender und zeichnete den Umschwung in der Wahrnehmung Nachkriegsdeutschlands von einem Kriegsgegner zu einem potentiellen Verbündeten nach. In seiner Schlussfolgerung verweist Baur auf die dabei neu entstandene Rolle von Nichtregierungsorganisationen als Akteuren in der auswärtigen Politik und damit auf die Politisierung von Hilfsaktionen.

Reinhild Kreis untersucht in ihrem Beitrag über die Amerikahäuser die Langzeitwirkung der amerikanischen Kulturpolitik in Deutschland. Wie die Autorin plausibel darstellt, waren die Reeducation-Maßnahmen auf eine dauerhafte Demokratisierung der deutschen Gesellschaft und Politik hin angelegt. Ihre Untersuchung setzt 1955 ein, in der „Post-Reeducation-Zeit“ (S. 142). Als ein Element amerikanischer Kulturpolitik sollten diese Maßnahmen „nun ein spezifisch westliches, amerikanisch geprägtes Demokratieverständnis vermitteln, um die Westdeutschen gegen kommunistische Einflüsse zu immunisieren“ (S. 143). Austauschprogramme und die Etablierung der Amerikanistik als Fachdisziplin begleiteten die Loslösung von amerikanischen Vorgaben. So überzeugend Kreis diese Phänomene in den Kontext der bundesdeutschen Demokratisierung stellt, so wenig überraschend sind ihre Schlussfolgerungen.

Die Arbeiten von Dieter Meindl und Phillip Beard zeigen die literarische Verarbeitung des Nationalsozialismus als eine Erzählung des Übergangs von der Moderne in die Postmoderne aus amerikanischer Perspektive. Allerdings beziehen sich beide Beiträge hermetisch auf die literarische Darstellung und vermeiden jegliche Kontextualisierung innerhalb der US-amerikanischen Nachkriegsgesellschaft.

Den „Dilemmas der Entnazifizierung“ geht Werner Sollors in seiner Gegenüberstellung von Carl Schmitt und Karl Loewenstein nach. Beide Protagonisten waren sich bereits in der Weimarer Republik begegnet und trafen im Nachkriegsdeutschland als Sieger und Besiegter aufeinander. Schmitt, dessen Affinität zum Nationalsozialismus und dessen Antisemitismus inzwischen hinlänglich bekannt und vielfach diskutiert sind, wurde von dem Exilanten Karl Loewenstein, der als „legal advisor“ der Militärbehörde arbeitete, im Rahmen eines Entnazifierungsverfahrens beurteilt. Am Ende scheiterte Loewenstein: „Trotz der Verhaftungen und Verhöre […] führten Karl Loewensteins Bemühungen, Schmitt vor Gericht zu stellen, zu nichts“ (S. 251). Unklar bleibt in Sollors' Schlussfolgerung, worin dieses Scheitern begründet lag – ob in den mangelnden Instrumenten der Militärbehörde oder dem grundlegenden Dilemma einer „verordneten“ Demokratie, die an rechtsstaatliche Verfahren gebunden ist.

Die im „Nachwort“, einer überwiegend persönlichen Reminiszenz des Kulturhistorikers Winfried Fluck, aufgeführten Desiderate lassen die Rezensentin eher ratlos zurück, liegen zu den dort genannten Themenkreisen doch bereits wesentliche Arbeiten vor. So hat Heide Fehrenbach in ihrer Studie über die Filmkultur der Nachkriegszeit die generationell unterschiedlichen Aneignungen amerikanischer Massenkultur schon 1995 beschrieben.4 Ebenso gibt es akteurszentrierte Darstellungen der Reeducation. Der überwiegende Teil der Forschungsliteratur hat sich gerade nicht auf die staatliche Dimension beschränkt, wie der Autor insinuiert, sondern hat die sozialen und kulturellen Bereiche wie Erziehung, zivilgesellschaftliche Organisationen, Austauschprogramme sowie eine große Bandbreite alltagsgeschichtlicher Aspekte untersucht.

Der Band bleibt in seinem Anspruch letztlich unbefriedigend. Die Perspektive ist nicht eindeutig geklärt: Wechselwirkung, amerikanische Rezeption, Umformung beziehungsweise Aneignung im (teil)nationalen Kontext einer sich reorganisierenden (west)deutschen Nachkriegsgesellschaft – all dies wird in einzelnen Beiträgen angesprochen. An keiner Stelle findet allerdings eine theoretische Reflexion statt, die auf bereits vorliegenden Forschungen basiert. Die intensive Debatte um den Einfluss und die Aneignung amerikanischer Popkultur, die bereits in den 1990er-Jahren stattfand, mit einer Reihe interessanter Thesen hantierte und teilweise bis heute fortwirkt, ist nicht präsent. Ebenso ist kritisch anzumerken, dass einige Autoren (Baur, Goergen) auf geschlechterspezifische Zuschreibungen zwar am Rande eingehen, dass Geschlecht als analytische Kategorie in dem Band jedoch gänzlich fehlt.

Es ist also nach dem Wert einer solchen Sammlung von qualitativ sehr unterschiedlichen Beiträgen zu fragen. Offensichtlich stehen Auszüge beziehungsweise Synthesen aus bereits veröffentlichten Studien (Hochgeschwender, Mehring, Kreis) neben neueren akademischen Qualifikationsarbeiten. Das ist an und für sich nicht verwerflich, würde es den neuesten Stand der Forschung repräsentieren – was dieser Band leider nicht tut.

Anmerkungen:
1 Philipp Gassert, Amerikanismus, Antiamerikanismus, Amerikanisierung. Neue Literatur zur Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte des amerikanischen Einflusses in Deutschland und Europa, in: Archiv für Sozialgeschichte 39 (1999), S. 531–561, <http://library.fes.de/jportal/servlets/MCRFileNodeServlet/jportal_derivate_00021256/afs-1999-531.pdf> (22.04.2015).
2 Vgl. als Überblick etwa Anselm Doering-Manteuffel, Amerikanisierung und Westernisierung, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 18.01.2011, URL: <http://docupedia.de/zg/Amerikanisierung_und_Westernisierung> (22.04.2015).
3 Siehe dazu demnächst auch Gabriele Clemens (Hrsg.), Werben für Europa. Die mediale Konstruktion europäischer Identität durch Europafilme, Köln 2015 (in Vorbereitung).
4 Heide Fehrenbach, Cinema in Democratizing Germany. Reconstructing National Identity after Hitler, Chapel Hill 1995.