M. Bange: Kreditgeld in der römischen Antike

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Titel
Kreditgeld in der römischen Antike. Ursprünge, Entstehung, Übertragung und Verbreitung


Autor(en)
Bange, Matthias
Reihe
Pharos 33
Erschienen
Rahden/Westfalen 2014: Verlag Marie Leidorf
Anzahl Seiten
305 S.
Preis
€ 54,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Kritzinger, Institut für Altertumswissenschaften, Friedrich-Schiller-Universität Jena

In jüngerer Zeit hat sich das Interesse der Altertumswissenschaften am Geldumlauf in der Antike deutlich gesteigert. Das Thema spannt sich zwischen den wirtschafts-, sozial-, politik- und rechtswissenschaftlichen Disziplinen sowie den Spezialwissenschaften wie etwa der Numismatik, Papyrologie und Epigraphik auf, weshalb es nicht verwundert, dass vor allem interdisziplinäre Arbeiten das Thema erhellen. So geraten Fragen, die von den klassischen Fächern lange Zeit kaum oder nur randständig berührt wurden, zusehends in den Fokus der Altertumswissenschaften. Die Frage, wie man sich konkret die Bezahlung großer Geldbeträge im antiken Rom vorstellen muss, ist hierfür ein konkretes Beispiel und der Aufhänger der im folgenden anzuzeigenden Dissertation aus der Feder von Matthias Bange, die im Jahr 2014 an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg eingereicht und noch im selben Jahr publiziert worden ist (S. 5).

Lange Zeit überwog in den Altertumswissenschaften die Vorstellung, in der antiken Welt sei Geld gleichzusetzen mit Münzen.1 Mitte der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts ließen sich dann Stimmen vernehmen, die gegen diese Sichtweise gewichtige Bedenken vorbrachten.2 In den letzten Jahren gerannen diese Zweifel zur Gewissheit, wenngleich Umfang und Detailfragen der bargeldlosen Zahlungsvorgänge weiterhin umstritten bleiben.3 Vor diesem Hintergrund strebt Bange mit seiner Arbeit den Nachweis an, dass „die Römer auch Kreditgeld benutzten und vielleicht sogar Kreditgeld schöpften“ (S. 15).

Die Arbeit ist in sechs Kapitel eingeteilt und beginnt mit einer relativ ausführlichen Einleitung, in der der Autor die Forschungsgeschichte zusammenfasst und vor allem den Aufbau der Arbeit erläutert (S. 13–24). Es folgt ein Kapitel zur „Geldtheorie“ (S. 25–42), in dem die für die Arbeit zentralen Begriffen erläutert werden sowie das Modell eines (Kredit-)Geldkreislaufes entwickelt wird, das ohne Clearing-Häuser und ohne Zentralbank auskommt (das sogenannte „Free Banking“).4 Auch einem in ökonomischen Fragen unerfahrenen Leser wird so in einer knappen Skizze vermittelt, wie man sich ein Kreditsystem in der römischen Antike vorstellen könnte.5 Im dritten Kapitel (S. 43–104) rückt Bange die verschiedenen Kreditgeldarten in den Fokus seiner Betrachtung, wobei er den Schuldscheinen besondere Aufmerksamkeit zukommen lässt, da „Kreditgeld durch Kredit entsteht“ (S. 21). Bange stellt den Schuldscheinen deposita an die Seite, die seiner Ansicht nach im Rahmen des römischen „Bankwesens“ eine Form von Kreditgeld darstellen können.

Im vierten Abschnitt wird die Schöpfung und Übertragung von Kreditgeld dargestellt (S. 105–160). Bange skizziert zunächst die verschiedenen Möglichkeiten der Übertragung von Forderungen, also delegatio, permutatio und formlose Übertragung innerhalb des sozialen Netzwerks. Kursieren derlei Forderungen, so können sie die Aufgaben von Geld übernehmen. Doch erst wenn die kursierenden Noten auch wieder in reale Wertgegenstände – also in der Regel Münzgeld – getauscht werden können (das sogenannte Clearing), lässt sich von einer buchstäblichen „Kreditgeldschöpfung“ sprechen. Dann aber können die Noten parallel zum Münzgeld kursieren oder gegen andere Güter getauscht werden und folglich das Geldvolumen geradezu beliebig erweitern (S. 137–141). Es überrascht nicht zu erfahren, dass just der letzte Schritt – nämlich die Auszahlung von Noten in ‚reale‘ Güter – Probleme bereiten konnte, so etwa wenn der Schuldner aufgrund seiner Machtvollkommenheit sich nicht mehr der Konvention verpflichtet wähnte (S. 140–144). Vor allem anhand der tabulae Pompeianae demonstriert Bange sodann die Schöpfung von Kreditgeld. Im fünften Kapitel wird Ägypten als Fallstudie herangezogen (S. 161–196). Erneut betont Bange, dass Geld nicht mit Münzen gleichgesetzt werden kann (S. 180–184). Schließlich versucht der Autor – fast möchte man sagen: natürlich vergeblich – eine Quantifizierung des Geldvolumens im Imperium Romanum (S. 197–226) und nimmt eine Einschätzung der Bedeutung des Kreditgeldes für das Wirtschaftsleben vor (S. 227–252). Im siebten Kapitel fasst Bange seine Ergebnisse knapp zusammen (S. 253–258). Ein Namens- und Sachenverzeichnis (S. 259–262) sowie ein Quellenverzeichnis (S. 263–268) beschließen das Buch.6

Bange hat mit seiner Dissertation ein äußerst interessantes Thema aufgegriffen und eine zweifellos wertvolle Arbeit vorgelegt. Mit lebhafter, teilweise salopper Sprache führt er den Leser zielsicher durch die Darstellung. Komplexe Sachverhalte und juristische Feinheiten handelt er auf eine sehr verständliche, wenn auch manchmal zu wenig differenzierte Weise ab.7 Vor allem Romanisten dürften in dieser Hinsicht Einwände vorbringen. So wird man dem Autor beispielsweise nicht vorbehaltlos zustimmen, wenn er mit Verweis auf Ulpian (lib. xxvi ad ed. = Dig. 12,1,9,9) zur Überzeugung gelangt, depositum und mutuum seien vielleicht „im Endeffekt sogar identisch“, jedenfalls aber verwandt (S. 97). Eine gewisse Verwandtschaft der Kontrakte ist zwar zweifellos vorhanden (beide sind in aller Regel Realkontrakte), und im Geschäftsalltag lässt sich ein depositum unter gewissen Voraussetzungen auch zu einem mutuum umwandeln (Stichwort: traditio brevi manu), doch darf man darob die viel essentielleren Unterschiede der Verträge keinesfalls aus den Augen verlieren.8

Die Stärke der Arbeit liegt demgegenüber vor allem in den von praktischen Überlegungen getragenen Interpretationen juristischer und theoretischer Sachverhalte. Überzeugend hebt Bange etwa die Bedeutung des „sozialen Netzes“ bei der Kreditgeldschöpfung hervor, die sich de iure jedoch selten greifen lässt (S. 120–136). Es ist spannend zu beobachten, wie sich dieses Geflecht aus Schuld- und Abhängigkeitsverhältnissen gegen sporadische Kontaminierungen durch unwillige Schuldner zur Wehr setzt (S. 137–160). Auch die Interpretation der nomina als Urkunden, die durch Siegel beglaubigt den Anspruch einer Forderung vor Gericht realiter zu belegen in der Lage waren (S. 55–68), kann meines Erachtens prinzipiell überzeugen.9

Geradezu ärgerlich sind freilich die unzähligen Flüchtigkeitsfehler, die Grammatik, Orthographie und Interpunktion gleichermaßen betreffen und durch ein Lektorat leicht vermeidbar gewesen wären. Trotz der Kritikpunkte, die augenscheinlich der beeindruckenden Publikationsgeschwindigkeit geschuldet sind, ist es Bange gelungen, ein spannendes Thema aufgegriffen und insgesamt überzeugend präsentiert zu haben. Das selbstgesteckte Ziel, der Beweis, dass die Römer Kreditgeld nutzten und schöpften, ist – sofern der Erweis überhaupt noch nötig war – jedenfalls eindeutig erreicht worden.

Anmerkungen:
1 Um nur einige wenige prominente Vertreter anzuführen: Elio Lo Cascio, State and Coinage in the Late Republic and Early Empire, in: Journal of Roman Studies 71 (1981), S. 76–86; bes. 76 („money was coinage“); Moses I. Finley, The Ancient Economy, 2. Aufl., London 1985, S. 141 („money was hard coin, mostly silver“); Michael H. Crawford, Coinage and Money from the Severans to Constantine, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II 2 (1975), S. 560–593.
2 Vor allem Christopher Howgego, Ancient History from Coins, London 1995, S. 13f.; Stanislaw Mrozek, Zum Kreditgeld in der frühen römischen Kaiserzeit, in: Historia 34 (1985), S. 310–323.
3 Dazu etwa Koenraad Verboven, 54-44 BCE: Financial or Monetary Crisis?, in: Elio Lo Cascio (Hrsg.), Credito e moneta nel mondo romano, Bari 2003, S. 49–68, bes. S. 53; Peter Temin, Financial Intermediation in the Early Roman Empire, in: Journal of Economic History 64 (2004), S. 705–733; William V. Harris, A Revionist View of Roman Money, in: Journal of Roman Studies 96 (2006), S. 1–24; Barbara Stelzenberger, Kapitalmanagement und Kapitaltransfer im Westen des Römischen Reiches, Rahden 2008, bes. S. 163–178; Sitta von Reden, Money in the Classical Antiquity, Cambridge 2010, S. 32–49.
4 Die Idee vom „Free Banking“ adaptiert Bange von Makroökonomen, die dem Zentralbanksystem kritisch begegnen und alternative Systeme für die Zukunft entworfen haben. Vgl. bes. Friedrich A. Hayek, Entnationalisierung des Geldes, Tübingen 1977; Kevin Dowd, Laissez-faire Banking, New York 1993.
5 Dass in der römischen Welt Kreditgeld auch ohne Clearing-Houses und ohne Zentralbank geschöpft wurde, hat bereits Harris, View, in aller Deutlichkeit gezeigt. Dagegen aber noch Peter Gröschler, Die tabellae-Urkunden aus den pompejanischen und herkulanensischen Urkundenfunden, Berlin 1997, S. 329–340.
6 Beim Quellenverzeichnis fällt auf, dass unterschiedliche literarischen und dokumentarischen Quellen ohne Gliederung nach Gattungen einfach alphabetisch aneinandergereiht werden, was die Nutzung doch erheblich erschwert.
7 Dies zeigt sich etwa, wenn Bange den Stand der Forschung zum Obligationenrecht mit einem Verweis (S. 53) auf Max Kaser, Römisches Privatrecht. Ein Studienbuch, 9. Aufl., München 1979, S. 157f. abhandelt. Zum einen verweist er nicht auf die aktuelle, von Rolf Knütel überarbeitete 20. Auflage des Studienbuches aus dem Jahr 2014; zum anderen wünscht man sich bei der Bedeutung des Obligationenrechts für die Arbeit sowie der Komplexität des Themas Verweise auf Spezialliteratur. Ähnlich reichen ihm zur Verdeutlichung des „umfangreichen Forschungsstands“ (S. 73) zum Thema stipulatio zwei Verweise auf Rudolf Düll, Zur römischen Stipulatio, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanistische Abteilung 68 (1951), S. 191–216 und Malte Dobbertin, Zur Auslegung der Stipulation im klassischen Römischen Recht, Zürich 1987 aus. Hier hätte der Arbeit eine differenziertere Aufarbeitung der Forschung gut zu Gesicht gestanden. Auch bei der Begriffsbenutzung lassen sich hier und da Ungenauigkeiten beobachten – etwa die unbedarfte Benutzung des modernen Begriffs „Bank“ oder „Bankier“ (S. 88f. u.ö.): Zum einen findet sich bekanntermaßen in der Antike kein äquivalenter Begriff für die moderne Bezeichnung, zum anderen gibt es kein exakt entsprechendes Tätigkeitsfeld, sodass die Bedeutung der verschiedenen antiken Begriffe (z.B. nummularius) kontrovers diskutiert wird. Alfons Bürge (Fiktion und Wirklichkeit: Soziale und rechtliche Strukturen des römischen Bankwesens, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanistische Abteilung 97, 1987, S. 465–558, hier S. 508) bezeichnet vor diesem Hintergrund das „römische Bankwesen“ sogar als „moderne Fiktion“. Uneinigkeit herrscht auch hinsichtlich der Dienstleistungen antiker ‚Banken‘: Raymond Bogaert (Les origines antiques de la banque de dépôt, Leyden 1966, S. 30) denkt an Depotverwaltung und Kreditvergabe, während Jean Andreau (La vie financière dans le monde romain, Paris 1987, S. 17) ihnen darüber hinaus auch noch Zahlungsabwicklungen zuspricht. Auch wenn das Problem insgesamt wohl in erster Linie begrifflicher Natur sein dürfte (so bereits Gröschler, Urkunden, S. 38–57), gilt auch heute noch die Feststellung Francesco De Martinos (Storia economica di Roma antica, Bd. 1, Firenze 1980, S. 149): „Parlare di banche e di banchieri può indurre nell’erronea credenza che in Roma esistettero istituti di credito come quelli dell’età moderna o anche di altre epoche storiche meno recenti.“ Aufgrund der Bedeutung von ‚Banken‘ für das Thema wäre eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Terminus durchaus sinnvoll.
8 So wechseln Güter, die in ein Depositum gegeben werden, weder Besitzer noch Eigentümer und müssen in unveränderter Weise zurückgegeben werden, während beim Darlehen die Ware in das Eigentum des Verwahrers übergeht; im Falle von Münzen spricht man daher auch von commixtio nummorum. Vgl. hierzu Iav. lib. ex. Cass. = Dig. 46,3,78 und allgemein Richard Gamauf, Vindicatio nummorum. Eine Untersuchung zur Reichweite und praktischen Durchführung des Eigentumsschutzes an Geld im klassischen römischen Recht, Habilitationsschrift, Wien 2001, S. 9f. u.ö.). Folglich ist im zweiten Fall eine Rückgabe naturgemäß nicht möglich, lediglich die äquivalente Erstattung des Wertes des mutuum ist vorgesehen. Es gibt zwar Vereinbarungen, die sich diesen Kategorien nicht klar zuweisen lassen, doch ändert das nichts an den prinzipiellen Unterschieden der beiden Kontrakte. Vgl. etwa Paul. Coll. 10,7,9.
9 Besonders in der Romanistik werden nomina in der Regel als Buchungseinträge in das Geschäftsbuch (codex accepti et expensi) des pater familias erklärt. Siehe etwa Max Kaser, Das römische Privatrecht, 2. Aufl., München 1971, S. 543–545; Nikolaus Benke / Franz-Stefan Meissel, Übungsbuch zum römischen Schuldrecht, 5. Aufl., Wien 2000, bes. S. 23 u. 26f.

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