T. Lau u.a. (Hrsg.): Kaiser, Reich und Reichsstadt

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Titel
Kaiser, Reich und Reichsstadt in der Interaktion.


Herausgeber
Lau, Thomas; Wittmann, Helge
Reihe
Studien zur Reichsstadtgeschichte 3
Erschienen
Petersberg 2016: Michael Imhof Verlag
Anzahl Seiten
327 S.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabrina Späth, Universität Erlangen-Nürnberg

Der vorliegende Sammelband präsentiert die Ergebnisse der dritten Tagung des Mühlhäuser Arbeitskreises für Reichsstadtgeschichte – vormals Arbeitskreis „Reichsstadtgeschichtsforschung“ – und will die Verflechtungen von verschiedenen Reichsstädten innerhalb des Reichsverbandes sowie ihre Beziehungen zu Kaisern bzw. Königen aufzeigen. Wie schon in den vorangegangenen Jahren war also ein Thema ausgewählt worden, das „epochenübergreifend die Untersuchung von grundlegenden Aspekten der Geschichte von Reichsstädten oder ganzer Reichsstadtlandschaften anregen“ (Vorwort der Herausgeber, S. 6) soll. Dieser bewusst sehr weitläufig formulierte Ansatz verspricht ein breites Untersuchungsspektrum.

In seiner Einleitung zeichnet Mitherausgeber Thomas Lau die mannigfaltigen Vernetzungen von Reichsstädten innerhalb des im 16. Jahrhundert zur Sicherung des Landfriedens gegründeten bikonfessionellen Landsberger Bundes nach. Analog dazu sei es Ziel des Tagungsbandes, die Reichsstädte „als Kreuzungspunkte horizontaler und vertikaler Verdichtungen des Reiches bzw. innerhalb des Reiches (zu) begreifen“ (S. 10).

Mathias Kälble nimmt in seinem Aufsatz die reichsstädtische Bündnispolitik in Thüringen ab der Mitte des 13. Jahrhunderts bis 1304 in den Fokus. Einen besonderen Akzent legt er auf die Verbindungen zwischen Mühlhausen, Erfurt und Nordhausen im Spannungsfeld zwischen landgräflichen und kaiserlichen Einflussbemühungen. So wird veranschaulicht, dass die Bündnispolitik nicht nur auf dem konkreten Sachverhalt, sondern auch auf der jeweiligen Souveränität der Städte beruhte. Hartmut Semmler stellt die weniger bekannten südwestdeutschen Reichsstädte Buchhorn und Überlingen sowie deren Einbindung in regionale Städtebünde im 14. und 15. Jahrhundert vor. Sorgfältig wird herausgearbeitet, dass derartige Vereinigungen aufgrund der ihnen inhärenten, zunehmenden Verrechtlichung vor allem einen Zuwachs an politischen Sicherheiten für die einzelnen Parteien nach sich zogen. Der Aufsatz von Wolfgang Wüst analysiert Netzwerke im süddeutschen Raum und die reichsstädtische Rolle bei den Reichstagen. Wüst kritisiert die teils immer noch in der Geschichtswissenschaft postulierte „These vom schleichenden Reichsverfall“ (S. 61) sowie die damit einhergehende lückenhafte wissenschaftliche Beschäftigung mit der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg. Wüst zieht für seine Betrachtungen umfangreiches Quellenmaterial heran1, etwas irritierend wirkt jedoch die trotz des plakativen Titels völlige Ausklammerung der aktuell regen Netzwerkforschung.2 In einem der längsten Beiträge des Sammelbandes zeichnet Matthias Werner die Geschichte Erfurts bis zum Ende des 13. Jahrhunderts nach – einer Stadt, die trotz vielerlei Bemühungen nie den Status einer Reichsstadt erreichen konnte. Dessen ungeachtet habe Erfurt bis zu seiner Unterwerfung durch den Erzbischof von Mainz im Jahr 1664 stets enge Beziehungen zum Reichsoberhaupt unterhalten, was bisher noch kaum wissenschaftlich beachtet worden sei.

In einem ausgewogenen Beitrag konzentriert sich Evelien Timpener auf die Reichsstadt Augsburg und ihre Außenpolitik in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die These, dass die schwäbische Reichsstadt ihre diplomatischen Bemühungen von ihren finanziellen Möglichkeiten abhängig machte (S. 128), stützt Timpener in ihrer quellengesättigten Analyse auf zwei Fallbeispiele aus dem 15. Jahrhundert. Während die Reichsstadt im Augsburger Bischofsstreit noch enge Verbindungen zum Kaiser unterhielt, waren diese in den sogenannten „Lechkonflikten“ deutlich abgekühlt, nachdem der Stadt zu dieser Zeit schlichtweg das Geld für die kostspielige Diplomatie fehlte. Im Gegensatz dazu fällt der Aufsatz von Anna Ziemlewska sehr knapp aus. Im Zentrum steht die Frage, ob sich Riga in den zwanzig Jahren zwischen 1561 und 1581 tatsächlich, wie postuliert, in einem Status der Unabhängigkeit befand. Leider referiert Ziemlewska in diesem Fall lediglich die bestehende Forschungskontroverse (S. 152f.), bezieht selbst dazu aber keine eindeutige Stellung.

Thomas Schilp spart in seinem Beitrag über das Privileg Ludwigs IV. (1314/1328–1347) für Dortmund im Jahr 1332 nicht mit Kritik an der etablierten Forschung über die Regierungszeit dieses Kaisers, den er nicht mehr „den Bayern“ nennen möchte (S. 158). Zugleich stellt Schilp die These auf, dass Ludwig mit der Erteilung des Privilegs „in die politische Organisation, die Lebensverhältnisse und die Verfassung der Reichsstadt gestaltend“ (S. 158) habe eingreifen wollen, dabei aber letztlich gescheitert sei. Auch die kompetente Untersuchung der äußeren Form des Privilegs mit einem Vergleich zu weiteren Urkunden des Kaisers gestaltet sich aufschlussreich.

Mit dem Gesandten Walter von Schwarzenberg stellt Christopher Folkens eine Einzelperson im Dienste Frankfurts am Main aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts vor. Anhand sechs akribisch recherchierter Beispielsfälle, an denen der Gesandte federführend beteiligt war, werden seine Methoden eindrucksvoll nachgezeichnet, was einen Rückschluss auf die außenpolitischen Ziele der Reichsstadt und ihre hierfür praktizierten Strategien ermöglicht. Dadurch demonstriert Folkens, dass Frankfurt entgegen der gängigen Forschungsmeinung keinen Bedeutungsverlust in dieser Zeit erlitten hat. Eine bisher eher selten beachtete Quellengattung präsentiert Ulrich Hausmann, der die Interaktionen zwischen Kaiser und den Bürgern in den Reichsstädten unter Zuhilfenahme von Untertanensuppliken des ausgehenden 16. Jahrhunderts – mit einem Schwerpunkt auf der Zeit Rudolfs II. (1576–1612) – analysiert. Seine Ergebnisse gestalten sich hierbei als überaus aufschlussreich, indem sie nicht nur „die enorme Bandbreite an politischer Kommunikation“ (S. 223) aufzeigen, sondern durch die Schilderung der bürgerlichen Probleme und Bitten auch einen spannenden Einblick in die Alltagsgeschichte geben.

André Krischer geht in seinem Beitrag auf die Patenschaften von Reichsstädten für adelige Kinder ein. Mittels dreier Beispiele wird deutlich, welchen Zweck und welche Hintergründe solche „sozial konstruierte(n) Verwandtschaften“ (S. 247) beinhalten konnten. Hierbei nimmt der Autor kritisch Stellung zur Forschung und legt dar, dass Patenschaften in den Außenbeziehungen von Reichsstädten keine marginale Rolle spielten, sondern die ansonsten oftmals verwehrte Akzeptanz der Reichsstädte in der Adelsgesellschaft ermöglichten.

Thomas Lau beschreibt das im 18. Jahrhundert seltene Phänomen der gewaltsamen Aufstände am Beispiel der Mühlhäuser Unruhen (1731–1733). Hierbei spannt er einen weiten Bogen vom Jahr 1725, in welchem der Konflikt aufgrund der Weigerung des Johann Ernst Sander, an der obligatorischen Bürgerwache teilzunehmen, ausgelöst wurde, bis zu seinem Ende mit der Hinrichtung dreier Handwerker neun Jahre später. Schließlich ordnet Lau die Geschehnisse in die Reichsgeschichte ein und klassifiziert die Unruhen als „Reaktion auf einen Verfassungsreformversuch“ (S. 271), mit welchem einige der Reichsstädte enger an das Reichsoberhaupt gebunden werden sollten. Dadurch betont er die Besonderheit der Ereignisse, an denen er zugleich die Grenzen der kaiserlichen Einflussnahme eindrücklich herausstellt.

In seinem Beitrag zur Mediatisierung der Reichsstädte befasst sich Axel Gotthard abschließend mit dem Ende des Alten Reiches. Anhand prominenter Stimmen aus dem 18. Jahrhundert gelingt es dem Autor, den Leser in die Gedankenwelt der Zeit einzuführen, bevor er anhand zahlreicher Einzelbeispiele darstellt, dass die Mediatisierung zwar von außen initiiert wurde, die meisten Reichsstädte sich indes nur selten dagegen gewehrt haben.

Insgesamt bietet der Sammelband interessante Einzelbeiträge, die trotz ihrer thematischen Breite unter dem titelgebenden Aspekt der Interaktion subsumiert werden können, wie es die Zusammenfassung von Matthias Schnettger verdeutlicht. In diesem Punkt kann aber gleichzeitig die Schwäche des Bandes konstatiert werden: Indem er ein solch großes Spektrum an Themen zulässt, gestaltet sich eine vergleichende Perspektive der angesprochenen Sachverhalte untereinander schwierig. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass sich der Untersuchungszeitraum vom frühen 8. bis zum 19. Jahrhundert spannt. Hier wäre es möglicherweise zielführender gewesen, Schwerpunktthemen zeitlich zu bündeln. Auch lässt das Buch einen interdisziplinären Ansatz, wie ihn thematisch ähnlich ausgerichtete Publikationen durchaus verfolgen3, vermissen. Gleichwohl hinterlässt die Lektüre des Bandes einen weitgehend positiven Eindruck und regt durch die Nennung einiger offen gebliebener Fragen zu weiteren Forschungen an. Abgerundet wird der Band durch eine hochwertige Ausstattung mit zahlreichen in Farbe abgedruckten Bildern sowie durch ein sorgsam erstelltes Register.

Anmerkungen:
1 Hierbei unterläuft ihm jedoch eine Unachtsamkeit, da der auf S. 75 zitierte Brief nicht von Regensburg nach Nürnberg, sondern umgekehrt gesendet wurde. Die Nürnberger Briefbücher sind dergestalt angelegt, dass der Empfänger in der Überschrift genannt ist. Im vorliegenden Fall ist der Brief mit „Regenspurg“ betitelt (StA Nürnberg, Rep. 61 a, Briefbücher des Inneren Rates, Nr. 1, fol. 52r).
2 Im Hinblick auf den hier behandelten Themenbereich wäre beispielsweise interessant gewesen: Mike Burkhardt, Networks as Social Structures in Late Medieval and Early Modern Towns. A Theoretical Approach to Historical Network Analysis, in: Andrea Caracausi / Christof Jeggle, (Hrsg.), Commercial networks and European cities. 1400–1800, London 2014, S. 13–44.
3 Exemplarisch sei mit Beiträgen aus der Musik– und Kunstgeschichte genannt: Susanne Ehrich / Jörg Oberste (Hrsg.), Städtische Räume im Mittelalter. Städtische Räume in der Vormoderne, Regensburg 2009.

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