Frühe Farbfilmtechnik, ein vergessener Krimi von Max Nosseck, Luftkämpfe des Ersten Weltkrieges auf Zelluloid, eine französisch-ostdeutsche Ulenspiegel-Verfilmung und Werbung im Wirtschaftswunder – so verschieden diese Themen des neuen Filmblatts erscheinen, so konsequent setzen sie die Linie der filmhistorischen Grundlagenforschung von CineGraph Babelsberg fort. Alle Beiträge gehen von neu aufgefundenen Quellen, entdeckten oder restaurierten Filmen aus und unterziehen sie einer ersten Analyse. Sie machen eines klar, die deutsche Filmgeschichte ist breiter und vielschichtiger als ihr Ruf. Sie ist mit technologischen, politischen und wirtschaftlichen Prozessen eng verzahnt.
Dirk Alt gelingt mit seinem Text über das Siemens-Berthon-Verfahren eine dichte, exemplarische Darstellung des von ideologischen Interessen geleiteten „Kampfes“ um einen „deutschen Farbfilm“ im Nationalsozialismus, der in diesem Fall von den technischen Realitäten eingeholt wurde. Für Jan-Christopher Horak sind es ebenso politische wie ökonomische Umstände, die die Biografie des Exilanten und Re-Emigranten Max Nosseck prägen und die ihn in den USA zu einem – heute vergessenen Vertreter – des Film noir werden ließen.
Neben der genauen Beschreibung unbekannter Propagandafilme verdeutlicht der Aufsatz von Jeanpaul Goergen die besondere Position des Films im Ersten Weltkrieg, die im doppelten Sinne als eine des Übergangs zu bezeichnen ist. Zum einen schwanken Filme zwischen Ästhetiken des frühen Kinos und Vorformen späterer Genre, zum zweiten beginnt das Ausnutzen von vermeintlicher Authentizität und narrativ-unterhaltenden Momenten für die vaterländische Meinungslenkung. In Günter Agdes aufschlussreichem Text zum Spielfilm DIE ABENTEUER DES TILL ULENSPIEGEL kommen indes die von politischen und ökonomischen Erwägungen geleiteten Kompromisse der DEFA zum Tragen, unter Verzicht auf die eigene Geschichtsdeutung ein Prestigeprojekt mit Frankreich zum Erfolg zu führen. Ralf Forster schließlich ordnet den langen Henkel-Film GLÜCKSBRINGER und frühe TV-Spots in die stabile Werbephilosophie des Unternehmens ein, die in den 1950er Jahren von der bundesdeutschen Alltagskultur genauso wie vom Übergang ins Fernsehalter geprägt war.
Mit dem Service- und Rezensionsteil setzt Filmblatt zwei bewährte Rubriken fort, in denen aktuell publizierte Forschungsleistungen diskutiert (Review Essay von Horst Claus), DVD-Editionen besprochen oder Archiv-Erschließungen bekannt gemacht werden. Abschließend bringt das Heft die Zusammenstellung filmrelevanter Aufsätze in Nicht-Filmzeitschriften.
(Ralf Forster) Berlin, den 30. September 2009
INHALT
Editorial (Ralf Forster) [3]
Thema
Dirk Alt: Farbfilmstart oder Farbfilmphantom? Das Siemens-Berthon-Linsenrasterverfahren und seine Förderung durch die nationalsozialistische Propaganda 1936-38 [5]
Jan-Christopher Horak: Düstere Weltanschauung, hell ausgeleuchtet. Zur restaurierten Fassung von Max Nossecks Kriminalfilm THE HOODLUM (1951) [19]
FilmDokument
Jeanpaul Goergen: Kriegsflugzeuge, Luftkämpfe und Besuch vom Mars. Industrie- und Propagandafilme im Ersten Weltkrieg [25]
Wiederentdeckt
Günter Agde: Koproduktionen als politische Prestigeobjekte. Der ostdeutsch-französische Film DIE ABENTEUER DES TILL ULENSPIEGEL von 1956 [43]
Ralf Forster: Werbung im Wirtschaftswunder. GLÜCKSBRINGER: Ein Henkel-Farbfilm von 1955/56 [51]
Service
Neue Archivfilme im Verleih [61]
Filmfotografien in der Theaterwissenschaftlichen Sammlung Schloss Wahn [65]
Lexikon der Filmbegriffe – ein fortgeschrittenes Online-Projekt [66]
Review Essay
Horst Claus: Prag und Wien – Filmstädte unter deutschem Einfluss [67]
Besprechungen [72]
Film-Editionen [86]
Rundschau – Aufsätze zur deutsch(sprachig)en Filmgeschichte [91]
Mitarbeiter dieser Ausgabe [94]
Impressum [95]