WerkstattGeschichte 13 (2004), 36

Titel der Ausgabe 
WerkstattGeschichte 13 (2004), 36
Zeitschriftentitel 
Weiterer Titel 
Tourismus

Erschienen
Essen 2004: Klartext Verlag
Erscheint 
erscheint dreimal im Jahr
ISBN
3-89861-378-X
Anzahl Seiten
128 S.
Preis
14,00 €

 

Kontakt

Institution
WerkstattGeschichte
Land
Deutschland
Ort
Bielefeld
c/o
transcript Verlag, Hermannstraße 26, 33602 Bielefeld, Tel. +49 521 393797 0, Fax: (0521) 39 37 97 - 34
Von
Thonfeld, Christoph

Werte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,
pünktlich zum Spätsommer wagt WG mit einem Themenheft zum "Tourismus" den Brückenschlag zwischen Urlaub und Forschung. Entspanntes Lesevergnügen in bewährter Qualität und mit neuem Verlag wünscht
Die Redaktion

Inhaltsverzeichnis

WERKSTATTGESCHICHTE, HEFT 36
13. Jg., August 2004
ISBN 3-89861-378-X

»Tourismus«

Editorial S. 3
Der KlartextVerlag S. 5

Thema

Andreas Mai S. 7
Touristische Räume im 19. Jahrhundert. Zur Entstehung und Ausbreitung
von Sommerfrischen

Christian Noack S. 24
Von »wilden« und anderen Touristen. Zur Geschichte des Massentourismus
in der UdSSR

Wiebke Kolbe S. 42
Viel versprechende Strandwelten. Ein Werkstattbericht über den Umgang
mit Bildquellen am Beispiel früher
Seebäderplakate

Werkstatt

Nils Römer S. 57
Die touristische Konstruktion jüdischer Vergangenheiten in Worms

Hanno Loewy S. 73
Projektive Auserwähltheitskonkurrenz: »Tragische« Bilder und Selbstbilder der Täter

Bericht S. 87
Gender in Modern Jewish History:
Rethinking Jewish Women’s and Gender History. 1. Internationaler Workshop,
20. bis 22. Oktober 2003 in Hamburg
(Miriam Rürup)

Filmkritik S. 92
»Gewinne die Menge!« – Warum der Hollywood-Antikfilm mit Gladiator (noch) nicht wieder auferstanden ist
(Mischa Meier)

Expokritik S. 103
»Hier geblieben« – Zuwanderung und Integration in Niedersachsen 1945 bis heute
(Stefan Mörchen)

Rezensionen

Barbara Duden, Karen Hagemann, Regina Schulte, Ulrike Weckel (Hg.), Geschichte in Geschichten
(Dagmar Reese) S. 107

Erich Lessing, Vom Festhalten der Zeit
(Philipp Springer) S. 109

Jan-Holger Kirsch, Nationaler Mythos oder historische Trauer?
(Insa Eschebach) S. 111

Wolf Gruner, Öffentliche Wohlfahrt und Judenverfolgung
(Philipp Springer) S. 113

Vera Lind, Selbstmord in der Frühen Neuzeit
(Ursula Baumann) S. 114

Herrmann Weber/Bernhard H. Bayerlein, Der Thälmann-Skandal
(Annette Leo) S. 116

Bernd Hüttner, Archive von unten
(Eckart Schörle) S. 117

Wiebke Kolbe, Elternschaft im Wohlfahrtsstaat
(Ulrike Lindner) S. 119

Frank Bösch, Das konservative Milieu
(Kirsten Heinsohn) S.121

Abstracts S. 123
Autorinnen und Autoren des Themen- und Mittelteils S. 128

Editorial

Tourismus ist heute die zweitgrößte Wirtschaftsbranche weltweit. Urlaubsreisen haben sich zu einem festen und zentralen Element der Lebensgestaltung in Industriegesellschaften und deren kulturellen Selbstverständnisses entwickelt. Umso erstaunlicher ist es, dass die historische Erforschung des modernen Massenreisens, anders als die epochenübergreifende historische Reiseforschung, noch in den Anfängen steckt. In Deutschland ist dies mehr als etwa in Frankreich und den angloamerikanischen Ländern der Fall. Doch ist das hiesige Forschungsinteresse in den letzten fünf Jahren deutlich gestiegen: Vor allem jüngere Historiker und Historikerinnen entdecken Tourismusgeschichte als interessantes Forschungsfeld. Im Gegensatz zu den “großen” und “wichtigen” Themen Arbeit, soziale Ungleichheit, Wirtschaft oder Politik wird einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Urlaubsreisen dabei aber noch immer eine besondere Legitimation abverlangt, die indes nicht schwer fallen sollte. Denn die Tourismusgeschichte erschließt Prozesse historischen Wandels der Moderne durch neue Fragestellungen und Perspektiven und erlaubt eine ertragreiche Erforschung von gesellschaftlicher Modernisierung, der Vergemeinschaftung sozialer Gruppen, kulturellem Wertewandel und ökonomischen Entwicklungen im 19. und 20. Jahrhundert.
Eine mögliche Zugangsweise zum Forschungsfeld ist, die Akteure, diskursiven Aushandlungsprozesse und kulturellen Bedeutungen bei der Entstehung und Entwicklung touristischer Ziele zu betrachten. Wie entstanden touristische Orte; wie wurden sie erfolgreich als solche aufrecht erhalten – oder auch nicht? Wer errang wann die Definitionsmacht darüber, was ein lohnenswertes touristisches Ziel oder eine sinnvolle touristische Praxis ist – lokal, regional und überregional? Wie beeinflussten etwa Wissenschaft, Politik oder Ökonomie die Entwicklung des Tourismusdiskurses und der touristischen Praktiken? In welchem Verhältnis standen Angebot und Nachfrage zueinander? Bei diesen Fragestellungen bestehen Affinitäten zur Wissenschafts-, Diskurs- und Wirtschaftsgeschichte, während Studien, die sich stärker auf die Wahrnehmung und Aneignung touristischer Ziele durch die Reisenden und auf deren Praktiken konzentrieren, von der Erfahrungs- und Körpergeschichte inspiriert sind.
Ein historisch noch wenig erforschtes Feld sind die Wechselwirkungen zwischen Reisenden/Tourismus und Einheimischen/touristischen Zielen. Wie sich Orte, Regionen, Länder durch ihre touristische Erschließung und den Einfluss des (Massen)-Tourismus veränderten, welche Chancen, welche Gefahren der Tourismus für die Bevölkerung touristischer Gebiete barg, inwiefern diese die Entwicklung selbst mit beeinflusste und wie sich ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen dabei änderten, ist noch kaum untersucht. Auch bei diesen Fragen werden gesellschafts- und wirtschaftsgeschichtliche Aspekte angesprochen, aber etwa auch Umwelt- und Verkehrs-, Diskurs- und Wahrnehmungsgeschichte. Insgesamt ist das junge, expandierende Forschungsfeld Tourismusgeschichte stark interdisziplinär geprägt und vor allem von der Kulturgeografie, der Kultur- und Raumsoziologie, der Kulturanthropologie und der Tourismusökonomie inspiriert.
Andreas Mai untersucht am Beispiel der im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert weit verbreiteten Reiseform Sommerfrische, wie touristische Räume und Praktiken entstanden und fortgeschrieben wurden. Sozialgeschichtlich fragt er nach lokalen Entwicklungen und Aushandlungsprozessen; diskursgeschichtlich nach der Popularisierung touristischer Orte und Praktiken durch Wissenschaft und Medien. Mai zeigt, dass die Geschichte der Sommerfrische mit dem Ansatz des “touristischen Blicks” nicht vollständig zu erfassen ist, und plädiert für eine Erweiterung der historischen Perspektive bei der Erforschung touristischer Ziele und Praktiken.
Christian Noack geht in seinem Beitrag dem bislang kaum beachteten Phänomen des innersowjetischen Individualtourismus im Kontext des entstehenden Massentourismus der 1960er und 1970er Jahre nach. Am Beispiel des Schwarzmeerbadeortes Anapa unternimmt er das schwierige Unterfangen, aus offiziellen sowjetischen Quellen und zeitgenössischen soziologischen Untersuchungen die Reisebedingungen, Motive und Erfahrungen “wilder Touristen” jenseits des organisierten Sozialtourismus zu erschließen. Er vergleicht die individuellen mit den organisierten Tourismusformen und fragt nach der gesellschaftlichen Bedeutung des trotz zahlreicher Probleme mit unzureichender Infrastruktur weit verbreiteten innersowjetischen individuellen Strandtourismus, der dem Individualtourismus westlicher Prägung erstaunlich ähnlich war.
Wiebke Kolbe knüpft in ihrem Werkstattbericht an die derzeitige Diskussion um die historische Bildforschung an und zeigt, wie sich Werbeplakate des Seebädertourismus im frühen 20. Jahrhundert für die Tourismusgeschichte nutzen lassen. Sie argumentiert, dass Werbung und Tourismus eine hohe Affinität aufweisen, denn beide arbeiten mit kollektiven Träumen und Utopien. Gerade Bildwerbung ist deshalb eine so gewinnbringende Quelle tourismusgeschichtlicher Forschungen, weil sie in besonderem Maße auf die mit dem Urlaub verbundenen Vorstellungswelten verweist.
Im Mittelteil verbindet Nils Römer in seinem Beitrag über jüdischen Tourismus in Worms ein tourismushistorisches Thema mit Fragestellungen zu “lieux de mémoire”. Er zeigt, wie in einer Stadt ohne jüdische Gemeinde durch Einflüsse lokaler Funktionäre, örtlicher und internationaler Presse sowie vornehmlich jüdischer Touristen und ehemaliger Einwohner ein jüdischer Erinnerungsort geschaffen wurde. Der Friedhof und die wieder errichtete Synagoge dienen dabei bis heute den Bemühungen, die Stadt als Reiseziel attraktiv zu gestalten.
Hanno Loewy beschäftigt sich mit den Selbstbildern von NS-Tätern und stellt seinen Interpretationsansatz vor, der das Narrativ des Tragischen als den gemeinsamen Nenner dieser Selbstbilder identifiziert. Er diskutiert das dafür wesentliche Konzept der “schuldlosen Schuld” anhand historischer Dokumente, fiktiver Erzählungen und aktueller geschichtswissenschaftlicher Debatten.
Der Kategorie “gender” in der modernen jüdischen Geschichtsschreibung widmete sich eine Tagung am Institut für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg, von der Miriam Rürup berichtet. Die Autorin spricht sich für eine differenziertere Analyse der geschlechtsspezifischen und religiös/ethnischen Zuschreibungen aus.
Der Hollywood-Sandalenfilm feiert seit dem großen Erfolg von Gladiator im Jahr 2000 überraschend Konjunktur. Mischa Meier fragt nach den Ursachen für diesen unerwarteten Erfolg und zeigt, dass Gladiator modernen Blockbustern tatsächlich viel näher steht als dem klassischen Antikfilm.
Mit diesem Heft erscheint WerkstattGeschichte erstmals im Klartext Verlag. Wir möchten uns an dieser Stelle ganz herzlich von unserem langjährigen Verleger Dietrich Lüders verabschieden, der unserer Arbeit mit einem außergewöhnlich hohen persönlichen Engagement begleitet und unterstützt hat. Wir danken außerdem unserem Setzer und Gestalter Michael Herold, der über viele Jahre dafür gesorgt hat, dass unsere Zeitschrift nicht nur interessant, sondern auch schön zu lesen ist. Wir freuen uns auf ein produktive Zusammenarbeit mit dem Klartext Verlag.
Wiebke Kolbe, die Redaktion, die Herausgeberinnen und Herausgeber

Der Essener Klartext Verlag besteht seit über 20 Jahren. „Der Verlag im Ruhrgebiet“ ist mit regionalen Themen gestartet. Im Laufe der Jahre sind weitere Programmschwerpunkte hinzugekommen: Die Geschichte des 20. Jahrhunderts, Industrie- und Sozialgeschichte, Kulturgeschichte, Sport und Unterhaltung. Jährlich erscheinen rund 100 Neuerscheinungen und etliche Zeitschriften; insgesamt umfasst das Verlagsprogramm über 1.200 Titel.
Das erste Verlagsprogramm 1983 war unverkennbar der Idee einer „Gegenöffentlichkeit“ verbunden: Die Gegenöffentlichkeit der „Barfußhistoriker“ fand im Klartext Verlag ihr Sprachrohr, es erschienen Bücher, die sonst keine Chance für eine Publikation hatten. „Geschichte von unten“ brachte verdrängte Themen zur Sprache. Dies waren, wie auch die Klartext-Bücher der ersten Jahre zeigen, vor allem die Geschichte des Alltags, die Geschichte der „kleinen“ Leute und die Geschichte des Nationalsozialismus. Viele Nicht-Historiker beteiligten sich an der Quellensuche, und der Alltag im Nationalsozialismus bewies nach dem Erscheinen der Bücher oft seine aktuelle Brisanz: Opfer und Täter hatten eine Adresse in der Nachbarschaft, viele Täter lebten Anfang der achtziger Jahre noch, was zu Auseinandersetzungen führte, den Themen aber auch die gebührende öffentliche Aufmerksamkeit bescherte.
Die Themen der „Geschichte von unten“ sind mittlerweile längst anerkannte Gegenstände der historischen Forschung und Lehre geworden. Das Programm des Verlags ist im Laufe der Jahre um viele Aspekte der Geschichte des 20. Jahrhunderts erweitert worden – oft gemeinsam mit Autorinnen und Autoren, die dem Verlag verbunden sind und deren Fragestellungen und Forschungsinteressen sich ebenfalls verändert und erweitert haben.
WerkstattGeschichte passt sehr gut in unser Profil und bereichert unser Verlagsprogramm nicht zuletzt durch den Blick der Zeitschrift auch auf die Frühe Neuzeit. Wir hoffen auf eine gute Zusammenarbeit mit den Herausgeberinnen und Herausgebern sowie den Autorinnen und Autoren, und wir begrüßen die Leserinnen und Leser. Wir werden uns gern dafür engagieren, der Zeitschrift eine gebührende Aufmerksamkeit im Buchhandel und in der Öffentlichkeit zu verschaffen.
Der Klartext Verlag

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