K. Hoffmann-Curtius: Bilder zum Judenmord

Cover
Titel
Bilder zum Judenmord. Eine kommentierte Sichtung der Malerei und Zeichenkunst in Deutschland von 1945 bis zum Auschwitz-Prozess


Autor(en)
Hoffmann-Curtius, Kathrin
Anzahl Seiten
272 S., 221 farbige Abb.
Preis
€ 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christiane Heß, Leuphana College/Innovations-Inkubator, Leuphana Universität Lüneburg

„Düster war ich, und furchtbare Bilder bedrängten mich. Sie bedrängten mich fast immer, Tag und Nacht. Ich nahm sie aus mir heraus, ich malte sie.“1 So beschreibt die aus einer jüdischen Familie stammende kommunistische Künstlerin Lea Grundig im Jahr 1958 ihre Auseinandersetzung mit der Verfolgung und Ermordung der Juden und Jüdinnen. Grundigs Zeichnungen und Radierungen sind neben den Werken von zwei weiteren Künstlerinnen und 40 Künstlern Gegenstand der materialreichen Studie der Kunsthistorikerin Kathrin Hoffmann-Curtius. Die Autorin fragt danach, „wie die Verbrechen [der Nationalsozialisten] in den ersten zwanzig Jahren nach dem Ende des Krieges dargestellt wurden“ (S. 11). Dabei interessieren Hoffmann-Curtius die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Darstellungsweisen genauso wie der Beitrag der Kunstwerke zu einer sich mit der Zeit verändernden Erinnerungskultur.

Die Rolle und Bedeutung von Künstlerinnen und Künstlern in den ersten Jahren nach Kriegsende wird in der Forschung zur Rezeptionsgeschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust häufig übersehen. Eine wichtige Ausnahme ist die 1993 veröffentlichte grundlegende Studie der israelischen Kunsthistorikerin Ziva Amishai-Maisels zu den „Holocaust-Motiven“ und dem Einfluss des Holocaust auf die Bildende Kunst, in der sie den Bogen von Zeichnungen aus den nationalsozialistischen Ghettos und Konzentrationslagern bis hin zu zeitgenössischer Malerei spannt.2 Die Befunde dieser Arbeit nimmt Hoffmann-Curtius als Ausgangspunkt, um zu fragen, wie „die Maler in unterschiedlichen gesellschaftlichen Situationen die Angst, die Leiden, die Würde und das Würdelose ins Bild setzten und die Betrachtenden zu Zeugen von unmenschlichen Aktionen machten und anklagten“ (S. 19).

In Zusammenarbeit mit Sigrid Philipps sichtete Hoffmann-Curtius Ausstellungskataloge, Bestands- und Werkverzeichnisse. Sie wählte 156 Zeichnungen, Gemälde und Skulpturen aus, die die NS-Verfolgung und Ermordung der Juden und Jüdinnen ins Bild setzen oder im Titel darauf verweisen. Anders als der Titel des Buches vermuten lässt, werden hier zudem Werke aufgenommen, die als allgemeine Anklagen gelten können – wie Hermann Bruses „Ecce homo“ oder Dore Meyer-Vax’ „Todesmosaik“. Auch die im Rahmen der Recherche wiederentdeckten Porträts der Sinti aus Düsseldorf von Otto Pankok werden ausführlich besprochen.

Ein weiteres Auswahlkriterium für die Studie ist die Zugänglichkeit der Kunstwerke. So konzentriert sich die Autorin auf Arbeiten, die zwischen 1945 und 1965 ausgestellt, gezeigt, publiziert wurden: „[…] denn erst an der Rezeption lässt sich erkennen, welche Bedeutung im Land der Täter diesen Arbeiten vom Publikum zugesprochen wurde.“ (S. 18) Deshalb wertet sie als ergänzendes Material Zeitungsartikel, Ausstellungskritiken, Literatur zur Sammlungspolitik der Museen und Galerien sowie die Vor- und Geleitworte in Publikationen aus.

Hoffmann-Curtius kritisiert deutlich den verstellten „Blick auf die Vielfältigkeit der Nachkriegsszene“ (S. 13), wie er lange Zeit im westdeutschen Kunstdiskurs zu finden war. Sie zeigt zudem, in welchem Maße die Kunstproduktionen von der Politik geprägt und mitbestimmt wurden – sowohl in den Besatzungszonen und in der DDR als auch der Bundesrepublik.

In sieben Kapiteln stellt die Autorin die Kunstwerke nacheinander in kürzeren oder längeren Essays vor – je nach Material- und Forschungslage. Sie beschreibt Entstehungsprozesse und -kontexte, analysiert die Bilder kenntnisreich, vergleicht einzelne Darstellungen, verweist auf Vorbilder der christlichen und der Pogrom-Ikonografie wie auch der linken Arbeitergrafik und thematisiert die Veröffentlichungskontexte.

Die ausgewählten Künstlerinnen und Künstler haben alle den Nationalsozialismus erlebt: als Junge oder Ältere; Angehörige der NSDAP und der Wehrmacht; überzeugte Antifaschist/innen; solche, die das NS-System ablehnten, aber weiterhin malten und ausstellten; Emigranten; Verfolgte und Überlebende der Konzentrationslager. Die unterschiedlichen Biografien werden im Rahmen der Essays nur angedeutet – das Hauptinteresse der Autorin liegt auf den Kunstwerken und deren Kontextualisierung in der Rezeptionsgeschichte des Nationalsozialismus.

Jedes Kapitel wird mit einem Überblick zu den öffentlich zugänglichen Bilddokumenten und den Veränderungen in kunst- und erinnerungspolitischen Debatten eingeleitet. Hoffmann-Curtius skizziert so das Panorama des – möglichen – (Bilder-)Wissens, auf das in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten zurückgegriffen werden konnte. Dadurch gelingt es auch, das „Neben-, Gegen- und Miteinander“ (S. 16) gegenständlicher und abstrakter Kunst in Ost- und Westdeutschland sichtbar zu machen.

Die im Buch sorgfältig reproduzierten Bilder zeigen „Diskriminierung, Abtransport, Lagerhaft, Folterungen, Erschießungen, Erhängungen, Gaskammern, Todesmärsche, Trauer um die Toten“ (S. 19). Die Autorin gliedert die Untersuchung nicht thematisch, sondern chronologisch. Der realistisch-figürliche Stil prägt die meisten hier versammelten Arbeiten. Ausnahmen sind zum Beispiel surreale Bilder Edgar Jenés oder das abstrakte Materialbild „Komposition mit brutalen Gegensätzen (KZ Bild)“ Carl Buchheisters.

Fast die Hälfte der Studie beschäftigt sich mit Kunstwerken, die zwischen 1945 und 1949 entstanden sind. Horst Strempels Triptychon „Nacht über Deutschland“ von 1946 wurde bereits wenige Jahre nach seiner Entstehung in der so genannten Formalismusdebatte der DDR zu einem „Negativbeispiel“ (S. 29) erklärt und verschwand bis in die 1970er-Jahre im Depot. Strempel orientierte sich an Bildmaterial der Alliierten, wie es etwa in dem Film „Die Todesmühlen“ von 1945 zu sehen war; Gesten befreiter Kinder wie das Zeigen der eintätowierten Nummern wurden hier zitiert. Auch andere Künstler bezogen sich auf eben diese Bilder und zudem auf die NS-Bildpropaganda, wie Hoffmann-Curtius in ihrer konzentrierten Deutung der Zeichnungen und Grafiken von Lea Grundig und Ludwig Meidner überzeugend darlegt.

Ein Kapitel beschäftigt sich mit frühen grafischen Arbeiten und Bilderzyklen. Zahlreicher als bislang angenommen wurde dieses nicht nur von NS-Verfolgten und ehemaligen KZ-Häftlingen gewählte Medium in Buch- und Mappenform veröffentlicht. Während Gemälde und Skulpturen auf Ausstellungsräume angewiesen sind, erlaubte die serielle Grafik nicht nur eine privatere Lektüre; hier war es für die Bildproduzent/innen offenbar möglich, facettenreicher vom Terror und der Gewalt zu erzählen.

Für die 1950er-Jahre lassen sich insgesamt weniger künstlerische Auseinandersetzungen mit dem Holocaust und der Holocaust-Erinnerung finden, wie Hoffmann-Curtius eingangs feststellt. Dennoch zeichneten Künstlerinnen und Künstler, entwarfen Skulpturen – wie zum Beispiel Lidy von Lüttwitz und Helmut Wolff. Beide beteiligten sich 1957/58 am Wettbewerb für ein „internationales Denkmal“ in Auschwitz. Hoffmann-Curtius diskutiert die Entwürfe und kommt zum Schluss, dass es nur Lidy von Lüttwitz gelungen sei, „mit der Thematik des von ihr eingereichten Modells der komplizierten Aufgabe gerecht zu werden“ (S. 153). Der Architektur-Entwurf Helmut Wolffs und dessen intendiertes Konzept des Nacherlebens blieb ebenfalls unrealisiert, stieß damals jedoch auf größere Resonanz und lässt sich heute – so resümiert die Autorin – im Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin wiederfinden.

Spätestens im Hinblick auf die 1960er-Jahre wird das in der Studie mehrfach angesprochene „Primat der Fotografie für die Erinnerung“ (S. 167) bestätigt. Erneut wurden die Fotografien der befreiten Konzentrationslager durch ihre Veröffentlichung in Ausstellungen einem breiten Publikum zugänglich gemacht, etwa anlässlich des ersten Auschwitz-Prozesses in Frankfurt am Main oder auch im bis heute erfolgreichen Fotobuch „Der gelbe Stern. Die Judenverfolgung in Europa 1933–1945“, herausgegeben von Gerhard Schoenberner (zuerst 1960). Ost- und westdeutsche Künstler griffen diese Fotos in ihren Gemälden, Assemblagen oder Happenings auf. Hoffmann-Curtius stellt hier im Anschluss an die Forschungsliteratur detailliert die diversen Nutzungen vor und betont das Potential künstlerischer Bearbeitungen nicht nur zur Bedeutungssteigerung alltäglicher Dinge, sondern auch zur Konfrontation der Betrachterinnen und Betrachter mit aktuellen gesellschaftlichen Debatten. Anhand der Gemälde von Otto Schubert und Hubert Berke verweist die Autorin auf die Zunahme von „Gewalt und Sex“, die ins Bild gesetzt wurden und so im „Kontext der Pornographisierung des Nationalsozialismus“ (S. 173) und der neueren Forschung zu sexueller Gewalt im Krieg zu lesen sind.3 Angesichts des (Nicht-)Darstellens von Täterinnen und Tätern wie auch der in den Werken entworfenen Geschlechterbilder der Opfer ist es jedoch weiterhin notwendig, sich in Bezug auf die Erinnerung an die NS-Verbrechen noch genauer anzusehen, wer was und wie über wen aussagt oder zu sehen gibt.

Mit ihrer insgesamt überzeugenden „kommentierten Sichtung“ regt Kathrin Hoffmann-Curtius gewiss zu weiteren Nachfragen und -forschungen an; das ausführliche Register sowie das umfangreiche Katalog-, Bestands- und Werkverzeichnis laden dazu ein. Außerdem trägt sie zu einer kritischen Reflexion des Kunstdiskurses wie auch der Rezeptionsforschung bei, indem sie auf die weitgehende Ausblendung der frühen künstlerischen Arbeiten hinweist, die sich mit der NS-Verfolgung und den Massenverbrechen auseinandersetzten.

Anmerkungen:
1 Lea Grundig, Gesichte und Geschichte, 9. Aufl. Berlin (Ost) 1978, S. 287 (1. Aufl. 1958); zit. nach Hoffmann-Curtius, S. 55.
2 Ziva Amishai-Maisels, Depiction and Interpretation. The Influence of the Holocaust on the Visual Arts, Oxford 1993.
3 Vgl. in Bezug auf die NS-Konzentrationslager: Insa Eschebach, Sex-Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern. Geschichte, Deutungen und Repräsentationen, in: L’Homme 21 (2010) H. 1, S. 65–73.

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Anm. der Red., 26.7.2018:
Eine ins Englische übersetzte und erweiterte Ausgabe dieses Buches ist im Juni 2018 bei Reaktion Books (London) erschienen: "Judenmord. Art and the Holocaust in Postwar Germany".