In den besten Fällen funktionieren Bücher als Augenöffner – nach der Lektüre sieht man die Welt mit neuen Augen. Wer Ulrich Brinkmanns Studie "Achtung vor dem Blumenkübel! Die Fußgängerzone als Element des Städtebaus. Ansichtspostkarten in Ost- und Westdeutschland 1949 bis 1989" gelesen hat, wird schwerlich durch eine innerstädtische Verweilzone spazieren, ohne sie mit einem Male in ihre Einzelbestandteile zu zerlegen: Ob aufwendige Pflasterung, deren Struktur und Zielsetzung es zu dechiffrieren gilt, markante Beleuchtung, überall platzierte Kleinarchitektur, Blumenkästen oder wahre Wasserlandschaften – die Elemente scheinen einem Setzbaukasten entnommen, ohne dabei die ewig gleichen Ergebnisse hervorgebracht zu haben. In seinem Beitrag rekapituliert Brinkmann die Entwicklung der Fußgängerzone im geteilten Deutschland und stellt dabei die Besonderheit der Wolfsburger "Bummelstraße" heraus, die 1980 feierlich eröffnet wurde.
Der Weg hin zu ebendieser steht im nächsten Beitrag im Fokus. Natürlich spielten auch in Wolfsburg wirtschaftliche Interessen eine zentrale Bedeutung für die angestrebte Neuordnung der Innenstadt – der immense Kaufkraftabfluss nach Braunschweig sollte eingebremst, die Attraktivität des städtischen Zentrums generell erhöht werden. Zugleich ging es aber auch um die Schaffung eines wirklichen Stadtzentrums, das zu einem "urbanen Erlebnisraum" gestaltet werden sollte. Die neugeschaffene Fußgängerzone sollte zu einem Anziehungspunkt werden, der – wie es in einem mit "Fußgängerbereiche und Freizeit" überschriebenen Konzept des Baureferendars Dorandt aus den 1970er Jahren heißt – über "Treffpunkte, Diskussions- u. Demonstrationsplätze, Spielstraßen, begehbare Brunnen und Wasserflächen" "zu spontaner Aktion und Kommunikation" anregt. Nicht zuletzt sollte die konzipierte grüne Oase auf diesem Wege auch identitätsstiftend wirken.
Große Bedeutung kam bei diesem Anliegen, wie Maik Ullmann in seinem Beitrag aufzeigt, auch und gerade der Kunst im öffentlichen Raum zu. Baudezernent Gerhard Kern hatte in einer Besprechung vom 26. April 1977 betont, es solle sich "um aktive Kunst handeln, nicht nur um statische Objekte". Sie sollten "bespielbar" und "begreifbar" sein. Gerade letzteres galt von Beginn an auch für Peter Lehmanns "Wolfsgruppe". Auch ihr kam explizit die Aufgabe zu, "etwas spezifisches für Wolfsburg dar[zu]stellen".
INHALT
Ulrich BrinkmannNord-Süd-Achse wird Erlebnisraum. Die Umgestaltung der Porschestraße in den 1970er Jahren und ihre Verortung in der deutsch-deutschen Fußgängerzonenwelt S. 1-4
Alexander KrausOase der Fußgänger. Die Wolfsburger Fußgängerzone als Versprechen auf die Zukunft S. 5-8
Maik UllmannEin Bronzeguss als identitätsstiftendes Merkmal in der Wolfsburger Fußgängerzone: Peter Lehmanns "Wolfsgruppe" S. 9-10
Alexander KrausVon den Mühen der Lehreranwerbung in den 1970er Jahren (AdM 5/2021) S. 10-11
Maik UllmannMarvin J. Chomsky’s Serie "Holocaust" – "Abwehr und Betroffenheit" (AdM 6/2021) S. 12
Alexander KrausEin Joseph Beuys für Wolfsburg (AdM 7/2021) S. 12-13
Fabian KösterDas ganze Deutschland als Geschenk. Ideologische Rekrutierungsversuche an Wolfsburger Schulen (AdM 9/2021) S. 14-15
Aleksandar NedelkovskiArbeitskreis Pornografie (AdM 8/2021) S. 16