Die Globalisierung, die auf seltsame Art mit dem Mythos der grenzenlosen Mobilität und Freiheit im Internet verknüpft war, ist nicht nur an der harten Realität der wachsenden gesellschaftlichen Ungleichheit in der Welt gescheitert, sondern auch an der Desillusionierung über die angeblich grenzenlose Freiheit im Internet. Globalisierung beginnt seine Faszination zu verlieren – kommt jetzt die Rückkehr zur Lokalisierung? In der Stadtsoziologie spielt sich eine Debatte ab, in der sich zwei Schulen gegenüberstehen, ja fast bekämpfen. Es geht dabei auch um den Gesellschaftsbegriff, der von der bisher dominierenden Schule als Überbegriff für die Stadtforschung verstanden wird: Nichts, was in den Städten geschieht, sei (nur) lokal zu begreifen, denn die gesellschaftlichen Moden, die kapitalistischen Geschäftsmodelle setzten sich auch in den Städten durch (Walter Siebel in diesem Heft). Aber, fragt die andere Schule, warum hat man die Stadt vernachlässigt, das Naheliegende zugunsten einer virtuellen Welt der Globalisierung? Warum hat man die Stadt, ihre Geschichte und ihre Besonderheiten in der Stadtsoziologie vergessen? Helmuth Berking, der Vertreter der anderen, herausfordernden Schule, stellt den Gesellschaftsbegriff kritisch infraget: Die Städte haben ihre eigene Logik, die es zu erforschen gelte. Dieser sogenannte Darmstädter Ansatz in der Stadtsoziologie hat also die Besonderheiten der Städte im Blick, und während man dies als Mangel in der bisherigen Stadtsoziologie feststellen kann, bietet das Fehlen eines Gesellschaftsbegriffs beim Darmstädter Ansatz seinerseits eigene Probleme. Einen übergreifenden Blick, der beide Ansätze beleuchtet, liefert dazu eine Gruppe jüngerer Stadtsoziologinnen und Stadtsoziologen.
Die Wendung zur Eigenlogik der Stadt lässt sich auch als Reaktion auf ihre Bedrohung durch die Logik der EU betrachten, die nicht allein die Arbeitsmärkte „reformieren“ will, sondern damit auch zugleich das städtische Bürgertum in seinem Bestand gefährdet. Denn durch die europäische Dienstleistungsrichtlinie sollen die geschützten Berufe, also jene an wissenschaftlichem Wissen und gesellschaftlichen Werten orientierten Professionen, die nach Talcott Parsons grundlegend für das Funktionieren der modernen Gesellschaft sind, aufgehoben und frei zugänglich werden. Dass damit aber zugleich ein großer Teil des sozialstrukturell bedeutsamen und kaufkräftigen Bürgertums, das den Kern des städtisch-kulturellen Lebens in Kontinentaleuropa bildet, aufgelöst wird, ist klar. Denn die Minijobber bei McPharma werden nicht in der Lage sein, als typische Konsumenten und ehrenamtlich Beteiligte am städtischen Kunst- und Kulturleben teilzunehmen, und sie werden auch deren Platz als politisches Bürgertum nicht einnehmen.
Im kleineren Format unterhalb der Globalisierung wird man also mit größtem Interesse verfolgen, wie die Eigenlogik der Stadt reagiert.
INHALTSVERZEICHNIS
Zu diesem Heft S. 191–196
Sybille Frank, Jochen Schwenk, Silke Steets und Gunter Weidenhaus Der aktuelle Perspektivenstreit in der Stadtsoziologie S.197–223
Helmuth Berking StadtGesellschaft. Zur Kontroverse um die Eigenlogik der Städte S. 224–237
Walter Siebel Stadt, Ungleichheit und Diversität S. 238–263
Daniel Gaus Qualität statt Partizipation und Gleichheit? Eine Bemerkung zum epistemischen Sinn von Demokratie S. 264–290
Axel Honneth Idee und Realität der Zivilgesellschaft Jeffrey Alexanders Versuch, die Gerechtigkeitstheorie vom Kopf auf die Füße zu stellen S. 291–308
Ulrich Bröckling Der Kopf der Leidenschaft. Soziologie und Kritik S. 309–323
Wolfgang Streeck Nach der Krise ist in der Krise. Aussichten auf die Innenpolitik des europäischen Binnenmarktstaats S. 324–342