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Titel
Aktive Arbeitsmarktpolitik. Entstehung und Wirkung eines Reformkonzepts in der Bundesrepublik Deutschland


Autor(en)
Altmann, Georg
Reihe
Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beihefte 176
Erschienen
Stuttgart 2004: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
289 S.
Preis
€ 60,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
André Steiner, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Angesichts der in der Bundesrepublik inzwischen seit 30 Jahren präsenten Massenarbeitslosigkeit stellen sich auch Fragen nach deren historischen Ursachen und nach den politischen Versuchen in der Vergangenheit, sie zu reduzieren – wobei sich Vergleiche zu den in den letzten Jahren betriebenen Reformen des Arbeitsmarktes aufdrängen. Dieser Versuchung gibt Georg Altmann in seiner – das sei vorausgeschickt – rundherum gelungenen Darstellung zur Entstehung der aktiven Arbeitsmarktpolitik in den 1960er-Jahren sowie zu ihrer Wirkung in den 1970er und 1980er-Jahren nicht nach, wohl auch deshalb, weil sich bei Fertigstellung dieser Dissertation die Umrisse der aktuellen Arbeitsmarktreformen erst abzeichneten. Bereits einleitend kennzeichnet er die Entwicklung der aktiven Arbeitsmarktpolitik in der Bundesrepublik als eine Geschichte sowohl des Aufbruchs als auch der Krise. In drei Kapiteln arbeitet er zunächst die Voraussetzungen, Rahmenbedingungen und Akteure der Arbeitsmarktpolitik zwischen 1949 und 1969 heraus, um sich dann der Entstehung des Arbeitsförderungsgesetzes sowie seiner rhetorischen Inszenierung zuzuwenden und schließlich die weitere Entwicklung der Arbeitsmarktpolitik nach 1969 zu skizzieren sowie anhand vorliegender wirtschaftsempirischer Untersuchungen die Effekte der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu bewerten. Abschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst.

Ausgangspunkt der Reformüberlegungen waren die Rationalisierungsprozesse, die den mit dem Boom der 1950er und 1960er-Jahre verbundenen Strukturwandel prägten. Dieser zog auch enorme Veränderungen in den Qualifikationsanforderungen an die Beschäftigten und in deren Tätigkeitsprofilen nach sich, was – vor allem angestoßen von den Gewerkschaften – zu einer gesellschaftlichen Debatte über die Folgen des technischen Fortschritts und der Automatisierung für die Arbeitswelt und den Arbeitsmarkt führte. Auf Grund der Initiative der Gewerkschaften und Nachfragen aus anderen Ressorts fühlte sich das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) im Herbst 1965 zu ersten Arbeiten veranlasst, um das bis dahin den Rahmen der Arbeitsmarktpolitik bildende Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung zu ergänzen. Dieser Ansatz dehnte sich 1966/67 immer weiter aus, so dass sich eine vollständige Überarbeitung des Gesetzes abzeichnete. Damit wurde die Förderung von beruflicher Fort und Weiterbildung sowie von Umschulungsmaßnahmen ausgeweitet, was neben Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung die dritte Säule der künftigen staatlichen Arbeitsmarktpolitik werden sollte. Teile der Maßnahmen traten im Frühjahr 1967 angesichts der ersten Wirtschaftskrise in der bundesdeutschen Geschichte und des damals als dramatisch empfundenen Anstiegs der Arbeitslosenzahl vorgezogen in Kraft. Deshalb markiert Altmann das Frühjahr 1967 als den Beginn der aktiven Arbeitsmarktpolitik in der Bundesrepublik. Nach weiteren zwei Jahren Feinarbeit im BMA sowie in den Ausschüssen des Bundestags und des Bundesrats trat schließlich im Sommer 1969 keine Novelle des alten Gesetzes, sondern das eigenständige Arbeitsförderungsgesetz in Kraft.

Die Basis der um die aktive Arbeitskräftequalifizierung erweiterten Instrumente der Arbeitsmarktpolitik waren Plausibilitätserwägungen, ohne dass man geprüft hätte, ob sich dergleichen woanders bereits bewährt hatte. Vielmehr schienen Ende der 1960er-Jahre – wie Altmann betont – die Konjunktur mit den Möglichkeiten des Stabilitätsgesetzes lenkbar und die Folgen des technischen Fortschritts mit dem Arbeitsförderungsgesetz beherrschbar. Mit beiden Gesetzen sollte letztlich Vollbeschäftigung realisiert werden. Dabei war das Arbeitsförderungsgesetz im Kern lediglich eine Weiterentwicklung seines Vorgängers, der kein übergeordnetes Konzept zugrunde lag. Dagegen vermittelte die um das Gesetz inszenierte Rhetorik „den Anschein einer Reform, die von Anfang an auf einem keynesianisch geprägten, ökonomisch fundierten übergreifenden Konzept einer weitreichenden aktiven Arbeitsmarktpolitik basierte“ (S. 249). Dieses Bild fand selbst noch Eingang in die historische Forschung, was von Altmann überzeugend dekonstruiert wird. Gleichwohl blieb das Arbeitsförderungsgesetz eine bedeutende Neuerung, die vor allem vom Arbeitnehmerflügel der CDU geprägt wurde. Andererseits ist es schon überraschend, wenn die genauere historische Analyse zeigt, dass grundsätzliche ökonomische Erwägungen im Entstehungsprozess dieses Gesetzes nur am Rande eine Rolle spielten: Die wirtschaftlichen Konsequenzen des Arbeitsförderungsgesetzes und ihre Finanzierung wurden ex ante nicht untersucht. Damit erkannte man aber auch die Unsicherheiten in den Voraussetzungen dieses Gesetzes nicht, die auf der besonderen Situation der 1960er-Jahre mit langfristig stabilem Wachstum, moderaten Lohnabschlüssen, stabilem Außenwert der D-Mark und daraus folgend einer dauerhaften Nachfrage nach Arbeitskräften basierten. Die Hauptursache für diese mangelhafte Perzeption macht Altmann darin aus, dass Arbeitsmarktpolitik in Deutschland traditionell zur Sozialpolitik gerechnet wurde, die wiederum durch die Ministerialbürokratie strikt getrennt von der Wirtschaftspolitik gehalten wurde.

Bekanntlich entwickelte sich die Wirtschaft in den 1970er-Jahren aus vielen, hier nicht zu erörternden Gründen anders als in dem Jahrzehnt zuvor. Das hatte zur Konsequenz, dass Mitte der 1970er-Jahre die Arbeitsnachfrage einbrach und zugleich das Arbeitsangebot infolge steigender Erwerbsneigung der weiblichen Bevölkerung anstieg, was schließlich wachsende Arbeitslosenzahlen nach sich zog, die sich in den folgenden Aufschwüngen auch nicht mehr bis auf das Vollbeschäftigungsniveau reduzierten – womit sich die Massenarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik dauerhaft etablierte. Dadurch widersprach der Finanzierungsmodus des Arbeitsförderungsgesetzes aber den wirtschaftlichen Gegebenheiten: Steigende Aufwendungen für das Arbeitslosengeld erzwangen Anhebungen des Beitragssatzes, was wiederum die Arbeitskosten verteuerte und damit tendenziell die Beschäftigung verminderte. Die Reaktionen der Politik darauf – Leistungskürzungen und steigende Beitragssätze – wurden nach Altmann unter allen Bundesregierungen von der Finanzlage und nicht von einer arbeitsmarktpolitischen Konzeption bestimmt.

Augenscheinlich hat das Arbeitsförderungsgesetz die Massenarbeitslosigkeit nicht verhindert. Gleichwohl kann damit noch nicht gesagt werden, dass das Gesetz scheiterte – schließlich hätte die Arbeitslosigkeit ohne das Gesetz noch stärker gestiegen sein können. Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, zieht Altmann vornehmlich seit Ende der 1980er-Jahre erstellte ökonometrische Studien heran, in denen die Wirkung des Gesetzes untersucht wurde. Dabei verschweigt er auch nicht, dass die Akteure in den 1970er- und 1980er-Jahren auf Grund der noch nicht entwickelten Bewertungsmethodik und der dafür noch fehlenden Computertechnik auf solche Untersuchungen nicht zurückgreifen konnten, so dass ihnen valide Bewertungskriterien für diese Politik fehlten. Die nach Methodik und Untersuchungszeitraum sehr unterschiedlichen, ex post angefertigten Analysen fasst Altmann so zusammen, dass sie auch für Nicht-Ökonomen verständlich sind, was sicher einer der Vorzüge seiner Arbeit ist. Dabei kommt er bei aller Unsicherheit in den vorliegenden Resultaten zu dem ernüchternden Schluss, dass die Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik „wenn überhaupt, nur sehr begrenzt wirken“ (S. 255). Zum Kosten-Nutzen-Verhältnis dieser Instrumente kann beim gegenwärtigen Stand der Forschung gar keine belastbare Aussage getroffen werden. Das lässt auch für die Ergebnisse der gegenwärtigen Reformbemühungen im Arbeitsmarkt nichts Gutes erwarten.

Alles in allem hat Altmann eine klar gegliederte, strikt auf eine Fragestellung fokussierte und dabei gut lesbare Arbeit vorgelegt, die in einem bisher wenig erforschten Gebiet der Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Bundesrepublik eine eindrucksvolle Schneise schlägt.

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