M. Janczewska (Hrsg.): Archiwum Ringelbluma

Cover
Titel
Archiwum Ringelbluma. Konspiracyjne Archiwum Getta Warszawy, tom 24. Obozy pracy przymusowej


Herausgeber
Janczewska, Marta
Anzahl Seiten
XXXVIII, 548 S. + 1 DVD-ROM
Preis
zł 48,60; € 32,53
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Grelka, Zentrum für Interdisziplinäre Polenstudien (ZIP), Europa-Universität Viadrina

Im November 1940 erging ein Hilfeschrei von 180 polnisch-jüdischen Zwangsarbeitern aus dem Wasserwirtschaftslager Tyszowce im Süden des Distrikts Lublin an ihre in Warschau zurückgebliebenen Angehörigen: „Liebe Eltern!!! […] Wir sind völlig entkräftet. Während der ganzen Zeit haben wir im Wasser gearbeitet, jetzt friert es bereits und trotzdem stehen wir weiterhin bis zur Hälfte des Körpers im Wasser. Vor Kälte und Unterernährung sind wir aufgedunsen […]. Die Hälfte von uns leidet an ansteckenden Krankheiten. Wir werden nicht wie Arbeiter, sondern wie Sklaven behandelt.“ (S. 189)

Diesen Zeitzeugenbericht über die Folgen des Einsatzes in Zwangsarbeitslagern der Regierung des Generalgouvernements hat Marta Janczewska, Mitarbeiterin des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau, für den 24. Band der ŻIH-Reihe mit Dokumenten aus dem sogenannten Ringelblum-Archiv ausgewählt. Das Untergrundarchiv des Warschauer Gettos gilt unter Historikern seit langem als eine der wichtigsten Sammlungen zur Geschichte der Verfolgung und Ermordung der Juden im Generalgouvernement. Dieser Folgeband in der Reihe dokumentiert nun eine besonders wichtige, und bisher wenig erforschte Facette jüdischen Lebens in Warschau unter deutscher Besatzung: den Einsatz von jüdisch-polnische Sklavenarbeiter in zivilen Arbeitslagern an der östlichen Peripherie des deutschen Besatzungsgebiet in Polen seit Sommer 1940, also noch vor der Errichtung des größten nationalsozialistischen Gettos in Warschau.

Aus einem Gesamtbestand von ca. 30.000 Blatt aus der Originalüberlieferung hat die Bearbeiterin des Bandes 89 Quellen auf Grundlage der überwiegend als Handschriften und Typoskripte überlieferten Originaldokumente (auf einer dem Band beiliegenden CD-Rom stehen sämtliche handschriftliche und maschinenschriftliche Überlieferungen der Dokumente in elektronischer Form bereit) aus dem Ringelblum-Archiv für die Edition aufgearbeitet. Damit liegt eine erstaunliche große Anzahl von verschiedenen Quellenarten vor, die von der ŻIH-Redaktion sorgfältig ediert, teilweise auf dem Jiddischen ins Polnische übersetzt und von der Bearbeiterin in zwei Buchabschnitte strukturiert wurden.

Stand in Arbeiten von Christopher Browning oder Wolf Gruner der Arbeitseinsatz von Juden in Gettos oder in industriellen Komplexen der deutschen Privatwirtschaft, der Wehrmacht und der SS im Fokus wissenschaftlicher Untersuchung1, leistet die vorliegende Primärüberlieferung wichtige Grundlagenarbeit zur deutschen Arbeitskräftepolitik gegenüber den Juden im Generalgouvernement im landwirtschaftlichen Sektor der deutschen Zivilverwaltung. Im ersten Teil sind neun Quellen verschiedenster Provenienz zu vielen verschiedenen Aspekten der jüdischen Zwangsarbeit nachzulesen, darunter Anordnungen deutscher Behörden, Berichte halb-offizieller und offizieller jüdischer Organisationen sowie Dossiers von Komitees, die im Zusammenhang mit der Betreuung der Arbeiter vom Warschauer Judenrat gegründet worden waren. Während diese Auswahl noch recht willkürlich anmutet, konzentriert sich das Gros der überlieferten Quellen im zweiten Teil des Bandes inhaltlich eindeutig auf die Geschehnisse in den Arbeitslagern. Aus mehreren Gründen liegt hier der besondere Wert dieser Publikation für die künftige Forschung über jüdische Zwangsarbeit. Einmal ist der administrativ-geographische Zugriff dieses Abschnitts angemessen gewählt. Der Band konzentriert sich nämlich auf Lager, die das Ausmaß des jüdischen Arbeitseinsatzes in vorwiegenden nichtindustriellen Beschäftigungszusammenhängen deutlich macht. Sehr hilfreich ist dazu eine Karte zur topographischen Verteilung der Lager im Generalgouvernement gleich zu Beginn des Bandes. Deutlich wird, dass sich die Mehrzahl landwirtschaftlicher Lager in den Distrikten Warschau und Lublin unter deutscher Zivilverwaltung konzentrierten. Diese visuelle Darstellung bildet ca. 120 Lager ab, die in den Dokumenten erwähnt werden, und deckt damit einen Großteil der nach den Untersuchungen von Józef Marszałek bisher ca. 170 bekannten nichtindustriellen Zwangsarbeitslager für Juden (ZAL) im Generalgouvernement ab.2

Liest man diese Karte zusammen mit den Quellen, fällt zweitens der geographische Zusammenhang zwischen den Getto Warschau und den ZAL ins Auge. In der Natur der Sammlung des Archivars des Getto Warschau liegt es nämlich, dass Ringelblum vor allem jene Unterlagen archivierte, die in einem Zusammenhang mit dem Schicksal der jüdischen Bevölkerung in der polnischen Hauptstadt stand. Bereits wenige Jahre nach dem Ende der deutschen Besatzung hatten die jiddischsprachigen Bleter far Gesikte die vom Getto-Historiker dokumentierte Verlagerung jüdischer Arbeiter aus dem sogenannten jüdischen Wohnbezirk in die Lager im Distrikt Lublin für die Forschung in Auszügen neu ediert und auf die Bedeutung deutscher Arbeitskräftepolitik für die frühe Phase der Judenverfolgung in Polen hingewiesen.3 Die vorliegende Edition veröffentlicht ein bereits in den Bletern veröffentlichte Memorandum des Judenrates Warschau zur Situation in den im Lubliner Raum für die jüdische Bevölkerung organisierten Lager im Herbst 1940 (so die wortgetreue Übersetzung des Quellentitels aus dem Polnischen) erstmals in voller Länge (S. 159–234). Diese Dokumentation richtete sich an die deutsche Verwaltung des Gettos unter der Leitung von Heinz Auerswald und sollte auf die unerträglichen Zustände in den Wasserwirtschaftslagern aufmerksam machen. Dementsprechend finden sich hier minutiöse Aufzeichnungen zu den Lagern im Distrikt Lublin, nämlich zur jeweiligen Anzahl der jüdischen Zwangsarbeiter, zur ihrer Unterbringung, zur Art der Zwangsarbeit, zur Ernährung der Arbeiter sowie den sanitären Bedingungen und der medizinischen Betreuung. Der Warschauer Judenrat bilanziert über die Zustände: "die Arbeitslager wurden zum Synonym von Sträflingslagern" (beiliegende CD, S. 463).

Drittens präsentiert Janczewska weitere Fundstücke aus dem Ringelblum-Archiv, die ein neues Licht auf die bisherige Untersuchung der Arbeitseinsatzpolitik der Verwaltung Hans Franks gegenüber den Juden werfen. Dazu gehören die Praktiken des Transport (S. 17ff.) und der Rückkehr von jüdischen Arbeitern in die Lager bzw. nach Warschau, landwirtschaftliche Zwangsarbeit von Frauen (S. 133ff.), Massenerschießungen von Juden in den Lager (S. 274f.), die Einrichtung von – im Hinblick auf die lange Frostperiode in Ostpolen, die etwa das Ausgraben von Meliorationsgräben unmöglich machte – sogenannten Winterlagern für die Arbeiter aus Warschau (S. 286 ff.), sowie nicht zuletzt eine große Anzahl von Briefen jüdischer Zwangsarbeiter an den Judenrat bzw. an ihre Angehörigen, die in Warschau zurückgeblieben waren, oftmals ihrer Familienoberhäupter und damit einer weiteren Grundlage des Überlebens im Getto beraubt. Egodokumente also, die sich durch den gesamten Band ziehen und die persönliche Tragik von jungen jüdischen Männern und Frauen widerspiegeln, die sich – in Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen als in Warschau – teilweise freiwillig beim Arbeitsbataillon des Warschauer Judenrats zum Einsatz in den Lubliner Lagern gemeldet hatten.

Neben der besonderen Bedeutung des Gettos Warschau als Drehkreuz für diesen frühen Arbeitseinsatz ist an den abgedruckten Quellen auch die besondere Belastung, die jüdischen Verwaltungsstellen von deutscher Seite durch den Arbeitseinsatz an der Peripherie des Generalgouvernements auferlegt worden war, abzulesen. Über die bisherige Forschung hinaus macht das Studium dieser Dokumente des Judenrats Warschau deutlich, dass es, jedenfalls jenseits der Gettos, bereits 1940 nicht mehr darum ging, die Lebensfähigkeit der Juden zu erhalten, um Seuchen und Krankheiten zu vermeiden, wie es Max Frauendorfer, Leiter der „Hauptabteilung Arbeit im Generalgouvernement“ im August desselben Jahres nur scheinbar altruistisch formulierte. 4 Die Edition macht vielmehr deutlich, dass die Arbeiter in den nichtindustriellen Lagern fern der urbanen Zentren in der Regel keinen Lohn, keine geregelten Unterkünfte, unzureichende Ernährung und eine mangelhafte medizinische Versorgung erfuhren und wirft somit die Frage auf, ob die totale körperliche Erschöpfung bis zum Tod bereits in dieser frühen Phase ein intendiertes Ziel dieser Form des Einsatzes durch die deutsche Arbeitsverwaltung im Generalgouvernement war. 5

Die Philologin Marta Janczewska hat bereits eine wichtige Studie zu den Lagern der deutschen Wasserwirtschaftsverwaltung im Referat „Ernährung und Landwirtschaft“ der Distriktverwaltung Warschau vorgelegt und ist eine ausgewiesene Expertin zum Thema dieses Bandes. 6 Auch insofern ist es zu bedauern, dass sich die Verfasserin in der sehr knapp und deskriptiv gehaltenen Einleitung damit begnügt auf den Forschungsstand zu verweisen und insgesamt analytisch hinter der wissenschaftlichen Brisanz der von ihr vorgelegten Quellen zurückbleibt. Weder wird hier zwischen den im Band dokumentierten verschiedenen Typen von Lagern unterschieden noch über die Bedeutung dieser Lager für die gesamte Bevölkerung im Zentrum polnisch-jüdischen Lebens reflektiert. Die Autorin analysiert die Praxis nichtindustrieller Zwangsarbeit ex post aus der Perspektive der ‚Aktion Reinhardt‘ und verpasst damit die Gelegenheit, die Lager entlang ihrer Quellen separat als das zu analysieren, was sie offensichtlich waren – ein Repressionsinstrument der Politik der deutschen Zivilverwaltung in Polen zur unsystematischen Dezimierung der jüdischen Bevölkerung in den Jahren 1940 und 1941.

Vor dem Hintergrund der schieren Zahl der in diesem Band erstmals versammelten Quellen sowie von der Autorin zu Recht genannten weiteren Überlieferungen zum Thema, wird die zukünftige Forschung zeigen, ob diesen Lagern tatsächlich eine „ephemere Bedeutung“ zuzuerkennen ist (S. XXXIV), oder ob wir nicht vielmehr erst am Anfang der Erforschung landwirtschaftlicher Lager für jüdische Arbeitssklaven stehen. Zu vermuten ist, dass dieser Band für lange Zeit ein wichtiges Referenzwerk für die Einordnung der Signifikanz nichtindustrieller Zwangsarbeit im Generalgouvernement für die Verfolgung und Ermordung der Juden durch die deutsche Arbeitsverwaltung in der Frühphase der Holocaust bleiben wird. Insofern ist es sehr zur begrüßen, dass Zentrum für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte und die Arbeitsstelle Holocaustliteratur an der Justus-Liebig-Universität eine Auswahl-Edition der Dokumente aus dem Ringelblum-Archiv dem deutschsprachigen Lesepublikum zugänglich machen wird.

Anmerkungen:
1 Christopher Browning, Remembering Survival: Inside a Nazi Slave-Labor Camp, New York 2011; Wolf Gruner, Jewish Forced Labor Under the Nazis: Economic Needs and Racial Aims, 1938–1944, New York 2006.
2 Józef Marszałek, Obozy pracy w Generalnym Gubernatorstwie w latach 1939–1945, Lublin 1998
3 Bleter far Gesikte, 2, 1–4 (1949), S. 242–272.
4 Protokoll über die Judeneinsatzbesprechung am 06.08.1940 zit. nach Stephan Lehnstaedt, Die deutsche Arbeitsverwaltung im Generalgouvernement und die Juden, VfZ 3,3 (2012), S. 428.
5 Frank Grelka, Rural hubs of early destruction: The Water Works Camps in the Lublin District, 1940–1942, Yad Vashem (im Erscheinen).
6 Marta Janczewska, Obozy pracy przymusowej dla Żydów na terenie dystryktu warszawskiego, in: Barbara Engelking / Jacek Leociak / Dariusz Libionka (Hrsg.), Prowincja noc. Życie i zagłada Żydów w dystrykcie warszawskim, Warszawa 2007.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Land
Sprache der Rezension