P. Rauscher u.a. (Hrsg.): Die Stimme der ewigen Verlierer?

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Titel
Die Stimme der ewigen Verlierer?. Aufstände, Revolten und Revolutionen in den österreichischen Ländern (ca. 1450-1815)


Herausgeber
Rauscher, Peter; Scheutz, Martin
Reihe
Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 61
Erschienen
München 2013: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
468 S.
Preis
€ 74,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Malte Griesse, Exzellenzcluster "Kulturelle Grundlagen von Integration", Universität Konstanz

Mit dem Sammelband „Die ewigen Verlierer?“ wollen die Herausgeber Peter Rauscher und Martin Scheutz eine Art (erste) Gesamtschau zu den Aufständen, Revolten und Revolutionen in den Ländern und Regionen der Habsburger Monarchie liefern. Zwar habe es intensive Forschung zu einzelnen großen Revolten gegeben, kleinere Aufstände seien aber immer noch relativ unterbelichtet geblieben und die vielen Manifestationen des Widerstands vor allem nicht in ihrem Zusammenhang betrachtet worden. Diesen Mangel an Synthese führen sie zum einen auf die Heterogenität der Regionen, ihrer Rechtstraditionen und Ständekulturen sowie auch ihrer Sprachen und Kulturen zurück; zum anderen auf die (moderne) österreichische Geschichtspolitik, die zwar regionale Einzelereignisse wie den Oberösterreichischen Bauernkrieg von 1626 als lieu de mémoire kommemoriert, aber im Großen und Ganzen ein friedliches Bild der Vergangenheit zeichnet, in dem für eine zusammenhängende Geschichte des Widerstands kein Platz ist. Nicht zuletzt machen sie diesen Befund an der schweizerischen Eidgenossenschaft als Vergleichsobjekt fest, wo der Widerstand zentrales Element des Gründungsmythos ist und Aufstände dementsprechend integral in den geschichtlichen Bildungskanon eingeschrieben worden sind. Zwar hatte die Revoltenforschung auch in der Geschichtsschreibung unter kommunistischer Herrschaft, die immerhin einen Großteil der ehemaligen Habsburger Gebiete erfasste, den frühneuzeitlichen Aufständen eine extrem hohe Priorität eingeräumt, doch habe sich die konkrete Forschung trotz globaler struktureller Erklärungsansätze (vor allem Klassenkampf) stark in die Einzelländer partitioniert.

Das Konzept des Bandes rekurriert – bei aller Anerkennung der Heterogenität der Untersuchungsräume – auf das gemeinsame Habsburger Dach als wichtigste Klammer, die von umso größerer Bedeutung für die Geschichte der „ewigen Verlierer“ war, als sich die unterschiedlichen Manifestationen des Widerstands fast immer auf den Kaiser als positive Referenzfigur beriefen, während sie die Missstände in regionalen Herrschern wie Erzbischöfen, Statthaltern etc. und vielfach auch auf der Ebene der Grundherrschaften verorteten und zu bekämpfen suchten. Dabei war der Aufstand im Namen des höchsten Souveräns geradezu ein Topos, der sich durch die gesamte Frühe Neuzeit zieht, nicht nur in den Herrschaften unter Habsburger Ägide, sondern auch außerhalb – die markantesten (wenn nicht einzigen) Ausnahmen dürften die Revolte der Niederländer und ihre Abspaltung von der spanischen Monarchie und der englische Bürgerkrieg gewesen sein.

In seinem Untersuchungszeitraum setzt der Band mit dem Buchdruck an und reicht bis zum Wiener Kongress, zumindest laut Titel. Das entspricht durchaus gängigen Eingrenzungen der Frühen Neuzeit. Trotzdem fühlen sich die Herausgeber bemüßigt, den Einschluss des beginnenden 19. Jahrhunderts mit der Fortdauer frühneuzeitlicher Konfliktformen zu begründen, wobei der Beitrag von Thomas Stockinger auch die 1848er Revolution im ländlichen Niederösterreich noch in diese Kontinuität von Zehnt- und Robot-Streitigkeiten stellt und damit rechtfertigt, dass er den vorgegebenen chronologischen Rahmen sprengt. Interessanterweise wird der Beginn des Untersuchungszeitraums nicht weiter dargelegt. Natürlich ist die Entwicklung des Buchdrucks ein einschneidendes Moment, das mit der Reproduktion und Verbreitung von Schriften die Kommunikationsräume nachhaltig verändern sollte, doch das taten sie keinesfalls abrupt, und der Wandel zog sich über Jahrzehnte und Jahrhunderte. Faktisch setzt der Band auch eher mit der Reformation als mit dem Buchdruck an. Dem Bauernkrieg von 1525 und speziell seinen Ausläufern in die Habsburger Erblande kommt demnach – naheliegenderweise – eine Schlüsselrolle zu, die auch in seinem mehr oder weniger traumatischen Gedächtnis liegt, wobei das nicht nur für die Untertanen, sondern (gerade) auch für die Obrigkeiten gilt.

Die Reformation als eigentlicher Startschuss für die Studie macht durchaus Sinn, nicht nur weil im Zuge der Kirchenspaltung der Buchdruck erstmals massiv als Medium des Widerstands zum Einsatz kam – bzw. die Reichweite der neuen printmedialen Propaganda eine Kirchenspaltung überhaupt erst ermöglichte (die Hussiten hatten das nicht geschafft) –, sondern auch weil die Konfessionalisierung zu Recht als wichtige übergreifende Klammer für die spezifische Revoltengeschichte dieses heterogenen Raumes ausgemacht wird. Denn gerade die größeren Revolten richteten sich alle auf die eine oder andere Weise und in sehr unterschiedlichen Allianzen gegen die hartnäckigen Bemühungen der Habsburger um eine Rekatholisierung ihrer Untertanen. Der Rückgriff auf das Konfessionalisierungsparadigma, so sehr es in der Frühneuzeitforschung mittlerweile in die Kritik geraten ist, leuchtet demnach ein. Ebenso sinnvoll ist der Rekurs auf das Modell der Staatsbildung, gegen deren Auswirkungen (Bürokratisierung, Zentralisierung, Rekrutierungen und Steuerdruck zur Finanzierung der immer umfänglicheren und kostspieligeren Kriegführung) sich fast alle Revolten wandten. Allerdings sind Staatsbildungsprozesse als Ursache von Widerstand keine Besonderheit des Habsburger Machtbereichs. Dieses Muster lässt sich in allen europäischen Ländern gleichermaßen beobachten, die schließlich auch im Zuge der militärischen Revolution in einem ständigen Konkurrenzkampf und (wenn man so will) Wettrüsten standen. Hieraus lässt sich also keine räumliche Eingrenzung des Untersuchungsfeldes ableiten.

Die Konturierung des Gegenstandes durch die Herausgeber wird trotz der klar benannten Heterogenität des Raumes weitgehend „von innen“ vorgenommen, auch wenn Vergleiche indirekt immer wieder hereinspielen. Aber gerade angesichts des Booms der Imperienforschung wundert es, dass sich die Autoren nicht um eine entsprechende Verortung des Habsburger Reiches kümmern und keine Vergleiche mit den beiden östlichen Nachbarn, dem Osmanischen und dem Russischen Reich anstellen, die sich zum einen durch ähnlich große Heterogenität in ethnisch-linguistischer, kultureller und konfessioneller Hinsicht auszeichneten, und für die es zum anderen auch einige übergreifende Studien zu den Revoltengeschichten gibt.

Der Band ist in drei Teile gegliedert. Der erste nennt sich „Regionalgeschichtliche Sektion: Aufstände und Unruhen in den ‚österreichischen‘ Ländern“ und präsentiert im Wesentlichen historiographische Längsschnitte zur Revoltengeschichte in den Teilregionen: Martin Paul Schennach zu Vorderösterreich und Tirol, Martin Scheutz zu Österreich ob der Enns und unter der Enns, Jaroslav Čechura zu Böhmen und Mähren, Matthias Weber zu den Lausitzen und Schlesien (allerdings nur bis 1618), Géza Pálffy zu Ungarn und Nataša Stefanec zu Dalmatien, Kroatien und Slawonien. Heraus fällt der Beitrag von Stockinger, der sich auf 1848 konzentriert. Besser hineingepasst hätte hier der Beitrag von André Holenstein, der eine Typologie der Konfliktformen in der Schweizer Eidgenossenschaft liefert und unterschiedliche Formen der Konfliktaustragung in der longue durée analysiert. Der Beitrag dient erklärtermaßen dem Vergleich, lässt sich die Eidgenossenschaft doch spätestens ab dem 16. Jahrhundert schwerlich mehr dem Habsburger Herrschaftsbereich zurechnen.

Der zweite Teil steht unter der Überschrift „Große, alles erklärende Theorien und ihr Bezug zu den Aufständen“, was offenbar weder ironisch noch abwertend gemeint ist. Trotzdem erheben die Beiträge (glücklicherweise) keine universellen Erklärungsansprüche. In Kontinuität mit seinen vorangegangenen Arbeiten betont Peter Blickle eine Art kommunalistische moral economy, Peter Rauscher konzentriert sich auf die Prozesse der Staatsbildung als strukturelle Ursache, die in alle Bereiche (Krieg, Religion, Recht) hineinreichte, Andreas Würgler arbeitet die Bedeutung vor allem der neuen Printmedien heraus, die das Revoltengeschehen nicht nur neu rahmten, sondern im Vergleich zur Zeit vor der Reformation auch substantiell veränderten, und Wolfgang Behringer unterstreicht den Zusammenhang zwischen kleiner Eiszeit und der Stigmatisierung von Hexen als Sündenböcken auf Initiative der Bevölkerung in den österreichischen Vorlanden des 16. Jahrhunderts, wobei „in Panik geratene“ Untertanen die Obrigkeiten auch mit kollektiven Manifestationen und Aufständen unter Druck gesetzt und zur Verfolgung der „Hexen“ angetrieben hätten.

Der dritte Teil schließlich ist „Soziale Strukturen der Aufständischen: Bauer, Bürger, Edelmann“ betitelt und umfasst die Beiträge von Juri Dufka zu den Trägerschichten bäuerlicher Unruhen in Mähren, von Andrea Pühringer zur geringen Widerständigkeit der Bürger in den ökonomisch schwachen ostösterreichischen Kleinstädten und Arno Strohmeyers Beitrag zum erbländischen Adel und dessen Leitvorstellungen beim Verhandeln von Herrschaft vor allem im Hinblick auf die Konfessionsfrage. Nach dem Inhaltsverzeichnis und dem Aufbau des Bandes selbst umfasst dieser dritte Teil auch die übrigen vier Beiträge, die sich jedoch in jeglicher Hinsicht gegen eine solche Einordnung sträuben. Offenbar ist hier ein Fehler unterlaufen, denn die zweite Einleitung von Karl Vocelka mit kurzen Resümees der Einzelbeiträge klärt auf, dass diese vier Aufsätze einen letzten Teil zu „Themen der Kulturgeschichte im Kontext der Unruheforschung“ bilden sollten, und das macht weitaus mehr Sinn. Alexander Schunka verknüpft Fragen der Raumaneignung im Rahmen des spatial turn mit der Verlaufsgeschichte und den Ritualen von Aufständen und obrigkeitlichen Reaktionen. Und außer dem bereits angesprochenen Beitrag von André Holenstein zur Schweiz beschäftigen sich die Beiträge von Elisabeth Gruber und Martina Fuchs mit dem städtebaulichen und literarischen Gedächtnis an den ersten Anführer des oberösterreichischen Bauernkriegs Stefan Fadinger im späten 19. und 20. Jahrhundert.

Die bestvertretenen räumlichen Schwerpunkte des Buches liegen auf den Unruhen in Gebieten des heutigen Österreichs und den Vorlanden, also vor allem auf den deutschsprachigen Regionen, wobei der oberösterreichische Bauernkrieg von 1626 als vermutlich herausragendstes Ereignis (sowohl hinsichtlich seiner zeitgenössischen Bedeutung als auch angesichts seiner späteren Kommemorierung) aus den unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet wird. Dagegen treten Darstellungen zu den slawisch- und ungarisch-sprachigen Gebieten deutlich zurück, womit wohl auch der größte weitere Forschungsbedarf für die Zukunft angezeigt wäre. Insgesamt bietet der Band einen gut synthetisierten Überblick über die Forschung, aber auch eine breite Facette an teilweise neuen Zugangsweisen zur Habsburger Aufstandsgeschichte.