WERKSTATTGESCHICHTE, HEFT 28 10. Jg., April 2001 ISBN 3-87916-237-9
"Freundschaft"
Inhalt
Thema
Helmut Puff Von Freunden und Freundinnen. Freundschaftsdiskurs und -literatur im 16. Jahrhundert
Brigitte Schnegg Gleichgestimmte Seelen. Empfindsame Inszenierung und intellektueller Wettstreit von Maennern und Frauen in der Freundschaftskultur der Aufklaerung
Caroline Arni Das kultivierte Gefuehl. Liebe als Freundschaft in der Ehe um 1900
Werkstatt
Andrea Weisbrod Geliebte Freundin. Madame de Pompadour oder: von der Freundschaft als Strategie des Machterhalts
Christoph Thonfeld Denunziation und Anzeige in der Sowjetischen Besatzungszone. Ihre Dimensionen in biographischen Texten
Filmkritik
Maren Dorner Alte Antworten auf neue Fragen? Die Stummfilmkomoedie Madame wuenscht keine Kinder (1926)
Expokritik
Brigitte Boenisch-Brednick Die Konzeption von Te Papa - Our Place
Rezensionen
Susanna Burghartz: Ehe und Sexualitaet in Basel (Stefan Brakensiek)
Claudia Ulbrich: Macht, Geschlecht und Religion (Elisheva Carlebach)
Irene Brandauer-Schoeffmann/Regine Bendl (Hg.): Unternehmerinnen (Christiane Eifert)
Ursula Nienhaus: Weibliche Polizei in Deutschland (Elisabeth Kohlhaas)
Ernst Klee: NS-Medizin und ihre Opfer (Karin Orth)
Eric C. Weitz: Deutscher Kommunismus (Klaus-Michael Mallmann)
Sabine Arnold: Stalingrad im sowjetischen Gedaechtnis (Insa Eschebach)
Arnd Bauerkaemper/Martin Sabrow (Hg.): Doppelte Zeitgeschichte (Andreas Malycha)
Edgar Wolfrum: Geschichtspolitik in der Bundesrepublik (Christoph Klessmann)
Bert Hoppe: Von Koenigsberg nach Kaliningrad (Stefanie Schueler-Springorum)
Peter Wagner u.a. (Hg.): Arbeit und Nationalstaat (Sebastian Conrad)
Dirk van Laak: Weisse Elefanten (Burghard Ciesla)
Editorial
Freundinnen und Freunde, willkommen! WerkstattGeschichte schlaegt mit diesem Heft neue Wege ein. Der Herausgeberkreis hat sich im letzten Jahr als gemeinnuetziger "Verein fuer kritische Geschichtsschreibung e.V." neu konstituiert, damit das unabhaengige wissenschaftliche Projekt Werkstatt Geschichte auf lange Sicht finanziert werden kann. Wer die Zeitschrift unterstuetzen moechte, ist hiermit herzlich eingeladen, dem Verein als foerderndes Mitglied beizutreten (wie das funktioniert, ist weiter unten nachzulesen). In der Hoffnung, dass WerkstattGeschichte sich in Zukunft auf ein wachsendes, sicheres Netz von Freundinnen und Freunden wird stuetzen koennen, moechten wir in diesem Heft Geschichten von moeglichen und unmoeglichen, pathetisch beschworenen und lakonisch skizzierten, geglueckten und zerbrochenen Freundschaften praesentieren. In ihrer narrativen Verdichtung weisen diese ueber ihre Besonderheit hinaus auf soziokulturelle Bedingungen, literarische Vorbilder und gesellschaftliche Praktiken. Denn zwischenmenschliche Beziehungen sind deutungsoffen und deutungsabhaengig zugleich: Sie muessen von den beteiligten Individuen mit Sinn versehen werden, und dieser Sinn ist historisch spezifisch, sozial geteilt und subjektiv angeeignet.
Die drei Beitraege im Thementeil dieses Heftes untersuchen die Freundschaft also nicht als eine (nachtraeglich identifizierbare) soziale Institution im historischen Wandel, sondern als variable, wenngleich mit Bedeutungs- traditionen belegte Moeglichkeit fuer die Einzelnen, das Verhaeltnis zu einer Person gleichen oder anderen Geschlechts zu benennen, von anders definierten Beziehungsformen abzugrenzen, den gemeinsamen Umgang zu strukturieren und zu interpretieren. Wer einem anderen Menschen Freundschaft antraegt, weckt bestimmte Erwartungen, stellt gewisse Ansprueche und schliesst zugleich andere aus. In den drei Fallstudien zum 16., 18. und 20. Jahrhundert geht es insbesondere um eine Bestimmung der Freundschaftsbeziehung im Unterschied zu oder in Kombination mit einer gleich- bzw. gemischt- geschlechtlichen Liebe.
Ausgehend von einer Skizze des intellektuellen Freundschaftsdiskurses seit der Antike, der Freundschaft ganz ueberwiegend als eine Sozialbeziehung tugendhafter Maenner der gesellschaftlichen Elite konzipierte, analysiert Helmut Puff den 1551 erschienenen Prosaroman "Gabriotto und Reinhard" von Joerg Wickram. Der Text konfrontiert eine stabile, platonische Maenner- freundschaft zweier Ritter mit deren unstandesgemaesser Liebe zu zwei (sich anfreundenden) Hofdamen. Da diese Verbindungen anders als die Freundschaft die soziale Ordnung bedrohen, nimmt die Geschichte kein gutes Ende. Die Liebe zwischen Mann und Frau bindet die Maennerfreundschaft in eine heterosexuelle Ordnung der Geschlechter ein und scheitert ihrerseits an der staendischen Hierarchie. Spiegelungen von Freundschaften in Liebesverhaeltnissen und umgekehrt inszenierten literarisch Gebildete im Zeitalter der Empfindsamkeit zum Zwecke von Selbstvergewisserung und - darstellung. Brigitte Schnegg untersucht am Beispiel verschiedener Beziehungen des jungen Christoph Martin Wieland Uebergaenge und Grenzziehungen zwischen Liebe und Freundschaft. Waehrend sich fuer briefliches und literarisches Zelebrieren der eigenen Gefuehlsfaehigkeit Liebe und Freundschaft gleichermassen anboten, insistierte die Femme de Lettres Julie Bondeli gegenueber Wielands Liebeswerben auf einem freundschaftlich-egalitaeren Verhaeltnis, um - so die These - nicht als Frau an der Seite des Dichters ihren eigenstaendigen Platz in der Bildungselite einzubuessen. Caroline Arni nimmt einen Versuch in den Blick, Freundschaft und Ehe miteinander zu verbinden. Intellektuelle und emotionale Lebens- gefaehrtenschaft erschien im sozialistischen Milieu um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert als eine Moeglichkeit, nicht den hierarchischen Zwaengen einer buergerlichen Ehe zu erliegen. Anhand der divergierenden rueckblickenden Darstellungen einer solchen gescheiterten Ehe durch die beiden Protagonisten arbeitet sie heraus, wie sich in deren "Nachdichtungen" der Beziehung geschlechterspezifisch unterschiedliche Interessen und Ausgangslagen aufspueren lassen.
Im Mittelteil des Heftes fuehrt Andrea Weisbrod vor Augen, welche Rolle die Kunst in der hoefischen Politik des 18. Jahrhunderts spielte. Sie zeigt, wie Madame de Pompadour, die maechtige Maetresse Ludwigs XV., nach ihrer offziellen Trennung vom Koenig ihre Stellung am Hof von Versailles nicht zuletzt dadurch behaupten konnte, dass sie sich nun in oeffentlich zur Schau gestellten Gemaelden und Statuen als Personifikation der Freundschaft und nicht laenger der Liebe repraesentieren liess. Christoph Thonfeld geht anhand von Erinnerungsberichten und Interviews ehemaliger Inhaftierter des Speziallagers Buchenwald der Frage nach, wovon Denunziationen in der erinnerten Wahrnehmung ueberlagert werden, welche Formen lebensgeschichtlicher Erfahrung mit diesem Begriff interpretiert und wie sie biographisch verarbeitet wurden. Seine Analyse erklaert auch, warum das Phaenomen Denunziation fuer die historische Analyse so schwer zu fassen ist. Maren Dorner demonstriert am Beispiel der Stummfilmkomoedie "Madame wuenscht keine Kinder" von 1926, wie lohnend es sein kann, kuenstlerisch wenig anspruchsvolle, fuer ein Massenpublikum produzierte Unterhaltungsfilme historisch genau auf ihre Entstehungshintergruende, ihren kulturellen und filmgeschichtlichen Kontext, ihr vielschichtiges Deutungsangebot sowie ihre zeitgenoessische Rezeption hin zu untersuchen. Und weil wir genauer wissen wollten, was uns Ende dieses Jahres bei der Eroeffnung des neuen Juedischen Museums in Berlin erwarten koennte, haben wir Brigitte Boenisch-Brednich gebeten, Ken Gorbeys Erfolgsschau im Neuseelaendischen Nationalmusuem "Tepapa - Our Place" downunder in Wellington einen Besuch abzustatten.
Ulrike Weckel und die Redaktion